Freitag, 17. Mai 2019

eTwinning - Akteure, Strukturen, Zusammenhänge

1. Erste Eindrücke
Chancen und Möglichkeiten. Userfreundlicher Aufbau. Vielfältige und bunte Informationen. Bei meinen ersten Recherchen begegnete mir eTwinning auffallend einladend. Glaubt man der Aufmachung, dann scheint es das EU-Erfolgsmodell in den Bereichen Austausch und Bildung für die allgemeinbildenden Schulen in Europa zu sein. Eine Online-Plattform, von „Europa“ organisiert, die Menschen international zusammenführt und den Unterricht spannender und erfolgreicher macht. Als Lehrkraft kann man sich fortbilden, ist international vernetzt, es gibt virtuelle Gesprächsräume und viele bereichernde Möglichkeiten für Schüler. Der User findet schnell Zugang. Er wird überzeugt und kann relativ unproblematisch loslegen. Aber welche Struktur steckt dahinter? Bei tieferen Recherchen wurde ich zunehmend verwirrter über institutionelle Zuständigkeiten und organisatorische Abläufe. Wieso bekomme ich fast nur Informationen von öffentlichen Institutionen? Wieso gibt es so viele Akteure und wie hängen diese zusammen? Warum ist Kritik absolute Mangelware? Unweigerlich drängte sich mir da der Slogan der FDP im Bundestagswahlkampf 2017 ins Gedächtnis: „Digital First. Bedenken Second“ (vgl. taz.de). Da begebe ich mich doch vorsichtshalber auf die Suche und denke „Looks like shit, but saves my life“ (vgl. Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur 2019).

1.1 Worum es geht – Eckdaten zu eTwinning
eTwinning ist eine Maßnahme innerhalb des Programms Erasmus+. Sie wurde 2005 ins Leben gerufen, 2014 in Erasmus+ integriert und liegt somit in der Verantwortung der Europäischen Kommission (vgl. etwinning.net). Aus Sicht der Nutzer ist eTwinning eine Online-Community für europäische Lehrkräfte aller Jahrgänge, von der Vorschule bis zur Oberstufe weiterführender Schulen. Das Kernstück von eTwinning ist eine Online-Plattform, welche in 28 Sprachen zur Verfügung steht. Diese Plattform hat zwei Schwerpunkte: Die (int.) Vernetzung von Lehrkräften sowie die Möglichkeit, gemeinsam mit Schülern (int.) Projekte durchzuführen (vgl. ec.europa.de).
Aktuell sind rund 680.000 Lehrkräfte aus 204.000 Schulen in knapp 90.000 Projekte aus 44 Staaten involviert (vgl. etwinning.net). Hierzu zählen alle 28 Staaten der EU, acht weitere europäische Staaten sowie acht sog. eTwinning+ Länder zwischen Tunesien und der Ukraine. Letztgenannte Staaten können zwar an eTwinning, nicht aber an finanziell geförderten Erasmus+ Projekten teilnehmen und haben dadurch einen gewissen Sonderstatus (vgl. etwinning.net und etwinning.at). Die Ziele von eTwinning sind, (1) den interkulturellen Austausch zu fördern, (2) Fremdsprachenkenntnisse anzuwenden und zu erweitern sowie (3) den verantwortungsvollen Umgang mit digitalen Medien zu erproben (vgl. kmk-pad.org).

1.2 Ziele, Aufbau und grundsätzliche Definitionen
Aufgrund der fehlenden Klarheit über organisatorische Abläufe und Zusammenhänge motiviert mich die Verfolgung folgender Ziele:
1. Das System, in dem eTwinning sich organisatorisch befindet, zu veranschaulichen, um
2. daraus eventuelle strukturelle Stolpersteine und Chancen zu identifizieren.
3. Anhand dieser Erkenntnisse will ich Denkanregungen geben und
4. insgesamt dadurch das Wissen über die Abläufe in der EU vergrößern.
Um diesen Zielen im Umfang dieser Arbeit möglichst nahe zu kommen, muss ich wissen, welche Akteure beteiligt sind und wie diese miteinander in Verbindung stehen.
Ich nutze zunächst die Logik des sozialrechtlichen Leistungsdreiecks, welches in Leistungsträger (Gesetze/ Regeln, Verantwortung und Finanzier), Leistungserbringer (erhält Geld für professionelle Dienstleistung) und Leistungsempfänger (Rechtsanspruch auf Unterstützung) eingeteilt ist (vgl. veranltungmodern.de).
eTwinning steht zwar im europäischen Kontext, die Aufgaben und Verantwortungsverteilung weisen aber einige Parallelen auf: Es gibt öffentliche Initiatoren, es gibt eine Zielgruppe und es gibt Akteure, die die Leistungsanforderungen zielgruppengerecht umsetzen (sollen). Das was fehlt, ist der Rechtsanspruch, dieser existiert nicht, sehr wohl aber der Anspruch der europäischen Bürger, dass „die EU“ die demokratisch ausgehandelten Vorgaben der europäischen Verträge umsetzt. 
Diese Unterteilung gleiche ich mit der normativen, strategischen, taktischen oder operativen Rolle des jeweiligen Akteurs ab, um eventuelle Differenzen zu erkennen. Normativ steht hierbei für eine grundsätzliche, übergeordnete Richtschnur. Eine Strategie ist eine langfristige, umsichtige Planung und Vorgehensweise, schriftlich festgehalten in Verträgen mit anderen Akteuren oder in einem Strategiepapier festgelegt. Ein strategischer Blickwinkel umschließt mehrere Themenbereiche (z.B. Wirtschaft, Technologie, Soziales). Eine Taktik ist auf Mittelfristigkeit ausgelegt und notwendig, um einzelne Facetten einer Strategie in unterschiedlichen Maßnahmen umzusetzen. Im Gegensatz zu einer Strategie kann eine Taktik schneller an unvorhergesehene Situationen angepasst oder auch ganz aufgegeben werden. Eine Operation ist schließlich die direkte (kurzzeitige) Umsetzung einer Taktik, z.B. in Form eines Projekts. Ein Projekt geht also aus einer Taktik hervor, die sich neben mehreren Maßnahmen an einer Strategie orientiert, die sich wiederum an einer übergeordneten Norm orientiert. Dieser Abgleich von Leistungs- und Rollentypen, der in Kapitel 3 anhand einer Darstellung der Zusammenhänge visualisiert wird, ermöglicht es, verschiedene Standpunkte innerhalb von Systemen zu klären und eventuelle Stolpersteine aufzudecken.

2. Akteure, Strukturen und Zusammenhänge
Um nachzuvollziehen, wie eine Maßnahme funktioniert, was ihre Ziele sind und woraus ggf. systemische Stolpersteine entstanden sind, ist es wichtig zu verstehen, woraus sich eine Maßnahme entwickelt hat und in welche Strukturen sie eingebettet ist. Um die Akteure und Strukturen einzuordnen, kategorisiere ich nach folgendem Schema:
1. Normative Ebene: Orientierung an gemeinsamen Grundsätzen, die nicht in personeller, sondern in übergeordneter Vertragsform existiert.
2. Strategische Ebene: Initiatoren mit den Aufgaben der strategischen Planung, der (personellen und rechtlichen Letzt-) Verantwortung sowie der Finanzierung.
3. Taktische Ebene: Institutionen, die die strategischen Vorgaben in eine praktikable Form bringen (Schnittstelle). Da diese Form relativ schnell angepasst oder aufgelöst werden kann, besteht hier eine mittelfristige Auslegung.
4. Operative Ebene: Hier treffen die ausführenden Organe auf die Zielgruppe. 

2.1 Normative Ebene
Die Gesellschaft lässt sich anhand des sog. Sektorenmodells aufteilen. Neben dem Staat mit seinen öffentlichen Einrichtungen als Erstem Sektor (Ziele: Gleichheit, Verantwortung, Gesetze) und dem Markt mit seinen gewinnorientierten Unternehmen als Zweitem Sektor (Freiheit, Wettbewerb, Gewinnmaximierungsprinzip) gibt es den Dritten Sektor. Dieser Sektor ist weder staatlich noch gewinnorientiert. Einige Quellen beschreiben zudem einen vierten, den informellen Sektor (Solidarität, Reziprozität und Vertrauen). Dieser kommt ohne formelle Organisationsstrukturen aus (vgl. Arnold 2009, S. 391 und Andersen u.a. 2014, S. 7-8).
Dieses Sektoren-Modell hilft zu verstehen, was eine Organisation anstrebt. Damit aber das Zusammenspiel zwischen und innerhalb der Sektoren funktioniert, bedarf es ausgehandelter Regeln oder anders ausgedrückt Normen. Die oberste Norm in der BRD ist unser Grundgesetz. Es gibt kein legales Tun, das diesem widerspricht. Im kleineren Bereich, wie im Dritten Sektor auf Vereinsebene oder auch in einzelnen Schulen, gibt es etwas Verfassungsähnliches. Das wird dann Vereinssatzung oder Leitbild genannt. Wie der Name schon verrät, leiten sich für die jeweilige Organisation alle weiteren Maßnahmen quasi nach unten hin ab. Dies ist eine interessante Errungenschaft und auch philosophisch ein bemerkenswerter Schritt. Einige Firmen (Zweiter Sektor) formulieren allerdings auch Selbstverpflichtungen. Da aber die Kontrolle der Einhaltung nicht gesetzlich verfolgbar ist, liegt es an den Kunden, ob sie diesen Selbstverpflichtungen Vertrauen schenken.

Normative Ebene der EU
Trotz gemeinsamer Anstrengungen gibt es bis dato keine EU-Verfassung. Richtlinien und Verordnungen leiten sich lediglich von den Grundlagenverträgen ab. Die EU baut, laut eigener Aussage, auf den Zielen und Werten auf, die im Vertrag von Lissabon (auch schlicht EU-Vertrag genannt) und in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union festgeschrieben sind (vgl. europa.eu). Für diese Arbeit ist auf normativer Ebene der zweite Artikel „Werte“ des EU-Vertrags (aktuell der Lissabon-Vertrag von 2007 / Konsolidierte Fassung 2016) relevant: „Die Werte, auf die sich die Union gründet, sind die Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung der Menschenrechte einschließlich der Rechte der Personen, die Minderheiten angehören. Diese Werte sind allen Mitgliedstaaten in einer Gesellschaft gemeinsam, die sich durch Pluralismus, Nichtdiskriminierung, Toleranz, Gerechtigkeit, Solidarität und die Gleichheit von Frauen und Männern auszeichnet“ (Art. 2 EU-Vertrag) (vgl. eur-lex.europa.eu).

2.2 Strategische Ebene – Organe der EU
Die EU ist ein historisch gewachsener Verbund von aktuell 28 Staaten (vor Brexit). Über die Verträge haben sich heute sieben Organe herausgebildet, welche die politischen Mechanismen regeln. Diese sieben Organe sind der Europäische Rat, der aus den Staats und Regierungschefs der Mitgliedsstaaten besteht, der Gerichtshof der EU, die Europäische Zentralbank sowie der Europäische Rechnungshof. Für diese Arbeit zählen aber vorrangig die EU-Kommission, der Rat der EU sowie das EU-Parlament (vgl. Andersen u.a. 2014, S. 8).

Die Europäische Kommission
Jede Regierung der Mitgliedstaaten entsendet ein Kommissionsmitglied (Kommissar), woraus der amtierende Kommissionspräsident die Kommission zusammenstellt und diese dem Parlament zur Genehmigung vorschlägt. Jeder Kommissar ist für ein bestimmtes Ressort zuständig. Die Kommission ist wesentlich an der strategischen Ausrichtung der EU beteiligt. Sie schlägt den anderen Organen (Rat und Parlament) neue Rechtsvorschriften und Strategien vor und überwacht deren Umsetzung (vgl. ec.europa.eu). Zudem initiiert sie Förderprogramme und erarbeitet und verwaltet den jährlichen Haushaltsplan, welcher vom Rat und dem Parlament genehmigt werden muss (vgl. ebd.). Die unterschiedlichen Ressorts, die Generaldirektionen genannt werden, können sich bei jeder neuen Kommissionsbildung entsprechend veränderter Situationen und Entwicklungen anpassen, verbinden oder ganz auflösen. Die für diese Arbeit relevante Generaldirektion „Bildung, Kultur, Jugend und Sport“ ist seit 2014 unter der Leitung des Ungarn Tibor Navracsics. Aus dieser Generaldirektion entspringt quasi das Erasmus+ Programm (peripher sind auch die Kommissare für Wissenschaft und Forschung, Mehrsprachigkeit sowie Informationsgesellschaft und Medien beteiligt) (vgl. ebd.). Über Mittelverwendungen kann die Kommission nicht selber entscheiden, sie braucht dafür die Einwilligung von anderen Organen, insbesondere des Parlaments.

Der Rat der EU (Rat oder Ministerrat)
Den Vorsitz des Rats hat jeweils ein EU-Mitgliedstaat für ein halbes Jahr. Der Rat tagt aufgrund der unterschiedlichen Politikbereiche in unterschiedlichen Zusammensetzungen, sog. Ratsformationen. Jede Formation setzt sich aus je einem Vertreter (Minister oder dessen Beauftragter) pro Mitgliedstaat aus dem entsprechendem Ressort zusammen. Aktuell gibt es zehn verschiedene Ratsformationen zu unterschiedlichen politischen Themenfeldern. Für diese Arbeit ist der Rat für Bildung, Jugend, Kultur und Sport relevant. Diese Ratsformation hat, anders als einige andere Räte, lediglich eine unterstützende Zuständigkeit, da die legislative Verantwortung im Bildungsbereich bei den Mitgliedsstaaten liegt. In der BRD ist dies bekanntermaßen auf Landesebene geregelt, also verteilt auf die 16 Bundesländer (vgl. ebd.). Der Rat "Bildung, Jugend, Kultur und Sport" nimmt einerseits EU-Empfehlungen zur nationalen Umsetzung an. Er kann aber auch selber Akzente setzen, z.B. in Form von Initiativen wie z.B. Veränderungen am Programm Erasmus+ (vgl. consilium.europa.eu). Bei den Ratstagungen ist auch die Europäische Kommission durch ihr für Bildung, Jugend und Sport zuständiges Mitglied vertreten (vgl. ebd.). Neben dem Parlament hat auch der Rat die Aufgabe, Förderprogrammen, die die Kommission initiiert, zuzustimmen (oder abzulehnen), da es hierbei um die Verwendung von Mitteln des EU-Haushalts geht (vgl. ec.europa.eu).

Das Europäische Parlament (EP)
Das EU-Parlament ist das einzige Organ der EU, über dessen Zusammensetzung die Bürger Europas durch Wahlen direkt bestimmen können. Das Parlament hat vor allem drei Aufgaben: Gesetzgebung, Aufsicht, Haushalt. Das Parlament verabschiedet z.B. EU-Rechtsvorschriften, die in Zusammenarbeit mit dem Rat der EU (Ministerrat) auf der Grundlage von Vorschlägen der Europäischen Kommission entstanden sind. Eine weitere wichtige Aufgabe ist die Prüfung der Arbeitsprogramme der Kommission sowie die Kontrolle der anderen EU-Organe. Zudem wählt das Parlament den Präsidenten der EU-Kommission und segnet deren Zusammensetzung ab (Kommissare). Die dritte wesentliche Aufgabe betrifft die Aufstellung des Haushaltsplans. Gemeinsam mit dem Rat der EU stellt das Parlament den jeweiligen Haushaltsplan auf und muss zudem langfristige Investitionen wie u.a. Förderprogramme genehmigen (vgl. ebd.). Das EU-Parlament hat für verschiedene Themen unterschiedliche Ausschüsse, worin sich (spezialisierte) Abgeordnete zusammenfinden. Der für diese Arbeit relevante Ausschuss für Kultur und Bildung (CULT) ist quasi das Pendant zur Generaldirektion der Kommission und dem Rat für Bildung, Jugend und Sport des Ministerrats (vgl. europarl.europa.eu).

Strategische Dokumente
Wen die Recherche über eTwinning zu Erasmus+ führt, der stößt auch unweigerlich auf die folgenden Dokumente. Die soeben beschriebenen Organe haben untenstehende Strategien vereinbart, um die EU im normativen Sinne (EU-Vertrag) zu entwickeln. 
  • Europa 2020: Dies ist eine strategische Ausrichtung zur Förderung von Wachstum und Beschäftigung. Es beinhaltet europäische Konsensziele für die Themen Beschäftigung, Forschung und Entwicklung, Klimawandel und Energie, Bildung sowie Armut und soziale Ausgrenzung (vgl. ec.europa.eu). 
  • Strategischer Rahmen Education and Training 2020 (ET 2020): Hierbei handelt es sich um eine im Jahr 2009 beschlossene Strategie für die europäische Zusammenarbeit auf den Gebieten der allgemeinen und beruflichen Bildung bis 2020. Die Schwerpunkte sind hier: 1. die Verwirklichung von lebenslangem Lernen und Mobilität, 2. die Verbesserung der Qualität und Effizienz der allgemeinen und beruflichen Bildung, 3. die Förderung der Gerechtigkeit, des sozialen Zusammenhalts und des aktiven Bürgersinns sowie 4. Die Förderung von Innovation und Kreativität, einschließlich unternehmerischen Denkens, auf allen Ebenen der allgemeinen und beruflichen Bildung (vgl. kmk.org). 
  • EU-Jugendstrategie: Diese Strategie bildet den Rahmen für die jugendpolitische Zusammenarbeit in der EU von 2019 bis 2027. Das Potenzial der Jugendpolitik soll hiernach effizient genutzt werden, indem die Beteiligung der Jugend am demokratischen Leben und ihr soziales und bürgerschaftliches Engagement gefördert wird. Alle jungen Menschen sollen die Möglichkeit erhalten, sich in die Gesellschaft einzubringen. Die Schwerpunkte der EU-Jugendstrategie sind auf Beteiligung, Begegnung und Befähigung von jungen Menschen ausgerichtet. Diese Strategie wurde im Dialog mit der Zielgruppe erstellt. Die Ziele sind die Entwicklung und Verwirklichung „europäischer Visionen“ und somit die Einbindung junger Menschen in sektorenübergreifende Prozesse (vgl. ec.europa.eu).
Dem aufmerksamen Leser wird auffallen, dass die erwähnten Ziele dieser Strategien in Erasmus+ und somit in eTwinning wiederzufinden sind.

Das Programm Erasmus+
Zur Erfüllung dieser strategischen Dokumente bedarf es passgenauer Instrumente, auch Programme genannt. Eines dieser Instrumente, welches Querverbindungen zu den Dokumenten aufweist, ist das historisch gewachsene und dadurch immer wieder angepasste Programm Erasmus+. Erasmus startete 1987 noch ohne den Zusatz „+“ als Schüleraustauschprogramm und entwickelte sich über die Jahre immer weiter. Seit 2014 ist es das einheitliche EU-Programm, nun mit dem Zusatz „+“, zur Unterstützung der Bereiche „allgemeine und berufliche Bildung, Jugend und Sport“ in Europa. Es umfasst derzeit alle 28 EU-Mitgliedsstaaten sowie die Türkei, Nordmazedonien, Norwegen, Island und Liechtenstein (vgl. europarl-europa.eu). Erasmus+ betreibt zur optimalen und bürgernahen Umsetzung in jedem Teilnehmerland Nationale Agenturen. In Deutschland sind davon vier für die Umsetzung des Programms zuständig (vgl. erasmusplus.de). 

Ziele und Leitaktionen
Die spezifischen Ziele von Erasmus+ leiten sich von den oben beschriebenen EU-Verträgen und den davon abgeleiteten Strategien ab (vgl. kmk-pad.org). Im Wesentlichen bestehen hier die Ziele aus dem praktischen Erreichen von erfolgreicherer Aus- und Weiterbildung auf unterschiedlichen Ebenen, dem Austausch der Nationen untereinander, der Förderung europäischer Werte (Artikel 2 des Vertrags über die EU) und Sport. Die Zielgruppe ist „die Jugend“, wobei es hier keine harte Definition oder Abgrenzung gibt. Nun haben wir strategische Dokumente sowie ein gewachsenes Instrument zur Umsetzung. Beide Faktoren entwickeln sich gewissermaßen gegenseitig. Das bietet Flexibilität und Fortschritt, aber es entsteht auch ein Dickicht von sich stets verändernden Zielen und Organisationen. Um diesem Dickicht eine interne Organisation zu geben, die aber auch potentielle Leistungserbringer benötigen, wurde Erasmus+ in sog. Leitaktionen (La) strukturiert.
  • Die Leitaktion 1 betrifft hierbei die Lernmobilität von Einzelpersonen.
  • Die Leitaktion 2 zielt auf die europäische Zusammenarbeit zur Förderung von Innovationen und zum Austausch von bewährten Verfahren ab.
  • Leitaktion 3 verfolgt die Unterstützung politischer Reformen.
Unter diesen Leitaktionen subsumieren sich aktuell 18 einzelne Maßnahmen, wovon eine eTwinning darstellt. Es gibt zudem Projekte und Maßnahmen, die mehrere Leitaktionen bedienen und verbinden, wie es z.B. bei School-Education-Gateway (SEG) der Fall ist (La1 und La2), (vgl. erasmusplus.de und eun.org). Für diese Arbeit ist insbesondere die Leitaktion 2, die sog. Wissensallianzen von Bedeutung, da eTwinning hier schwerpunktmäßig angegliedert ist. Diese Leitaktion hat zum Ziel, bestehende Allianzen und strategische Partnerschaften zu unterstützen und den Kapazitätenaufbau zu fördern.
„Die Leitaktion soll die Entwicklung, den Transfer und/oder die Einführung innovativer Verfahren auf organisatorischer, lokaler, regionaler, nationaler oder europäischer Ebene fördern.“ (vgl. ec.europa.eu).
Von dieser Leitaktion erwartet sich die Kommission eine Menge Vorteile für die Zukunft, was Rückschlüsse auf das strategische Handeln zulässt. Exemplarisch nenne ich nur für die Teilnehmenden: eine größere digitale Kompetenz, qualifiziertes Unternehmertum sowie die aktive Beteiligung an der Gesellschaft. Auf Systemebene werden exemplarisch folgende Wirkungen erwartet: mehr Spitzenleistung und bessere Chancen für Benachteiligte in den Bereichen der allgemeinen und beruflichen Bildung, engere Verbindungen zur Wirtschaft und Gesellschaft sowie die bessere Vermittlung und Bewertung von Basis- und Querschnittskompetenzen, insbesondere unternehmerischer Kompetenzen (vgl. ebd.).

Zukunftsperspektiven
Die EU-Kommission nimmt sich vor, mehr junge Menschen über eine EU-Bildungsförderung zu stärken und schlägt dem Parlament (Finanzierung) und dem Ministerrat (nationale Einbindung) vor, das Budget deutlich zu erhöhen. Nach den Vorstellungen der Kommission soll es für die Bürger selbstverständlich werden, in einem anderen europäischen Land als dem eigenen zu leben, zu lernen oder zu arbeiten. Erasmus+ soll in Zukunft einen wesentlichen Beitrag zur Stärkung der europäischen Identität und zu einer demokratischen Union leisten. Gleichzeitig soll das neue Programm ein Baustein für mehr gesellschaftliche Teilhabe und Chancengleichheit sein (vgl. erasmusplus.de).
Am 13. März 2019 stimmte das Parlament zu, die weitere Finanzierung aller laufenden Erasmus+-Mobilitätsaktivitäten zu unterstützen, falls das Vereinigte Königreich die EU ungeregelt verlässt. Am 28. März hat das Europäische Parlament das Erasmus+-Programm für 2021 bis 2027 angenommen. Die EU-Abgeordneten schlagen der Kommission dabei einige Veränderungen vor. Dazu zählen, das Budget für den kommenden Zeitraum zu verdreifachen, die Teilnahme von Menschen mit geringeren Chancen zu fördern sowie eine stärkere Kofinanzierung und Zusammenarbeit mit anderen europäischen Programmen sicherzustellen. Allerdings muss der endgültige Text noch mit dem Rat in der nächsten Wahlperiode ausgehandelt werden (vgl. europaparl.europa.eu).

2.3 Taktische Ebene (Schnittstellenebene)
Wenn die strategische Ebene Entscheidungen trifft, dann besteht das bisherige Produkt erstmal nur aus Dokumenten. Nun kommt die taktische Ebene ins Spiel, welche dafür zuständig ist, diese Dokumente in eine praktisch anwendbare Form zu bringen.

Die Exekutivagentur Bildung, Audiovisuelles und Kultur
Die EU betreibt verschiedene Arten von Agenturen zur Umsetzung ihrer strategischen Ziele. Für diese Arbeit ist das Wissen um sog. Exekutivagenturen relevant. Diese werden direkt von der EU-Kommission gegründet und mit der Verwaltung (u.a. Kontrolle, Geld, Auswertung) von Förderprogrammen beauftragt. Im Falle von Erasmus+ ist die seit 2006 existierende Exekutivagentur Bildung, Audiovisuelles und Kultur (EACEA) von besonderer Bedeutung. Sie kooperiert eng mit anderen Dienststellen, da es oftmals Schnittstellen zwischen den Strategien gibt. Die EACEA verwaltet Mittel für die Bereiche Bildung, Kultur, Audiovisuelles, Sport, Bürgertum und Freiwilligentätigkeit. Aufgrund der Ausschreibungspraxis hängen hohe Verwaltungsaufgaben an dieser Agentur. Sie ist quasi der Architekt, der vom Bauherrn (Kommission) den Auftrag zur Umsetzung der Maßnahme bekommen hat. Zu den Aufgaben gehören beispielsweise das Ausarbeiten von Ausschreibungen und die Angebotsbewertung, die Auswahl von Projekten und Unterzeichnung von Projektvereinbarungen, die Pflege enger Kontakte mit den Begünstigten sowie die Projektüberwachung. Zudem erstellt sie Informationen zur Unterstützung von Antragstellern und Begünstigten und arbeitet der EU-Kommission bei Politikmaßnahmen zu (vgl. eacea.ec.europa.eu und ec.europa.eu). In unserem Falle ist es so, dass die EACEA im Auftrag der Kommission die Ausschreibung im Rahmen von Erasmus+ für eTwinning durchgeführt hat. Hierbei ging es zunächst um die Suche nach einer zentralen Stelle, die die noch kommenden Praktiker koordiniert. Den Zuschlag hat die Organisation „European Schoolnet“ erhalten. Die EACEA ist eine Leistungserbringerin, die die strategischen Programme auf der taktischen Ebene verarbeitet.

European Schoolnet (EUN)
European Schoolnet ist ein 1997 gegründetes gemeinnütziges Netzwerk von 34 europäischen Bildungsministerien. Die Organisation strebt danach, Bildungsministerien, Schulen, Lehrer, Forscher und Industriepartner zusammenzubringen und dadurch innovative Wege im Lehren und Lernen anhand neuer Technologien zu erkunden. EUN hat eigene strategische Ziele festgelegt, die im Wesentlichen auf Austausch, Kooperation und den neuen Medien beruhen. Deutschland ist kein Mitglied des Verbundes, hat aber einen Beobachterstatus. Um die Ziele zu erreichen und Mittel zu generieren, kooperiert EUN mit öffentlichen Stellen wie der EU, z.B. über Erasmus+, aber auch mit Wirtschaftsakteuren (Zweiter Sektor), deren originäres Ziel ja die Gewinnmaximierung ist. Hierunter befinden sich Firmen wie Dell, Lego und Google. Beispielsweise finanziert Google die EUN Projekte „Web We Want“, „Stem Alliance“ sowie „Future Classroom Lab“. EUN „verwirklicht“ zudem die Erasmus+-Maßnahme eTwinning sowie das oben bereits kurz erwähnte School-Education-Gateway (SEG). SEG ist in 23 Sprachen verfügbar und ein direkter Partner von eTwinning und unterstützt vor allem Lehrer durch die Bereitstellung und Verknüpfung aktueller Informationen und Tools (vgl. eun.org und schooleducationgateaway.eu).

Zentrale Koordinierungsstelle (CSS) als Teil von European Schoolnet
Die Zentrale Koordinierungsstelle wurde von EUN gegründet, um eTwinning umzusetzen. Auf europäischer Ebene ist dieser Unterstützungsdienst verantwortlich für die eTwinning-Online-Plattform. Zudem organisiert die CSS spezifische Schulungen für Lehrkräfte und koordiniert zusammen mit der EU-Kommission über die Exekutivagentur (EACEA) das Netzwerk der nationalen Unterstützungsdienste. Aufgrund der organisatorischen Nähe zum „Endverbraucher“ vergibt die CSS an Teilnehmende der eTwinning-Maßnahme Auszeichnungen wie europäische Qualitätssiegel, eTwinning Awards und kürt sog. eTwinning Schulen (vgl. eun.org). Die CSS ist ein taktischer Akteur und Leistungserbringer, der zur operativen Ebene beiträgt.

Freunde von eTwinning ist ein von der CSS organisierter Verbund namhafter externer Organisationen ohne Profitmaximierungsabsichten. Diese haben sich bereit erklärt, eine Reihe von Aktivitäten zur Förderung aller Beteiligten durchzuführen. Sie tauschen bewährte Verfahren aus, bieten Lehrmaterial an und verbreiten Erfolge von eTwinning-Projekten in ihrem Geltungsbereich (vgl. etwinning.net).

Nationale Agenturen
Will die EU auf nationaler Ebene niederschwellige Zugänge für Bürger ermöglichen, dann bietet es sich an, direkt oder auch indirekt über Partner vor Ort vertreten zu sein. Im Falle von Erasmus+ wird dies anhand sogenannter Nationaler Support Services (NSS) umgesetzt. Dabei handelt es sich um Organisationen des ersten und/oder dritten Sektors, die die Maßnahmen von Erasmus+ mit den jeweiligen nationalen Begebenheiten verknüpfen. Sie koordinieren, verwalten die Mittel, informieren vor Ort über Erasmus+, überwachen Projekte, evaluieren Ergebnisse, verleihen Preise, organisieren nationale Fortbildungen, regen Innovationen an und sind Ansprechpartner für Interessierte. Sie arbeiten der CSS zu und der CSS meldet weiter nach oben (vgl. ec.europa.eu). Die Aufgaben sind also vielfältig. Aufgrund des Facettenreichtums hat alleine Erasmus+ vier verschiedene Agenturen in der BRD: Der Deutsche Akademische Austauschdienst, die Nationale Agentur Bildung für Europa beim Bundesinstitut für Berufsbildung sowie Jugend für Europa (vgl. foerderdatenbank.de). Für das Programm eTwinning ist in der BRD der Pädagogische Austauschdienst der Kultusministerkonferenz (PAD) zuständig. Dieser wiederum ist ein Referat im Sekretariat der Kultusministerkonferenz, dem Zusammenschluss der 16 für Bildung, Wissenschaft und Kultur zuständigen Minister und Senatoren in Deutschland (vgl. kmk.org). Bei den oben bereits erwähnten eTwinning+-Staaten werden die nationalen Unterstützungsdienste Partner Support Agencies (PSA) genannt. Die NSS und PSA sind den Leistungserbringern zuzuordnen, da sie Mittel für Dienstleistungen erhalten. 

2.4 Operative Ebene 
Auf operativer Ebene finden sich vier wesentliche Elemente, die es zu nennen gilt: die Internetplattform als Werkzeug der EU im Klassenzimmer, die Kompetenz der Lehrerkräfte, das Engagement der Zielgruppe (Schüler) sowie die Kooperationen und Projekte. 

Die Internetplattform 
Das Kernstück von eTwinning ist die digitale Plattform. Diese hat einen öffentlichen, einen teilöffentlichen und einen privaten Bereich. Die Plattform ist in 28 Sprachen verfügbar. 

Öffentlicher Bereich: Besuchen Interessierte die Webseite www.eTwinning.net, so begegnen ihnen zunächst eine Vielzahl von grundlegenden Informationen darüber, wie man sich bei eTwinning einbringen kann. Diverse Vorteile und Möglichkeiten der Maßnahme werden aufgezählt und Anregungen für gemeinsame Projektarbeiten präsentiert (vgl. EUN 2017, S. 3). Für den nächsten Schritt muss man sich registrieren und dabei auch Daten wie das schwerpunktmäßige Schulfach und die gewünschte Arbeitssprache angeben. Daten, die darin unterstützen, potentielle Kooperations- und/oder Netzwerkpartner zu finden.

eTwinning Live: Nach der Anmeldung steht einem dieser teilöffentliche Bereich zur Verfügung. eTwinning Live ist die Schnittstelle der einzelnen Lehrkräfte mit der Community. Hier können sie Profile anlegen, einander finden, miteinander kommunizieren, bei Projekten zusammenarbeiten und auf nationaler und europäischer Ebene an organisierten Fortbildungen teilnehmen (vgl. ebd.). Die CSS bietet hierbei einen pädagogischen und technischen Helpdesk an. Zur Anregung von Ideen und zum Finden von Kooperationspartnern gibt es die Möglichkeit, mit einer Suchmaschine nach Schlagwörtern zu browsen (vgl. kmk-pad.org). Für Schüler ist dieser Bereich nicht gedacht. Zur genaueren Veranschaulichung empfehle ich die verlinkte Übersicht (pdf). Werden Kooperationspartner gefunden und einigt man sich auf ein gemeinsames Projekt, dann muss dieses zunächst von den nationalen Koordinierungsstellen genehmigt werden, woraufhin die Nutzer Zugang zum TwinSpace Arbeitsbereich erhalten. 

Twin Space: Wenn Lehrkräfte bei einem Projekt zusammenarbeiten, haben sie Zugriff auf diesen, nur für das jeweilige Projekt reservierten Arbeitsbereich (vgl. etwinning.net). Hier können sich auch Schüler einloggen. Die umfangreichen Gestaltungsmöglichkeiten kann ich im Rahmen dieser Arbeit nicht wiedergeben, sie sind aber in einem 100 Seiten starken Handbuch anschaulich und nachvollziehbar erklärt und unter folgendem Link downloadbar: https://publikationen.kmk-pad.org/etwinning-handbuch-der-twinspace/59395714.

Kompetenz der Lehrkräfte
Eine der zentralen Rollen bei der Umsetzung der Projekte haben die Lehrkräfte. Nur durch ihr Engagement, ihre Führungsqualitäten, Kooperationsbereitschaft sowie ihrem Durchhalte- und Durchsetzungsvermögen kann ein Projekt gelingen. Natürlich sind die Schüler ebenso gefordert, aber wie der Kapitän einer Schiffsbesatzung muss die Lehrkraft auch bei Gegenwind sicher navigieren können und die Mannschaft zusammenhalten. Gegenwind kann dabei z.B. von „Meutereiversuchen“ durch die Schüler, „Abwertung“ durchs Kollegium, rechtlichen Fragestellungen (z.B. Recht am eigenen Bild), Kritik durch Eltern oder Kooperationsprobleme aufkommen. Aber die Lehrkräfte werden nicht alleine gelassen. Sie können z.B. an Fortbildungen und Seminaren auf europäischer Ebene (über CSS) und nationaler Ebene (NSS) teilnehmen. Die eTwinning-Seite der deutschen NSS bietet umfängliche Unterstützung, sei es bei Fragen zum Aufbau der Website, über Verlaufspläne, Standardformulare bis hin zu rechtlichen Hinweisen, wie sie z.B. beim Umgang mit persönlichen Daten notwendig sind (vgl. kmk-pad.org). Zudem können Sie an virtuellen eTwinning-Gruppen teilnehmen. Hier treffen sich eTwinner und können über bestimmte Themen oder Interessengebiete diskutieren. Es gibt z.Zt. 14 sog. Fokusgruppen, die von der CSS koordiniert und von erfahrenen eTwinnern moderiert werden (vgl. etwinning.net).

Engagement der Schüler
Die Schüler sind zugleich das schwächste und stärkste Glied in der langen Organisationskette. Abgesehen von den Vernetzungsmöglichkeiten der Lehrkräfte ist die gesamte Organisation auf sie ausgerichtet. Es wird dabei ein denkbar niederschwelliger Zugang ermöglicht. All die Ziele, die von der normativen über die strategische und taktische Ebene kommen (Teamfähigkeit, IT-Kenntnisse, europäische Inklusion, Wirtschaftskompetenzen, Bürgertum, Kulturbewusstsein und -ausdruck, Sozialkompetenzen und Lernerfolge, Sprachkompetenzen und weitere), münden nun im virtuellen Klassenzimmer (vgl. ebd.). Machen die Schüler mit, kann die Maßnahme ein Erfolg sein und einen nachhaltigen Mehrwert für sie haben (vgl. Ziele aus 1.1: interkulturelle Kompetenzen, Fremdsprachenkenntnisse, Umgang mit digitalen Medien). Verweigern sich die Schüler, dann kann sich ggf. auf Ursachensuche gemacht werden. Umsonst war eTwinning dann aber trotzdem nicht, denn eine Auswertung hat immer einen Mehrwert, und auch ohne Schülerbeteiligung bietet eTwinning den Lehrkräften ja vielfältige Möglichkeiten.

Kooperationen und Projekte: Hier ist zu unterscheiden zwischen der reinen Vernetzung von Lehrkräften auf eTwinning Live oder bei Projekten im TwinSpace. Auf eTwinning live ist es möglich, Partner auf nationaler oder internationaler Ebene zu finden. Den Projekten im TwinSpace sind kaum Grenzen gesetzt und es bieten sich unzählige Möglichkeiten. Ein Stolperstein, bei dem auch die EU keine schnelle Abhilfe schaffen kann, sind eventuelle Sprachbarrieren (vgl. ebd.).

3. Visualisierung der Zusammenhänge
Um einen Blick aus der Metabene auf die Akteure und Strukturen zu erhalten, hilft es, die Zusammenhänge zu visualisieren. Dies ist eine Technik, um Stolpersteine aber auch konstruktive Verbindungen leichter zu identifizieren. Ohne näher darauf einzugehen, habe ich den Baustein „Wähler“ mit in die Grafik aufgenommen, als Denkanregung.

(visualisierte Zusammenhänge. Eigene Darstellung)

3.1 Interpretation der Daten
Bei genauerer Betrachtung zeigen sich Auffälligkeiten, die ich kurz beschreiben will. Natürlich ist eine tiefergehende Interpretation der visualisierten Zusammenhänge möglich, doch ich beschränke mich in dieser Arbeit auf zwei mir wesentlich erscheinende: 1. Der Gefahren und Stolpersteine eines so umfangreichen Netzwerkes sowie 2. die Mehrfachrolle der operativ agierenden Lehrkräfte als Leistungsträger. 

3.2 Gefahren und Stolpersteine – Aufwand-/Nutzen-Verhältnis
Bei der ersten Betrachtung der visualisierten Zusammenhänge mag man ins Grübeln kommen, ob der ganze Aufwand für diese Maßnahme gerechtfertigt ist. Aber diesem Gedanken liegt ein Irrtum zugrunde, denn das ganze System ist ja nicht für eTwinning aufgebaut, eTwinning ist vielmehr ein einzelnes Produkt von vielen Produkten des Systems. Dennoch sind sehr viele Stellen mit eTwinning direkt oder indirekt beschäftigt, was unweigerlich hohe Personal- und Folgekosten mit sich bringt. Ob das nun hohe oder geringe Kosten für die erreichten und potentiell erreichbaren Schüler sind, ist relativ. Hinzu kommt: Je mehr Akteure an einer Sache beteiligt sind, desto schwieriger ist es, diese an einen Tisch zu bekommen und befriedigende Entscheidungen zu treffen. 

Verwirrungen im Ablauf
eTwinning ist eine Maßnahme der Europäischen Kommission, die von anderen Akteuren umgesetzt wird. Sucht man detaillierte Informationen darüber, wer mit wem wie zusammenhängt, dann fällt es schnell auf, dass eTwinning zwar nutzerfreundlich gestaltet ist, die Zusammenhänge des Gesamtkonstruktes aber nirgendwo öffentlich zu finden sind. Das hat zur Folge, dass ein kritischer Blick hinter die Kulissen erschwert wird. Es wird zwar nichts direkt versteckt, aber es ist eben auch nicht sehr transparent. Die visualisierten Zusammenhänge verdeutlichen, dass es, je nach Standpunkt und Aufgabe, multiple Perspektiven gibt, wie man auf diese Maßnahme und das Gesamtprogramm schauen kann. Die Konsequenz ist, dass es unzählige Quellen von direkt oder indirekt beteiligten Akteuren gibt. Diese Quellen wurden zum Teil von der jeweiligen Organisation selber gestaltet, einiges aber scheint schlicht kopiert zu sein. Das führt zu Fehlerquellen und erzeugt Unübersichtlichkeit. Es kommt hinzu, dass Erasmus+ sich über die Jahre stetig entwickelt und verformt hat. Hier kommt es tatsächlich zu dem Problem, dass veraltete und nicht direkt zuordenbare Informationen im Netz kursieren und es so leicht zu Fehlinformationen kommen kann. Ein Beispiel hierzu ist, dass laut Förderdatenbank des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (indirekter Akteur) die Schwerpunkte des Programms die allgemeine und berufliche Bildung im Sinne des lebenslangen Lernens (auch Comenius genannt), Hochschulbildung (Erasmus), internationale Hochschulbildung (Erasmus Mundus), berufliche Aus- und Weiterbildung (Leonardo da Vinci), Erwachsenenbildung (Grundtvig), Jugend (Jugend in Aktion) sowie (Breiten-) Sport sind (vgl. foerderdatenbank.de). Diese Aussagen zu Comenius, Erasmus, Erasmus Mundus etc. stimmen aber so nicht. Diese Begriffe stellen keine einheitliche Projekt- oder Maßnahmekategorie dar. Aus diesem Grund sind die Begriffe auch auf vielen aktuellen Webseiten von Erasmus+ gar nicht mehr vertreten, in Seiten über Erasmus+ aber sehr wohl. Allerdings war Grundtvig ein 2000 eingerichtetes Förderprogramm der Europäischen Union. Dieses ist aber seit 2014 zusammen mit anderen EU-Austauschprogrammen in der Leitaktion 1 aufgegangen. Googelt man Grundvig, wird einem automatisch die Leitaktion 1 vorgeschlagen, ohne dass das Wort in dem Text vorkommt. Klug und dumm gleichzeitig. Erasmus Mundus wiederum ist zwar heute noch in Leitaktion 1 vertreten, was aber einer historischen Entwicklung geschuldet ist. Laut Leitfaden dienen diese Namenszusätze heute lediglich Marketingzwecken und dem Wiedererkennungswert (vgl. kmk-pad.org). Auch ich kann trotz aller Bemühungen nicht zu 100% ausschließen, bei dieser Arbeit in diese Falle getappt zu sein. Besser ist es aus meiner Sicht, bei gravierenden Veränderungen von Programmen statt, wie es hier der Fall ist, von Erasmus auf Erasmus+ zu wechseln, einen neuen Namen oder einen Namen mit dem Ende der Laufzeit des Programms zu wählen (z.B. Erasmus 2020). Zudem sind meiner Einschätzung nach aufgrund der fehlenden Transparenz klare Programmstrukturen und Zuordnungen erforderlich. 

Gefahren im Dickicht 
Viele Akteure bedeuten auch viele unterschiedliche Interessen. Und die vielen Vertreter dieser Interessengruppen haben viele USB-Sticks, die wie trojanische Pferde in IT-Systemen wirken können. Ein großes System hat also viele ungeschützte Eingangsportale zu den Daten von Lehrkräften und Schülern. Ein Beispiel: Die EU-Kommission hat ein (Finanzierungs-) Programm namens „CEF Telecom“ ins Leben gerufen. Hierüber sind diverse europäische Initiativen für ein sicheres Internet miteinander verzahnt (z.B. Klicksafe.de). Ein wesentlicher Akteur ist dabei auch European Schoolnet, die über die CSS eben auch eTwinning durchführt. Aber die EU ist hier nicht der einzige Finanzier, sondern insbesondere auch Google und Unitymedia. Auf Seite Eins eines innerhalb dieses Projekts entstandenen Handbuches danken die insafe-Autoren der EU-Kommission für deren Unterstützung aber auch für eTwinning und den Informationsaustausch. Ebenso wird eTwinning-Lehrern für die Kooperation gedankt und Google für die finanzielle Unterstützung (vgl. eun.org). Auch wenn es nirgendwo explizit steht, so kooperieren also die EU und Google spätestens über European Schoolnet miteinander und finanzieren dieselben Projekte. Explizit ist hier „Web We Want“ zu nennen, woraufhin auch das mit eTwinning verlinkte „School-Education-Gateway“ von European Schoolnet verweist. „Web We Want“ wird komplett von Unitymedia (Liberty Global) und Google finanziert. Die blanke Ironie, denn „Web We Want“ ist ein Handbuch „von jungen Leuten für junge Leute“ mit dem Ziel, die Online-Rechte und -Pflichten zu erkunden“ (vgl. schooleducationgateway.eu). Die Finanziers sind also „the world´s largest international TV & broadband company“ (vgl. libertygobal.com) sowie ein US- amerikanisches Unternehmen, welches vor allem wegen zwei Fakten arg in der Kritik steht: 1. kaum Steuern in der EU zu zahlen und zudem 2. eine der größten Datenkraken zu sein. Und niemand kann abschätzen, was mit den Daten noch passieren wird. Liberty Global und Google sind die weltgrößten Akteure in ihrem Bereich des Zweiten Sektors, mit dem originären Ziel der Profitmaximierung. Diese Verbindungen haben mindestens einen bitteren Beigeschmack. Dass auf  www.eTwinning.net in einem vorgestellten Projekt auf „Google doc“ verlinkt wird als einer Möglichkeit, Dokumente unkompliziert über Google zu erstellen und zu speichern, wirkt da schon fast nebensächlich. European Schoolnet ist aus dieser Perspektive eine Schnittstelle, die nicht ganz unbedenklich und mit gebotener Vorsicht zu genießen ist. Technische Unterstützung erweitert zwar das Möglichkeitsfeld, entbindet aber Lehrkräfte keineswegs von Verantwortung: Das Gegenteil ist der Fall. Zudem scheint es mir erwähnenswert, dass die vielen Eingangsmöglichkeiten natürlich auch von politischen Interessengruppen und Geheimdiensten genutzt werden können. Viele Akteure können natürlich durchaus auch viele Kompetenzen einbringen. Nicht zuletzt aus diesem Grund hat sich Erasmus+ so erfolgreich und umfangreich entwickelt. Sind erfolgreiche eTwinning-Projekte dem Einsatz der EU zu verdanken? Ich denke, zu einem hohen Anteil ja. Wäre eTwinning auch ohne die EU und die bürokratischen Abläufe realisierbar? Ich denke ebenfalls ja, aber nur, wenn es in der Hand von non-profit Organisationen umgesetzt werden würde. Aber: eTwinning bleibt ein einzelnes Produkt von vielen innerhalb des Erasmus+ Programms. Und ein so umfangreiches Programm mit dieser Infrastruktur ist m.E. ohne die europäische Zusammenarbeit kaum vorstellbar.

3.3 Die Mehrfachrolle der Lehrkräfte
Den Lehrkräften kommt bei der Maßnahme eTwinning eine Mehrfachrolle zu. Sie sind einerseits Leistungserbringer und zudem operativ tätig. Während bei allen anderen Akteuren das Verhältnis von Rollenebene zu Leistungstyp ausgeglichen ist, trifft dies bei Lehrkräften nicht zu. Das ist eine interessante Erkenntnis, denn es zeigt eine Art „direkte Mehrverpflichtung“ und zwar zum System sowie zu den Schülern. Im Alltag trifft man auf ähnliche Berufe wie z.B. Streifenpolizei, Sozialarbeiter oder Verkäufer. Auch sie sind operativ Tätige in einem sich verpflichtenden System. Lehrkräfte sind, neben dem eTwinning-System z.B. dem Kollegium und dem Land innerhalb ihres Beamtenverhältnisses verpflichtet. Sie müssen den kritischen Fragen der Eltern standhalten und sollen erfolgreichen und spannenden Unterricht gestalten. Hinzukommt, dass traurigerweise gerade die Lehrkräfte am ehesten vom Kollegium gemobbt werden, die sich erfolgreich engagieren (vgl. zeit.de). Es gibt dieses schwer greifbare Spannungsfeld zwischen Beamtentum und Engagement, zwischen motivierten Kollegen und Anecken als unbequemer Kollege, dem eigenen Ideal und der Bürokratie, was insgesamt zu Neid und Missgunsterfahrungen und schließlich psychischer Überlastung führen kann. Zudem braucht Engagement Zeit - Zeit, die viele Lehrer in der aktuell personell angespannten Situation oft nicht haben. Viele Anforderung also, aber die Maßnahme lässt die Lehrkräfte nicht alleine, sie bietet umfangreiche Informationen, Fortbildungen und Hilfestellungen. Ja, auch das erfordert alles Zusatzzeiten, die sich aber durchaus lohnen können, denn die Möglichkeiten, die eTwinning bietet, sind unbestritten vielfältig. Ich will damit niemanden abschrecken, es muss den Lehrkräften nur bewusst sein, und es erscheint ratsam, sich vorab mit dem beruflichen Umfeld abzusprechen bzw. die individuelle Lage entsprechend abzuschätzen und zu gestalten. Hierzu wird im übrigen, wenn auch mit anderen Worten „von eTwinning“ geraten (vgl. kmk-pad.org). 

4. Fazit
In dieser Arbeit habe ich die wesentlichen Akteure und Zusammenhänge (System) dargestellt und konnte dabei einige Vorteile, aber auch Stolpersteine benennen. Bei richtiger Zusammenarbeit kann etwas Großartiges entstehen. Auf EU-Ebene, aber auch auf Projektebene. Dennoch verfolgen unterschiedliche Akteure auch, je nach Sektor, Rolle oder Leistungstyp, verschiedene Interessen, was eine Verunreinigung nach sich ziehen kann. Dass indirekt auch Akteure des Zweiten Sektors mitkochen, ist m.E. unnötig riskant, denn das Verhältnis zum Datenschutz ist in den USA schlicht ein anderes. Und Daten sind „die neue Währung“. Das kann der EU aufgrund ihrer normativen Werte (Rechtsstaatlichkeit) oder auch schlicht aufgrund von missbrauchtem Vertrauen irgendwann auf die Füße fallen. Ferner ist zu erkennen, wie die normativen Werte und strategischen Ziele bis ins Klassenzimmer transportiert werden und wie dabei die strategischen, taktischen und operativ wirkenden Akteure zusammenarbeiten. Auch die Systemlogik ist m.E. nachvollziehbarer geworden, nur eben auch die Stolpersteine, wie sie in den Punkten 3.2- 3.3 beschrieben wurden. Aufgrund der gesammelten Erkenntnisse konnte ich diesbezüglich einige Denkanregungen geben, bei denen es mir wichtig erscheint, diese vor einer Teilnahme an eTwinning zu beachten. Als positiven Nebeneffekt konnte ich selber noch einiges über die Abläufe innerhalb der EU dazulernen. Wie man es auch dreht, eTwinning steht und fällt mit dem Engagement der Lehrer. Aber das ist ja eigentlich immer der Fall, warum sich also die zusätzliche Belastung mit eTwinning antun? Gegenfrage: wenn es sowie immer der Fall ist, warum nicht bestmöglich absichern, tief stapeln und dann die zahllosen Chancen nutzen?! Der Lehrberuf sollte schließlich auch immer etwas mit eigenen Idealen zu tun haben, somit kann das Engagement gut für die Schüler sein und zudem der eigenen Bedürfnisbefriedigung gut tun. Genauer hinzuschauen lohnt sich. Es ist gibt einfach kein 100% sicheres Netzwerk und jede Lehrkraft hat auch die (Mit-)Verantwortung für die Daten der Schüler.

Literaturverzeichnis
  • Andersen, Uwe; Fischer, Sigmar; Kuschke, Wolfram; Pfundheller, Kai; Woyke, Wichard: Chancen und Probleme einer europäischen Zivilgesellschaft. In: Andersen, Uwe (Hrsg.): Das Europa der Bürger – Europa besser verstehen und daran mitwirken. Schwalbach/Ts.: WOCHENSCHAU Verlag, 2014, S. 7-33.
  • Andersen, Uwe (Hrsg.): Das Europa der Bürger – Europa besser verstehen und daran mitwirken. Schwalbach/Ts.: WOCHENSCHAU Verlag, 2014.
  • Arnold, Ulli; Maelicke, Bernd (Hrsg.): Lehrbuch der Sozialwirtschaft. 3. Aufl. Baden- Baden: Nomos, 2009.
  • Arnold, Ulli: Typologie Sozialwirtschaftlicher Organisationen. In: Arnold, Ulli; Maelicke, Bernd (Hrsg.): Lehrbuch der Sozialwirtschaft. 3. Aufl. Baden- Baden: Nomos, 2009, 389- 401.
Internetquellen

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