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Mittwoch, 15. März 2023

#MeToo - mehr als folgenloser Klicktivismus?

#MeToo – nach über fünf Jahren ist dieser Hashtag immer noch nahezu jeder Person ein Begriff. Der Aufschrei über sexualisierte Gewalt und Machtmissbrauch im Jahr 2017 war groß. Frauen auf der ganzen Welt solidarisierten sich mit den Opfern von sexualisierter Gewalt oder teilten ihre eigenen Geschichten. Und heute? Wie hat sich #MeToo entwickelt? Endete die Thematik in genervtem Kopfschütteln? Gilt die Debatte als beendet? Fünf Jahre nach dem ersten Aufschrei stellt sich nun die Frage: Hat sich etwas verändert und das spürbar für die breite Öffentlichkeit?

Eines kann klar gesagt werden: Die Medien beschäftigen sich auch heute noch mit dem Thema des Machtmissbrauchs, des Machtungleichgewichts und mit sexualisierter Gewalt. Diese Thematik und der damit stark verbundene Feminismus sind in aller Munde. Ist dies ein Verdienst der #MeToo-Debatte aus dem Jahr 2017? Oder war die Debatte ein reines Internetphänomen, das folgenlos im Sand verlief?

Diese Fragen standen im Zentrum der Recherche zu dieser Ausarbeitung. Ich möchte mich der Frage widmen, ob #MeToo mehr als folgenloser Klicktivismus war. Hierfür beginne ich mit einigen Begriffsdefinitionen, die inhaltlich wichtig sind für die Fragestellung, um anschließend Ursprung und Entwicklung der Bewegung zu betrachten. Zusätzlich wird auf die Kritik an der #MeToo-Debatte eingegangen, um einige der Kritikpunkte zu entschärfen. Die Veränderungen, die #MeToo eventuell erzielen konnte, werden im Anschluss beschrieben und zwar in Bezug auf Hollywood sowie auf die allgemeine Öffentlichkeit insbesondere in Deutschland.

Sexismus, sexuelle Belästigung und sexuelle Gewalt

In dieser Seminararbeit wird häufig über diese Begriffe gesprochen, weshalb diese einer Definition bedürfen, um Unklarheiten vorzubeugen.

  • Sexismus ist eine voreingenommene, vorurteilsbehaftete Verhaltensweise, die Menschen aufgrund ihres Geschlechtes diskriminiert. Dies kann auch durch Menschen des gleichen Geschlechtes erfolgen. Meist beruht Sexismus auf einem ungleichen Machtverhältnis.
  • Sexuelle Belästigung kann aufgrund von vorherrschendem Sexismus entstehen. Als sexuelle Belästigung werden unter anderem sexuelle Anspielungen sowie ungewollte Berührungen gezählt. Sexuelle Belästigung führt bei den Betroffenen zu einem Zustand des Unwohlseins.
  • Sexuelle Gewalt (dazu zählt auch sexueller Missbrauch) ist ein Übergriff, der durch körperliche Gewalt erfolgt. Dieser kann auch zu ungewolltem Geschlechtsverkehr führen (vgl. Krassnig-Plass 2020, S. 13ff.).

Soziale Medien

Da das Thema dieser Seminararbeit ihre Anfänge in den Sozialen Medien nahm, bedarf es auch hier einer Begriffsbestimmung. „Soziale Medien“ ist ein inflationär genutzter Begriff. Doch was genau sind „Soziale Medien“? Und warum werden sie als „soziale“ Medien beschrieben (Scheffler 2014)?

Als Soziale Medien oder „social media“ werden Massenmedien bezeichnet, die ausschließlich im Internet präsent sind. Als „sozial“ werden diese Medien bezeichnet, da sie die Nutzer*Innen verknüpfen. Über die Plattformen können Meinungen, Informationen und Erfahrungen auf schnellem und direktem Wege ausgetauscht werden. Jede*r Nutzer*In kann selbst Inhalte erstellen oder auf bereits vorhandene Inhalte reagieren. Dies kann durch Texte, Audios, Videos oder Bilder geschehen. Meist verschwimmen die Grenzen zwischen Konsument*Innen und Produzent*Innen. Soziale Medien können sowohl bekannte als auch fremde Menschen miteinander vernetzen.

Soziale Medien stehen ihren Nutzer*Innen meist kostenlos zur Verfügung. Um sich zu finanzieren, sammeln sie in der Regel Daten der Nutzer*Innen, um gezielte Werbung oder Inhalte zu schalten, die für diese interessant sein könnten.

Ein wichtiger Aspekt der sozialen Medien ist also die Partizipation, das Mitwirken und Teilnehmen an Diskussionen des gesellschaftlichen Lebens. Durch die Mitwirkung und Teilnahme in den Sozialen Medien steigt das gesellschaftliche Engagement.

Feministischer Aktivismus

Feminismus bezeichnet eine Bewegung, die Diskriminierung von Frauen beseitigen möchte und eine Gleichstellung der Geschlechter in allen Lebensbereichen anstrebt (vgl. bpb 2021). Aktivismus bedeutet, dass sich Bürger*Innen aktiv für einen Wandel einsetzen. Es gibt sehr vielfältige Möglichkeiten, Aktivismus zu betreiben. Aktivismus ist eine Art Protest und stellt bestehende Regeln in Frage. Diese bestehenden Regeln werden im Aktivismus manchmal vorsätzlich gebrochen, um den gesellschaftlichen Wandel voranzutreiben.

Die Fridays for Future-Bewegung ist ein Beispiel für Aktivismus. Schüler*Innen protestierten während der Schulzeit, um auf die Klimakrise aufmerksam zu machen. Hierbei wurde die Schulpflicht ignoriert und somit eine bestehende Regel gebrochen. Aktivismus kann durch Gruppen oder auch Einzelpersonen ausgeführt werden. Meist erfolgt Aktivismus, um Einfluss auf Politik und Entscheidungsträger*Innen zu nehmen (vgl. Hamer 2020).

Feministischer Aktivismus ist ein zusammengesetzter Begriff. Hier setzen sich Feminist*Innen aktiv ein und streben einen Wandel in der Gesellschaft an. Dieser Wandel soll die Ungerechtigkeit zwischen den Geschlechtern beenden. Auch Männer können Feministen sein, wenn sie sich für das Ausräumen der Ungerechtigkeiten einsetzen.

Es gibt verschiedene Arten von Aktivismus. Bei der #MeToo-Bewegung handelt es sich um einen feministischen Aktivismus, der im Internet stattfand und der auch oftmals als „Klicktivismus“ bezeichnet wird.

Klicktivismus

Die Sozialen Medien bieten vielseitige Möglichkeiten zur Partizipation. Durch die digitalen Angebote kann die Gesellschaft mitgestaltet werden. Der Begriff „Klicktivismus“ bezeichnet hierbei eine Beteiligung, vorwiegend zu politischen Themen, die durch die Nutzung digitaler Inhalte in den digitalen Medien entsteht, beispielsweise durch Petitionen im Netz, Geld sammeln oder auch durch Ankündigung von Demonstrationen. Es werden somit viele Menschen gleichzeitig erreicht. Es können Beiträge kommentiert oder geteilt werden. „Klicktivismus“ setzt sich aus den beiden Begriffen „klicken“ und „Aktivismus“ zusammen. Klicken beschreibt hierbei, dass es sich um ein reines Phänomen im Internet handelt (vgl. bpb 2022).

Diese spezielle Form des Aktivismus kann zu neuen politischen und gesellschaftlichen Diskursen führen oder bestehende Diskurse verändern. Allerdings neigt der Klicktivismus dazu, schwächer zu sein als realer Aktivismus. Dies wird dadurch begründet, dass es eines geringeren Aufwands bedarf, eine Petition zu unterschreiben oder einen Beitrag zu teilen, als aktiv zu einer Demonstration zu gehen. Die Hemmschwelle ist eine viel niedrigere. Aus diesem Grund gibt es häufiger eine größere Gruppe von Menschen im Internet, die an dem Online-Aktivismus teilnehmen, jedoch nicht bereit sind, an einer Demonstration teilzunehmen. Dies schwächt den Klicktivismus deutlich ab. Aktivismus im realen Leben erzielt meist eine größere Wirkung.

Hashtag-Aktivismus

Bei der #MeToo-Debatte handelt es sich um einen Aktivismus, der im Internet seinen Ursprung hatte. Ein Hinweis darauf ist unter anderem das Rautensymbol, das für diese Bewegung gleich zu Beginn benutzt wurde. Dieses Rautensymbol wird in den sozialen Plattformen, wie beispielsweise Instagram oder Twitter, als Hashtag bezeichnet. Hashtags werden benutzt, um Schlagwörter in einem Post, einem Artikel oder ähnlichem einzubauen. Eingeführt wurde dieses Symbol durch Twitter, um inhaltliche Verknüpfungen zu schaffen.

Ein Begriff, der mir bei der Recherche häufig begegnet ist, ist der Begriff des „Hashtag-Aktivismus“. Bei dieser Form des Aktivismus wird ein bestimmtes Schlagwort hinter dem Rautensymbol eingefügt. Unter diesem Hashtag können dann beispielweise, wie bei #MeToo, persönliche Geschichten und Meinungen geteilt werden. Dies kann auch für sozialen Protest genutzt werden. Auch die #MeToo-Bewegung entstand durch einen Hashtag (vgl. Hochschule der Medien, o.D.).

Die Sozialen Medien können aufmerksam machen auf Themen, die in der Politik keinen oder zu wenig Raum finden, und es kann den Diskurs in der Politik sowie in der Gesellschaft entfachen und verändern. Konnte die #MeToo-Bewegung dies erreichen? Oder war die Bewegung ein folgenloser Klicktivismus? Im Folgenden wird die #MeToo-Debatte näher betrachtet.

#MeToo-Bewegung

Bewegungen entstehen aufgrund von gesellschaftlichen Konflikten. Sie reagieren auf Missstände und durch die Bewegungen werden gezielt Veränderungen angestrebt. Dies kann auch durch Protest geschehen (vgl. bpb 2021b). Meist werden im Zuge von sozialen Bewegungen Debatten geführt oder sie liegen sozialen Bewegungen zugrunde. Debatten sind öffentliche Streitgespräche.

Bei der Thematik #MeToo wird oft von einer Debatte oder einer Bewegung gesprochen, da #MeToo Züge beider Phänomene aufweist. Bei #MeToo wird auf gezielte Veränderungen gesetzt, wie es bei einer (sozialen) Bewegung der Fall ist, und es werden öffentliche Streitgespräche über weitere Vorgehensweisen geführt. Die Trennlinie der beiden Begriffe ist in dieser Thematik unscharf.

Ursprung der Bewegung

Im Oktober 2017 erlangte das Hashtag #MeToo große Aufmerksamkeit. Seinen Anfang nahm der Hashtag auf Twitter und innerhalb weniger Tage und Wochen wurde er auch auf anderen Plattformen verwendet. Bereits innerhalb weniger Wochen wurden unter dem Hashtag 12 Millionen Bilder, Geschichten und Erlebnisse öffentlich geteilt.

Doch was bedeutet dieser Hashtag eigentlich genau? Und wie kam es zu diesem Hashtag? Der Ausspruch „Me too“ hat bereits über zwei Jahrzehnte vor der weltweiten Aufmerksamkeit seinen Ursprung. Die Aktivistin Tarana Burke gilt als Begründerin des Ausdrucks. Seit Tarana 14 Jahre alt ist, setzte sie sich vor allem für dunkelhäutige Frauen ein, die Opfer von sexueller Gewalt geworden waren.

Auch Tarana Burke selbst wurde Opfer von sexueller Gewalt. Als sie sich an ein lokales Zentrum für Opfer von sexueller Gewalt wandte, um Hilfe zu bekommen, wurde sie abgewiesen. Hilfe konnte ihr nur angeboten werden, wenn zuvor die Polizei eingeschaltet wurde. Daraufhin arbeitete sie an einem Programm, das Opfer sexualisierter Gewalt unterstützen sollte. Dies ermöglichte sie mithilfe von Bürgerorganisationen, Workshops und später auch durch die Sozialen Medien.

Tarana Burke begann an Schulen in den USA Workshops zum Thema sexualisierte Gewalt zu geben. Im Rahmen eines Workshops in einer High-School in Alabama sollten die Mädchen, wenn sie Hilfe brauchten, einen Zettel mit den Worten „Me too“ (deutsch: ich auch) schreiben. Dies war der Moment, in dem #MeToo ins Leben gerufen wurde. Tarana beschrieb ihre Arbeit wie folgt:

“I knew when you exchange empathy with somebody, there’s an immediate connection you make with a person by saying ‘me too’. That’s what the work is about. It’s about survivors talking to each other” (Amnesty International 2021).

Skandal um Harvey Weinstein

Harvey Weinstein ist ein US-amerikanischer Filmproduzent mit eigenen Produktionsfirmen in Hollywood. Vielen Schauspieler*Innen konnte er über mehrere Jahrzehnte hinweg zu Bekanntheit verhelfen. Gerüchte über seinen sexistischen Umgang mit Frauen gab es schon lange, weshalb Jodi Kantor und Megan Twohey diesen auf den Grund gehen wollten. Zusätzlich wurden sie dadurch angetrieben, dass Frauen zwar mittlerweile über mehr Macht verfügten, jedoch immer noch sexueller Belästigung ausgesetzt waren. Die Frauen, die Opfer von sexualisierter Gewalt wurden, litten häufig im Verborgenen, während die Täter ungestört Karriere machen konnten.

Im Jahr 2017 begannen die beiden Journalistinnen für die New York Times über Harvey Weinstein zu recherchieren. Sie kontaktierten Schauspielerinnen, die mit Harvey Weinstein zusammenarbeiteten. In den wenigen Fällen, in denen es ihnen gelang, mit einer Schauspielerin zu sprechen, fielen die Gespräche sehr kurz aus. Zu groß war die Scham und auch die Angst, mit ihrer Geschichte an die Öffentlichkeit zu gehen. Viele lebten in großer Diskretion, um ihre Privatsphäre so gut wie möglich vor der Öffentlichkeit zu schützen. Einige der Schauspielerinnen hatten außerdem Verschwiegenheitserklärungen unterschrieben und fürchteten sich vor den rechtlichen Konsequenzen. Einfacher war es, mit ehemaligen Angestellten Weinsteins zu sprechen. Aber auch diese verharmlosten sein Verhalten oftmals (vgl. Kantor et al. 2020).

Die erste Schauspielerin, die ihr Schweigen brach und mit den beiden Journalistinnen in Kontakt trat, war Rose McGowan. Sie erzählte, wie sie 1997 von Harvey Weinstein sexuell missbraucht wurde, nachdem sie sich zu einem Gespräch über einen bevorstehenden Film verabredet hatten. Sie beschuldigte jedoch nicht nur Weinstein, sondern die ganze männlich dominierte Filmindustrie in Hollywood.

„Das Problem geht weit über Weinstein hinaus, […]. Hollywood [ist] ein organisiertes System für den Missbrauch von Frauen (vgl. Kantor et al. 2020, S. 24).“

Daraufhin brachen unter anderem eine ehemalige Assistentin Weinsteins und weitere Schauspielerinnen ihr Schweigen und berichteten über sexuelle Übergriffe durch Weinstein. Zelda Perkins, eine Londoner Produzentin, brach ihr Schweigen trotz einer unterschriebenen Verschwiegenheitserklärung. Auch ein ehemaliger männlicher Mitarbeiter Weinsteins, der sein Wissen immer mehr als Belastung empfand, half dabei, den Machtmissbrauch durch Weinstein aufzudecken (vgl. Kantor et al. 2020). Am 5. Oktober 2017 veröffentlichten sie dann ihre Recherchen über die mutmaßlichen sexuellen Belästigungen und Übergriffe durch Harvey Weinstein.

Ausgelöst durch die Berichtserstattung ermutigte Alyssa Milano, eine US-amerikanische Schauspielerin, Frauen dazu, ihre Erfahrungen mit sexueller Belästigung öffentlich zu teilen. Dies geschah, indem Frauen ihren Twitter-Posts unter dem Hashtag #MeToo veröffentlichten (vgl. DER SPIEGEL 2017). Die journalistischen Veröffentlichungen sowie der Post von Alyssa Milano legten den Grundstein für einen öffentlichen Diskurs über Machtmissbrauch und sexuellen Missbrauch von Männern an Frauen (vgl. Kurtulgil 2020).

Kritik an #MeToo

Ein besonders häufig angesprochener Kritikpunkt während der Debatte war, dass viele Frauen unglaubwürdig zu sein schienen. Viele zweifelten an der Glaubwürdigkeit der Frauen, die ihre Geschichte unter dem Hashtag #MeToo teilten und Zweifel gab es vor allem auch an den Frauen, die ihre Erfahrung mit sexueller Gewalt im Hinblick auf Harvey Weinstein äußerten. Es wurde in Frage gestellt, weshalb sich die Frauen erst Jahre, teilweise auch erst Jahrzehnte nach den Taten äußerten. Kritisiert wurde auch, ob nicht einige Aussagen überdramatisiert wurden.

Laut Experten ist es jedoch üblich, dass sich Opfer von sexualisierter Gewalt erst sehr spät oder gar nicht melden. Als Grund wird ein Scham- und Angstgefühl der Betroffenen genannt. Auch befinden sich einige Opfer noch in den bestehenden Machtverhältnissen und können diesen nicht oder nur schwer entkommen. Die Dunkelziffer dieser Taten schätzen einige Experten als sehr hoch ein (vgl. ZDF 2021).

Auch wird #MeToo oft für ein vermehrtes Auftreten von Unsicherheiten im Umgang mit Annäherungsversuchen seitens männlicher Personen kritisiert. Beklagt wird, dass die Debatte eine Verbotskultur entstehen ließe. Flirten fühle sich an wie eine Straftat und zerstöre somit Annäherungsversuche. Diesem Kritikpunkt kann entgegengesetzt werden, dass jedoch auch die Chance entsteht, dass die klassischen Geschlechterrollen aufgebrochen werden. Die Rolle des „aktiven Mannes“ und der „passiven Frau“ könnte dadurch entstigmatisiert werden (vgl. Braun 2021). Des Weiteren kann dieses Argument entkräftet werden, indem bewusst gemacht wird, dass Annäherungen einvernehmlich geschehen müssen. Es kann zu einer Sensibilisierung führen, sodass ein „Nein“ auch als „Nein“ gewertet wird.

Kritik wird zudem daran geäußert, dass sexuelle Belästigung, sexuelle Gewalt und sexueller Missbrauch nichts mit der Ungleichheit zwischen Männern und Frauen zu tun hat. Diesem Argument kann entgegengesetzt werden, dass vor allem in den USA häufig die Machtposition von Männern missbraucht wurde, um Frauen sexuell zu belästigen (vgl. Krassnig-Plass 2020).

Anknüpfend an den vorherigen Kritikpunkt ist der Folgende: es wird kaum bis gar nicht über sexuelle Gewalt und sexuellen Missbrauch durch Frauen gesprochen. Frauen werden in die Opferrolle gedrängt. Laut einer Studie sind jedoch 75 bis 90 Prozent der Sexualstraftäter Männer. Was nicht bedeutet, dass es diese Fälle nicht gibt, doch die Gefahr, sexuelle Gewalt als Frau durch einen Mann zu erfahren, ist laut Statistik deutlich höher (vgl. UBSKM).

Als sehr wichtiger Kritikpunkt, gerade im Hinblick auf diese Ausarbeitung, wird oft genannt, dass die #MeToo-Debatte eben nur ein öffentliches Streitgespräch darstelle und keine spürbare Veränderung in der Gesellschaft bewirke, da es nur online stattfand und es nicht schaffte, einen Bogen zur Realität zu schlagen. Ob dieses Argument berechtigt oder haltlos ist, wird im nächsten Punkt betrachtet. Es wird beschrieben, ob und welche Veränderungen es durch die #MeToo-Bewegung in Hollywood und in der breiten Öffentlichkeit gab (vgl. Toyka-Seid 2022a).

Veränderungen durch #MeToo in Hollywood

Nachdem die Anschuldigungen am 5. Oktober 2017 veröffentlicht wurden, entschuldigte sich Weinstein, da er sich offenbar falsch gegenüber einigen Kolleginnen verhalten habe, stritt jedoch ab, sexuell übergriffig geworden zu sein. Den Opfern warf er vor, mental instabil zu sein. Den Journalistinnen wurde mit einer Anzeige wegen Verleumdung und einer Schadensersatzforderung von 100 Millionen Dollar gedroht.

Am 6. Oktober, einen Tag nach der Veröffentlichung, meldeten sich weitere Frauen bei den Journalistinnen, um ihnen von ihrem Missbrauch durch Weinstein zu erzählen. In den folgenden Tagen gaben mehrere Mitarbeiter*Innen Weinsteins ihren Job auf. Weinstein wurde infolge der Veröffentlichungen aus seiner Produktionsfirma „The Weinstein Company“ entlassen. Ein halbes Jahr später meldete die Firma Insolvenz an und wurde im Juli 2018 verkauft (vgl. Kantor et al. 2020).

Am 13. Oktober wurden in der Zeitung „New Yorker“ 13 Opfer Weinsteins zitiert. Drei davon warfen ihm Vergewaltigung vor. Im Februar 2020 hatten fast einhundert Frauen ihre Erfahrungen mit Harvey Weinstein öffentlich gemacht. Die Anschuldigungen reichten von sexueller Belästigung bis hin zur Vergewaltigung. Viele dieser Vergehen waren allerdings bis zu dem Prozess 2020 schon verjährt oder erfüllten nicht den Tatbestand eines Strafdeliktes. 2020 wurde Harvey Weinstein in einem Prozess schuldig gesprochen und zu einer Haftstrafe von 23 Jahren verurteilt. 2022 stand er nochmals vor Gericht und wurde in weiteren Anklagepunkten schuldig gesprochen. Ihm drohen weitere 24 Jahre Haft (vgl. Tagesschau 2022).

Nach dem Skandal stieg die Zahl der Regisseurinnen in Hollywood an. Weibliche Regisseurinnen schufen eine respektvollere Arbeitsumgebung. Außerdem zeigte die #MeToo-Debatte generell das Problem der Unterrepräsentation von Frauen in Führungspositionen in Hollywood auf (vgl. Luo, Zhang 2020).

Verändert hat sich das Bewusstsein, dass sexuelle Belästigung und sexuelle Übergriffe nicht unbestraft bleiben können. Zahllose Männer, die in der Öffentlichkeit standen, mussten sich ihrem Verhalten stellen. Die Taten vieler Männer blieben somit nicht mehr unbestraft und Frauen begannen, ihr Schweigen zu brechen. Laut der New York Times verloren rund 200 Männer im Zuge der #MeToo-Debatte ihren Job. Rund die Hälfte dieser Jobs wurde anschließend von Frauen besetzt (vgl. Carlsen et al. 2018).

Veränderungen durch #MeToo in der Öffentlichkeit

Bereits eine Woche nach dem Aufruf von Alyssa Milano wurde der Hashtag #MeToo bereits millionenfach genutzt. Nicht nur über Twitter, sondern auch über andere Plattformen wie beispielsweise Instagram oder Facebook. Unterstützung bekam sie zudem von bekannten Schauspielerinnen, die bereit waren, ihre Erfahrungen mit sexueller Belästigung oder sexuellem Missbrauch öffentlich zu teilen. Dadurch gelang es, das Thema sexuelle Belästigung in den Fokus der breiten Öffentlichkeit zu rücken und es beschränkte sich nicht mehr nur auf die Filmbranche.

Bald wurde außerdem deutlich, dass sexuelle Belästigungen nahezu alle Bereiche des Lebens betreffen. In allen Branchen, in denen es Machtpositionen gibt, wurden diese ausgenutzt und Frauen sexuell belästigt. Weltweit wurde daraufhin gefordert, dass sich das Machtgefälle zwischen den Geschlechtern ändern müsse. Es entstanden zudem weitere Debatten, die sich in einem breiten Themenfeld bewegten, es ging um Geschlechterdiskriminierung oder auch „Catcalling“ (verbale sexuelle Belästigung, die keinen eigenen Strafbestand darstellt) (vgl. ZEIT ONLINE, o. D.). 2020 wurde deshalb im Zuge einer Online-Petition gefordert, dass verbale sexuelle Belästigung als Ordnungswidrigkeit geahndet werden sollte.

In Großbritannien veranlasste die mediale Aufmerksamkeit Frauen dazu, über sexuelle Übergriffe von britischen Abgeordneten zu sprechen. Daraufhin wurde unter anderem der Verteidigungsminister Michael Fallon aus seinem Amt entlassen (vgl. Kantor et al. 2020).

Eines hat die #MeToo-Debatte jedoch besonders deutlich gemacht. Sexuelle Gewalt und Machtmissbrauch sind keine individuellen Probleme, sondern betreffen eine Vielzahl an Menschen. Frauen wurde bewusst gemacht, dass sie nicht die Schuld an sexueller Gewalt tragen. Die wesentliche Stärke der Bewegung stellte den gesellschaftlichen Rückhalt, die Unterstützung dar. Das Bewusst-machen und Enttabuisieren dieser wichtigen Thematik führte zu einem Anstieg an geforderten Beratungsgesprächen über sexualisierte Gewalt. Es wurde Frauen die Angst genommen, sich zu äußern, ihre eigenen Grenzen zu kennen und diese zu wahren (vgl. Krassnig-Plass 2020).

Die Bewegung sorgte also für eine nachhaltige Sensibilisierung im Hinblick auf sexualisierte Gewalt. Gerade bei der Organisation Weisser Ring e.V. melden sich seit 2017 immer mehr Menschen, um Hilfe nach einer Vergewaltigung oder bei Stalking zu bekommen.

Die #MeToo-Bewegung machte außerdem deutlich, dass es immer noch ein Machtgefälle zwischen Männern und Frauen gibt und dadurch Sexismus und sexualisierte Gewalt entsteht. Es signalisiert, dass die Gesellschaft noch immer nicht bei der Gleichberechtigung angelangt ist. Die Debatte kann also als Indikator für die noch bestehende Kluft zwischen Männern und Frauen in nahezu allen beruflichen Branchen und Bereichen des alltäglichen Lebens gewertet werden. Das größte Verdienst hat die #MeToo-Bewegung also in der Öffentlichkeit gehabt, indem das öffentliche Denken angeregt wurde und existierende Unterschiede zwischen Männern und Frauen bewusst und öffentlich gemacht wurden.

Feminismus ist in der breiten Masse der Bevölkerung angekommen und wird mehr denn je thematisiert und unterstützt. Feminismus generell verläuft in Wellen. Seit #MeToo und durch die Nutzung digitaler Medien wird von der vierten Welle des Feminismus gesprochen. #MeToo könnte einen Beitrag zur Entstehung dieser Welle geleistet haben (vgl. Schwarzkopf 2019).

Fazit

Die #MeToo-Debatte entwickelte sich zu einer sehr wichtigen Bewegung, über die bis weit in die breite Öffentlichkeit hinein gesprochen wurde. Doch konnten wirklich spürbare Veränderungen hervorgerufen werden oder handelt es sich nur um folgenlosen Klicktivismus?

In der vorliegenden Arbeit wurde beschrieben wie #MeToo entstand, wie es sich im Netz entwickelte und welche Veränderungen die Bewegung in der Realität hervorgerufen hat. Dabei wurde aufgezeigt, dass #MeToo seinen Anfang im realen Leben nahm, dann über das Internet an weltweite Öffentlichkeit gelangte und dort eine wichtige Debatte auslöste. Dies geschah sowohl online als auch in der realen Gesellschaft.

#MeToo ist eine der größten medialen Bewegungen der letzten Jahre und steht für das Bewusst-machen von noch bestehenden Ungleichheiten zwischen Männern und Frauen. Sexualisierte Gewalt wurde enttabuisiert und mehr Frauen wurden dazu gebracht, über ihre Erfahrungen zu sprechen. Anfangs wurde Hilfe im Netz in Anspruch genommen und dann bei dafür spezialisierten Organisationen in der Realität.

#MeToo legte einen wichtigen Grundstein für weitere feministische Entwicklungen im Netz und der Realität. Längst wird #MeToo nicht mehr nur als Internetphänomen gesehen. Harvey Weinstein und viele andere Männer, die ihre Machtpositionen ausnutzten, wurden angeklagt und aus ihren Ämtern entlassen. Dies zeigt einen Erfolg der Bewegung, der außerhalb des Internet messbar ist.

Auch arbeiten deutlich mehr Frauen in früher hauptsächlich von Männern besetzten Berufen. Auch dies ist ein spürbarer Erfolg. Aber vor allem hat #MeToo den öffentlichen Diskurs über sexuelle Gewalt, Machtmissbrauch und Ungleichheit zwischen Männern und Frauen verändert. Welche Veränderungen es zusätzlich in den nächsten Jahren geben wird, wird sich zeigen. Den Grundstein für Veränderungen hat die Debatte jedoch durch Bewusstmachung des Problems gelegt.

#MeToo hat gezeigt, dass Veränderungen auch durch das Internet und die Sozialen Medien geschehen können. Es hat eine neue Form aufgezeigt, um für Rechte einzustehen. Bewusst gemacht hat es außerdem, dass ein „Internetphänomen“ auch in gesellschaftliche Strukturen eingreifen kann und die Macht hat, diese nachhaltig zu verändern.

Abschließend kann die Frage, ob es sich bei der #MeToo-Debatte um folgenlosen Klicktivismus handelt, mit Nein beantwortet werden. Einzelne Ereignisse, wie das Entlassen von mehr als 200 Männern in Machtpositionen oder der Prozess gegen Harvey Weinstein sind Erfolge, die sich messen lassen und auf #MeToo zurückzuführen sind. Es handelt sich nicht nur um ein Phänomen, das im Internet entstanden ist und dort geblieben ist. Es ging über die Sozialen Medien hinaus bis weit in die Gesellschaft hinein und veränderte den öffentlichen Diskurs.

Literatur 

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