Lernen und Kompetenzen
Lernen als absichtlich (intentional) oder beiläufig (inzidentiell) bewirkter Prozess der Wissens- bzw. Verhaltensänderung durch Informationen oder Erfahrungen, lässt den Lernenden geistige, körperliche und soziale Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten (Kompetenzen) erwerben. Durch die Verarbeitung seiner Wahrnehmung der Umwelt und der Bewusstwerdung von erfahrenen Regelungen versteht der Lernende die von ihm wahrgenommenen Sachverhalte. Menschen lernen u.a. durch Nachahmung anderer Menschen (Lernen am Modell), vor allem Kinder suchen sich für die vielen, ihnen unbekannten Handlungen und Sachverhalte Vorbilder, deren Handlungsweisen sie nachahmen und von denen sie Unbekanntes erfragen; in dieser Phase des Lebens prägen Eltern, Lehrerinnen und Lehrer, als Vorbilder und Förderer, die Entwicklung von Kindern entscheidend.Während der Pubertät suchen sich die heranwachsenden Jugendlichen dann zunehmend Vorbilder unter Gleichaltrigen (Peergroup).
Eine weitere wichtige Voraussetzung für den Lernprozess ist die Motivation des Lernenden und seine Bereitschaft zu lernen, da das Gedächtnis Informationen umso besser speichert, je sinnvoller und emotional bedeutsamer sie für den Einzelnen sind (vgl. Wagner et. al., S. 26). Zudem fordert die starke Dynamik unserer modernen Wissensgesellschaft - im Wesentlichen bedingt durch die rasanten technischen Entwicklungen im Informations- und Kommunikationsbereich - von den Menschen, die in ihr leben, eine ebenso starke Dynamik hinsichtlich des Lernens von neuen Sachverhalten und die Bereitschaft zu lebenslangem Lernen.
Aufgabe der Schule ist es hierbei, ihren Schülerinnen und Schülern grundlegende Kompetenzen und Wissensinhalte zu vermitteln, die sie auf das - durch die sich ständig verändernden beruflichen und gesellschaftlichen Anforderungen - notwendige lebenslange, nachhaltige Lernen vorbereiten und sie zu einer aktiven Teilhabe an der Gesellschaft befähigen.
Abgesehen von fachlichen Kompetenzen - als Fähigkeit, Probleme kreativ zu lösen und Wissen sinnorientiert einordnen und bewerten zu können - liegt der Schwerpunkt der schulischen Kompetenzförderung auf der Vermittlung von Methoden-, Sozial- und Personalkompetenz als unabdingbare Voraussetzungen für eigenverantwortliches Handeln und ein selbstbestimmtes Leben.
Das schulische Erziehungsziel der individuellen Handlungskompetenz umfasst somit neben der fachlichen Zielsetzung auch das methodische Gestalten und die Fähigkeit, das eigene Vorgehen strukturieren zu können, das gruppen- und beziehungsorientierte Auseinandersetzen im Hinblick auf Pläne und Ziele sowie die Bereitschaft zur Selbstentwicklung und Reflexion (vgl. Druckrey 2007, S. 87). Dementsprechend beinhalten die Bildungsstandards in Deutschland neben dem reinen Fachwissen Kompetenzen wie Methodenbeherrschung, Kommunikationsfähigkeit, Teamfähigkeit und Präsentationskompetenz in den verschiedenen Fachbereichen.
Der Begriff Lernen mit dem Zusatz 2.0 steht für ein neues Lernen mit und im Web 2.0. War der Nutzer der anfänglichen 1.0-Version des World Wide Webs noch ein eher passiver Informationsempfänger, so ist er bei der Version 2.0 darüber hinaus ein aktiver Teil des sich ständig rasant verändernden, äußerst dynamischen Informationssystems. Dies erfordert einerseits zusätzliche Kompetenzen bei der Nutzung des Internets und bietet andererseits vielfältige Möglichkeiten des Kompetenzerwerbs. Lernen 2.0 in unserer heutigen Mediengesellschaft umfasst darum sowohl die Erziehung im Umgang mit digitalen Medien als auch die Aneignung von Kompetenzen und Fachwissen durch digitale Medien.
Umgang mit digitalen Informationsquellen (er)lernen
Bedingt durch die Entwicklung des World Wide Web zu einem interaktiven, dynamischen Informationssystem haben sich auch die Eigenschaften von Informationen verändert. Harald Gapski und Lars Gräßer unterscheiden hierbei zwischen Informationsarbeit, Informationsorten, Informationszugängen und Informationsstrategie. Die Informationsarbeit durch den Lernenden bzw. Internetnutzer findet nicht mehr nur rezipierend, sondern auch produzierend statt. Der Informationsort ist nicht mehr lokal gebunden, sondern entgrenzt. Bei den Informationszugängen hat eine Verschiebung von privat zu öffentlich stattgefunden, und die neuen Informationsformen mit ihren unbegrenzten Datenmengen des Web 2.0 fordern vom Nutzer eine selektive Informationskompetenz.
Voraussetzung für die sinnvolle und effektive Nutzung der sich daraus ergebenden vielfältigen Möglichkeiten der Informationsaufnahme und des Lernens ist die Fähigkeit, sich die jeweils relevanten Wissensbestände zu verschaffen, sie kritisch auf ihren Richtigkeitsgehalt zu prüfen und irrelevante Wissenbestände auszusortieren, damit das Web 2.0 - wie es der Name eines Workshops des Web Literacy Lab in Graz treffend formuliert - “vom Infodschungel zum digitalen Nutzgarten” wird.
So bildet die Fähigkeit der interaktiven Anwendung von Medien - von der OECD im Zuge des DeSeCo-Projekts zur Unterstützung internationaler Studien zur Messung von Kompetenzniveaus von Jugendlichen und Erwachsenen als eine der Schlüsselkompetenzen definiert - die Grundlage für selbstständiges Handeln in unserer Gesellschaft. Grundlegende Kompetenzen stehen auch im Mittelpunkt der schulischen Bildung und so fordert Hans N. Weiler aufgrund des immer größer werdenden Einflusses der Online-Welt auf Alltag und Beruf, den Umgang mit Informationen als Pflichtfach “Wissenskunde” zur Vermittlung von Informationskompetenz im Lehrplan der Schulen zu verankern. Die Schule bietet hierfür die notwendigen zeitlichen und personalen Voraussetzungen, Kinder und Jugendliche kompetent zu unterstützen und sie auf ihrem Weg ins World Wide Web zu begleiten.
Das Fazit der Studie "Medienbildung - (k)ein Unterrichtsfach?" der Universität Hamburg, die der Frage nachgeht, inwieweit Medienkompetenz in den Lehrplänen der einzelnen Bundesländer verankert ist, zeigt jedoch, dass sich inzwischen zwar in allen Bundesländern Vorgaben zur Medienerziehung und Förderung von Medienkompetenz finden, es aber an konkreten Hinweisen, wann und wie diese Aufgaben umgesetzt werden sollen, fehle.
“Es gibt einige Schulen, in denen Lehrkräfte sich dieser Zielsetzung annehmen. Eine Verbindlichkeit ist aber kaum vorhanden. Inwiefern Schülerinnen und Schüler tatsächlich ein Mindestmaß an Medienkompetenz erreichen, wird nicht überprüft.Die Einführung eines eigenen Unterrichtsfaches könnte hier Abhilfe schaffen. Die befragten Experten berichteten aber übereinstimmend, dass hierfür keine bildungspolitische Mehrheit zu erwarten sei.”Wissenskunde, Informations- oder Medienkompetenz, bleibt also weiterhin ein wenig konkretes Thema an den Schulen, das zwar einhellig für wichtig befunden wird, aber für das es wohl keine verbindliche Zielsetzung bzw. Evaluation in Form eines eigenständigen Fachs geben wird. Deshalb werden auch die Zuweisungen von finanziellen Mittel für diesen Bereich und die notwendigen Maßnahmen, wie die Schaffung von zusätzlichen Lehrerstellen, gezielte Lehrerfortbildungen und eine erweiterte technische Ausstattung, weiterhin wenig konkret bleiben.
Lernen 2.0 mit digitalen Informationen
Die Vorteile des Web 2.0 hinsichtlich der unendlich großen Daten- und Informationsmengen sowie deren schnelle, problemlose Verfügbarkeit für den Lernenden liegen auf der Hand und haben eine neue Lernkultur entstehen lassen. Digitale Virtualität stellt die Inhalte von Schulbüchern nicht nur in punkto Aktualität in den Schatten, sondern gibt dem Nutzer außerdem die Möglichkeit, mit dem Autor oder anderen Nutzern zu dem jeweiligen Thema zu kommunizieren und dadurch die Wissensinhalte aktiv weiterzuentwickeln.
Douglas Thomas und John Seely Brown bezeichnen in ihrem Buch “A New Culture of Learning” (2011) die Interaktion zwischen den Nutzern des Web 2.0 als “Real Learning”, das im Internet durch “comments, remixing and looking how other people solve problems” (Thomas/Brown 2011, S. 32) stattfindet. “The connection between the personal and collective is a key ingredient to lifelong learning” (ebd., S. 72), da sich das Wissen, ähnlich der Dynamik unserer heutigen Gesellschaft, in einem interaktiven Prozess ständig aktualisiert und weiterentwickelt. Sowohl das selbstständige, eigenmotivierte Handeln, das Hinzufügen und Weiterentwickeln von Inhalten, als auch das Lernen aus Fehlern stellt – im Gegensatz zu dem “teaching-based” Lernmodell der Vergangenheit – ein neues ,“learning-based” (ebd., S. 37) Lernmodell dar.
Im Vordergrund steht das eigenmotivierte, prozessorientierte Lernen in der Lebens- und Lernumgebung des Web 2.0, das die Notwendigkeit von fremdmotiviertem, produktorientiertem Unterricht in der Lebens- und Lernumgebung Schule in Frage stellt. Die zunehmende Handlungs- und Prozessorientierung im Unterricht und die in der realen Offline-Welt stattfindende Förderung der Sozial- und Personalkompetenz, als wesentlicher Bestandteil von Bildung, findet bei dieser Betrachtung keine Berücksichtigung.
Glaubt man dem Hirnforscher Spitzer, so entstehen bei der Nutzung digitaler Informationen kaum sensomotorische Eindrücke im Gehirn. Sensomotorik ist jedoch das für die Wahrnehmung des Menschen notwendige Zusammenspiel der Sinnesorgane mit den motorischen Systemen; die Wahrnehmung von Reizen durch die Sinnesorgane, wie Auge und Ohr, stehen also in unmittelbarem Zusammenhang mit den motorischen Vorgängen des Körpers. Wahrnehmung, deren Verarbeitung und somit Lernen ist also ein komplexer, ganzheitlicher Vorgang, der, um Nachhaltigkeit zu erzielen, nicht auf einzelne Sinnesorgane beschränkt werden darf. Demzufolge kann Lernen 2.0 ganzheitliche Erfahrungen des Menschen nicht ersetzen, ist aber ein wichtiges und unerlässliches Hilfsmittel und sollte in diesem Sinne unbedingt seinen festen Platz im Lehrplan der Schulen haben.
Das Web 2.0 ersetzt mit seine vielfältigen Anwendungen manche Lernmaterialien und Informationsquellen bzw. ergänzt diese sinnvoll, wodurch die Palette an Lehr- und Lernmethoden sich erweitert und neue Möglichkeiten des Lernens geschaffen werden, wie z.B. themenspezifische Lernplattformen und differenziertere Recherche von Informationen. Die Schule stellt eine Plattform für direkte Kommunikation und aktives Sich-Ausprobieren dar, die sich immer mehr ihrem Umfeld öffnet. Im Zuge dieser Öffnung kann das Internet als eine Teilplattform für die digitale Kommunikation und das Sich-Ausprobieren in der digitalen Datenwelt dienen; der Lernraum Schule wird zur Alltags- und Berufswelt hin geöffnet. Es werden Kompetenzen gefördert, die in unserer Medien- und Informationsgesellschaft gefordert werden und unbedingt erworben werden müssen; die reale Welt und somit den Unterricht vor Ort, den Umgang mit und das Lernen von Mitschülerinnen und Mitschülern (Peer-to-Peer-Lernen) einerseits und Lehrerinnen und Lehrern (Lernen am Modell) andererseits ersetzt es jedoch nicht.
Fazit
Lernen 2.0 ist ein wichtiges, notwendiges, heutzutage unerlässliches Tool im Bereich von Bildung und Lernen, kann aber die ganzheitliche Erfahrung von Lernen in der Schule und im realen Leben nicht ersetzen. Ein ergänzendes Miteinander muss das Ziel sein, denn so kann Lernen 2.0 durchaus sinnvoll zum Kompetenzerwerb von SchülerInnen beitragen. Und zurückkehrend zu dem eingangs erwähnten Zeitungsartikel, für dessen Autor sowohl in der Offline-Welt als auch in deren Abbild Online-Welt gilt: “Hier wie dort macht die Dosis das Gift”, muss die bewusste und kompetente Nutzung des Internets und seiner Inhalte das Ziel der Erziehung zum Lernen mit digitalen Medien sein, wodurch die Schülerinnen und Schülern die Fähigkeit erlangen, selbstständig, selbstbewusst und selbstbestimmt zu handeln - online oder offline.
Literatur
Druckrey, Petra: Qualitätsstandards für Verfahren zur Kompetenzfeststellung im Übergang Schule – Beruf. Bonn 2007.
Thomas, Douglas / Seely Brown, John: A New Culture of Learning. North Charleston 2011.
Wagner, Rudi F. / Hinz, Arnold / Rausch, Adly / Becker, Brigitte: Modul Pädagogische Psychologie. Bad Heilbrunn 2009.
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