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Mittwoch, 16. Juni 2021

Wikipedia: Edit-Wars

In diesem Beitrag stellt Samuel Schaumann folgenden Aufsatz vor:

Raschka, Achim / Franke, Dirk (2016): Edit-Wars in Wikipedia; in: Zeitschrift für Ideengeschichte, 2/2016, S. 17-24, online unter: https://www.z-i-g.de/pdf/ZIG_2_2016_wille_raschka_17.pdf.

Der Aufsatz thematisiert die sogenannten „Edit-Wars“ in der Wikipedia und erklärt diese im Hinblick auf die grundlegenden Prinzipien der freien Enzyklopädie. Dabei erläutern die Autoren einige exemplarische Auseinandersetzungen und zeigen die Notwendigkeit solcher Konflikte als systemimmanent auf.

Zunächst wird die Wikipedia als unkonventionelle Internet-Enzyklopädie beschrieben, welche durch zentrale charakteristische Aspekte von herkömmlichen Lexika und deren Prinzipien abweicht. Genannt werden das Prinzip der Inhalte unter freier Lizenz und die offene Redaktion der Artikel, wodurch allen ermöglicht werden soll, zum Wissensbestand der Wikipedia beizutragen.

Als etabliertes digitales Nachschlagewerk sei die Wikipedia stetig gewachsen und habe sich zu einer äußerst gefragten Recherchequelle entwickelt, welche durch zahlreiche Autoren stetig erweitert werde. Die kollaborative Arbeitsweise ist gekennzeichnet durch viele Autoren, die Artikel schreiben, Fehler korrigieren, Inhalte ergänzen, löschen und diskutieren. Dies wird mit einem Verweis auf das erfolgreiche Bewähren in der Praxis als funktionierendes Prinzip bewertet.

Notwendige Regelungen, die eine gewisse redaktionelle Ordnung gewährleisten, wurden in einem umfangreichen Richtlinienwerk für Autoren festgeschrieben und durch informelle Regeln, Konventionen und etablierte Verhaltensweisen ergänzt. Die „Edit-Wars“ als Auseinandersetzungen um vorhandene Artikel werden unter folgend aufgeführten Umständen entfacht:

„Was geschieht zum Beispiel, wenn sich die Autoren hinsichtlich bestimmter Aussagen nicht einig sind und auch keine Einigung herbeiführen können? Was passiert, wenn lange Diskussionen zu brisanten oder auch trivialen Themen nicht auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen sind? Und was passiert, wenn sich Beiträger der Diskussion entziehen, die Suche nach einem Konsens verweigern und einfach «ihr Ding machen»?“ (S. 18)

Neben Folgen hinsichtlich der agierenden Personen, wie Beleidigungen, Unterstellungen, persönliche Angriffe und Entwicklung von Feindschaften, erläutern die Verfasser auch Konsequenzen für die betroffenen Artikel. So werden im Zuge eines Edit-Wars Inhalte immer wieder durch die jeweiligen Konfliktparteien verändert und dabei Aussagen in das Gegenteil verkehrt.

Anschließend werden im Text beispielhafte einschlägige Konflikte skizziert und anhand dieser werden verschiedene Szenarien und Merkmale von Edit-Wars erläutert. So seien durch den offenen Zugang zur Mitarbeit an Artikeln und angesichts konträrer Meinungen unter Autoren Auseinandersetzungen des Editierens unumgänglich. Dies geschehe, wenn keine konsensorientierte Diskussion der beteiligten Akteure mit einer anschließend resultierenden Kompromisslösung stattfinde.

An die Stelle dieses Ideals tritt der Versuch der Autoren, die eigene Haltung durchzusetzen, indem Artikel an entscheidenden Stellen editiert, also im Sinne der eigenen Position geändert werden. Nach mehrmaliger Änderung des betroffenen Artikels werde solch ein Konflikt meist durch Verständigung der Kontrahenten oder den schlichtenden Einsatz einer dritten Person beendet.

Anhand eines Edit-Wars aus der Vergangenheit, in dessen Zentrum eine philologische Frage stand, wird verdeutlicht, dass diese Auseinandersetzungen meist kleinteilig und von kurzer Dauer sind. Doch auch langwierige und erbitterte Konflikte mit zahlreichen Akteuren seien Teil der Geschichte der Wikipedia, was ein eigener Wikipedia-Artikel als Sammlung solcher Fälle dokumentiert. Dass diese mithin als Mittel zum Zweck verwendet werden, wird im Text wie folgt beschrieben:

„Der Edit-War ist bis heute ein beliebtes und oft eingesetztes Mittel, um in der Wikipedia die eigene Position zu einem Thema zu platzieren.“ (S. 19)

Ein Edit-War aus dem Jahr 2004, welcher sich um den Begriff des „Ziegenpeters“ drehte, wird als frühes Beispiel eines heftigen „Edit-Wars“ angeführt. Dabei wurde die Frage, ob der Begriff „Ziegenpeter“ lediglich als umgangssprachliches Synonym für die Krankheit Mumps oder auch als Bezeichnung für den Ziegenhirten in den Heidi-Romanen gekennzeichnet werden solle, ausgehandelt. Mehrere Personen beteiligten sich am aufreibenden Edit-War, welcher zwischen zwei Konfliktparteien ausgetragen und von Argumenten sowie Beschimpfungen auf dafür angelegten Diskussionsseiten begleitet wurde.

Des Weiteren stellen die Autoren des Textes einen Edit-War zum Artikel des Donauturms in Wien aus dem Jahr 2009 dar. Der zentrale Streitpunkt war die Zuordnung als Aussichtsturm oder Fernsehturm. Ein Spiegel-Bericht zu Beginn des Jahres 2010 brachte diesem Konflikt auch außerhalb der Wikipedia öffentliche Aufmerksamkeit. Durch mehrmalige Artikelsperren wurde der Edit-War eingeschränkt und schließlich mithilfe eines minimalen Konsenses beendet.

Ein weiterer exemplarischer Konflikt ist durch eine fraglos weitreichendere Dimension gekennzeichnet. Der Einsatz der genealogischen Zeichen Stern und Kreuz bei der Nennung von biographischen Daten ist der Gegenstand der Auseinandersetzung. Die Verwendung der beiden Zeichen christlichen Ursprungs, um Geburts- und Sterbedaten einer Person zu markieren, wurde erstmals im Jahr 2010 hinsichtlich der Biographien von Personen nicht-christlichen Glaubens kritisiert.

Nach mehreren kleinen Edit-Wars wurde ein Meinungsbild durchgeführt und dabei die Verwendung der genealogischen Zeichen als Standard der Wikipedia bestätigt. Damit wurden sie als Teil der Formatvorlage für biographische Artikel der Wikipedia festgelegt. Da die Verwendung dieser Formatvorlagen jedoch nicht bindend ist und in begründeten Einzelfällen davon abgewichen werden kann, wurden die Edit-Wars diesbezüglich mit leicht veränderter Konfliktfrage fortgesetzt.

Im Jahr 2014 folgten drei weitere Abstimmungen, welche eindeutige und verbindliche Formatierungen zum Ziel hatten. Doch da all diese Versuche scheiterten, gilt im Jahr 2015 weiterhin die Empfehlung der genealogischen Zeichen mit möglichen Ausnahmen bei begründeten Einzelfällen. Folglich seien weiterhin Streitigkeiten um die Bewertung von Einzelfällen und die Geltung der Bestimmung durch die Formatvorlage zu verzeichnen. Zum vorläufigen Ende des Edit-Wars, welches als übliches Szenario beschrieben wird, merken die Autoren an:

„Keine Seite siegt verbindlich. Meistens kommt es zu einem Kompromiss, der mal den einen und mal den anderen Konfliktpartner mehr zufriedenstellt.“ (S. 22)

Abschließend wird der endlosen Auseinandersetzung durch gegenseitiges Aufreiben die sachliche Debatte auf dafür vorgesehenen Diskussionsseiten entgegengestellt. Dabei sei die Zielperspektive eine Lösung des Konflikts durch einen Konsens oder die Darstellung eines Faktes durch klare Belege. Im Sinne dieser Ausrichtung seien Auseinandersetzungen um korrekte Angaben notwendig und sinnvoll.

Mit einem Verweis auf die Eigenarten der Wikipedia verdeutlichen die Autoren nochmals das Auftreten von Edit-Wars als systemimmanent. So können bei der Bearbeitung eines Wikipedia-Artikels durchaus Autoren mit konträren Ansichten beteiligt sein, was zu Korrekturen im jeweiligen Sinne der Personen führe. Da in solchen Situationen die Idealvorstellung des sachlichen Streits um konsensfähige Positionen auf der Diskussionsseite oft als beschwerlich betrachtet wird, sei die direkte Korrektur in vielen Fällen die bevorzugte Option.

Bei der Wikipedia, in der das Wissen stetig neu verhandelt und neu geordnet werde, sei der Streit seit jeher ein Teil des Prozesses, was sich auch in Zukunft durch das Prinzip der gleichberechtigten redaktionellen Mitarbeit nicht ändern werde:

„Wo die kleine Gruppe der Experten, die gleichsam autoritativ die Position einer Enzyklopädie festlegt, durch die große User-Gemeinschaft abgelöst wird, die ihre Positionen gerade bei kontrovers diskutierten Fragen immer wieder neu verhandeln muss, da sind eben auch Edit-Wars an der Tagesordnung.“ (S. 24)

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