Sonntag, 11. Oktober 2015

20 Jahre Amazon: Der Kunde ist König - wer zahlt den Preis dafür?

Diese Seminararbeit soll eine andere Art der Gefahren des Web 2.0 in unserer Gesellschaft widerspiegeln. Es soll hierbei nicht darum gehen, in welche Gefahren wir uns begeben, wenn wir Amazon aufrufen, dort bestellen und unsere Kreditkartennummer hinterlassen, sondern welche Auswirkungen die vielen Kunden und Bestellungen bei dem Unternehmen haben.

Welche Risiken ergeben sich durch die Kundenstandards, die sich Amazon und Jeff Bezos selbst gesetzt haben? Wie haben diese Kundenstandards die Firmengeschichte geprägt? Es soll daher darum gehen, wie es das Unternehmen geschafft hat, der Nachfrage auf Amazon.com gerecht zu werden.

Amazons Anfänge

Jeff Bezos, geboren am 12. Januar 1964, war schon als kleiner Junge ein außergewöhnliches Kind. Als Dreijähriger baute sich der mittlerweile 34,8 Milliarden (Forbes 2015) schwere Unternehmer bereits sein eigenes Kinderbett. Im Herbst 1982 begann er sein Studium an der Princeton University in Elektrotechnik und Informatik. In den Semesterferien arbeitete er sowohl bei Exxon als auch bei IBM. Zunächst bei Fitel, dann bei der Bankers Trust Company, wechselte Bezos 1990 zu D.E. Shaw & Co, wo er nicht nur grundlegende Erfahrungen, sondern auch gute Verbindungen zu Informatikern etablieren konnte. Mitte des Jahres 1994 stieg Bezos aus der Firma aus, um ein Teil des gerade aufkommenden Internets zu werden. 

Zeitleiste (Knop 2013) 

1994 wird das Unternehmen namens „Cadabra“ gegründet. Anfangs in Bezos Garage tätig, beginnt Amazons Geschichte in Seattle.

1995 geht die Internetseite, die nun „Amazon“ heißt, an den Start. Im selben Monat verkauft Amazon sein erstes Buch.

1997 geht Amazon bereits an die Börse. Im September wird das „1-Click“-Shopping für schnelle und bequemere Bestellungen eingeführt und patentiert. In New Castle, Delaware entsteht ein neues Distributionszentrum.

1998 wird die Produktkategorie „Musik“ ergänzt, es folgen „DVD und Video“. Im Oktober steigt Amazon auch in den britischen und deutschen Markt ein. In Deutschland wird dafür ein bereits tätiges Unternehmen übernommen.

1999 kommen Distributionszentren in Nevada, Kansas und Kentucky dazu. Im Juni wird Alexa Internet übernommen, und damit steigt Amazon in das Thema Datenanalyse ein. Neue Produktkategorien kommen hinzu, bspw. Spielzeug und Software. „zShops“ werden eingeführt, die Vorläufer von „Marketplace“.

2000 wird amazon.fr eröffnet, im November geht Amazon nach Japan. Amazon startet eine Allianz mit "Toys 'R' Us". Ab November gibt es ab einem Einkaufswert von 100 Dollar kostenlosen Versand.

2003 beginnen „Search Inside the Book“ und „Look inside the Book“. Kostenlosen Versand gibt es nun schon ab 25 Dollar.

2005 entsteht ein neues Software-Entwicklungszentrum in Schottland. Amazon Web Services geben Entwicklern den Zugang zu Daten, die von Alexa Internet zusammengestellt werden. Amazon Prime wird eingeführt. Vor und über Weihnachten werden 108 Millionen Artikel auf Amazon angeboten.

2006 werden „Lebensmittel“ als Produktkategorie eingeführt. Amazon Web Services führt Alexa Site Thumbnail für Entwickler ein, ein 100%-iges Tochterunternehmen von Amazon. Im Lauf mehrerer Jahre hat Alexa über 18 Millionen Websites erfasst und dabei neben Bildern von Startseiten auch eine beträchtliche Informationsmenge zum Web zusammengetragen.

2007 übersteigt Amazons Umsatz erstmals 3 Milliarden Dollar, ein Plus von 32 Prozent im Jahresvergleich. Juwelen und Uhren sind nun im Produktprogramm. Einführung von Amazons Kindle.

2008 übernimmt Amazon Audible. Der Umsatz des dritten Quartals steigt mit einem Plus von 31 Prozent auf 4,26 Milliarden Dollar.

2009 wird eine neue Einkaufs-App für Android ergänzt. Der Amazon Kindle ist nun in 100 Ländern lieferbar.

2010 wird das Programm Amazon Web-Stores eingeführt. Außerdem wird weiter expandiert (amazon.it).

2011 wird das Programm Prime Instant Videos für Prime-Mitglieder eingeführt. Amazon verkauft nach eigenen Angaben zum ersten Mal mehr Kindle-E-Books als gedruckte Bücher. Einführung der Leihbücherei für Kindle-Besitzer.

Amazon als Arbeitgeber

Amazon stand bereits häufiger in der Kritik, wenn es um Arbeitsbedingungen, Löhne oder um die Zusammenarbeit mit Gewerkschaften ging. Im Folgenden möchte ich auf die Entwicklung des Arbeitsplatzes bei Amazon, auf gewerkschaftliche Tätigkeiten und die aktuellen Vorwürfe eingehen.

Bereits früh legte Bezos den Grundsatz fest, jeder oder jede neue Angestellte oder Angestellter sollte besser als die bisherigen sein und bei Neuanstellungen sollte es eine von vielen Prioritäten sein, darauf zu achten, dass sich das Unternehmen in dieser Hinsicht immer steigert.

Paul Barton-Davis, englischer Software-Entwickler und einer der ersten Mitarbeiter von Amazon, beschreibt in Spectors Buch "amazon.com", dass „Jeff meinte, wenn jemand nicht zu den Besten gehöre, dann würde er auch nicht beschäftigt“, unabhängig von der Tatsache, dass dringend mehr Mitarbeiter oder Mitarbeiterinnen gebraucht wurden (Spector 2000, S. 131). Der Schlüssel zum Erfolg lag laut Bezos darin, die Besten der Besten zu haben.

Alle Bewerber und Bewerberinnen wurden bei der Bewerbung nach ihren studentischen Eignungstests und ihren Collageabschlussnoten befragt, die gut genug sein mussten, damit sie angenommen wurden. Bezos befragte zunächst alle Bewerber persönlich und stellte dabei Fragen, um die Qualität der Denkprozesse herauszufinden. Bezos erwartete dabei vor allem Kreativität, wenn es beispielsweise um die Frage ging, wie viel Tankstellen es in den USA gibt (Stone 2013, S. 53/54).

Vollzeitkräfte arbeiteten 1995 offiziell 60 Stunden in der Woche, denn Bezos Vorstellungen einer Unternehmenskultur waren, dass Angestellte rastlos arbeiteten, um die Firma weiterzubringen. Wer den Fehler machte, von einer Balance zwischen Arbeit und Familienleben zu sprechen, schied für eine Einstellung aus oder wurde gekündigt. Obwohl Amazon damals ein Jahresgehalt von gerade mal 60.000 Euro, eine nur rudimentäre Krankenversicherung und ein unfassbares Arbeitstempo anbot, erwartete Bezos ein enormes Arbeitspensum (Stone 2013, S. 54).

Anfang 1996 stiegen die Erträge dann pro Monat um 30-40 %. Nun ging es schnell, immer mehr Mitarbeiter kamen dazu, auch Autoren und Literaten, damit Amazon zur Informationsquelle über Bücher werden konnte. Bezos wollte ein Unternehmen aufbauen, das von nun an optimale Präsenz im Internet zeigen sollte, „Get Big Fast“ war seit dem Sommer 1996 das neue Motto. Bezos predigte daher Dringlichkeit, jeder Einzelne musste härter anpacken. Auch am Wochenende wurde gearbeitet, um die gesetzten Deadlines, bis wann Aufträge fertig sein zu hatten, erfüllen zu können. Zu diesem Zeitpunkt hatte Amazon bereits 150 Mitarbeiter (Stone 2013, S. 57-61).

Immer häufiger kamen Beschwerden auf, dass sich viele der ursprünglichen Mitarbeiter durch neue kluge Köpfe ersetzt fühlten, und so kam es bereits nach 5 Jahren zu den ersten Kündigungen von Mitarbeitern aus der Anfangszeit.

Das Weihnachtsgeschäft 1998 brachte die ersten Engpässe mit sich. Die vielen Bestellungen überlasteten die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, und so kam es das erste Mal zu Wettbewerben auf Zeit unter den Angestellten. Familien der Belegschaft arbeiteten 24 Stunden am Tag für das Projekt „Rettet Santa“. Bezos nahm sich danach vor, dass es nie wieder zu Engpässen in der Weihnachtszeit kommen sollte.

Grundwerte wurden für die weitere Arbeit bei Amazon festgelegt, darunter vor allem Kundenfixierung, Sparsamkeit, hohe Ansprüche an Bewerberinnen und Bewerber und Einfallsreichtum. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter lebten diese Werte, konnten sich allerdings nicht richtig an das halsbrecherische Arbeitstempo gewöhnen. Je größer Amazon wurde, desto mehr trieb Bezos seine Leute, ließ sie am Wochenende antreten und wiederholte immer wieder sein Motto, wie es dort zu arbeiten galt: lange, mit Köpfchen und hart (Stone 2013, S. 104/106).

Mittlerweile fanden regelmäßig Mitarbeiterbefragungen statt und nicht selten ging es um die „Work-Life-Balance“ oder das hektische Tempo am Arbeitsplatz sowie die Arbeitsbedingungen. Doch die Firma war immer noch nicht familienfreundlich. Viele der gut bezahlten Executives (eine Art Abteilungsleiter) kündigten, da sie ihrem Familienwunsch mehr Priorität zusprachen. Amazons Firmenphilosophie legte nicht viel Wert auf Familienfreundlichkeit. Es galt einen Einklang zwischen der Arbeit und dem Leben zu finden, nicht andersherum (New York Times 2015).

Weihnachten 1999 strömten die Menschen nach dem dot-com-Hype zu Amazon und wieder mal hielt die Belegschaft den Atem an. Mit dem damaligen einbrechenden Kurs der Amazon-Aktie ging ein Bruch durch die Belegschaft. Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen aus der Anfangszeit waren durch ihre Aktien nach wie vor reich, neu Eingestellte besaßen fast nur wertlose Bezugsrechte. Viele aus der Belegschaft verloren dadurch ihre Illusionen in Amazon. Bezos verlor zu diesem Zeitpunkt viele seiner Top-Manager (Stone 2013, S. 121).

Amerikanische Gewerkschaften versuchten damals, die betriebsame Vorweihnachtszeit zu nutzen, um Mitglieder für sich zu gewinnen. In Deutschland kam es erst 2012 zu solchen Diskussionen, welche ich am Ende nochmal aufgreifen möchte. Ende 2000 ging es der amerikanischen Gewerkschaft „Communications Workers of America“ allerdings zunächst darum, die rund 400 Mitarbeiter im Kundenservice zu organisieren, die zwischen 11 und 15 Dollar verdienten. Gleichzeitig versuchte die „United Food and Commercial Workers Union“, die mehr als 5000 Beschäftigen in den Logistikzentren, die nur etwa 7-9,50 Dollar verdienten, anzuwerben.

Der erste Organisationsversuch war 1998 kläglich gescheitert - auch aus dem Grund, weil viele alteingesessene Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit den Amazon-Aktien reich geworden waren. Bezos drückte sich damals klar und deutlich aus: „Wir brauchen keine Gewerkschaften“ (Spiegel, 2000).Viele Organisationsversuche auch in Polen und anderen Standorten scheiterten an der Angst der Belegschaft (Stone 2013, S. 219/ Knop 2013, S. 41).

Im Jahr 2000 entließ Amazon mehr als tausend Mitarbeiter, also 15 % der kompletten Belegschaft. Viele, die gingen, atmeten auf, weil sie nicht leisten konnten, was von ihnen erwartet wurde. In diesem Zeitraum wurden vor allem Ingenieure und Entwickler neu eingestellt (Stone 2013, S. 142).

Die Firma wuchs immer weiter und Bezos überlegte sich neue Formen der Motivation, um seine Mitarbeiter anzuspornen. Wettbewerbe wurden ausgeschrieben für Ideen, wie man Ineffizientes entfernen oder reduzieren konnte, und Preise für gute Einfälle wurden vergeben (Stone 2013, S. 201/202).

Die schnelle Aufstockung der Belegschaft, vor allem in der Vorweihnachtszeit, brachte die sehr kleinen Personalabteilungen 2013 an den Rand ihrer Kapazität, sodass es zu erheblichen Problemen bei den Lohnauszahlungen kam. Viele Saison- und Leiharbeiter traten nach einer Dokumentation „Ausgeliefert: Leiharbeiter bei Amazon“ der ARD von 2013 an die Öffentlichkeit und klagten über die Arbeitsorganisation, die Qualität des Essens, fehlende Handschuhe oder aber die fehlende Unterbringung. Auch die Nicht-Einhaltung der Pausen wurde kritisiert. Die Dokumentation schlug Wellen bis nach Amerika und Großbritannien.


Der Druck auf Amazon wächst mit jedem Standort, an dem Beschäftigte organisiert sind. Doch die Belegschaft hat oft Angst, im ersten Standort zu sein, der streikt. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter fürchten sich, dann einfach gekündigt zu werden und dass der Standort geschlossen wird.

Dass Amazon die Kundenzufriedenheit sehr wichtig ist, räumt selbst die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di ein, wobei die Interessen der Belegschaften zunehmend auf der Strecke blieben. 2012 beschäftigte Amazon deutschlandweit 10.000 saisonale Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, von denen nur knapp 2.000 einen unbefristeten Vertrag bekommen haben. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die überzeugt hätten, würden übernommen werden, hieß es damals von der Amazon-Sprecherin Christine Höger (Knop 2013, S. 128).

Die Gewerkschaften bestätigen durchaus, dass Amazon viel grundsätzlich Lobenswertes tue, wie beispielsweise Lohnerhöhungen nach einer gewissen Anzahl von Arbeitsjahren, allerdings mit dem Ziel, die Organisierung der Beschäftigten zu verhindern. Um dieses Ziel zu erreichen, steigerte Amazon in Leipzig die Löhne um 17 Prozent innerhalb von zwei Jahren.

Ver.di gab außerdem bekannt, dass es mittlerweile (2013) an vier Standorten Betriebsräte gebe, der Umgang mit diesen allerdings wesentlich professioneller sein könnte (Knop 2013, S. 131). Immer wieder kommt es zu Konflikten mit (Ex-) Betriebsräten, deren Verträge auslaufen und nicht verlängert werden, obwohl neues Personal eingestellt wird. So auch ein Fall in Brieselang, bei dem die beiden Kläger vor dem Arbeitsgericht verloren (RBB 2015).

Prekäre Beschäftigung ist kein Einzelfall bei Amazon. Oft haben mehr als die Hälfte der Mitarbeiter befristete Verträge, sodass sie nicht wissen, ob sie im neuen Jahr mit oder ohne Arbeit sind. Ver.di geht es bei dem Kampf um Tarifverträge oft weniger um die Löhne als um die Sicherheit der Belegschaft. Die Gewerkschaft will für die rund 10.000 Mitarbeiter des Versandhandels in Deutschland einen Tarifvertrag auf dem Niveau des Einzel- und Versandhandels durchsetzen. Verhandlungen darüber lehnt Amazon seit zwei Jahren aber strikt ab. Das Unternehmen sieht sich als Logistiker und verweist auf eine Bezahlung am oberen Ende des Branchenüblichen (PZ 2015).

Bei der Suche nach Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hat Amazon keine Probleme. Vor allem Beschäftigte aus europäischen Ländern mit hoher Arbeitslosigkeit, die auf dem ersten Arbeitsmarkt keine Chance hätten, bewerben sich immer wieder bei Amazon. In Polen wurden erst im Herbst 2014 drei große neue Logistikzentren außerhalb der Stadt Breslau eröffnet. Hier arbeiten die Mitarbeiter zu einem Lohn von 3 Euro die Stunde und legen über 30 km am Tag zurück. Gewerkschaften stehen in Polen noch ganz am Anfang. Die Waren vor Ort gehen allerdings nur in den Westen, nicht in Städte in Polen (ZDF 2015).



Trotzdem gibt es auch Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die Unterschriften für ihren Arbeitgeber sammeln. Im Januar 2014 berichtete der Focus über Unterschriften und T-Shirt-Aktionen in Leipzig und Bad Hersfeld. 1.018 Mitarbeiter gaben mit ihrer Unterschrift zu, dass sie das negative öffentliche Bild Amazons bis in ihr Privatleben verfolge und die Darstellungen der Gewerkschaften nicht der Realität im Arbeitsleben entsprechen. Ver.di-Mitarbeiter sind sich sicher, dass unter den Unterschreibenden viele Arbeitnehmerinnen und Arbeiter sind, die als Aushilfen oder Saisonarbeiter eingestellt wurden, trotzdem ist klar, dass nicht alle Arbeitnehmer unzufrieden sind (Focus 2014).

Auch in Pforzheim wollte der Wahlvorstand für die Betriebsratswahl bei der Betriebsratsgründung 2013 nicht mit Ver.di zusammenarbeiten. Zwei völlig konträre Aussagen trafen damals aufeinander. Ein Arbeitnehmer, der vom „reinsten Sklavenhandel und umkippenden Bandarbeiterinnen“ sprach, und eine im Wahlvorstand engagierte Mitarbeiterin, die von Spaß und symphytischen Managern erzählte.

Auch im Nachgang der Wahl kam es immer wieder zu Spannungen zwischen gewählten Betriebsräten, der Arbeit des Betriebsrates und der Gewerkschaft Ver.di. Immer wieder spaltete sich die Belegschaft aufs Neue in zwei Teile: in jene, die angeben, sehr zufrieden zu sein, und solche, die von Druck und unmenschlichen Arbeitsbedingungen sprachen. Oftmals undurchsichtig für die Öffentlichkeit, muss man sich als Leser der verschiedensten Zeitungsartikel die Frage stellen, ob wohl der eine Teil der Belegschaft einfach nur feige oder gar gekauft ist, und was wahr ist an den Kritiken (Stuttgarter Zeitung 2013).

Nach der ARD-Reportage 2013 litt das Image des Versandhandels, aber nur sehr wenige Kunden boykottierten Amazon. Im Januar 2013 kam der TÜV Saarland zu diesen Erkenntnissen, als er 2.500 Personen über ihre Meinung zu insgesamt 19 Online-Händler befragte. Der Befragung zufolge sank die Kundenzufriedenheit von Januar bis März (kurz nach der Ausstrahlung) um knapp 22 Prozent und Amazon landete von Platz 1 auf Platz 12. Jedoch beabsichtigten nur knapp 7% der Kunden, ihr Konto beim Versandriesen aufzulösen (Börsenblatt 2013).

Auch ECC Köln hat gemeinsam mit Hermes, SAP und Yapital 2015 ein solches Ranking erstellt. Hierbei wurden 10.600 Online-Shopper über 105 Online-Shops befragt. Amazon ist nicht mehr unter den Top 10 (Etailement 2015). Trotzdem hat Amazon 2014 260 Millionen aktive Kunden-Accouns weltweit, und den Besucherzahlen nach zu urteilen ist Amazon mit 24,8 Millionen Aufrufen der beliebteste Online Shop in Deutschland (Statista 2015).

Amazon scheint also nach wie vor ein beliebter Anbieter zu sein, der so gut wie alles anbietet und zudem viele kleine interessante Extras, wie Amazon Prime oder den AWS-Dienst (Cloud-Dienstleistung von Amazon) vorzuweisen hat. Amazon Prime nutzten 2014 über 20 Millionen Kunden (t3n 2014). Damit liegt Amazon auch bei seinem Angebot des „Amazon Instant Prime Video“ weit vor Netflix, Maxdome oder Snap (Digitalfernsehen 2015).

Trotzdem wird immer wieder Kritik laut, die in vielen Fällen nicht unbemerkt von der Öffentlichkeit bleibt. Im Mai 2014 wählte der Internationalen Gewerkschaftsbund (IGB) mit 20.000 stimmberechtigen Mitgliedern den Amazon-Chef Jeff Bezos zum weltweit schlechtesten Arbeitgeber.

Amazon ist laut Sharan Burrow, IGB-Generalsekretär, „ein weltweit tätiges, reiches Unternehmen, das die Menschenwürde und die Rechte erwerbstätiger Menschen verachtet“. Jeff Bezos sei die Verkörperung der Unmenschlichkeit von Arbeitgebern, die auf das US-amerikanische Unternehmensmodell setzen. Der Generalsekretär des IGB erklärt: „Unsere Botschaft an die Großkonzerne lautet, dass das aufhören muss - keine Misshandlung von Beschäftigten mehr!“ (Focus Mai 2014)

Am 15. August 2015 erscheint ein fast 15 Seiten langer Artikel in der New York Times: “The joke in the office was that when it came to work/life balance, work came first, life came second, and trying to find the balance came last“, ist eines der vielen Zitate in diesem Artikel. Dafür haben Jodi Kantor und David Streitfeld nach eigener Aussage mehr als 100 aktuelle und frühere Mitarbeiter befragt, Mitglieder des Führungsteams, Personalverantwortliche, Vermarkter, Handelsexperten oder Ingenieure.

Viele Vorwürfe werden in diesem Artikel angeführt; weinende Arbeiterinnen und Arbeiter, Rundmails auch nachts, bei denen man für eine Nichtbeantwortung gleich eine SMS mit der Frage, warum man nicht antworte, bekommt, die Möglichkeit, nicht fleißige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Geschäftsleitung zu melden, und ein regelrechter darwinistischer Überlebenskampf wird beschrieben (New York Times 2015).

Wieder mal wurde eine Welle an Diskussionen ausgelöst, ob die Arbeitsprozesse bei Amazon effektiv und intensiv oder einfach unmenschlich sind. Jeff Bezos reagierte schnell auf die Kritik und bot seinen Mitarbeitern an, ihm eine persönliche Email zu schreiben, wenn solche Vorfälle ein weiteres Mal vorkommen sollten.

Auch in Deutschland bleibt Amazon auf dem Schirm der Kritiker. 2015 erhielt Amazon Bad Hersfeld und Amazon Koblenz den Big Brother Award im Bereich Arbeitswelt, da dort private Daten nicht geschützt würden.

Am 21. September 2015 waren wieder einmal an vielen Standorten Streiks angekündigt, dieses Mal auch im Standort Pforzheim. Amazon klagte in Pforzheim gegen Ver.di und versuchte, durch eine einstweilige Verfügung die Arbeit von Ver.di auf dem Amazon-Gelände zu untersagen. Bisher jedoch ohne Erfolg - alle Klagen wurden zurückgewiesen. Wer sich über Aktuelles auf dem Laufenden halten möchte, kann die Seite von Ver.di Amazon besuchen.

Fazit


Es ist und bleibt schwierig, sich ein reales Bild über die Beschäftigungsverhältnisse in und bei Amazon ein Bild zu machen. Viele Artikel decken negative Vorkommnisse auf, lassen einen stutzen und werfen Fragen auf. Trotzdem bleibt die Frage offen, ob es bei Amazon Mitarbeiter gibt, die ohne am Versandhändler reich geworden oder für ihre Aussagen gut bezahlt worden zu sein, glücklich und zufrieden mit ihrem Arbeitsplatz vor Ort sind.

Letztlich bleibt noch die Frage, ob es nicht wir als Kunden sind, die Amazon am Leben erhalten und unterstützen. Nun könnte eine lange Diskussion geführt werden, ob es nicht schlicht und einfach die Verpflichtung eines Arbeitsgebers ist, auf die Sicherheit und das Wohlbefinden seiner Belegschaft zu achten, oder jeder Mitarbeiter bei Amazon aus einer freien Entscheidung heraus dort begonnen hat, oder ob ein Boykott des Konzerns die Augen öffnen würde. Welche dieser oder vieler weiterer Positionen man nun einnehmen mag, bleibt jedem selbst überlassen.

Fest steht: Die Arbeitswelt braucht Arbeitnehmervereinigungen und Gewerkschaften als Gegenspieler, die sich aneinander reiben. Doch immer wieder beweisen Betriebe, wie Mercedes-Benz oder Porsche, dass eine Firma und ihre Arbeitgeber der Arbeit eines eigenständig arbeitenden Betriebsrates viel Gutes abgewinnen können. Vielleicht würde diese gute Zusammenarbeit auch die Effizienz bei Amazon verbessern - in eine positive Richtung.

Literatur

Knop, Carsten (2013): Amazon kennt dich schon; Vom Einkaufsparadies zum Datenverwerter, Frankfurt am Main.

Stone, Brad (2013): Der Allesverkäufer; Jeff Bezos und das Imperium von Amazon, München.

Spector, Robert (2000): Amazon.com. Jeff Bezos und die Revolution im Handel, München.

Forbes 2015: http://www.forbes.com/profile/jeff-bezos/?list=billionaire (24. September, 17:43)

New York Times 2015: http://www.nytimes.com/2015/08/16/technology/inside-amazon-wrestling-big-ideas-in-a-bruising-workplace.html?_r=1 (27. September 2015, 10:25)

Spiegel 2000: http://www.spiegel.de/wirtschaft/gewerkschaften-amazon-wird-in-die-mangel-genommen-a-105043.html (27. September 2015, 10:28)

RBB 2015: http://www.rbb-online.de/wirtschaft/beitrag/2015/06/Ex-Betriebsraete-scheitern-mit-Klage-gegen-Amazon.html (27. September 2015, 10:30)

PZ 2015: http://www.pz-news.de/ueberregionale-wirtschaft_artikel,-Wieder-Streik-bei-Amazon-Sechs-Logistikzentren-betroffen-_arid,1029430.html (27. September 2015, 10:31)

ZDF 2015: https://www.youtube.com/watch?v=xdrkY_NpgrY (27. September 2015, 10:32)

Focus 2014: http://www.focus.de/finanzen/news/unternehmen/belegschaft-gewerkschaft-verdi-loehne-handel-amazon-streik-unterschriftenaktion-leipzig-bad-hersfeld-mitarbeiter-pro-amazon-13_id_3519324.html (27. September 2015, 10:33)

Stuttgarter Zeitung 2013: http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.konflikt-in-pforzheim-streit-ueber-amazon-betriebsrat-in-pforzheim.d198a2fd-2336-4199-8663-76f08a63ec27.html (27. September 2015, 10:34)

Börsenblatt 2013: http://www.boersenblatt.net/artikel-studie__kundenzufriedenheit_bei_amazon_.624249.html (27. September 2015, 10:35)

Etailement 2015: http://etailment.de/thema/studien/Kundenzufriedenheit-Amazon-stuerzt-mit-Karacho-aus-den-Top-Ten-der-Onlineshops-3007 (27. September 2015, 10:36)

Statista 2015: http://de.statista.com/themen/757/amazon/ (25. September 2015, 15:16)

t3n 2014: http://t3n.de/news/amazon-prime-20-millionen-kunden-520370/ (27. September 2015, 10:38)

Digitalfernsehen 2015: http://www.digitalfernsehen.de/Zahlen-zu-Amazon-Prime-bleiben-geheim.126605.0.html (27. September 2015, 10:39)

Focus Mai 2014: http://www.focus.de/finanzen/news/internationaler-gewerkschaftsbund-amazon-chef-jeff-bezos-ist-der-mieseste-boss-der-welt_id_3866517.html (27. September 2015, 10:39)


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