Eines ist jedem Einzelnen von uns bewusst: Digitale Medien durchdringen unseren Alltag in allen Lebenssituationen – insbesondere jedoch im Bildungsbereich. Begriffe wie die obigen sind in aller Munde. Doch was hat es denn mit diesem Learning on Demand auf sich?
Gesellschaft und Wirtschaft befinden sich heute in einem permanenten, sich beschleunigenden Wandel, der nicht nur den Bereich der Berufstätigkeit, sondern alle Lebensbereiche einschließt (Nikodemus, 2017, S. 5). Aus diesem Grund entwickelt sich die individuelle Lernbereitschaft jedes Einzelnen mehr und mehr in Richtung des eigenverantwortlichen und selbstständigen Erwerbs von Qualifikationen und Kompetenzen, um den Anforderungen der Berufs- und Lebenswelt gerecht werden zu können (vgl. ebd., S. 5).
Ebenso verhält es sich mit der zunehmenden Internationalisierung, welche die Unternehmen vor die Herausforderung der zeit-, bedarfs- und kostengerechten Möglichkeiten der Weiterbildung stellt (vgl. Ebd., S. 23). Ziel ist es, Wissen in der heutigen Gesellschaft nicht mehr nur als isoliertes Angebot anzusehen – vielmehr handelt es sich um eine Ressource, welche jederzeit und je nach Bedarf individuell abgerufen werden kann (vgl. ebd., S. 23).
Seufert (2017, S. 123) beschreibt die für Bildungsorganisationen resultierenden Herausforderungen mit der Metapher des Wildwassers, welches die Veränderungen darstellt, die es kompetent zu bewältigen gilt. Der Umgang mit sogenannten Wildwasserbedingungen ist in unserer Arbeits- und Alltagswelt unabdingbar.
Im Folgenden sind vier entscheidende Thesen aufgeführt, mit denen die Gesellschaft in der heutigen Arbeitswelt nach Schüle (Schüle, 2002, S. 38) konfrontiert wird:
- Entscheidungsbefugnisse der Mitarbeiter vergrößern sich
- Wettbewerbsumfeld wird komplexer
- Produkte und Dienstleistungen nehmen an Komplexität zu
- Qualitätsbewusstsein steigt
In diesem Beitrag soll die Wichtigkeit eines Paradigmenwechsels innerhalb der beruflichen Bildung verdeutlicht werden. Hierbei wird es besonders um den Einsatz passender digitaler Möglichkeiten sowie des Begriffs des Moment of need gehen. Das Ziel dieser Seminararbeit besteht darin, zu vermitteln, dass es heute nicht mehr zählt, möglichst viel zu wissen – vielmehr erfordern die heutigen Bedingungen der Arbeitswelt, „Wissen zur Lösung von Herausforderungen methodisch sinnvoll nutzen zu können“ (vgl. ebd., S. 2).
Im Folgenden wird zunächst auf das Performance-Problem sowie den Begriff der VUCA-Welt eingegangen, welches unter anderem die Herausforderungen der heutigen Berufs- und Lebenswelt genauer darstellt. In diesem Zusammenhang wird der Begriff des Learning on Demand durchleuchtet, der zugleich Aspekte informeller Lernprozesse miteinbezieht. Im weiteren Verlauf werden agile Lernformate und -methoden sowie Aspekte der menschlichen Informationsverarbeitung präsentiert, mit Hilfe derer sich Learning on Demand innerhalb der beruflichen Weiterbildung effektiv und bestmöglich verwirklichen lässt.
Das Performance-Problem
Die dynamischen Veränderungsprozesse, mit denen die Arbeitswelt im Zuge der Digitalisierung konfrontiert ist, lässt lebenslanges Lernen immer wichtiger werden. Lernen beschreibt unter anderem „die Anpassung von Menschen und Organismen an ihre Umwelt“ (Sammet/Wolf, 2019, S. 3). Die Herausforderungen, mit denen die Arbeitswelt konfrontiert ist, werden häufig unter dem Begriff VUCA zusammengefasst:
„Volatil (volatility), ungewiss (uncertainty), komplex (complexity) und mehrdeutig (ambiguity)“ (ebd., S, 3). VUCA beschreibt demnach die Faktoren, die in einer modernen Welt mehr und mehr sowohl Entscheidungen als auch Management beeinflussen. Graf et al. (2017, S. 183) beschreibt die VUCA-Logik wie folgt:
Volatilität:
- Rasante Fortschritte fordern Notwendigkeit von Entscheidungen
- Veränderungen sind umfangreicher, erfolgen plötzlich und erfordern meist eine dringende Reaktion
- Führungskräfte müssen oft auf Basis unvollständiger Informationen handeln
- Ursache und Wirkung sind schwierig zu identifizieren
- Steigende Komplexität erschwert das Vorantreiben notwendiger Veränderungen
- Häufig fehlt es an Zeit, die Komplexität zu analysieren, zu durchdenken und zu reflektieren
- Fehleinschätzungen hinsichtlich der Relevanz einer Situation können entstehen
- Misstrauen, Zweifel und Zögerlichkeit behindern Entscheidungen und Veränderung
- Führungskräfte müssen auf Basis eines begrenzten Verständnisses der Ereignisse und deren Bedeutung handeln
Definition Megatrend New Work: „Umbrüche in der Gesellschaft und neue Prozesse in der Wirtschaft führen zu fundamentalen Veränderungen in der Arbeitswelt, sie bestimmen den Megatrend New Work. In einer so digitalisierten wie globalisierten Zukunft wird Arbeit im Leben der Menschen einen neuen Stellenwert einnehmen, Arbeit und Freizeit fließen ineinander. Technologie ist wichtig, aber nicht dominant – der Mensch bleibt entscheidend.“
Definition Megatrend Wissenskultur: „Im Umbruch von der Industrie- hin zur Wissensgesellschaft wird Bildung zu einer Kulturfrage, die die ganze Gesellschaft betrifft. Am Megatrend Wissenskultur entscheidet sich die Zukunftsfähigkeit von Individuen, Unternehmen und ganzen Volkswirtschaften. Wissen bleibt Macht, aber in Zukunft können immer mehr Menschen Zugang zu dieser Macht haben. Digitalisierung von Wissen und Bildung ist ein Treiber dafür.“
Definition Megatrend Konnektivität: „Das Leben wird total vernetzt. Moderne Kommunikationstechnologien mit dem Internet im Zentrum verleihen dem Megatrend Konnektivität eine unbändige Kraft. Kein Megatrend kann mehr verändern, zerstören und neu schaffen. […] Durch seinen Einfluss entstehen nue Formen der Gemeinschaft, des Zusammenlebens, Wirtschaftens und Arbeitens. Aber es gibt auch Gegenbewegungen – eine neue Achtsamkeit im Umgang mit den Möglichkeiten von Konnektivität entsteht.“
Doch wie löst man nun das Performance-Problem? Es gilt, sich zwei Fragen zu stellen:
1. Was soll gelernt werden? „Lernen muss arbeitsplatznah sein. Es muss sich direkt auf Herausforderungen des Businessalltages und der Geschäftsstrategie beziehen: Lernen und anwenden, statt Lernen auf Vorrat“ (Sammet/Wolf, 2019, S. 6).
2. Wie soll gelernt werden? „Lernen muss flexibel (agil) sein: Um eine tatsächliche (Lern-) Lösung für die Herausforderung im Business sein zu können, braucht es verschiedene Formate, die zeitnahes, ortsunabhängiges, individuelles und kollaboratives Lernen ermöglichen“ (ebd., S. 6)
Um Lernprozesse so zu gestalten, dass sie darauf ausgerichtet sind, Wissen genau in der Situation anwenden zu können, in der es benötigt wird, sollte die Möglichkeit bestehen, auf den Performance-Support zurückgreifen zu können. Dieser unterstützt Mitarbeiter durch die Bereitstellung von gezielten Informationen – beispielsweise in Form von digitalen Lerndatenbanken –, sodass Arbeiten und Lernen miteinander verschmelzen und in einem sogenannten Workflow stattfinden (vgl. Evers, 2018 o.s.). Diese Art des Lernens wird auch als „Learning on Demand“ bezeichnet.
Was ist Learning on Demand?
Learning on Demand bedeutet, Wissen bzw. Informationen in einer konkreten Situation am Arbeitsplatz nachschlagen, abrufen und direkt lösungsorientiert anwenden zu können (vgl. Akademie, 2019, S. 2). Hierbei setzt man „auf Lernen im direkten Anwendungskontext – und damit ebenso auf kurzfristige wie nachhaltige Lernerfolge“ (ebd., S. 3). Die sofortige Umsetzung der Theorie in die Praxis fördert das Festigen der Kenntnisse, sodass das Gelernte länger abrufbar ist.
Ganz konkret bedeutet dies: Ein Mitarbeiter steht genau in diesem Moment vor einem Problem und benötigt für die Lösung dieses Problems neues Wissen sowie geeignete Kompetenzen, um möglichst zeitnah handeln zu können. Der Begriff Kompetenz vermittelt die Fähigkeit und Bereitschaft, Kenntnisse, Fertigkeiten sowie persönliche, soziale und methodische Fähigkeiten in Arbeits- und Lernsituationen für die berufliche Bildung und persönliche Entwicklung zu nutzen“ (Arnold/Erpenbeck, 2014, o. S.). Nach Evers (vgl. Evers, 2019, S. 1f.) beinhaltet Learning on Demand folgende fünf Vorteile:
- Praktisch: Lernen wird in den Arbeitsprozess integriert
- Unbegrenzt: Unabhängig von Ort und Zeit
- Unmittelbar: Das Gelernte ist schnell verfügbar
- Effizient: Aufwendige Recherchen entfallen
- Qualifiziert: Wissen aus sicheren Quellen
Durch die Umsetzung von Performance-Support sowie Learning on Demand kann diesem Prozess des Vergessens entgegengewirkt werden. Performance Support und Learning on Demand sind in der Lage, dieses Problem zu lösen und einen Praxistransfer zu sichern. „Das Hauptziel des Performance Support ist es, Menschen direkt im Arbeitsfluss zu befähigen, ihre Aufgaben effektiv auszuführen“ (Evers, Katrin, 2019, o. S.).
Informelles Lernen als Antwort?
Nach Sammet und Wolf (2019, S. 9) beschreibt informelles Lernen „sämtliche informellen sowohl selbstgesteuerten als auch geleiteten Lernaktivitäten“. „Es ist in Bezug auf Lernziele, Lernzeit oder Lernförderung nicht strukturiert und sieht meist keine Zertifizierung vor. Informelles Lernen kann zielgerichtet (intentional) sein, ist jedoch in den meisten Fällen nicht zielgerichtet und eher beiläufig (inzidentell)“ (Erpenbeck/Sauter, 2017a, S. 625). Häufig wird der Prozess des informellen Lernens gar nicht als solcher wahrgenommen, da er nur beiläufig verläuft, wie Graf et al. (Graf et al., 2019, S. 54) beispielsweise in folgenden Fällen beschreiben:
- Lesen von berufsbezogenen Büchern und Zeitschriften
- Lernen durch Beobachten und Ausprobieren
- Unterweisung oder Anlernen am Arbeitsplatz
- Berufsbezogener Besuch von Fachmessen und Kongressen etc.
- Besuch anderer Abteilungen
Ownership of learning
In der heutigen Berufswelt liegt es an jedem einzelnen Mitarbeiter selbst, Verantwortung für den individuellen Kompetenzbedarf zu tragen. Nur er erkennt den benötigten Weiterbildungsbedarf und ist in der Lage, diesen aktiv zu steuern. Nun kann ein Mitarbeiter noch so motiviert sein, sich aktiv weiterbilden zu wollen – werden ihm die dafür benötigten Rahmenbedingungen nicht gewährt, wird seine Motivation innerhalb kürzester Zeit auf dem Nullpunkt angelangt sein.
Nach Graf et al. (Graf et al., 2019, S. 55) bedarf es organisationaler Vorrausetzungen, um Learning on Demand Prozesse zu ermöglichen:
Informelles Lernen
- braucht Autonomie, Vertrauen und einen hierarchiefreien Raum
- funktioniert dann besonders gut, wenn es kontrollfrei ablaufen kann
Agiles Lernen
Während des bisherigen Lesens haben Sie sich im Zusammenhang mit dem VUCA-Bericht sicher gefragt, wie sich agiles Lernen denn nun definiert. „Lernen ist wie Rudern gegen den Strom. Hört man damit auf, treibt man zurück“ (Graf et al., 2017, S. 63). Diese Erkenntnis hatte bereits Laozi, ein legendärer chinesischer Philosoph. Eine sehr häufig diskutierte Form des Lernens verbirgt sich hinter dem Begriff des „Workplace Learning“ – das Lernen direkt am Arbeitsplatz (vgl. ebd., S. 63).
In diesem Zusammenhang lässt sich bezüglich agilen Lernens das 70:20:10 Modell aufgreifen, bei dem sich die 70 Prozent auf das Lernen direkt am Arbeitsplatz beziehen. Hierbei ist sowohl der Umgang mit und die Suche nach Lösungen realer Probleme verbunden, gleichzeitig aber auch die Übernahme neuer Aufgaben und Verantwortung innerhalb des Arbeitsplatzes. Während die 70 Prozent des Modells nun also als Lernen durch Erfahrung angesehen werden, beziehen sich die 20 Prozent auf das Lernen durch Andere – beispielsweise in Form von Coaching, Teamwork sowie Feedback und die restlichen 10 Prozent auf Lernen durch strukturierte Formate wie klassische Workshops und Schulungen (vgl. ebd., S. 65).
Lerntiefe: Zusätzlich zum Lernformat müssen bezüglich jedes Lernprozesses Lernziele formuliert werden. Orientieren kann man sich hierfür an der Lernzieltaxonomie von Bloom, innerhalb derer sich die Lernziele abstufen lassen (vgl. ebd., S. 82). Zu Beginn jedes Lernprozesses steht der Erwerb von Wissen im Vordergrund. Hierfür bietet sich beispielsweise die Entnahme von Informationen aus Wikis, e-Books oder Lerndatenbanken an. Ein erfolgreicher Lernprozess bedarf innerhalb des weiteren Verlaufs ein tiefgründigeres Verständnis sowie erweiterte Anwendungskompetenzen. Beispielhafte Lernformate zum Erreichen dieser Ziele sind beispielsweise kurze Trainingseinheiten, in denen ein gezielter vertiefter Lernaustausch stattfinden kann.
Bevor im weiteren Verlauf eine Vorstellung geeigneter Methoden zur Umsetzung des Learning on Demand folgt, werden die wichtigsten Aspekte agiler Lernformate noch einmal zusammengefasst, welche Graf et al. (Graf et al., S. 2017, 85) wie folgt formuliert: Agile Lernformate
- zeigen ein hohes Maß an Selbststeuerung und Kooperation,
- sind meist direkt mit den Aufgaben/dem Arbeitskontext verbunden (Learning on Demand)
- fokussieren auf das Wirksame, statt Regeln, Prozesse etc. in den Vordergrund zu stellen, d.h. sie sind informell, und
- gehen davon aus, dass es viele Wahrheiten und Möglichkeiten gibt und der Lerner selber fähig ist, die für sich beste Variante zu finden.
Im weiteren Verlauf erfolgt eine Vorstellung dreier ausgewählter Lernformate, mit deren Hilfe Mitarbeiter im Falle eines plötzlich auftretenden Problems befähigt werden, geeignete Handlungskompetenzen zu finden.
1. Wikis
„Wikis sind verbreitete, leicht zu bedienende Systeme, die es ermöglichen, Inhalte im Internet zu veröffentlichen, die von einer großen Anzahl von Nutzern bearbeitet werden können“ (e-teaching.org, 2015, o. S.). Dabei kommt der Begriff Wiki aus dem hawaiianischen und bedeutet schnell. Wikis sind vor allem durch ihre öffentlichen Zugangs- sowie Bearbeitungsmöglichkeiten gekennzeichnet. Unter dem Begriff wird „eine Sammlung untereinander verlinkter Webseiten verstanden, die themenunabhängig eingesetzt und jederzeit erweitert werden können“ (DHZ, 2014, o. S.). So besteht bei jedem Eintrag innerhalb eines Wikis eine Bearbeitungsfunktion. Für die berufliche Weiterbildung innerhalb eines Unternehmens ergeben sich nach der DHZ (DHZ, 2014, o. S.) aus einem Wiki insbesondere folgende
Vorteile:
- Informationen können einer breiten Anzahl von Mitarbeitern zur Verfügung gestellt werden
- Mehr Transparenz im Unternehmen
- Beiträge lassen sich untereinander verlinken, dies fördert die Bedienbarkeit
- Wissensweitergabe im Unternehmen unterstützen und Schulungsaufwand verringern
- Darstellungsmöglichkeiten sind aufgrund eingeschränkter Layouts begrenzt
- Sicherheitsbedenken in Bezug auf den Datenschutz
2. Lernen mit Chatbots
Der Einsatz von Chatbots in Unternehmen verspricht zeitgemäßes digitales Lernen. Inhalte können individuell erstellt werden. Nun stellt sich vor allem die Frage, inwiefern Chatbots zum Corporate Learning eingesetzt werden können (vgl. Chatbotcoaching.de, 2019, o.S.). Was macht den Chatbot denn so interessant? Richtig – die persönliche Assistenz in Dialogform. Dieser dialogische Prozess wird auch „Conversational-Learning“ bezeichnet, welches ein fachkundiges Gespräch mit einem Gegenüber beinhaltet, das stets verfügbar ist, wenn man es braucht (eLearning Journal, 2019, o. S.).
Besonders hervorzuheben ist hierbei, dass der Chatbot nicht nur in der Lage ist, auf Fragen des Anwenders zu reagieren – vielmehr stellt er selbst Rückfragen, um die Informationen weiter eingrenzen und seine Antworten dementsprechend bestmöglich anpassen zu können. Der Nutzer hat die Möglichkeit, umgehend Zugang zu genau den Informationen zu erhalten, die er im Moment of need benötigt.
Die aktuelle Benchmarking-Studie „KI in der betrieblichen Bildung“ von eLearning-Journal und time4you GmbH verdeutlicht, dass wir uns am Beginn einer dynamischen Entwicklung befinden (vgl. eLearning Journal, 2019, o. S.). Nur circa drei Prozent der Unternehmen nutzen innerhalb ihrer Aus- und Weiterbildung KI-Tools. Bereits 12 Prozent planen zumindest in nächster Zukunft einen Einsatz von KI-Tools (vgl. eLearning Journal, 2019, o. S.) In einem sind sich die Befragten jedoch größtenteils einig: Knapp 60 Prozent sehen in der Nutzung von KI-Tools effizientere Lernmöglichkeiten, 53 Prozent sehen Kostenersparnisse damit einhergehen und circa ein Drittel der Befragten erhofft sich eine Steigerung der Produktivität (vgl. eLearning Journal, 2019, o. S.).
Doch wie entsteht ein Chat- bzw. Lernbot? Zu Beginn müssen sowohl Bedarf als auch Ziele und Nutzen der jeweiligen Zielgruppe sowie die Rahmenbedingungen geklärt werden. Darauf aufbauend werden in einem nächsten Schritt Inhalte sowie Ästhetik und Dialogmöglichkeiten gestaltet. Dieser Schritt gibt dem Bot mehr und mehr eine Gestalt.
Chatbots fördern das bereits oben erwähnte 70:20:10 Modell. Um es noch einmal ins Gedächtnis zu rufen: 70 Prozent lernen von Anderen. In vielen alltäglichen Momenten sind wir gerne bereit, einen Kollegen zu fragen, doch häufig zögern wir solche Anfragen auch heraus, sei es weil der Kollege generell gerade schon sehr gestresst erscheint oder wir uns beispielsweise zunächst selbstständig behelfen möchten. Und genau an diesem Punkt erhält der Chatbot seinen Auftritt. Viele Fragen – gerade im Bereich von Neueinstellungen – lassen sich mit Hilfe eines Chatbots definieren, sodass der Bot Wissen innerhalb eines möglichst umfangreichen Pools an Informationen und Themengebieten speichert.
Natürlich können Chatbots gleichzeitig aufgrund ihrer SCORM Schnittstelle auch auf Learning Management Systemen genutzt werden (vgl. https://www.elearning-journal.com/2020/01/20/ki-chatbots/). Zur Erläuterung: „Scorm ist ein technischer Standard, der dafür sorgt, dass E-Learning-Kurse und Lernplattformen (LMS) reibungslos miteinander kommunizieren. Im Standard definiert ist die Art und Weise, wie Informationen an die Lernplattform übermittelt werden […]“ (articulate, 2019, o. S.). Ein enormer Vorteil liegt darin, dass sich die Qualität und Nützlichkeit der Antworten eines Chatbots evaluieren und somit auch kontinuierlich verbessern lässt (vgl. Chatbotcoaching.de, 2019, o. S.)
3. Lernbibliotheken
Ein Beispiel für die selbstständige Kompetenzaneignung im Sinne des Learning on Demand sind sogenannte Lerndatenbanken bzw. Lernbibliotheken, die ein Unternehmen für die Weiterbildung seiner Mitarbeiter entwickeln kann. Die Haufe Akademie ist in diesem Bereich führend. So hat diese innerhalb der letzten Jahre verschiedene Lernbibliotheken zu jeweils unterschiedlichen Kompetenz-Themen entwickelt, wodurch sich ihre Mitarbeiter aus einem Pool interaktiver Lerninhalte wie Videos, Checklisten oder e-Learning Kurse Knowhow und Wissen in Echtzeit aneignen können. Ein gutes Beispiel für den Vorteil einer Lernbibliothek ist zum Beispiel folgender Fall:
Ein Mitarbeiter ist damit beauftragt, ein Meeting zu einem bestimmten Themengebiet zu leiten, mit dem er sich jedoch nicht ausreichend vertraut fühlt. Öffnet er nun innerhalb seiner Vorbereitungsphase zu Beginn den Katalog der Lerninhalte, so kann er exakt sein Themengebiet aus einem Pool verschiedenster Lerninhalte öffnen. Hat er diesen Schritt absolviert, kann er beispielsweise einen E-Learning Kurs starten, welcher sich selbst bei unvorhergesehenen Störungen stets schließen und bei Wiedereintreten an gleicher Stelle fortführen lässt.
Das Ziel des Learning on Demand kann auf diese Weise bestmöglich erreicht werden. Voraussetzung ist hierbei lediglich das Einrichten und Pflegen einer virtuellen Nutzerumgebung. Die Lernbibliothek selbst kann sowohl mit kurzen Textpassagen, als auch Videosequenzen oder kleinen Blogbeiträgen mit weiterführenden Links befüllt werden. Gerade bei der Nutzung und Befüllung einer virtuellen Nutzerumgebung bzw. Lernplattform sollten die Grundzüge menschlicher Informationsverarbeitung miteinbezogen werden.
Das folgende Video zeigt noch einmal anschaulich, wie eine Lernbibliothek bzw. -datenbank aufgebaut sein und welche Funktionen sie beinhalten kann.
Menschliche Informationsverarbeitung
Um Lern- und Informationsmaterialien für eine Lerndatenbank aufbereiten zu können, ist es essentiell, sich mit den grundlegenden Aspekten menschlicher Informationsverarbeitung zu beschäftigen. Nach Friedrich (2009, S. 27f.) sollten Texte innerhalb einer Lehrmaterialiensammlung wie folgt aufbereitet sein:
- Angemessene typografische Gestaltung (Schrifttyp, Schriftgröße, Zeilenlänge, Zeilenabstand etc.)
- Lokale Kohärenzbildung durch unkomplizierte Satzbildung, Herstellen eindeutiger Bezüge und Konzeptaufnahmen
- Globale Kohärenzbildung durch Ordnungsschemata, die Lernende zur Organisation des Wissens nutzen können, z.B. klare Gliederung des Textes nach Sachstrukturen oder Begriffshierarchien
- Elaborative Prozesse, z.B. mittels Konkretisierung durch Beispiele, anregende Gestaltung durch Verknüpfung von Neuem mit Bekanntem oder das Aufzeigen von Widersprüchen, welche kognitive Konflikte aktivieren und auf diese Weise das kritische Hinterfragen fördern
- Ist der Wahrnehmungskanal für das Lernen relevant, über den die Informationen präsentiert werden sollen?
- Ist die Vertonung von Texten per Audio vorteilhaft für den Lernprozess?
- Bietet es tatsächlich Vorteile, wenn mehrere Wahrnehmungskanäle bei der Darbietung von Wissen angesprochen werden?
Nach Sweller (vgl. Sweller, 2005, o. S.) besitzt das Arbeitsgedächtnis eine derart geringe Kapazität, dass es nur etwa fünf Elemente gleichzeitig im Gedächtnis behalten kann. Ein Element lässt sich jedoch nicht eindeutig definieren. Vielmehr hängt es individuell von der Person ab, auf welche Weise sie komplexe Inhalte verarbeiten kann (vgl. ebd., S. 171).
„Wissen kann nur dauerhaft gelernt werden, wenn die beschränkte Kapazität des Arbeitsgedächtnisses so genutzt wird, dass das Wissen mit Vorwissen verknüpft und in kognitive Schemata überführt und so im Langzeitgedächtnis verarbeitet werden kann“ (ebd., S. 173).Alan Paivio (1986, o. S.) stellte sich die Frage, auf welche Art und Weise Texte und Bilder innerhalb der menschlichen Informationsverarbeitung verarbeitet werden und formulierte im Zuge dessen die Theorie der doppelten Codierung von Informationen. Unterteilt werden damit zwei voneinander getrennte Bereiche im Gedächtnis, die der Verarbeitung verbaler und non-verbaler Informationen dienen (vgl. Kerres, 2018, S. 182).
Innerhalb des verbalen Systems werden demnach begriffliche Informationen codiert, die auditiv oder visuell wahrgenommen werden (vgl. ebd., S. 183). Beispielhaft hierfür wäre das Lesen eines Buches. Die zugehörigen Informationen werden zwar über den visuellen Wahrnehmungskanal aufgenommen, diese zunächst bildhafte Information wird jedoch als sprachliches Zeichen verarbeitet – nicht als bildhaftes (vgl. ebd., S. 183). Gleichzeitig entsteht hier eine sequentielle Verarbeitung, was bedeutet, dass der Text Zeichen für Zeichen verarbeitet wird. Innerhalb des nicht-verbalen Systems findet die Verarbeitung zeitgleich statt – das Bild wird als Ganzes erfasst (vgl. ebd., S. 183). Meyer (2009, S. 59 f.) beschreibt die einzelnen Prozesse der Informationsverarbeitung mit Hilfe verschiedener Medien wie folgt.
Verarbeitung von Bildern: Erkennt die Person zunächst beispielsweise ein Bild auf einem Bildschirm, erfolgt die Informationsaufnahme über die Augen (vgl. ebd., S. 59f.). Auf diese Weise steht sie im sensorischen Speicher für kurze Zeit zur Verfügung (vgl. ebd., S. 59). Erhält diese Information ausschließlich die Aufmerksamkeit der Person, so wird auch diese Information in das Arbeitsgedächtnis übertragen – es entsteht hierdurch ein bildhaftes Modell (vgl. ebd., S. 59 f.).
Verarbeitung von gesprochenen Texten: Ein gesprochener Text wird mit Hilfe von Lautsprechern wiedergegeben, wodurch diese Information über die Ohren aufgenommen und ebenfalls für kurze Zeit im sensorischen Speicher zur Verfügung steht (vgl. ebd., S. 59 f.) Erhält diese Information eine gewisse Aufmerksamkeit durch die Person, wird auch sie in das Arbeitsgedächtnis übertragen – es entsteht dabei ein verbales Modell (vgl. ebd., S. 59 f.).
Verarbeitung von geschriebenen Texten: Die hier durch die Augen aufgenommene Information steht ebenfalls für einen kurzen Zeitraum im sensorischen Speicher zur Verfügung (vgl. ebd., S. 59 f.). Wendet die Person der Information ihre Aufmerksamkeit zu, kann diese ebenfalls in das Arbeitsgedächtnis übertragen werden. Auf diese Weise wird hier aus einer bildhaften Information ein verbales Modell erzeugt (vgl. ebd., S. 59 f.).
Aus diesen Erkenntnissen lassen sich Schlussfolgerungen für das Einbeziehen verschiedener Mediensysteme innerhalb einer virtuellen Lernumgebung ziehen: „Um bildliche Darstellungen in Lernangeboten zu verstehen, sind die wesentlichen Bestandteile zu identifizieren und in Begriffe zu übersetzen. Ohne verbale Erklärungen bleiben Abbildungen und Darstellungen oft unverständlich. Bildhafte Darstellung und verbale Erläuterung sind in das Schema zu integrieren – eine durchaus hohe Anforderung an das Arbeitsgedächtnis.“ (Kerres, 2018, S. 185).
Das Ausmaß dieser Anforderung bzw. Anstrengung lässt sich durch eine bestmögliche Darstellung in der Lernumgebung jedoch sehr stark reduzieren. Erfolgt die Darstellung von verbalen und nicht-verbalen Informationen nicht entfernt voneinander, sondern vielmehr innerhalb einer räumlichen Nähe, reduziert sich die Anforderung an das Arbeitsgedächtnis (vgl. ebd., S. 185). Auf diese Weise wird eine Überforderung beim Lernenden verhindert.
Häufig steht bei der Gestaltung von virtuellen Lernprozessen die Frage im Raum, ob geschriebene Texte gleichzeitig mit einer Sprachaufnahme hinterlegt werden sollen. Dies lässt sich mit Hilfe der gerade beschriebenen Erkenntnisse relativ einfach beantworten, indem man die kognitiven Verarbeitungsschritte, die hierfür nötig sind, genauer betrachtet (vgl. ebd., S. 186):
Verfolgt eine Person etwas Geschriebenes mit den Augen und hört die gleichen Informationen mit Hilfe ihrer Ohren, erfolgt die Informationsübermittlung sowohl über den visuellen als auch auditiven Wahrnehmungskanal (vgl. ebd., S. 187). „Aus der bildhaften und aus der auditiven Darstellung wird jeweils ein verbales Modell erzeugt. Die Informationen aus beiden Darstellungen sind zu einem Modell zu integrieren“ (ebd., S. 187).
Hierbei ergeben sich zwei Probleme: Zum einen wird die Person durch die doppelte Verarbeitung unnötigerweise belastet und zum anderen werden Texte grundsätzlich von Person zu Person ganz individuell schnell oder langsam gelesen (vgl. ebd., S. 187). Aus diesem Grund haben Lernende hier die zusätzliche Belastung, den beispielsweise visuell schnell gelesenen mit einem langsam gehörten Text zu verbinden. Daraus folgt, geschriebene Texte grundsätzlich nie mit exakt der gleichen dazugehörigen Sprachaufnahme zu hinterlegen.
Grundsätzlich ergeben sich nach Kerres (vgl. ebd., S. 188 f.) zusätzlich zu den im vorherigen Absatz bereits genannten Erkenntnissen folgende weitere Hinweise für die Gestaltung virtueller Lernumgebungen:
- Bild vor Text präsentieren: Bilder sollten grundsätzlich eher vor einem Text eingefügt werden, da sie vor allem Personen ohne Vorwissen eine erste Orientierung bieten und das Textverständnis erleichtern. Der Text lässt sich auf diese Weise in die bildhafte Information integrieren.
- Einfach Abbildungen mit Text, komplexe Abbildungen mit Audio präsentieren: Bei Grafiken, welche relativ selbsterklärend und leicht zu verstehen sind, ist es meist ausreichend, sie lediglich mit einer schriftlichen Erläuterung zu versehen. Handelt es sich um eine komplexe Abbildung, sollte diese bevorzugt mit einer Sprachaufnahme erläutert werden.
- Nicht-relevante Informationen weg lassen: Gerade bei Personen ohne inhaltliches Vorwissen sollte explizit darauf geachtet werden, auf sprachliche Umschreibungen bzw. Wortausschmückungen zu verzichten, um den Fokus auf relevante Informationen zu gewährleisten.
- Redundante Informationen in der Kombination von Text und Bild vermeiden: Informationen, die in einer Grafik beispielsweise bereits beschrieben werden, sollten im danach folgenden Text nicht noch einmal im gleichen Wortlaut formuliert werden. Grundsätzlich sollte eine sprachliche Differenz zwischen Inhalten der Grafik und der Erläuterung des Textes bestehen.
- Informationen durch Hinweise gewichten: Besonders wichtige Informationen sollten möglichst durch auffallende Gestaltungsmerkmale hervorgehoben werden, um deren Wichtigkeit zu betonen.
- Nutzer persönlich ansprechen: Nutzer sollten zu Beginn eines virtuellen Kurses grundsätzlich persönlich angesprochen werden. Dies steigert die Motivation und fördert das Gefühl, im Lernprozess unterstützt zu werden.
Fazit
Fakt ist, dass es eines Paradigmenwechsels innerhalb der beruflichen Weiterbildung bedarf. Die Annahme, Mitarbeiter auf Schulungen zu entsenden, deren vermitteltes Wissen sie unter Umständen zu einem späteren Zeitpunkt einmal benötigen könnten, sollte mehr und mehr aus den Köpfen der Unternehmen und Führungskräfte verbannt werden. Die Schulungen sind oft einzig und allein mit enormen Kosten verbunden, der Mitarbeiter kehrt nach dieser zurück in seinen Arbeitsalltag und besitzt im schlechtesten Fall keinerlei aktuelle Anwendungsmöglichkeit des Gelernten.
Um Mitarbeiter auf den Umgang mit den "Wildwasserbedingungen" der heutigen Arbeitswelt vorzubereiten, gilt es, ihnen die Rahmenbedingungen und Möglichkeiten für ein Learning on Demand zur Verfügung zu stellen. Um dies zu gewährleisten muss seitens des Unternehmens zusätzlich ein gewisses Zeitkontingent festgelegt werden. Auf Seiten des Mitarbeiters bedarf es dementsprechend einer ausgesprochen motivierten Haltung sowie der Fähigkeit, innerhalb einer bestimmten Problemsituation aus einem großen Pool an Informationen die passende Wissensvermittlung auszuwählen, um daraus Handlungsoptionen ableiten zu können.
Hierbei ist Lernen in Verbindung mit Performance Support bzw. Learning on Demand nicht als formales Lernen im klassischen Sinne anzusehen – vielmehr geht es dabei um eine möglichst schnelle Unterstützung sowie des Erwerbs von Handlungswissen, um ein auftauchendes Problem möglichst effizient und zeitnah lösen zu können. Nichtsdestotrotz gilt es dafür die benötigten informellen Lernformate adäquat und für den lernenden Mitarbeiter gut verständlich aufzubereiten, um bestmögliche Ergebnisse zu erzielen.
Um diese Art der beruflichen Weiterbildung umsetzen zu können bedarf es demensprechend auch eines grundsätzlich veränderten Rollenverständnisses. Demzufolge sollte der Mitarbeiter sowohl auf Seiten des Unternehmens mehr Verantwortung für eigenverantwortliches Handeln erhalten, zum anderen liegt es in der Hand der Mitarbeiter, sich innerhalb zur Verfügung gestellter Rahmenbedingungen selbstständig neue Kompetenzen anzueignen. Blended-Learning, Learning on Demand und Chatbots – mehr als Schlagworte einer sich verändernden Bildungslandschaft.
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