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Samstag, 18. Mai 2019

In der Krise zwischen Gutenberg- und Turing-Paradigma

Im Rahmen des Bildungskongresses unter dem Titel "Print und digital. Unterricht heute und morgen gestalten" des letzten Jahres hat Axel Krommer, der heute Akademischer Oberrat am Lehrstuhl für Didaktik der deutschen Sprache und Literatur an der Universität Erlangen-Nürnberg ist, einen Einführungsvortrag zum Thema "Digitale Bildung vs. Palliative Technik. Zum Status quo der sogenannten Bildungsrevolution" gehalten, der hier nun kurz skizziert werden soll. Den Vortrag in voller Länge (rund 30 min) mit humorvollen Analogien und Veranschaulichungen gibt es hier.

Zu Beginn führt Krommer zunächst seine These auf, die besagt, dass das derzeitige Bildungssystem mit zentralen Begriffen wie "Lernen", "Wissen", "Bildung", aber auch "Lehrpläne" und "Prüfungsformate" von einem "unsichtbaren Rahmen", genauer gesagt: den "Prinzipien der Buchkultur" bestimmt sei. Er spricht im weiteren Verlauf auch von einem "Gutenberg-Paradigma", in welchem sich die Gesellschaft bisher aufgehalten hat.

Unter Berücksichtigung dieses unsichtbaren Rahmens geht er weiter und beschreibt daraufhin, dass durch die Digitalisierung in der Gesellschaft ein neuer Rahmen entsteht und dass die oben genannten Begriffe, die zuvor von der Buchkultur bestimmt wurden, nun durch die Digitalisierung eine neue Rahmung und eine neue Bedeutung erhalten und somit neue Bedingungen des Lernens zu berücksichtigen sind.

Die Digitalisierung fasst er dabei unter den Begriff des "Turing-Paradigma", welches die Welt und die Gesellschaft unter den Bedingungen der Digitalisierung versteht und den Computer nun als Leitmedium betrachtet. Dies hat zur Folge, dass auch das Lernen, wie jeder andere Lebensbereich, von diesem Paradigma durchzogen wird und sich das Lernen grundlegend verändert.

Während das traditionelle Lernen im Gutenberg-Paradigma die Verabreichung von Wissen in handlichen Portionen und dessen dauerhafte Aufbewahrung in der Gesellschaft meint, verleiht die Digitalisierung dem Lernen unumkehrbar neue Strukturen. Krommer verdeutlicht an dieser Stelle, dass es nicht darum geht, das Lernen zu digitalisieren, sondern dass es vielmehr darum geht, das Lernen unter den Bedingungen der Digitalisierung zu verstehen.

Im weiteren Verlauf bezieht er sich auf die Begriffe "Revolution" und "Paradigma" und setzt diese Begrifflichkeiten in Bezug zur Digitalisierung. Er verdeutlicht zunehmend, dass wir uns gerade in einer "Krise" zwischen Gutenberg- und Turing-Paradigma befinden, in welcher beide Paradigmen eine Anziehung auf die Gesellschaft ausüben und in welcher sich das eine Paradigma langsam auflöst, während sich das andere "Paradigma formiert".

Dabei macht er darauf aufmerksam, dass die aktuelle Technik in der Phase der Krise aus dem Blick des alten Paradigmas instrumentalisiert wird. Das heißt, dass versucht wird, neue Technologien in den Unterricht einzubinden, aber gar nicht bedacht wird, dass die Schrift, die wir in der Gesellschaft aufgrund ihrer Selbstverständlichkeit gar nicht mehr als Technik ansehen, sondern schon als "natürlich" wahrnehmen, ebenfalls eine Technik ist, die im Gutenberg-Paradigma das Leitmedium ist.

Dies lässt ihn schlussfolgern, dass es zwischen Pädagogik und Technik Wechselwirkungen gibt, die Interdependenzen untereinander aufweisen, da buch- und schriftbasierter Unterricht ja nicht technikfrei sind. Aus dieser Erkenntnis heraus plädiert er dafür, dass der Mehrwert, den die digitalen Medien nun bieten, nicht aus dem Paradigma der Buchkultur bestimmt werden darf, sondern ein neues Paradigma mit neuen Sichtweisen gesetzt werden muss, mit dem die Erreichung der Lernziele, die auch angepasst werden müssen, unter aktuell existenten Bedingungen möglich ist.

In einem letzten Schritt weist er noch darauf hin, dass die aktuelle Handhabung von digitalen Medien im Unterricht aber eine andere ist und erläutert, was im Unterricht derzeit gemacht wird. Er bezeichnet den Einsatz digitaler Medien derzeit als "palliative Technik", was nach direkter Übersetzung "ummantelnde Technik" bedeutet. Dabei werden im Unterricht "alte pädagogische Prinzipien digital ummantelt", was den Anschein erweckt, dass die Digitalität im Schulsystem Einzug erhält, was in Wirklichkeit aber nicht der Fall ist, da im Innern des Schulsystems weiterhin alte Prinzipien der Bildung verankert sind.

Aus dieser Tatsache heraus kommt Krommer darauf zu sprechen, dass es mit der bloßen Einbindung digitaler Medien im Unterricht nicht getan ist, sondern dass schon in den Wurzeln des Schulsystems angesetzt werden muss, um aus der Krise zwischen Gutenberg- und Turing-Paradigma herauszukommen und um in der Digitalisierung, die bereits alle Arbeits- und Lebensbereiche durchdringt, Fuß zu fassen.

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