Dienstag, 2. Dezember 2025

KI - Alles kann, aber nichts muss

Kein Thema beherrscht die aktuellen Debatten so sehr wie KI. Befürworter wittern in der Künstlichen Intelligenz die Lösung (beinahe) aller Probleme, während Gegner vor allem Gefahren sehen und in erster Linie aufzählen, was die KI (möglicherweise noch) nicht kann. Traditionell werden technologische Meilensteine eher kritisiert, als mit offenen Armen begrüßt. So geschehen bei den ersten Eisenbahnen, als das Königlich Bayrische Medizinkollegium zum Schluss kam, „Ortsveränderungen mittels irgendeiner Art von Dampfmaschine sollten im Interesse der öffentlichen Gesundheit verboten sein“. Dies wurde vor allem mit der hohen Geschwindigkeit der Fortbewegung begründet, die bei Zuschauern und Passagieren „geistige Unruhe“ hervorrufen würde. Wer heute Bahn fährt, weiß, dass geistige Unruhe im Zusammenhang mit Zügen in erster Linie durch die Verspätungen der Deutschen Bahn auftritt. Gäbe es das Königlich Bayrische Medizinkollegium noch, so würde es vermutlich vor Künstlicher Intelligenz warnen. Wie schon damals, ist dieser Zug jedoch längst abgefahren, denn KI hat längst Einzug gehalten.

Der Konflikt zwischen Befürwortern und Gegner findet oftmals auf dem Gebiet einer Frage statt: „Kann KI das“? Schon die Formulierung der Frage ist jedoch unzureichend, denn schon jetzt gibt es eine Vielzahl an Programmen und eine noch höhere Zahl in der Entwicklung. Dabei verfügen die Anbieter teilweise über grundsätzlich andere Herangehensweisen, weshalb sich Programme für unterschiedliche Felder eignen. Die Frage ist also in etwa so unterkomplex, als würde man einen Ingenieur fragen, ob Autos eine Wüste durchqueren können. Sollte sich jemand nach diesem Text berufen fühlen, den Versuch zu unternehmen, die Sahara mit einem Fiat 500 zu durchqueren, wünsche ich ihm an dieser Stelle viel Glück. Da sich KI anders als Autos noch in einer frühen Phase der Entwicklung befindet, gleitet der Blick jedoch vor allem in die Zukunft. Wen oder was wird KI ersetzen können? Welche Probleme wird KI für uns lösen? Kann die KI wie in Science-Fiction Filmen außer Kontrolle geraten? Während Fragen der Kontrolle, insbesondere im Hinblick auf Gefahren, Datenschutz und Urheberrecht durchaus ihre Berechtigung haben, sollte die Frage über die Möglichkeiten einer Künstlichen Intelligenz niemals für sich selbst stehen. Denn nur weil etwas technisch gesehen möglich ist, ist dies noch lange kein Grund, es auch zu versuchen.

Während sich bei Errungenschaften in der Genforschung stets die moralische Frage stellt, inwiefern der Mensch in solche Prozesse eingreifen sollte, stellt sich bei Künstlicher Intelligenz die Frage, ob wir möchten, dass sie eingreift. Das betrifft vor allem Berufe, bei denen Menschen eingesetzt werden, die in Zukunft vielleicht von der KI erledigt werden könnten. Warum noch ins überfüllte Wartezimmer sitzen, wenn man vom Sofa aus bequem dem Robodoc seine Symptome schildern kann? Warum noch im Restaurant ärgern, wenn die Kellnerin einen Teil der Bestellung vergessen hat? Warum das Problem des Lehrermangels nicht mit einer KI lösen, die ohnehin unabhängiger bewertet und individuell auf alle eingehen kann?

Die Antworten auf diese Fragen mögen unterschiedlich ausfallen, doch gemein ist allen Berufen, dass menschliche Interaktion dabei eine zentrale Rolle spielt. So ärgern wir uns vielleicht, wenn am Ende etwas anderes als das Bestellte auf dem Tisch landet, der Lehrer wieder dem Liebling aus der ersten Reihe die beste Note gibt und wir für die Diagnose „Erkältung“ eine Stunde im Wartezimmer zubringen. Gleichzeitig profitieren wir jedoch von der Interaktion mit den betreffenden Personen. Der Hausarzt, der uns schon durch unsere Kinderkrankheiten geholfen hat. Die Kellnerin im Stammlokal, die unsere Bestellung ohnehin schon kennt, und vielleicht auch der Lehrer, der erkennt, dass es uns nicht gut geht und uns deshalb einmal nicht an der Tafel vorrechnen lässt. Selbst wenn all dies ausbleibt, so trägt die Interaktion mit Menschen mehr zu unserer Zufriedenheit bei, als es im Alltag deutlich wird. Auffallend war dies zuletzt während der Coronakrise, als Gesichter hinter Masken verschwanden und die meisten Menschen in ihren Wohnungen.

Der Soziologe Hartmut Rosa attestiert der Gesellschaft eine „Entfremdung“, deren Ursache im Zwang der immer höheren Beschleunigung und Effizienz der Wachstumsgesellschaft liege. Auch im Falle der KI und vor allem in den genannten Beispielen wäre die Folge ebenfalls eine gesteigerte Effizienz. Kritiker sehen Berufe in Gefahr, während Befürworter vor allem Chancen wittern. Nicht zuletzt mit der Begründung, die KI könne uns Lebenszeit zurückgeben, wenn sie Dinge für uns erledigt. Im Falle des Arztbesuches hätte man also eine Stunde mehr, die man erkältet im Bett liegen könnte. Eine Arztpraxis könnte mehr Patienten aufnehmen und sich gleichzeitig den besonders schweren Fällen intensiver widmen. Dass das Phänomen der Entfremdung dadurch abnimmt, dass man nun noch mehr als ohnehin schon mit seinem Smartphone oder Computer interagiert, ist hingegen nicht zu erwarten. Auch vergangene Erfindungen machten die Menschen effizienter. Das Gefühl, deshalb mehr Zeit zu besitzen, blieb bisher dennoch aus.

Die Entwicklung der Künstlichen Intelligenz hat bereits einen Stand erreicht, bei dem wir sicher sein können, dass sie nicht wieder verschwindet. Die Befürworter werden weiter Chancen sehen und die Gegner Risiken. Wo die Grenzen der KI liegen, ist momentan weder abzusehen noch wirklich relevant. Vergegenwärtigt man sich jedoch den aktuellen Stand und zieht in Betracht, welche Fortschritte Computer gemacht haben, liegen die Grenzen vermutlich außerhalb unserer Vorstellungskraft. Was bleibt, ist die Erkenntnis, dass Künstliche Intelligenz unser Leben einfacher machen kann. Ob sie es auch besser macht, bleibt abzuwarten. Anstatt sich also zu fragen, ob die KI etwas kann, oder womöglich eher, wie lange es noch dauert, bis sie es kann, sollte man sich fragen, ob sie das auch soll. Das Motto könnte also lauten: „Alles kann, aber nichts muss“.

Siehe:

  • https://www.ndr.de/geschichte/chronologie/Als-die-Staatsbahn-in-Braunschweig-auf-Jungfernfahrt-ging,staatsbahnbraunschweig100.html
  • https://www.spiegel.de/kultur/literatur/hartmut-rosa-beschleunigung-und-entfremdung-a-908140.html