Zum Kontext: Duguid stellt angesichts von grep und Google die Frage, ob es eine kontinuierliche Entwicklung in der Geschichte der Suchmethoden gibt, "die sich von geschlossen zu offen und von beschränkt zu frei, kurz gesagt, von einer dunklen Vergangenheit in eine aufgeklärte Zukunft bewegt" (S. 17). Er geht die entsprechenden Methoden seit Erfindung der Schrift durch, um dann zu bilanzieren:
"Wie ich zu zeigen versucht habe, sieht eine Geschichte des Suchens daher weniger wie ein linearer Verlauf aus, der von einem angeborenen Drang nach Informationssammlung vorangetrieben wird, sondern eher wie eine Reihe von fast unergründlichen Zyklen um offene und geschlossene Strukturen" (S. 32).Zwei Mal taucht Wikipedia in der Darstellung auf:
"Dieses Konzept der Umschreibung ist in zwei wichtigen akademischen Begriffen enthalten. Einer dieser Begriffe ist Enzyklopädie, der eingekreiste Wissenskorpus, der für die Bildung ausschlaggebend ist. Der andere Begriff ist die Suche (search) selbst, die – wie die Enzyklopädie – etymologisch von den in den klassischen Sprachen verwendeten Wörtern für "Kreis" abstammt, und dessen Herkunft auf einen kreisförmig umschlossenen Wissenskorpus hinweist, der untersucht werden muss. Das heißt, die Suche steht nicht nur für die Nadel, sondern auch für den Heuhaufen. Die Vorstellung eines von einem Kreis umschlossenen und durchsuchbaren Korpus impliziert (und entwertet) natürlich einen zweiten Korpus, der als falsch, unecht, ephemer etc. ausgeschlossen wird. (...) Doch wie die salons des refusés, die von den Künstlern gebildet wurden, die von den offiziellen Kunstausstellungen in Paris abgelehnt wurden, führten solche Versuche, Information mit Schranken zu versehen, unweigerlich zu weiteren Versuchen, diese Schranken zu durchbrechen. Auch wenn es vielleicht Zufall ist, so ist es doch bezeichnend, dass Wikipedia den Wortteil pedia beibehalten hat, aber den Wortteil Encyclo-, der auf den kreisförmigen Einschluss hindeutet, ablehnte. Zumindest symbolisch drückt dies einen Wunsch aus, nicht im Stile der Vergangenheit eingekreist zu werden, sondern sich immer weiter zu öffnen. Wie ich zu sagen versucht habe, ist dieser Versuch alles andere als neu. Der Weg zur Offenheit ist vielleicht sogar eher zyklisch als linear. Versuche, im Namen der Freiheit auszubrechen, führen zu anderen Versuchen, Einschränkungen im Namen der Qualität einzuführen, was in der Folge zu neuerlichen Ausbruchsversuchen führt" (S. 27f.).Die zweite Stelle bildet den letzten Absatz des Beitrags. Wikipedia veranschaulicht geradezu paradigmatisch und verdichtet, was die historische Betrachtung zutagegefördert hat:
"In der Tat – und hier entschuldige ich mich bei allen, die mir bis hier gefolgt sind, dass ich dies so spät sage – können wir diese zyklischen Bewegungen erkennen, ohne eine mühsame historische Reise zu unternehmen. Wikipedia zum Beispiel, die vielen als Beispiel einer Sammlung von offener, durchsuchbarer und verlässlicher Information über die Welt gilt, widmet sich seit einiger Zeit dem Aufbau von Strukturen. Ihr früheres Misstrauen gegenüber verbürgtem Expertenwissen und ihr Widerstand gegen hierarchische Ausschlüsse sind einem Verständnis gewichen, wonach behauptete Erfahrung nicht notwendigerweise besser ist als erworbene Autorität. Wikipedia hat sogar selbst begonnen, über ihre Stiftung eine institutionelle Struktur aufzubauen, was zwangsläufig die Offenheit des Projekts einschränkt. Implizit beginnt der Wortteil Encyclo- wieder die pedia zu umhegen" (S. 32).Und noch eine Bemerkung zu den anderen Aufsätzen in diesem Sammelband. Neben weniger aufschlussreichen Beiträgen finden sich zwei hervorragende Aufsätze, die unbedingt zur Lektüre empfohlen werden können:
Robert Darnton: Die Bibliothek im Informationszeitalter. 6000 Jahre Schrift (Online-Version).
Felix Stalder / Christine Mayer: Der zweite Index. Suchmaschinen, Personalisierung und Überwachung (Online-Version).
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