Sonntag, 21. Mai 2017

Was machen wir aus Internet Memes?

Die Erfolgsgeschichte von Internet Memes ist beträchtlich. Die Verbreitung dieser meist in Form von kurz beschrifteten Bildern auftretenden Dateien macht den Begriff der viralen Inhalte anschaulich wie kein zweites Internet-Phänomen. Dass der Begriff Meme ursprünglich ausgerechnet auf den Evolutionsbiologen Richard Dawkins zurückgeht, passt dabei gut ins Bild. Dieser schrieb 1976 auf einer Schreibmaschine:
“We need a name for the new replicator, a noun that conveys the idea of a unit of cultural transmission, or a unit of imitation.” (vgl. Dawkins (2006) S. 192) 
Schon mit diesem begriffsgebenden Zitat, entnommen aus Dawkins‘ Buch Das egoistische Gen, Jahrzehnte vor der Verbreitung von PCs und WLAN, stürzen wir uns metertief in die Thematik. Von Gedanken über kulturelle Transmission und Imitation bis zu einer sozialwissenschaftlichen Dissertation ist es gar nicht so weit. Da ist es kaum verwunderlich, dass in den wenigen Jahren seit der explosionsartigen Verbreitung von Internet Memes ein beachtliches Volumen an wissenschaftlicher Arbeit über dieses Phänomen entstanden ist.

Ein erstes Brainstorming über Internet Memes ermöglicht es uns, diese als politisches Instrument, Ventil für individuelle Kreativität oder als Auswuchs einer globalen Angleichung von Humor und Werten zu betrachten. Sie könnten also politikwissenschaftlich, kommunikationswissenschaftlich, informationswissenschaftlich, sozialwissenschaftlich, kulturwissenschaftlich und wahrscheinlich irgendwie sogar astronomisch analysiert werden. Daher greifen die veröffentlichten Artikel das Thema selbstverständlich aus verschiedenen Blickwinkeln auf.

Neuartige, rasch entstandene Phänomene in einen wissenschaftlichen Rahmen zu überführen, ist eine der größten akademischen Herausforderungen überhaupt. Am Anfang des Denkprozesses von Autoren steht dabei wahrscheinlich die Frage aus dem Titel dieses Blogeintrages in all ihrer Plumpheit und Einfachheit: Was machen wir daraus? Um diese Frage kommen wir nicht herum, so populär die zugrundeliegende Thematik auch sein mag. In diesem Blogeintrag machen wir uns Gedanken über Internet Memes, schauen uns an, wie einige Autoren versucht haben, Sinn aus dem Hype um Memes zu machen, und hoffen dabei, der Beantwortung der Ausgangsfrage etwas näher zu kommen.

Eine politisch-kommunikative Dimension

Ein sorgfältig durchdachter Leitartikel oder ein guter Blogeintrag nehmen Zeit in Anspruch. Gründlich müssen Argumente strukturiert, Fakten dargestellt und gegenläufige Strandpunkte betrachtet werden – ein Internet Meme besteht aus wenigen Worten und einem Bild. Deswegen muss es nicht weniger Aussagekraft oder meinungsbildende Wirkung haben. Mit einer Prise Humor werden politische Standpunkte durch Memes prägnant und effektiv kommuniziert.

Mit einer Anzahl an Worten, die sich an einer oder zwei Händen abzählen lässt, werden dabei wirkungsvolle Argumente suggeriert und dadurch ausgedrückt, ohne präzise ausformuliert und entwickelt zu werden. Vielmehr wird dies oft dem Betrachter überlassen. Ein brandaktuelles Beispiel ist die Opposition gegen US-Präsident Donald Trump. Nachdem am 15.05.2017 bekannt wurde, dass Trump vertrauliche Informationen an den russischen Botschafter in den USA kommuniziert hatte, tauchte folgendes Meme am nächsten Tag im Internet (auf einer Facebook-Seite, die Präsident Trump kritisch gegenübersteht und diese Kritik sarkastisch ausdrückt) auf:

(Quelle: Facebook-Seite “President Donald J Trump”, URL: https://www.facebook.com/thetotallyrealdonaldtrump/photos/a.1679718598939539.1073741827.1679718102272922/1936549836589746/?type=1&theater)

Ein klar oppositioneller Standpunkt wird mit Ironie und grafischer Untermalung aussagekräftig kommuniziert. Nach 9 Stunden wurde das Bild 5.664 mal mit “Gefällt Mir” markiert und 1.492 mal geteilt. Die Reichweite und das virale Potential zur politischen Instrumentalisierung von Memes werden dabei sehr deutlich.

Milner (2013) untersucht die Wirkungskraft von Memes aus kommunikationswissenschaftlicher Perspektive im politischen Kontext. Im Falle der Occupy Wall Street Bewegung beobachtet er, dass sich Memes gut dazu eignen, populistische Positionen auszudrücken, und beiden Seiten dabei helfen, Argumente einfach und effektiv auszudrücken (vgl. Milner (2013), S. 2357).

In seiner Fallstudie stellt er fest, dass durch Memes demokratische Diskussion stattfand, auch wenn sich diese Argumente innerhalb einer Meme-Landschaft befinden, in der auch relativ inhaltsleere Ironie wohnt (vgl. Milner (2013), S. 2388). Dass die Occupy Wall Street Bewegung Memes als Kommunikationsinstrument nutzt, ist auf Facebook leicht zu beobachten. Die Facebook-Seite “Occupy Wall St.” veröffentlichte beispielsweise dieses Meme, um Opposition gegen die hohe Inhaftierungsquote in den USA auszudrücken:

(Quelle: Facebook-Seite “Occupy Wall St. ”, URL: https://www.facebook.com/OccupyWallSt/photos/a.628015903932844.1073741830.184749301592842/717298585004575/?type=3&theater)

Axelrod (2016) sieht Memes als einen Teil der “Entertainisierung” von Politik. Dass Sympathien dabei Inhalte ablösen, sieht sie durchaus kritisch. Anderseits erkennt sie das Potential von Memes, Nichtwähler zu mobilisieren, als positiv an. In der Feststellung, dass Memes ein effektives Kommunikationsinstrument sind, stimmt sie mit Milner (2013) überein.

Andere Autoren haben Memes in einem spezifischeren politisch-gesellschaftlichen Kontext untersucht. Szablewicz (2014) sieht in dem populären Diaosi Meme einen Umgang von jungen chinesischen Männern mit gesellschaftlichen Erwartungen und sozioökonomischen Perspektiven. Kligler-Vilenchik et. al. (2015) analysieren Memes im Kontext von Zivilcourage und Good Citizenship.

Das politische Potential und die politische Instrumentalisierung von Memes wurden in der wissenschaftlichen Literatur also durchaus festgestellt und untersucht, wenn auch in teilweise sehr spezifischer und wenig empirischer Natur. Ein vermeintlich intuitives Thema wissenschaftlich zu untersuchen, ist eine Herausforderung. Es ist damit zu rechnen, dass mehr Veröffentlichungen zu diesem Themenbereich folgen werden. Unsere oben ausformulierten Überlegungen zu Memes im politischen Kontext werden durch die Literatur aber durchaus weitgehend bekräftigt.

Eine globalistisch-kulturelle Dimension

Eine Betrachtung von Internet Memes aus einer kulturellen Perspektive liegt inhaltlich wohl am nächsten. Schließlich ist ein Großteil der Memes trivial und verarbeitet humoristisch banale Alltagssituationen, die überall auf der Welt verstanden werden können. Bauckhage (2011) spricht dabei von einem “Phänomen, das soziale und kulturelle Grenzen überschreitet” (vgl. Bauckhage (2011), S. 42). Ein Beispiel ist das folgende Meme, welches auf der populären Facebook-Seite “Memes” gepostet wurde:

(Quelle: Facebook-Seite “Memes”, URL: https://www.facebook.com/memes/photos/a.527860673898191.140939.527507080600217/1906779686006276/?type=3&theater)

Eine soziologische Analyse von Memes drängt sich in diesem Kontext auf. Gal et. al. (2015) setzen hier an und argumentieren in ihrer Untersuchung des “It Gets Better”-Projekts, dass Memes kollektive Identitäten und Normen schaffen können (vgl. Gal et. al (2015), S.14). Knobel et. al (2006) setzten sich früh mit dem kulturschaffenden Aspekt von Internet Memes auseinander. Sie stellen Memes als kulturelle Informationen, welche Einstellungen und Verhaltensweisen direkt beeinflussen, dar (vgl. Knobel et. al (2006), S. 199).

Dass Memes, die zu einem Großteil humoristischer Natur sind, kulturelle Auswirkungen auf einer globalen Ebene haben können, macht Shifman (2007) deutlich: Laut dem Autor ist Humor ein wichtiges Instrument, um soziale und kulturelle Prozesse zu verstehen. Seine Felduntersuchung im Internet zeigt, dass global verständliche Themen ein größeres Potenzial haben, sich viral zu verbreiten. Dabei dominieren vor allem Themengebiete, die aus westlichen Jugendkulturen stammen (vgl. Schifman (2007), S.187).

Andere Ansätze

Wie können wir Memes noch verstehen? Andere Ansätze zur Untersuchung von Memes finden sich beispielsweise in Wiggins et. al (2014), welche Memes kategorisieren und so ein theoretisches Fundament zu deren Untersuchung bereitstellen wollen, sowie in Varis et. al (2015), welche Memes in einem linguistischen Kontext untersuchen sowie tiefer auf die virale Verbreitung eingehen.

Uns fallen noch andere Ansätze ein, die teilweise schon bearbeitet wurden und teilweise kaum in der Literatur zu finden sind: Inwieweit können Internet Memes kommerziell verwendet werden? Wie können Unternehmen oder öffentliche Institutionen Memes instrumentalisieren, um Marketing- oder Kommunikationsziele zu verfolgen? Wie können wir den Effekt des interkulturellen Beitrags von Memes messen? Welche Implikationen hat es, wenn Menschen aus vier Kontinenten mit denselben Memes vertraut sind? Wie lässt sich der kulturelle Einfluss von westlich-kapitalistischer Jugendkultur durch globale Internet Memes messen und inwieweit wird durch Memes Kultur exportiert? Wie beständig sind Memes und wie entwickeln sie sich? Das wissenschaftliche Potenzial scheint also noch weitreichend zu sein.

Memes sind im Internet omnipräsent und werden täglich von hunderten Millionen Menschen konsumiert. Sie verlangen daher danach, in ihren Bedeutungen verstanden und analysiert zu werden. Zahlreiche akademische Disziplinen haben ein Interesse an dem Internet-Phänomen und wissenschaftlich sind längst nicht alle Ansätze ausgeschöpft. Es bleibt zu hoffen, dass dieser Blog-Eintrag einleuchtende Ansätze zur Beantwortung seiner Ausgangsfrage gegeben hat und gleichzeitig Internet Memes ihre (vielleicht nie vorhanden gewesene) Unschuld nicht genommen hat.

Quellen
  • Axelrod, Emma (2016): The Role of Memes in Politics. Brown Political Review. URL: http://www.brownpoliticalreview.org/2016/03/role-memes-politics/ (zuletzt abgerufen 15.05.2017). 
  • Bauckhage, Christian (2011): Insights into Internet Memes. Proceedings of the Fifth International AAAI Conference on Weblogs and Social Media, S. 42-49. 
  • Dawkins, Richard (2006): The Selfish Gene: 30th Anniversary edition. Oxford University Press, New York. 
  • Facebook-Seite “President Donald J Trump”. URL: https://www.facebook.com/thetotallyrealdonaldtrump/photos/a.1679718598939539.1073741827.1679718102272922/1936549836589746/?type=1&theater (zuletzt abgerufen 15.05.2017). 
  • Facebook-Seite “Occupy Wall St.”. URL: https://www.facebook.com/OccupyWallSt/photos/a.628015903932844.1073741830.184749301592842/717298585004575/?type=3&theater (zuletzt abgerufen 15.05.2017). 
  • Facebook-Seite “Memes”. URL: https://www.facebook.com/memes/photos/a.527860673898191.140939.527507080600217/1906779686006276/?type=3&theater (zuletzt abgerufen 15.05.2017). 
  • Gal, Noam, Shifman, Limor & Kampf, Zohar (2015): “It Gets Better”: Internet memes and the construction of collective identity. New Media & Society 18(8) S. 1698-1714. 
  • Kligler-Vilenchik, Neta & Thorson, Kjerstin (2015): Good citizenship as a frame contest: Kony2012, memes, and critiques of the networked citizen. New Media & Society 18(9) S. 1993-2011) 
  • Knobel, Michele & Lankshear, Colin (2006): Online Memes, Affinities, and Cultural Production. In: A New Literacies Sampler, S.199-228. Peter Lang, New York. 
  • Milner, Ryan M. (2013): Pop Polyvocality: Internet Memes, Public Participation, and the Occupy Wall Street Movement. International Journal of Communication 7 (2013), S. 2357-2390. 
  • Shifman, Limor (2007): Humor in the Age of Digital Reproduction: Continuity and Change in Interned-Based Comic Texts. International Journal of Communication 1 (2007), S. 187-209. 
  • Szablewicz, Marcella (2014): The ‘losers‘ of China’s Internet: Memes as ‘structures of feeling‘ for disillusioned young netizens. China Information 28(2), S. 259-275. 
  • Varis, Piia & Bloomaert, Jan (2015): Conviviality and collectives on social media: Virality, memes, and new social structures. Multilingual Margins, a journal of multilingualism from the periphery 2(1), S. 31-45. 
  • Wiggins, Bradley E. & Bowers, G. Bret (2014): Memes as genre: A structurational analysis of the memescape. New Media & Society 17(11), S. 1886-1906.

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