Seiten

Sonntag, 16. Dezember 2012

Neue Perspektiven durch Bloggen im Schulalltag?

„But more tools aren’t enough. The tools are simply a way of channeling existing motivation” (Shirky 2008, 17).
Clay Shirky benennt im vorangestellten Zitat eine der zentralen Grundlagen, die es im Zusammenhang mit den Mechanismen des Web 2.0 zu berücksichtigen gilt: Das Ziel bestimmt das Werkzeug (Tool). Keine Anwendung des Social Web existiert als Selbstzweck, sondern bedient lediglich die Nachfrage der Netcitizen. Alternative Tools finden Sie an dieser Stelle beispielsweise in den Beiträgen zu Facebook, Wikipedia oder Web 2.0 im Unterricht vorgestellt. Wer nach den Perspektiven sucht, muss sich zunächst mit dem Mehrwert des Tools auseinandersetzen und sich fragen, ob die Applikation bei der Verwirklichung von eigenen Zielen hilfreich ist. In diesem Beitrag wird deshalb den didaktischen Überlegungen die Frage vorangestellt, aus welchen Motiven Blogs verwendet werden und welche Prozesse dabei ablaufen.

Was sind Blogs?

Der Begriff Blog ist eine Kontamination aus den Wörtern „World Wide Web“ und „Log(buch)“ zu Weblog, kurz: Blog. Blogs können von Einzelpersonen oder Gruppen geschrieben werden. Sie befinden sich gerade auf dem Blog des Seminars „Web 2.0 und Medienkompetenz – Was sollte ich als (Politik-)Lehrer/in wissen“. Auch auf diesem Blog publizieren mehrere Autoren: die Studierenden des Seminars und der Dozent Dr. Müller. Weblogs gehören zu den ältesten Anwendungen im Social Web und sind seit den 1990er Jahren allgemein verfügbar (vgl. Wolff 2006, 3-7). Ihren Aufstieg erlebten Blogs zur Mitte der 2000er Jahre. Durch technische Innovationen wurde das Erstellen eines eigenen Blogs so vereinfacht, dass dafür keine fundierten Programmierkenntnisse mehr notwendig waren – eine Rahmenbedingung, die für Web 2.0-Anwendungen spezifisch ist. Erst seither wurden die interaktiven Plattformen massentauglich und veränderten die Kommunikation in der Gesellschaft.

Anfangs schrieben die Blogger noch keine komplexen Texte, sondern empfahlen Links zu interessanten Webseiten. Daraus entwickelte sich eine Applikation zum Verfassen längerer Texte (vgl. Richardson 2011, 35). Ein signifikantes Merkmal der Posts bleibt die häufige Verwendung von Hyperlinks, die zu Formen der Transtextualität führen. Dadurch können komplexe Gedankengänge schriftlich fixiert und über die Interaktion mit der Netzgemeinde weiterentwickelt werden. Das ist ein Vorteil beispielsweise gegenüber Sozialen Netzwerken, in denen Nachrichten auf wenige hundert Zeichen beschränkt sind. Längere Texte können auch in mehrere Beiträge untergliedert werden. Dadurch wird dem Leser die Übersicht erleichtert (vgl. Bannour/ Grabs 2011, 165 f.).

Wie bei allen Social Media-Anwendungen, entsteht ein Mehrwert dieser Applikation durch das interaktive Handeln der Netzgemeinde (ebd., 21-23). Ziel ist die Produktion von „user-generated content“. Ein Blog ist darum nicht pauschal mit einem Tagebuch vergleichbar, das der Autor für sich selber schreiben würde. Die Reichweite spielt bei dieser Bewertung eine entscheidende Rolle. Blogs, die Zugriffszahlen in Millionenhöhe verzeichnen, funktionieren auf dem „one-to-many“ Prinzip und können einem Tagebuch ähneln. Ein klassischer Dialog kommt mit dieser Menge an Personen jedoch nicht zustande. Auf diesen Seiten richtet sich der Text tendenziell an ein breites Publikum. Erst mit vergleichsweise überschaubaren Rezipientenzahlen werden Gespräche möglich (vgl. Shirky 2008, 129).

Die Autoren schreiben Beiträge, die sie auf den Blog hochladen. Diese Posts werden chronologisch gelistet. Außerdem wird den Lesern meistens die Möglichkeit zur Kommentierung geboten. Diese Interaktion ist ein entscheidendes Merkmal der Blogs, denn sie bricht die Geschlossenheit der Texte auf und ermöglicht das direkte Weiterentwickeln der Denkprozesse. Dadurch tritt der Autor mit seinen Lesern in einen Dialog, der den Wissenszuwachs ermöglicht. Auf diese Weise entsteht aus ursprünglich statischen Inhalten ein fachlicher Diskurs (vgl. Richardson 2011, 36).

Jeder Beitrag ist mit einer eigenen URL abrufbar (Uniform Resource Locator = dt.: „einheitlicher Quellenanzeiger“, umgangssprachlich: Internetadresse). Das Teilen der Beiträge über andere Netzwerke wird dadurch erleichtert und die Interaktion gefördert (vgl. Bannour/Grabs 2011, 153 f.). Darüber hinaus kann der Blogger seine Beiträge mit einem oder mehreren Schlagwörtern (Labels bzw. tags) kennzeichnen. Der Beitrag wird damit Themen zugeordnet. Auf diesem Seminarblog sind die Labels/tags rechts in der Menüleiste zu finden. Dieses Gadget soll die Suche nach individuell relevanten Beiträgen erleichtern. Stammnutzer des Seminarblogs können über neue Beiträge per E-Mail oder RSS-Feed aktuell informiert werden. Die meisten Blogger bieten einen entsprechenden Service auf ihrer Seite an (vgl. ebd., 160).

Beispiele für Blogs
“The centrality of group effort to human life means that anything that changes the way groups function will have profound ramifications for everything from commerce and government to media and religion“ (Shirky 2008, 16).
Social Media-Anwendungen verfolgen keinen Selbstzweck, sondern sind lediglich das Medium, über das die Akteure kommunizieren. Abhängig vom Ziel des Blogs kann die Autorenschaft eine oder mehrere Personen umfassen (vgl. ebd., 129). Der Blog von Ulrike Langer gibt die Journalistin als alleinige Autorin an, während die Redaktion der Tagesschau Einträge mehrerer Verfasser bündelt. Abhängig vom Ziel werden Social Media-Anwendungen unterschiedlich genutzt. Der Stil kann variieren. Ich habe dazu zwei Bereiche des öffentlichen Lebens exemplarisch herausgegriffen, in denen Blogs erfolgreich eingesetzt werden:

Beispiel 1: Wirtschaft

Märkte sind Gespräche“ - wer positiv im Gespräch bleibt, sichert sich einen Marktanteil. Unternehmen setzen auf die Wirkung des viralen Marketing. Im Social Web können die Empfehlungen größere Reichweiten erzielen. Die Werbebranche arbeitet aber mit diesem Prinzip seit ihrem Bestehen. Emotionen bestimmen täglich unsere Kaufentscheidungen. Erfolgreiche Marketingkampagnen zielen darauf ab, dass bei den Konsumenten positive Gefühle erzeugt werden, die sie mit dem Produkt verbinden.

Corporate Blogs ermöglichen den Unternehmen, mit ihrem Kundenkreis einen persönlichen Kontakt aufzubauen. Firmen rücken dabei ihre Fachkompetenz in den Vordergrund und schaffen Vertrauen. Für Gesprächsanlässe sorgen Beiträge von ausgewählten Arbeitskräften, die beispielsweise über ihren Alltag berichten oder Ideen zu neuen Produkten vorstellen. Die Konsumenten erhalten Einblicke hinter die Kulissen und werden animiert, sich mit der Marke auseinanderzusetzen. Über Kommentare oder ihren eigenen Blog können sie sich aktiv an der Produktentwicklung beteiligen und die eigenen Bedürfnisse kommunizieren. Reaktionen des Unternehmens auf die Beiträge der Rezipienten stärken die emotionale Bindung zwischen den Akteuren. Beispiele für gelungenes Blogging sind die Unternehmen Ritter Sport und Daimler AG (vgl. Bannour/ Grabs 2011, 123-142).

Beispiel 2: Politik

Auch Politiker wollen im Gespräch bleiben und das am liebsten verbunden mit positiven Meldungen. Bloggen ermöglicht Politikern, sich selbst darzustellen (Ernst 2011, 22). Vor der digitalen Revolution bestimmten Gatekeeper die Berichterstattung. Das waren Verleger und Redakteure der Medienanstalten. Heute können Blogger diese Schranke umgehen und Einfluss auf die Gesprächskreise der Online-Bevölkerung nehmen. Durch ihre Teilnahme am öffentlichen Diskurs operieren sie am Puls der Zeit. Einen lebendigen Bürgerdialog praktiziert beispielsweise Christopher Lauer von der Piratenpartei. Seine Beiträge werden mehrfach kommentiert. Auf Fragen reagiert er zeitnah und wertet damit die Meinungsäußerungen der Rezipienten auf. Aber nicht nur Parlamentarier, sondern auch Bürgerrechtler haben die Vorzüge des Bloggens erkannt und versuchen, auf ihre Themen aufmerksam zu machen (Generación Y, Annalist). Politische Blogs setzen, wie auch die Marketingabteilungen von Unternehmen, auf den viralen Effekt. Erfolgreiche Blogger bleiben im Gespräch der Netzgemeinde und können ihre Anliegen mitteilen (vgl. Wolff 2006, 27-31). Allerdings ist zu bedenken, dass der Rezipientenkreis auf die Netzgemeinde beschränkt ist. Dadurch wird die Durchsetzungskraft der Blogs als Massenkommunikationsmittel relativiert (Ernst 2011, 23).

Was passiert beim Schreibprozess?

Die Textproduktion ist eine planbare und zerdehnte Kommunikationshandlung. Informationen werden mit Hilfe des Mediums Schrift codiert, um sie auf unbestimmte Zeit zu konservieren. Autoren agieren primär adressatenbezogen, indem sie die Niederschrift am Vorwissen des Rezipienten orientieren. Der Produzent greift dabei auf geltende Normen und Konventionen der Zielgruppe zurück. Beim Schreibakt werden Phasen des Planens, des Formulierens und des Überarbeitens durchlaufen. Aus didaktischer Perspektive bietet diese Untergliederung eine Orientierung für Novizen. Diese Perioden sind jedoch nicht linear-sequenziell auszuführen, sondern erfolgen situationsbedingt während des Handelns im Gedankenkonstrukt der Autoren. Dabei entsteht ein Zusammenspiel imaginärer und physischer Subprozesse, die in ihrer Summe die Handlung "Schreiben" bilden. De Beaugrande (1984) bezeichnet das als Parallelität (vgl. Fix 2008, 36-49).

Das Produkt eines Schreibprozesses ist traditionell ein geschlossener Text, der auf Papier fixiert wird. Werke sind durch einen Anfang und ein Ende gekennzeichnet. Die digitale Revolution stellt diese Form in Frage. Die Verknüpfung von Informationen findet im Internet nicht nur auf einer Textebene statt. Hypertexte verknüpfen bestimmte Angaben mit Quellverweisen, die per Mausklick abrufbar sind (Richter 2004: 33 f.). Im Internet sind Texte variabler, denn sie können schnell verändert werden. Diese Strukturen stellen das Gehirn vor eine spezielle Transferleistungsaufgabe. Die Informationen sind nicht linear abhängig und nicht chronologisch. Daher erfordert die Arbeit mit Hypermedia ein raum-zeitliches Denkvermögen. Durch den frühen Kontakt mit der Computertechnik ist dieses Konstrukt diskontinuierlicher Textformen den Lernenden vertraut (vgl. Röll 2003, 71-76).

Bei Hayes & Flower wird der ungeschriebene Text als ein "ungeklärtes Problem mit offener Lösung" taxiert (Fix 2008, 36). Davon ausgehend muss vor dem Schreibprozess eine Frage als solche erkannt werden. In der Schule werden Problematiken von der Lehrkraft künstlich geschaffen. Die Novizen erfahren einen extrinsischen Motivationsanreiz und sind selten vom Sinn des Schreibens überzeugt. Der Text wird für den Lehrer verfasst, um eine Sanktionierung zu vermeiden (vgl. ebd., 129-137). Bei der Textüberarbeitung reflektiert der Lernende über die Anforderungen der Lehrkraft, die sich insbesondere durch eine festgelegte Seitenanzahl ausdrückt. In den seltensten Fällen wird der Inhalt in das Zentrum des Diskurses gestellt. Das Produkt wird dadurch für weitere Überlegungen unbrauchbar (vgl.ebd., 39-41).
„Bloggen ist eine Tätigkeit, bei der es darum geht, seine Gedanken schriftlich zu entwickeln und nicht lediglich Tagesereignisse und Gefühle zu protokollieren“ (Richardson 2011, 41).
Ziel der Autoren ist es, die eigene Fachexpertise zu erweitern, indem sie ihre Ausführungen zur Diskussion stellen. Beiträge zeichnen sich durch einen persönlichen Schreibstil aus, über den sich der Urheber profiliert. Die Rezipienten suchen Schwächen und Stärken der Argumentation und geben diese über Kommentare oder auf ihren eigenen Blogs wieder. In der Schreibdidaktik wird häufig gefordert, dass Texte kontinuierlicher Weiterentwicklung unterliegen sollten. Dadurch erfährt der Novize einen Lernzuwachs. Diesem Ideal stehen die physischen und institutionellen Rahmenbedingungen gegenüber. Blogs könnten hier künftig eine neue Perspektive eröffnen, da sie nicht an geschlossene Textsorten gebunden sind.

Die Grundlage für interessante Blogbeiträge ist das analytische und kritische Lesen fachlicher Texte zum Problemaufwurf. Im Interpretieren der Lektüre ist zumeist der Schreibanlass begründet. Herkömmliches Schreiben stellt jedoch einen geschlossenen Prozess dar, der in einer These gipfelt. Beim Bloggen wird ein fortlaufender und ergebnisoffener Prozess angestoßen. Das Produkt setzt sich aus mehreren Synthesen zusammen und wird stetig weiterentwickelt (vgl. ebd., 56 f.). Dieser Mechanismus kommt einer Schülerschaft entgegen, die mit einer vernetzten Denkstruktur groß geworden ist.

Welche Chancen bietet das Bloggen im Unterricht?

Grundlage ist die Auseinandersetzung mit Lernen 2.0. Die Rollen der Lehrenden und Lernenden werden neu definiert. Die Novizen übernehmen einen sehr viel aktiveren Part, während die Lehrkraft als Moderator den Lernprozess begleitet. Weitere Informationen erhalten Sie im Beitrag eines Kommilitonen: Lernen und Web 2.0.

Heranwachsende lernen durch den Austausch mit ihrer Umwelt. Kommunikation bildet eine Grundlage dieses Prozess. Darauf bauen Lehrmethoden wie Gruppen- oder Partnerarbeit auf (vgl. Dax-Romswinkel 2007, 64 f.). Der Blog ist eine Kommunikationsapplikation und als solche für den kommunikativen Teil des Lernprozesses einzusetzen. Die Anwendung kann durch den interaktiven Schreibprozess das inhaltliche Lernen unterstützen. Diese Wechselwirkung lässt kontinuierlich neue Produkte entstehen. Dabei ermöglichen Blogs das Arbeiten in vernetzten Systemen, an die sich Kinder und Jugendliche im Alltag bereits gewöhnt haben (vgl. Röll 2003, 43-45). Die veränderten Denkprozesse der Lernenden stellen eine Chance dar. In der heutigen Wirtschaftswelt wird dieses Denken bereits vielerorts vorausgesetzt. Den Heranwachsenden kann mit innovativen Unterrichtsformen die Orientierung in diesem Konstrukt erleichtert werden (vgl. Marotzki/ Nohl 2004: 351).
"User-generated content isn't just the output of ordinary people with access to creative tools like word processors and drawing programs; it requires access to recreative tools as well, tools like Flickr and Wikipedia and weblogs that provide same people with the ability to distribute their creations to others." (Shirky 2008, 83)
Blogs erfüllen keinen Selbstzweck. Dieser Umstand ist kein Motivationsverlust für Lernende. Die Technikkonvergenz der Schülerinnen und Schüler (SuS) ordnet sich dem thematischen Interesse bei bzw. sogar unter (vgl. Theunert 2006, 169). Blogs sind Kommunikationsmedien, mit denen nahezu jeder Kommunikationsanlass im schulischen Umfeld durchgeführt werden kann. Das betrifft neben dem Lernen auch das „classroom management“. Richardson liefert Ideen für Blogs als internes und externes Informationsportal oder als themenbezogene Applikation. Ich werde mich in der Folge auf die Anwendungsmöglichkeit im Lernprozess konzentrieren. Wie bei jedem Medium ist das angestrebte Ziel ausschlaggebend für die Entscheidung, ob mit diesem Tool gearbeitet wird. Für eine fundierte Einschätzung ist die praktische Auseinandersetzung mit der Applikation notwendig. Dadurch erhält die Lehrkraft persönliche Erfahrungen mit den Wirkungsprozessen. Richardson empfiehlt, vor dem Unterrichtseinsatz das Selbstexperiment zu wagen (Richardson 2011, 41-50).
„Um die Einsatzmöglichkeiten von Weblogs als Instrument des Lehrens und Lernens in vollem Umfang nutzen zu können, sollte man zunächst selbst zum Blogger werden“ (ebd., 77).
Vor dem eigenständigen Betreiben eines Blogs ist den Novizen anzuraten, sich mit aktuellen Blogs auseinanderzusetzen. Die gängigen Suchmaschinen erleichtern dabei das Aufspüren interessanter Seiten und bieten dem Einsteiger einen großen Fundus an Lesematerial. Über die Reflektion des Beobachteten lassen sich Rückschlüsse für das angestrebte Bloggen ziehen. Der Autor muss dabei das sprachliche Niveau für seine Zielgruppe finden. Auch die Dosierung von persönlicher Meinung, inhaltlicher Provokation etc. muss gefunden werden. Im nächsten Schritt versucht der Novize, zu einem Teil der Netzgemeinde zu werden. Er könnte beispielsweise erste Kommentare verfassen und die Reaktionen beobachten. Wenn das gelungen ist, empfiehlt Richardson maßvolle erste Schritte mit der Applikation. Dazu würde sich das Posten von Links auf einem eigenen Blog anbieten. Auch das regelmäßige Kommentieren externer Blogs sollte in dieser Phase ausprobiert und antrainiert werden. Die schriftliche Reflexion über das Gelernte kann nach und nach betrieben werden. Mit diesem Schritt ist der Tatbestand des Bloggens erfüllt. Insbesondere für Personen, die im Bildungsbereich tätig sind, ist äußerste Vorsicht geboten. Radikale Thesen oder vertrauliche Informationen beispielsweise über den Arbeitgeber können im Internet schnell zu einem breiten Interesse führen. Das ist für die eigene Karriere schädlich. Das Bewusstsein über den öffentlichen Charakter der eigenen Handlungen ist also von zentraler Bedeutung (ebd., 77-79).

Durch die Öffentlichkeit des Handelns sind vor dem Einsatz im Unterricht klare Absprachen mit der Schule und den Eltern zu treffen. Diese sind zur Absicherung der Lehrkraft schriftlich zu fixieren und von den Parteien zu unterzeichnen. Richardson weist in seinen Ausführungen darauf hin, dass Blogs auch in geschlossenen Netzwerken eingesetzt werden können. Jedoch wird das Schreibverhalten der SuS beeinflusst, da die Texte, wie beim traditionellen Schreibaufsatz, lehrerorientiert verfasst werden. Zusätzlich sinkt die Motivation der SuS zur Aktivität auf dem Blog. Der Reiz zur Teilnahme auf Web 2.0-Anwendungen liegt insbesondere darin, Texte und Botschaften an unbekannte Rezipienten zu richten. Damit verbunden ist auch die Aussicht auf Leserkommentare unbekannter Herkunft, die in geschlossenen Netzwerken auszuschließen sind (vgl. ebd., 30-34).

Für den konkreten Einsatz des Tools mit der Klasse im Unterricht stellt Richardson drei Anwendungsmöglichkeiten zur Diskussion: der Blog als Tagebuch, der Klassenblog und der Schüler-Weblog.

Der Blog als Tagebuch

Blogs sind nicht mit herkömmlichen Tagebüchern zu verwechseln, wodurch der Titel missverständlich wirkt. Dennoch verbirgt sich hinter diesem Namen eine Bloganwendung. Richardson stellt eine Applikation vor, welche die Lehrkraft als zentralen Akteur sieht. So sollen Unterrichtserfahrungen rekapituliert und überdacht, Unterrichtseinheiten beschrieben und wichtige Themen aus dem Bereich Lehren und Lernen erörtert werden. Zur potentiellen Lesergruppe gehören Kolleginnen und Kollegen, für die eine Lehrkraft den eigenen Berufsalltag reflektiert. Aber auch der Schreiber selbst kann aus dem Geschriebenen seinen Unterricht weiterentwickeln. Ein praktisches Beispiel ist die Blogwerkstatt von Lisa Rosa (vgl. ebd., 68).

Der Klassenblog

Diese Applikationsoption richtet sich an die Klassengemeinschaft. Gemeint ist ein Tool, das insbesondere zum classroom management eingesetzt wird. In den Blog werden Stundenpläne und Hausaufgaben eingestellt. Auch gelungene Schülerarbeiten können durch die Veröffentlichung gewürdigt werden. Auf eine ausgewogene Verteilung der Aufmerksamkeit auf alle Individuen ist dabei zu achten, damit es zu keiner Diskriminierung leistungsschwacher SuS kommt. Insbesondere im Grundschulbereich kann das Klassenblog zu einem besseren Austausch mit den Eltern führen, da diese direkt auf relevante Informationen Zugriff haben. Aber auch für die Lernenden dient dieses Portal dazu, sich aktuell zu informieren. Neben dem Lesen fällt das Kommentieren in den Aufgabenbereich der Novizen. Dazu kann die Lehrkraft spezielle Impulse setzten, indem sie Fragestellungen postet, welche die SuS beantworten sollen. Ein Beispiel für diese Nutzung ist der „Pantherblog“ einer Berliner Grundschule (vgl. ebd.).

Der Schüler-Weblog

Das Ziel beim Einsatz dieser Variante ist es, den Lernenden eine Bühne zu geben, die alle Facetten des Bloggens einbezieht. Die Novizen sollen dazu befähigt werden, über die Anwendung ein ständig erweiterbares Portfolio eigener Arbeiten anzulegen. Dazu gehört das Lösen unterrichtsbezogener Aufgabenstellungen oder auch Aspekte wie die Reflektion des Schulalltages. Dabei müssen Schreibanlässe eigenständig gesucht und bearbeitet werden. Dieses Arbeitsprinzip ist das Ziel bei der Arbeit mit Blogs im Unterricht. Als Zwischenstufe können die Blogs auch von Kleingruppen geführt werden. Auch für diese Anwendung gibt Richardson Beispiele, wie den Blog einer 8. Klasse aus Hamburg zum Thema Sprachspielerei (vgl. ebd.).

Die vorangestellten Anwendungsmöglichkeiten können als Steigerungsmodell verstanden werden, dessen Ziel das Schüler-Weblog ist. Aber auch das parallele Führen verschiedener Blogs, die unterschiedliche Aufgaben erfüllen, ist denkbar. Die Möglichkeiten und Variationen sind nahezu unbegrenzt. Auf jeden Fall ist der Umgang mit Weblogs schrittweise im Unterrichtsalltag zu etablieren. Den pädagogischen Mehrwert des Arbeitens vor dem Millionenpublikum im Internet sieht Richardson insbesondere darin, dass die Inhalte Teil des weltweit verfügbaren Wissenskorpus werden. Wobei nicht jede Information, die im Internet landet, auch von jemandem wahrgenommen wird. Es ist nicht anzunehmen, dass Beiträge aus Schulblogs von einem Millionenpublikum gelesen werden. Theoretisch wäre dies aber möglich. Die Lernenden erfahren dadurch direkte Teilhabe an der demokratischen Informationsgesellschaft. Der Blog ist demnach auch als Archiv nutzbar, auf das weltweit zugegriffen werden kann. Dadurch wird die räumliche Begrenzung des Klassenzimmers aufgehoben. Eine Kooperation mit einer neuseeländischen Lerngruppe wäre in Echtzeit möglich und bietet Chancen für einen Perspektivenwechsel auf das aktuelle Unterrichtsthema. Ein weiterer Vorteil ist, dass allen Lernenden eine Plattform geboten wird. Die Beiträge sind gleichberechtigt und die Quantität von Texten verliert zu Gunsten der Qualität an Bedeutung. Dadurch wird auch das persönliche Expertenwissen ausgebaut. Die Lernenden können auf ihre gelungenen Beiträge zurückgreifen und jederzeit darauf aufbauen (vgl. ebd.).

Literatur

Bannour, Karim-Patrick; Grabs, Anne: Follow me!. Erfolgreiches Social Media Marketing mit Facebook, Twitter und Co., Galileo Press, Bonn 2011.

Dax-Romswinkel, Wolfgang: Web 2.0 geht zur Schule. In: Praxis Web 2.0, Potentiale für die Entwicklung von Medienkompetenz, hrsg. v.: Gräßer, Lars / Pohlschmidt, Monika, kopaed verlagsgmbh, Düsseldorf / München 2007.

Ernst, Samuel: Wie Web 2.0 die Politik verändert. Der Online-Wahlkampf hat begonnen, Diplomica® Verlag GmbH, Hamburg 2011.

Fix, Martin: Texte schreiben. Schreibprozesse im Deutschunterricht. 2. Auflage, Verlag Ferdinand Schöningh, Paderborn 2008.

Marotzki, Winfried; Nohl, Arnd-Michael: Bildungstheoretische Dimensionen des Cyberspace. In: Soziologie des Cyberspace, hrsg. von Thiedeke, Udo, VS Verlag, Wiesbaden 2004.

Richardson, Will: Wiki, Blogs und Podcasts. Neue und nützliche Werkzeuge für den Unterricht, TibiaPress, Überlingen 2011.

Richter, Susanne: Die Nutzung des Internets durch Kinder. Peter Lang, Frankfurt am Main 2004.

Röll, Franz Josef: Pädagogik der Navigation. Selbstgesteuertes Lernen durch Neue Medien, kopaed, München 2003.

Shirky, Clay: Here comes everybody. The Power of organizing without organisations, Penguin Group, New York 2008.

Theunert, Helga: Konvergenzbezogene Medienaneignung und Eckpunkte medienpädagogischen Handelns. In: Neue Wege durch die konvergente Medienwelt, hrsg. v.: Wagner, Ulrike / Theunert, Helga, Verlag Reinhard Fischer, München 2006.

Wolff, Peter: Die Macht der Blogs. Chancen und Risiken von Corporate Blogs und Podcasting in Unternehmen, Datakontext Fachverlag, Frechen 2006.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen