von Christina Krauter
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Mit diesem Beitrag beginnt eine 4-teilige Reihe zum Thema "Rechtsextremismus im Web 2.0":
Teil I: Begriff, Entwicklung, Strategien im Web
Teil II: Gefahren, Verlockungen und Besonderheiten am Beispiel "Werde unsterblich"
Teil III: Präventionsprogramme gegen Rechtsextremismus
Teil IV: Was kann die Schule gegen Rechtsextremismus tun?
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Rechtsextremisten haben eine Glatze, tragen Springerstiefel, sind gewaltbereit und wohnen in Ostdeutschland, das ist das weitverbreitete Bild, welches die Bevölkerung von Rechtsextremen hat. Durch rasante Entwicklungen, sowohl innerhalb der Rechtsextremen-Szene als auch hinsichtlich der Kommunikationsformen, trifft diese Gleichung bisweilen nur noch auf sehr wenige zu, so wie sie früher auch nur für einen Teil der Rechtsextremen aufging.
Der Begriff Rechtsextremismus
Es gibt keine allgemein anerkannte Definition für Rechtsextremismus, der Begriff ist in den verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen sehr umstritten (vgl. Stöss 2005). Es gibt allerdings einen "amtlichen" Begriff des Rechtsextremismus, wie er vor allem in Verfassungsschutzfragen verwendet wird. Der Begriff "Extremismus" wird nie im Grundgesetz verwendet und ist an sich auch kein rechtlicher Begriff. Eine Partei kann zwar verboten werden, jedoch nicht unter dem Vorwurf, sie sei extremistisch, sondern dann, wenn sie zum Ziel hat, die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu beseitigen. Somit ist Extremismus ein abgeleiteter Arbeitsbegriff. Rechtsextremismus bejaht Nationalismus, Rassismus, autoritäres Selbstverständnis und die Ideologie einer Volksgemeinschaft.
In Politik- und Geschichtswissenschaft ist Rechtsextremismus eher als ein Sammelbegriff zu sehen mit verschiedenen Merkmalen wie
- übersteigertem Nationalismus,
- Anti-Liberalismus (leugnen von Freiheits- und Gleichheitsrechten des Menschen),
- Anti-Parlamentarismus (sich gegen demokratische parlamentarische Systeme aussprechen),
- dem Leitbild einer homogenen Volksgemeinschaft.
Festzuhalten bleibt, dass der Rechtsextremismus viele Erscheinungsformen kennt (Parteien, Einzelpersonen, Kameradschaften), die sich manchmal nur schwer eindeutig identifizieren lassen, da es keine feststehende gemeinsame Ideologie gibt.
Entwicklungen und Organisationsformen in Deutschland: von Parteien bis Skinheads
Um einen Einblick in Entwicklungen des Rechtsextremismus in Deutschland zu gewinnen, betrachten wir die jüngere Geschichte ab der Wiedervereinigung 1989/90. In den Medien wird Rechtsextremismus häufig als rein oder primär ostdeutsches Problem dargestellt, was aber nicht der Realität entspricht. Ostdeutscher Rechtsextremismus findet nur mehr Erwähnung, weil er gewaltbereiter ist als der westdeutsche.
Nach Zahlen des Bundesministerium des Innern (vgl. Stöss 2005, S. 100 ff.) war die Mitgliederzahl im organisierten Rechtsextremismus zum Zeitpunkt der Wiedervereinigung (1990) mit 50.000 Personen auf einem relativ hohen Niveau. Diese Zahl bezieht sich nur auf die alten Bundesländer. Im Jahr 1993 kam es dann zu einem gesamtdeutschen Höchstwert mit 65.000 Personen. Im Zeitraum 1993 und 2003 folgte ein bundesweiter Rückgang der Mitgliederzahlen um ein Drittel.
Die Republikaner und die DVU waren davon am meisten betroffen, sie verloren fast die Hälfte ihrer Mitglieder. Die Mitgliederzahl der Republikaner sank von 20.000 Mitgliedern 1992 auf 8.000 im Jahr 2004. Ein ähnliches Bild zeigt sich auch bei der DVU, dort gehen im gleichen Zeitraum die Mitglieder von 26.000 auf 11.500 zurück. Teilweise wandern diese Mitglieder in „sonstige Organisationen“ und in unorganisierte Subkulturen (meist gewaltbereite Neonazis) ab. Die Mitgliederzahlen der „Sonstigen“ steigen zwischen 1992 und 2003 von 4.500 auf 7.600 Personen. Die Mitglieder der Subkulturen (vor allem Skinheads und gewaltbereite unorganisierte Neonazis) wachsen von 6.400 auf 10.000 im selben Zeitraum. Die Zahlen beziehen sich auf Angaben des Bundesamtes und der Landesämter für Verfassungsschutz.
Zusammenfassend ist vor allem erkennbar, dass die Anzahl der Rechtsextremen in Organisationen abnimmt, der Rechtsextremismus selber sich aber von systemkonformen Organisationen zu systemfeindlichen verschoben hat.
Die Entwicklungen in West- und Ostdeutschland lassen sich in zwei Etappen aufteilen: In der ersten Etappe war im Westen ein Schwerpunkt des organisierten Rechtsextremismus, dort erreichten sie bessere Wahlergebnisse und hatten ein größeres rechtes Einstellungspotential. Im Osten war eher ein subkultureller Rechtsextremismus zu beobachten, in dem vor allem Neonazis einen großen Einfluss hatten.
In der zweiten Etappe, ab Mitte der 1990er Jahre, verändert sich das Bild. Im Osten erzielten rechte Parteien bessere Wahlergebnisse. Erklärt wird das in der Regel damit, dass der anfängliche Zukunftsoptimismus der Ostdeutschen enttäuscht und von einer Politik- und Systemverdrossenheit, gepaart mit einer eher anti-westlichen Einstellung, verdrängt wurde. Diese Entwicklungen boten auch Subkulturen fruchtbaren Boden, wie zum Beispiel der Skinhead-Szene, die wie keine andere für die ganze rechte Szene steht.
Sie entstand als Gegenbewegung zur Punk-Szene mit eigenem Lebensstil, jedoch wurden ihre äußeren Erkennungsmerkmale im Lauf der Zeit von der Modeszene übernommen. Niemand, der eine Glatze hat oder Springerstiefel trägt, ist deshalb als Skinhead zu identifizieren. Kennzeichnend ist die Orientierung: rassistisch, autoritär, pro-nazistisch, antisemitisch. Nach Gewalteskalationen Anfang der 1990er und der damit verbundenen gesellschaftlichen Reaktionen änderten die Subkulturen ihren Aktionsraum und richteten sich auf die Musikszene aus. Konzerte und Tonträger erwiesen sich als das Medium, um neue Jugendliche für die Szene zugewinnen. Zu den Konzerten wurde durch Mund-zu-Mund-Propaganda und mit SMS eingeladen. Bald gründeten sich eigene Produktions- und Vertriebsfirmen für die rechten Bands. Als wichtigstes Kommunikationsmittel dienten zu dieser Zeit Fanmagazine, die auf den Konzerten und per Post verteilt wurden. Die rechtsextremen Parteien standen den Skinheads eher ablehnend gegenüber. Aber es gibt neonazistische Organisationen, wie die Jugendorganisation der NPD, die halfen, diese Konzerte zu organisieren und Räumlichkeiten zu finden. An den Rändern der Organisationen gibt es Überschneidungen in beide Richtungen.
Spielte in den 1990er Jahren Musik die wichtigste Rolle, um neue Mitglieder zu gewinnen und rechtsextremes Gedankengut zu verbreiten, tritt an diese Stelle im 21. Jahrhundert das Internet und vor allem die Plattformen und Sozialen Netzwerke des Web 2.0.
Rechtsextremismus im Web 2.0 von YouTube bis Dating
Das Angebot an rechtsextremen Seiten im Internet ist groß, nach Angaben von jugendschutz.net aus dem Jahr 2011 wurden ca. 1.600 Seiten beobachtet. Einen großen Teil machen Kameradschaftsseiten und Seiten der NPD aus. Das Löschen von rechtsextremen Inhalten ist schwierig, wenn die Internetseite im Ausland gehostet wird. Dann hängt es von der Gesetzeslage des jeweiligen Landes und von den Nutzungsbedingungen des Providers ab. Das nutzen die Rechtsextremen für sich. Bei großen Plattformen wie YouTube und Facebook gelten die rechtlichen Bedingungen der USA, in denen rechtsextreme Äußerungen (teilweise) von dem Grundrecht auf „free speech“ gedeckt sind. Die verschiedenen Seiten und Taktiken sollen im folgenden kurz vorgestellt werden, um einen Überblick über die Bandbreite zu bekommen.
Videoplattformen: YouTube
YouTube wird von der rechtsextremen Szene in verschiedenster Form benutzt. Zum einen werden von den Parteien und einzelnen Mitgliedern vor allem Mitschnitte von Parteitagen oder Wahlwerbung online gestellt, die mal mehr, mal weniger offensichtlich rechtsextreme Botschaften in sich tragen. Jedoch kommt man von diesen, anfänglich harmlos anmutenden Seiten durch die vorgeschlagenen weiteren Videos relativ schnell auf Musikvideos von rechtsextremen Bands und auf Videos mit alten Volksliedern als Hintergrundmusik.
Bei diesen Videos gilt es vor allem, die Kommentare unter den Videos zu beachten, wo mit offensichtlich rechtsextremen, antisemitischen und nationalistischen Kommentaren nicht gespart wird. Dazu gehören Videos der Bands „Leger des Heils“ oder „Landser“. Zum anderen gibt es auch Videos, die vor allem die Neugier wecken sollen. Dazu zählen Videos der Aktion „werde unsterblich“, die im Teil II dieser Reihe an Postings zum Rechtsextremismus im Web 2.0 eingehend betrachtet werden wird.
Das tückische an diesen Videos ist, dass man immer weiter in das braune Netz eintaucht. Man kommt von zunächst nur faszinierenden Videos schnell zu Videos mit offensichtlich rechtsextremen Botschaften, sei es in den Kommentaren darunter oder in den Videos selber.
Kameradschaftsseiten
Die Kameradschaftsseiten sind nur schwer über Suchmaschinen zu finden. Es gibt eine große deutschlandweite Seite „Widerstand.info - Das nationale Infoportal seit 2002" (http://www.widerstand.info/). Dort werden Artikel von anderen Kameradschaftswebsites übernommen, aber auch redaktionelle Beiträgeveröffentlicht. Außerdem gibt es eine Übersicht zu Veranstaltungen und Demonstrationen und ein rechtsextremes Internetradioprogramm sowie ein Ranking der rechtsextremen Internetseiten.
Soziale Netzwerke: Facebook, Twitter und Netzwerk Rechts
Diese Seiten nutzt die Szene, um für Szeneereignisse wie Konzerte und Aufmärsche zu werben oder dazu aufzurufen, aber auch um Jugendliche anzuwerben und ihr Material kostenlos zu verbreiten. Meist werden Themen wie Kinderschutz und Umweltschutz eingesetzt, um vielen Nutzern ein spontanes „gefällt mir“ zu entlocken. Bei den Konzerten und Aufmärschen wird durch Bilder und den Aufruf zu Rebellion das Interesse der jungen User geweckt. Ein Beispiel für eine solche Seite ist „Keine Gnade für Kinderschänder“. Auch die Parteien nutzen Facebook und Twitter. Die Seiten sehen zunächst harmlos aus. Sie sind oft sehr ansprechend und professionell gestaltet, erst bei genauerem Hinsehen erschließt sich einem der rechtsextreme Inhalt. Ein Beispiel ist das Facebook-Profil von Frank Franz (https://www.facebook.com/frankfranz.2), Bundessprecher der NPD, der mit professionellen Bildern und Slogans wie „Für mehr Demokratie“ auf sich aufmerksam macht. Der Vorteil von sozialen Netzwerken ist, dass die User schnell und immer aktuell über Konzerte, Aufmärsche und sonstige Aktionen informiert werden können. Die verschiedensten Szene-Internetseiten sind auch auf den großen Netzwerken mit einem Profil vertreten, zum Beispiel „Widerstand.info“ oder „Werde unsterblich“.
Ein spezielles Angebot bietet die rechtsextreme Dating-Seite „Odins Kontaktbörse“ (http://admintom.alfahosting.org/odin/), um eine gezielte Partnersuche unter Gleichgesinnten zu ermöglichen. Dabei ist zu beobachten, dass auch immer mehr rechtsextreme Frauen die Seite nutzen. Dort sind beispielsweise solche Gesuche zu finden:
Patrick, 20: „Ich bin ein Kerl, der für seine Rasse, sein Land und seine Überzeugung alles tun würde. Ich suche eine Partnerin mit gleichen Ansichten, im Idealfall ein hübsches deutsches Mädel mit Verstand, Witz und Charme.“
Karo: „Familie und Kameraden gehen bei mir über alles. Bin stolz, deutsch zu sein. Wer mehr erfahren möchte, kann gerne schreiben.“
Online-Versandhändler
Die Anzahl der rechtsextremen Versandhändler, die von jugendschutz.net beobachtet werden, liegt bei 164. Sie vertreiben CDs, Kleidungsstücke, Poster und sonstige „Lifestyle-Produkte“ der rechten Szene. Platzhirsch ist der Versandhandel thorsteinar.de (http://www.thorsteinar.de/), aus dessen Internetpräsenz die Gesinnung nicht (unmittelbar) erkennbar ist. Für Außenstehender ohne Kenntnis über die Szene ist die Marke nicht ohne weiteres als rechtsextreme Marke erkennbar. Die Seite ist sehr jung und hell gestaltet mit vielen professionellen Fotos von Models am Strand. Sie wirkt wie die Seite einer angesagten neuen Kleidungsmarke. Auf den meisten Kleidungsstücken ist entweder der Name „Thor Steinar“ oder „nordic souls“ zu lesen. Die Marke wird von Rechten für Rechte vertrieben.
Der „Wikinger Versand“ (http://www.wikingerversand.com/) vertreibt im Internet vor allem Tonträger von rechten Bands, aber auch Band-T-Shirts, Bücher und Dekorationsartikel. Diese Internetpräsenz ist weniger aufwändig gestaltet und der rechte und völkische Hintergrund ist relativ schnell erkennbar, zum Beispiel können Poster von Wehrmachtssoldaten oder Fahnen wie die Reichskriegsfahne bestellt werden.
Blogs
Mit den Blogs werden verschiedene Gruppen von Jugendliche angesprochen. Es gibt Blogs, die sich speziell an Mädchen richten und deshalb entsprechend niedliche,weibliche Symbole und Farbgebungen verwenden, wie „Hello Kitty“. Die Blogs stellen vermehrt auch Bezüge zu anderen Jugendkulturen her, wie zum Beispiel der Graffiti-Szene. Häufig stellen sie sich selbst in die Opferrolle und verwenden Abkürzungen, Codes und Insider-Symbole, wie die Fahne im Kreis, die vorher ein Symbol der Linken war, sich jetzt aber weit verbreitet hat in der rechten Szene. Die Symbole sind ein Hinweis auf den rechtsextremen Hintergrund der Blogs. Beispiele für rechte Blogs sind Straßenkunst.info (http://logr.org/strassenkunst/) und Autonome Nationalisten Sozialisten Storman (http://logr.org/ansstormarn).
Weiter zu Teil II: Gefahren, Verlockungen und Besonderheiten am Beispiel "Werde unsterblich"
Literatur
Stöss, Richard: Rechtsextremismus im Wandel, Friedrich Ebert Stiftung, Berlin 2005.
jugendschutz.net; Rechtsextremismus online - beobachten und nachhaltig bekämpfen - Bericht, Mainz 2012, http://www.jugendschutz.net/rechtsextremismus/index.html