Wikis sind die paradigmatische Software des Web 2.0. Sie erlauben es, Webseiten nicht nur zu lesen, sondern auch zu verändern. Damit stehen sie wie keine andere Anwendung für den Übergang vom Lese-Web (in der Rückschau: Web 1.0) zum Lese-/Schreibe-Web (= Web 2.0). Die Bezeichnung "Read/Write-Web" halten übrigens viele für geeigneter als den Begriff Web 2.0, wobei sich auch zunehmend andere Begriffe (Social Media, Social Web etc.) einbürgern.
Ausgehend von den praktischen Erfahrungen mit der Wiki-Nutzung haben wir uns Gedanken darüber gemacht, wie Wikis in der Schule eingesetzt werden können. Dabei spielten u.a. folgende Aspekte eine Rolle:
- Anregung zum Schreiben in einem Format, das im Berufsleben immer wichtiger wird
- Dokumentation des Lernfortschritts
- Wiederholung von Lerninhalten durch das Verfassen von Texten
- Reflexion der Lerninhalte
- Lernen, Inhalte zusammenzufassen
- Zusammenarbeit im Team, kollaboratives Lernen und Schreiben
- Lernen, für ein Publikum zu schreiben
- Beteiligung an Diskussionen im Web (Kommentar-Funktion)
- Erhöhung der Motivation, sich Wissen anzueignen, um kompetent für ein potenziell weltweites Publikum schreiben zu können
- Zusammenarbeit mit anderen Klassen, Gruppen, Schulen, Universitäten, NGOs...
- Anderes, intensiveres Lesen von Texten, weil die Texte verändert werden können
- Aussagen müssen belegt werden, d.h. es erfolgt gewissermaßen eine Rückbindung an herkömmlich veröffentlichte Informationen.
- Entscheidend ist der NPOV (Neutral Point of View), d.h. Artikel dürfen nicht einseitig sein (wie in jedem Lexikon).
- Artikel müssen relevant sein (dieser Aspekt ist sehr umstritten, es kommt regelmäßig zu Debatten zwischen "Inkludisten", die möglichst viel einbeziehen wollen, und "Exkludisten", die die Messlatte für Relevanz höher legen).
Eine mögliche Erklärung lehnt sich an die Argumentation von Clay Shirky an (Here Comes Everybody. The Power of Organizing Without Organizations, Penguin 2008, S. 109-142). Für ihn ist jede erfolgreiche Web 2.0-Anwendung eine gelungene Mischung aus Software und Community. Die Software muss einfach sein, was bei Wikipedia der Fall ist, und die Community benötigt ein attraktives Ziel. Hier liegt die Stärke des Wikipedia-Projekts:
Das Projekt konnte auf dem impliziten Wissen aufbauen, das jede/r von einem Lexikon besitzt. Damit war ein klares Konzept vorhanden (und musste nicht erst mühsam erarbeitet werden oder sich langwierig entwickeln). Das ausgegebene Ziel war und ist in höchstem Maße attraktiv: Allen Menschen das gesamte Wissen der Menschheit kostenlos zur Verfügung zu stellen. Dadurch hat eine (bis jetzt) ausreichend große Zahl an Menschen das Projekt zu ihrem eigenen gemacht. Diese Menschen LIEBEN Wikipedia und verteidigen die Online-Enzyklopädie aus Liebe zum Projekt.
Ob das für alle Zeiten eine funktionierende Basis bleiben wird, wissen wir nicht, bis jetzt aber hat es gereicht, um eines der faszinierendsten Projekte der Geschichte auf die Beine zu stellen...
Passend zu unserer Diskussion über das Zitieren von wikipedia hat in der Stuttgarter Zeitung letzte Woche ein Satz in einem Artikel meine Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Der Artikel handelt von Rechtsradikalen im Südwesten und verdeutlicht den Ernst der Lage im schwäbischen Ort Langenau, indem gesagt wird: "Mehrere ortsansässige Altnazis, so führt inzwischen sogar das Internetlexikon Wikipedia zu Langenau auf, versorgen die neue braune Generation mit Geld und stellen Grundstücke für Treffen zur Verfügung." Für die, die der Artikel interessiert, hier der Link:
AntwortenLöschenwww.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.rechter-terror-neonazis-gibt-es-auch-im-suedwesten-page1.34d5d65e-58aa-448a-90b7-03ccf4985fe9.html