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Mittwoch, 16. März 2016

Web 2.0 als Perspektive für Inklusion


Sein Name ist Raúl. Raúl Krauthausen. Er ist der 007 der inklusiven Medienarbeit, ein Aktivist 2.0, der mit seinem Rollstuhl schon deutlich weiter gekommen ist als James Bond in seinem Aston Martin.

Dieser Mann hat mich dazu inspiriert, diesen Blogeintrag zum Thema soziale Medien und Inklusion zu schreiben. Er selbst ist dabei das beste Beispiel, wie man die sozialen Medien zur Überwindung gesellschaftlicher Barrieren nutzen kann, um ein vollwertiges Mitglied unserer Gesellschaft zu werden. Gemeinsam mit seinem Cousin gründete Raúl den Verein SOZIALHELDEN e.V., der als Ideenschmiede für seine sozialen Projekte im Kontext von Inklusion dient. Einige dieser Projekte und Ideen werden im Laufe des Beitrags noch vorgestellt.

Da auch mein Beitrag selbst für alle Menschen zugänglich sein soll, habe ich ihn auch in „einfacher Sprache“ verfasst. Hier geht es zum Beitrag in einfacher Sprache...

Abbildung 1
Was ist Inklusion?

2009 ratifizierte Deutschland die "UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderung" und Inklusion wurde zur Leitperspektive gesellschaftlicher Entwicklung. Alle Bereiche von Gesellschaft müssen demnach so strukturiert werden, dass jeder Mensch unabhängig von Geschlecht, sozialer Herkunft, Gesundheit oder Alter von Anfang an Teil dieser sein kann und zudem die Chance hat, aktiv an ihrer Entwicklung mitzugestalten (vgl. SCHLUCHTER 2015, S. 11).

Inklusion setzt dabei immer die Möglichkeit der Exklusion voraus, d.h. ohne Bedeutung für ein bestimmtes System zu sein (vgl. SCHLUCHTER 2012, S.18). Im Gegensatz zu Inklusion bezeichnet Integration den Prozess der Wiedereingliederung von ehemaligen Mitgliedern einer gesellschaftlichen Gruppe (vgl. BPB 2011). Die Pädagogik hat im Kontext von Inklusion die Aufgabe, an der Verbesserung eines inklusiven Bildungssystems zu arbeiten (vgl. SCHLUCHTER 2015, S. 12).

Ich selbst arbeite bei der Lebenshilfe Ludwigsburg schon seit über drei Jahren mit Personen mit Beeinträchtigungen zusammen und sehe dabei täglich, wie den Menschen in unserer Einrichtung der Zugang zu Bereichen der Gesellschaft noch immer verwehrt bleibt. Gleichzeitig ist aber auch ein positiver Trend zu erkennen: Viele der jungen geistig oder körperlich beeinträchtigten Menschen nutzen soziale Medien wie Whatsapp oder Facebook und sind somit Teil einer digitalen Gesellschaft.

Seit der Ratifizierung der UN-Konvention haben auch die Bildungseinrichtungen die Verpflichtung, ihr System inklusiv zu gestalten. Eventuell könnten außerschulische Erkenntnisse im Hinblick auf die Potenziale auch auf den Kontext der Schule übertragen werden. Im Folgenden soll der Frage nachgegangen werden, ob das Web 2.0 einen Teil dazu beitragen kann, unsere Gesellschaft inklusiver zu gestalten. Dabei wird vor allem die Kategorie „Behinderung“ zentral sein. Wie bereits erwähnt, können aber auch viele andere Faktoren, wie beispielsweise Geschlecht oder soziale Herkunft, Faktoren sozialer Ungleichheit sein.

Empowerment

 Empowerment – ein „starker“ Begriff. Aber was ist darunter zu verstehen? Es geht hier in erster Linie um die (Wieder-) Aneignung von sozialer Handlungsfähigkeit.
Jan-René SCHLUCHTER (2015, S. 13) versteht darunter „verschiedene Unterstützungssysteme und -möglichkeiten, welche u.a. Kinder und Jugendliche in die Lage versetzen sollen, eigene Stärken und Ressourcen zur (Selbst)Gestaltung ihrer Alltags- und Lebenswelten zu entdecken, zu entwickeln und zu nutzen.“
Bei der Empowermentpraxis wird an den individuellen Ressourcen der Kinder und Jugendlichen angesetzt, was ihnen beispielsweise die Möglichkeit zu sozialer Kommunikation oder kulturellem Selbstausdruck eröffnet. Sie erhalten dadurch die Chance, bis dahin verschlossene Bereiche von Gesellschaft für sich zu entdecken (vgl. ebd., 13f.).

Die SOZIALHELDEN

Wie hat Raúl Krauthausen also das Schloss zu den für ihn verschlossenen Bereichen von Gesellschaft geknackt und welche Tools werden in der Ideenschmiede der SOZIALHELDEN entwickelt, um noch vielen weiteren Menschen neue Wege zu eröffnen?

Das wohl bekannteste und größte Projekt der Berliner SOZIALHELDEN e.V. ist wheelmap.org, eine interaktive Karte zum Suchen und Finden barrierefreier Orte. Es handelt sich hierbei um ein Web 2.0-Tool, weil jeder die Möglichkeit hat, aktiv an der Entwicklung der „wheelmap“ mitzuarbeiten. Im Netz oder mit einer App kann man Orte auf der ganzen Welt als voll rollstuhlgerecht, teilweise rollstuhlgerecht oder nicht rollstuhlgerecht markieren (vgl. MAPMYDAY).

Am 3. Dezember 2015, dem Internationalen Tag der Menschen mit Behinderung, riefen die SOZIALHELDEN gemeinsam mit der Weltgesundheitsorganisation WHO unter dem Hashtag #MapMyDay zu einem gemeinsamen Mapping-Event auf.
Auf Leidmedien.de finden Journalistinnen und Journalisten, die über Menschen mit Behinderung berichten wollen, Tipps für eine Berichterstattung aus einer anderen Perspektive. Anstoß für das Projekt, welches in Kooperation mit der Aktion Mensch durchgeführt wird, war die Tatsache, dass die mediale Berichterstattung über Menschen mit Behinderung oft sehr einseitig ist.

Zu oft wird das Bild von Menschen mit Behinderung noch von klischeehaften Sprachbildern wie „an den Rollstuhl gefesselt“ oder „leidet an“ geprägt. Im Gegenzug wird von "den Normalen" gesprochen - eine sehr fragwürdige Kategorie (vgl. LEIDMEDIEN).

Aber nicht nur die Berufsgruppe der Berichterstatter kann von den Tipps, die uns die SOZIALHELDEN mit auf den Weg geben, profitieren. Für uns alle ist es sinnvoll, sich mit den Umgangsformen gegenüber Personen mit Beeinträchtigungen auseinanderzusetzen, um dadurch einen respektvolleren Umgang innerhalb unserer Gesellschaft zu ermöglichen.
Das dritte spannende Projekt der Berliner SOZIALHELDEN, welches ich vorstellen möchte, ist Pfandtastisch helfen!. Raúl Krauthausen und sein Cousin Jan Mörsch hatten die Idee dazu 2005. Damit nahmen sie am Wettbewerb „Was fehlt in der Welt“ des Magazins NEON teil, den sie auch gewinnen konnten. Danach war für beide klar, dass diese Idee in die Tat umgesetzt werden muss (vgl. PFANDTASTISCH-HELFEN).

Supermärkte können an dem Projekt teilnehmen und eine Pfandbox von „Pfandtastisch helfen!“ neben ihrem Pfandautomaten platzieren. Der Kunde hat dann die Möglichkeit, seinen Pfandbon zu spenden, indem er ihn in die Pfandbox wirft. Es wird dabei garantiert, dass 100% der Einnahmen durch Pfandspenden gemeinnützigen Zwecken zu Gute kommen (vgl. ebd.).

Was passiert in den Schulen?

Auch in unseren Schulen soll Inklusion nach der Ratifizierung der "UN-Konvention für die Rechte von Menschen mit Behinderung" Einzug halten. Kinder und Jugendliche mit einer Beeinträchtigung haben seitdem das Recht, eine Regelschule zu besuchen. Doch wie der „Fall Henri“ 2014 zeigte, sind noch lange nicht alle Schulen in Deutschland in der Lage, eine inklusive Beschulung durchzuführen.

Möglicherweise können soziale Medien auf diesem steinigen Weg ein nützliches Hilfsmittel sein: In Nordrhein-Westfalen arbeitet das „Netzwerk Inklusion mit Medien – NIMM!“ daran, Pädagogen für eine inklusive Medienarbeit zu qualifizieren (vgl. NIMM! 3.0).

Das NIMM! präsentiert auf seiner Homepage eine Vielzahl inklusiver Medienprojekte, stellvertretend dafür möchte ich kurz das Projekt „Krimi total!“ vorstellen, bei dem innerhalb eines inklusiven Lernsettings (Schüler von einer Förderschule mit Schwerpunkt „Geistige Entwicklung“ und Grundschüler) mit Hilfe der App „Actionbound“ ein interaktiver Mitmach-Krimi in Form einer Krimi-Rallye entwickelt wurde. Das im Zuge der Weiterbildung „Inklusive Medienpädagogik 2014“ durchgeführte Pilotprojekt ist ein gelungenes Beispiel für inklusive Medienarbeit und Empowermentpraxis (vgl. ebd.).
2015 wurde das NIMM! für seine gute Arbeit im Bereich von Medien und Inklusion mit dem Dieter Baacke Preis ausgezeichnet, der einmal im Jahr von der "Gesellschaft für Medienpädagogik und Kommunikationskultur" (GMK) an medienpädagogische Projekte verliehen wird.

Facebook auf dem inklusiven Prüfstand

Wie eingangs erwähnt, habe ich selbst tagtäglich Kontakt zu körperlich und geistig behinderten Menschen, von denen viele soziale Netzwerke wie Facebook nutzen. Aber ist Facebook als Anwendung selbst inklusiv?
In seinem Blogbeitrag "Facebook inklusiv - Wie barrierefrei ist der Social-Network-Riese?" geht Robert SCHEDDING (2012) dieser Frage nach und kommt zu dem Schluss, „dass Facebook sicher nicht umfassend barrierefrei aber dennoch auch für Menschen mit Einschränkungen zugänglich ist […]“.
Menschen mit einer Sehschwäche oder Sehbehinderung benötigen aufgrund des kontrastarmen Designs von Facebook Hilfsmittel zur Orientierung – sie besitzen also keinen barrierefreien Zugang. Auch Personen mit einer motorischen Einschränkung werden bei der Nutzung des sozialen Netzwerks immer wieder vor Probleme gestellt, da Menüpunkte und Symbole oft nah beieinander liegen. Hier wird insofern Abhilfe geschaffen, als es sogenannte Shortcuts gibt. Das sind Tastenkombinationen, mit denen bestimmte Menüpunkte bei Facebook direkt angesteuert werden können. Zudem fehlt es Facebook an Ausführungen in leichter Sprache, wie es für Menschen mit Lernschwächen angemessen wäre (vgl. SCHEDDING 2012).

Es gibt also die eine oder andere Hürde. Jedoch sollte versucht werden, diese Hürden zu überwinden, denn Netzwerke wie Facebook, Twitter und Co. beinhalten großes Potenzial in Bezug auf Inklusion. Die virtuelle Teilhabe ist zeit- und ortsunabhängig, was vor allem mobilitätseingeschränkten Personen zugutekommt auf deren Weg zu mehr Selbstbestimmung (vgl. ebd.).

Was muss die Zukunft bringen?

In ihrem Blogbeitrag „SocialWebReview #2: Inklusion und Web 2.0“ zieht Helen KNAUF (2015) für sich folgendes Resümee:
„Im Grunde ist die Idee des Web 2.0 als teilende und zugleich offene Community an sich eine inklusive Idee.“
Genau diese Erkenntnis habe ich für mich auch gewonnen. Es lag für mich quasi auf der Hand, Inklusion und Web 2.0 miteinander zu kombinieren, weil sie schon „von Natur aus“ eine Symbiose miteinander eingehen.

Auch die Bundeszentrale für politische Bildung nimmt die Thematik von Web 2.0 und Inklusion auf und präsentiert auf ihrer Webpräsenz "Unsere 10 wichtigsten Beobachtungen zur (digitalen) Inklusion" (vgl. bpb 2016). Die 10. Beobachtung der bpb lautet wie folgt:
10. Digitale Inklusion ist – ganz einfach –, "dass alle an allem teilnehmen können, uneingeschränkt, ohne Barrieren."
Digitale Inklusion soll also ganz einfach sein, jedoch liegen einer inklusiven Gesellschaft immer noch viele Steine im Weg und auch die sozialen Netzwerke, wie es das Beispiel Facebook zeigt, sind noch lange nicht frei von allen Barrieren. Wie der Alltag für einen behinderten Menschen momentan aussieht, darüber berichtet Raúl in einem Interview auf dem Youtube-Channel von „Jung & Naiv – Politik für Desinteressierte“.

Er spricht über institutionelle Diskriminierung, die finanziellen Einschränkungen durch die Sozialgesetzgebung und über ein Teilhabegesetz, welches dazu beitragen könnte, die Lage von Menschen mit Behinderung in Deutschland zu verbessern.



Raúl Krauthausen macht genau das, was viele andere Menschen ebenso tun sollten. Er nutzt die sozialen Medien, um eine Öffentlichkeit für seine und die Probleme anderer herzustellen. Auch Menschen ohne Behinderung sollten ihren Beitrag für eine inklusive Gesellschaft leisten und sich mit der Thematik auseinandersetzen, denn…

Der Tag wird kommen, an dem die noch-nicht-Behinderten den #Behinderten für ihren Einsatz für #Barrierefreiheit danken werden! Ganz Sicher.
— Raul Krauthausen (@raulde) 24. Februar 2016

Quellen:

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