Donnerstag, 23. Mai 2019

Die Gesellschaft in einer digitalisierten Zukunft

Die Welt gerät immer mehr aus den Fugen, hört oder liest man häufig. Gleichzeitig befänden wir uns in einer Zeit des Wandels, den wir nicht mehr aufhalten können und auf den wir scheinbar kaum vorbereitet sind. Ganz gleich um welche Thematik es sich handelt, sei es der Klimawandel oder die Digitalisierung, schon seit Jahren heißt es, es wäre ‚kurz vor 12‘ und genau jetzt, in diesem Moment wäre die allerletzte Chance etwas zu verändern.

Die Perspektive, die von der Gesellschaft durch diese Aussagen eingenommen wurde, ist erdrückend. So wird das Gefühl vermittelt, dass unsere Zukunft der Anfang vom Ende der Menschheit, der Natur und der Welt, so wie wir sie kennen, sei. Es ist eindeutig, dass Gesellschaften nicht mehr auf die Art und Weise weiterleben können, wie sie es in den letzten Jahrzehnten getan haben. Dies bezieht sich nicht nur auf den Klimawandel, sondern hier vor allem auf die Veränderungen, die eine fortschreitenden Digitalisierung mit sich bringt.

Politiker und Experten sollten längst verstanden haben, dass ein Wandel stattfinden muss. Doch geblendet von dem Pessimismus, der mitschwingt, wenn über die Zukunft gesprochen wird, wird an alten Mustern festgehalten und der Schritt zum Fortschritt und zum Wandel nicht gewagt. Aber was wäre, wenn wir unsere Sicht auf die Zukunft nicht mehr verdunkeln lassen würden von den schwarzen Wolken der Digitalisierung? Besonders in dieser Zeit, die auch als „der Anfang der 4. Revolution“ bezeichnet wird, ist es doch umso wichtiger, dass wir mit klar definierten Werten und Vorstellungen einer Gesellschaft und Wirtschaft in die Zukunft blicken.

Diese können uns zur Orientierung dienen und uns den Willen geben, Risiken einzugehen, um auf kommende Veränderungen vorbereitet zu sein. Schon seit dem 16. Jahrhundert machen sich Menschen in Form von Utopien Gedanken über ideale, zukünftige Gesellschaften. Dabei sollen immer die Bedürfnisse der Menschen im Mittelpunkt stehen und wie diese ein erfülltes Leben führen können.

Die Gedanken über das erfüllte Leben können dabei sehr unterschiedlich sein, stark abhängig von den Ansichten und Werten des Verfassers. Eine Utopie, die sich genau mit den Umbrüchen des 21. Jahrhundert beschäftigt, ist das kürzlich erschienene Werk von Richard David Precht „Jäger, Hirten, Kritiker“ (Precht, 2018). Das zentrale Thema der Utopie ist die digitale Gesellschaft und wie diese aus Prechts Sicht in Zukunft gestaltet werden sollte.

Dabei stellt er sowohl die ökonomischen und ökologischen wie die psychischen/moralischen Grundpfeiler dieser Gesellschaft auf und untermauert sie mit dem Wissen von vergangenen und gegenwärtigen Experten und Philosophen. Ein Auseinandersetzen mit diesen Grundpfeilern soll im Folgenden einen Einblick geben, wie die Zukunft besser werden könnte als die Gegenwart und wie mit den Veränderungen durch die fortschreitende Digitalisierung umgegangen werden könnte. Gleichzeitig werden Prechts Gedanken anderen Ansätzen gegenübergestellt.


Digitalisierung - ein Wort, das in jedermanns Munde ist, sich aber unterschiedlichster Definitionen bedient. Was im Grunde einmal ein Ausdruck war für die digitale Repräsentation von analogen Werten und dem damit verbundenen Wandel, umfasst jetzt vor allem jegliche Weiterverarbeitung gewonnener Daten. Durch diesen Fortschritt können Maschinen so programmiert werden, dass sie effizienter und selbstständiger arbeiten können.

Von dieser Entwicklung geht auch Precht aus und nimmt sie deshalb als Grundlage seiner darauf entwickelten Utopie. Maschinen werden intelligenter und Mitarbeiter müssen entlassen werden (vgl. Precht 2018, S. 102). Die Tätigkeiten, die Empathie erfordern, werden dahingegen die sein, die nicht von den Maschinen übernommen werden können und somit als unersetzbar gelten (vgl. Precht 2018, S. 118).

Was aus der Sicht der Wirtschaft ein Segen darstellt, ist für die Gesellschaft und für einzelne Personen keine wohltuende Zukunftsmusik - definiert sich doch allen voran gerade die deutsche Gesellschaft so gerne über Leistung. Diesem Charakterzug der Gesellschaft ist sich Precht ebenfalls bewusst und stellt fest, dass Menschen „aggressiv, destruktiv oder depressiv“ (Precht 2018, S. 121) werden und es ihnen schwer fallen wird, in gefragte Arbeitsbereiche zu wechseln, wenn ihr ehemaliger Arbeitsplatz durch eine Maschine ersetzt wird (vgl. Precht 2018, S.121).

Ein anschauliches Beispiel für diese Annahme ist der arbeitslose Taxifahrer oder U-Bahn Fahrer, für den es schwierig sein wird, eine neue Stelle im Informatikbereich zu finden. Aus diesem Gedankengang heraus entwickelt Precht eine Anforderung an eine humane Utopie. Und zwar muss diese den Menschen dazu befähigen, sich als mehr als ein „Händler“ (Precht 2018, S. 124) zu sehen, der für sein Produkt der Arbeit Geld erhält. Als Folge dessen muss die humane Utopie es schaffen, den Begriff der Arbeit neu zu deklinieren. Sie soll getrennt werden von dem Gedanken „Geld gegen Arbeit“ oder „ich arbeite um zu …“ und verbunden werden mit dem Bedürfnis, Tätigkeiten auszuführen, die dem Leben Sinn geben und den Einzelnen glücklich machen (vgl. Precht 2018, S.124).

Wo liegt das Glück des Menschen?

Damit die Gesellschaft jedoch auch ohne Erwerbsarbeit die Produkte konsumieren kann, die von den Maschinen produziert werden, braucht es anderweitige Zahlungen. Precht nimmt hier die Idee des bedingungslosen Grundeinkommens auf, das seiner Meinung nach auf einer Höhe von 1500 € angesetzt werden soll. Dieser Satz soll dementsprechend jedem Bürger ausgezahlt werden, der dann jedoch keine Sozialleistungen oder sonstige Unterstützungen wie Krankenversicherung erhält.

Finanziert werden soll dies mit einer veränderten Steuerpolitik. Millionäre und Milliardäre sollen demnach deutlich höhere Steuern zahlen, die nicht durch das bedingungslose Grundeinkommen ausgeglichen werden können. Außerdem hält Precht fest, dass diese Art der Besteuerung nicht über die Einkommensteuer laufen darf, sonst würden hier zu oft angemessene Zahlungen unter den Teppich gekehrt werden.

Die große Veränderung des Steuermodells soll sich in der Besteuerung von Geldverkehr wiederfinden. Hier bezieht er sich auf Überlegungen einer Arbeitsgruppe aus der Schweiz, die errechnete, dass 0,05% Steuern auf Geldtransfer ein Grundeinkommen von 2500 Franken finanzieren könnte. Für Deutschland wäre dieser Prozentsatz höher, jedoch immer noch in einem Rahmen, dass er für die Privatperson kaum spürbar sei.

Ein anderer Grund für die Einführung einer Geldtransfersteuer sei der daraus folgende sicherere Finanzmarkt. Kurzfristige Aktienspekulationen würden sich weniger rentieren, wodurch die Investition in den realen Markt attraktiver werden würde. Auch andere Länder der EU würden vor dem Problem stehen, dass viele Arbeitsplätze wegfallen und die Verarmung der Mittelschicht voranschreiten wird. Aus dieser Annahme heraus sieht Precht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass auch andere EU-Mitgliedsländer dieses Besteuerungsmodell annehmen könnten (vgl. Precht 2018, S. 132-136).

Die Einführung des bedingungslosen Grundeinkommen habe zur Folge, dass jeder Bürger materiell abgesichert wäre und so der Blick geweitet werden könnte. Außerdem werden Berufe, die weniger attraktiv aber notwendig sind, besser bezahlt werden müssen, da es ansonsten schwierig sein wird, Mitarbeiter zu finden, die trotz finanzieller Unabhängigkeit unter schlechten Bedingungen arbeiten wollen. So könnte durch die Einführung des bedingungslosen Grundeinkommens ein Wandel der Wertschätzung gegenüber Randberufen geschehen.

Für jeden einzelnen bedeutet es weg von den Sorgen um genügend Geld, hin zur Freiheit, Tätigkeiten auszuüben, die kein oder wenig Geld einbringen. Das höchste Ziel dieser Entwicklung muss nach Precht die Bewahrung, oder noch besser: die Vergrößerung der Humanität sein. In einer Zeit, in der alle Daten weiterverarbeitet und analysiert werden, muss sichergestellt werden, dass der Einzelne mehr ist als ein Paket von gebündelten Daten.

Die Grenze zwischen unbezahlten Tätigkeiten und Erwerbsarbeit muss flexibler sein. Wobei es möglich sein muss, jederzeit Teil-/Vollzeit zu arbeiten oder sich selbstständig zu machen. Auf der anderen Seite darf es nicht zur Stigmatisierung führen, wenn jemand für mehrere Jahre erwerbslos ist. Erwerbslos glücklich zu sein, erfordert jedoch einen Bewusstseinswandel weg von der Leistungsgesellschaft, der auch von der Politik aufgegriffen werden muss.

Precht spricht hier von einer „Kultur der Achtsamkeit“ (Precht 2018, S. 166), die eine höhere Wertschätzung von Beziehungen beinhaltet und die Konzentration einer reizüberfluteten Gesellschaft einfordert. Diese soll vor allem bei Schülern gefördert werden. Denn nur so sieht Precht eine Möglichkeit, das Glück der Menschen auch durch längerfristige Erwerbslosigkeit hindurch aufrechtzuerhalten.

Außerdem soll Bildung auf intrinsischer Motivation basieren, und Fähigkeiten wie Selbstorganisation, Selbstverantwortung und Selbstermächtigung sind weitere zentrale Eigenschaften der zukünftigen Gesellschaft. Außerdem müssen Moral und Urteilsbildung gefördert werden, um sicherzustellen, dass personalisierte Werbung und neue Technologien hinterfragt und kritisch begutachtet werden (vgl. Precht 2018, S. 152-171).


Im Gegensatz zu Precht sehen Brynjolfsson und McAfee in ihrem Buch „The Second Machine Age“ (Brynjolfsson und McAfee, 2014) das Grundeinkommen nicht als beste Lösung an, der drohenden Arbeitslosigkeit und verarmenden Mittelschicht entgegenzusteuern. Sie beziehen sich in ihrer Argumentation auf Voltaire, der der Meinung war, dass Arbeit „Langeweile, Laster und Not“ (Voltaire, 1972) verhindern würde und somit unverzichtbar sei.

Zwar wird hier auch von Selbstbestimmung und Sinnerfüllung als maßgeblichen Komponenten des Glücks gesprochen, jedoch werden diese ausschließlich durch das Arbeiten erlangt. Brynjolfsson und McAfee gehen von der Annahme aus, dass digitale Entwicklungen nicht nur Arbeitsplätze auflösen, sondern auch Möglichkeiten bieten werden, neue Arbeitsplätze zu schaffen. Somit sehen sie es nicht als notwendig an, von der Wirtschaft der Arbeitnehmer abzuweichen und nennen die Einführung einer negativen Einkommensteuer als notwendige Veränderung im System.

In diesem Steuermodell erhalten Bürger ebenfalls ein Grundeinkommen, werden aber durch die negative Versteuerung von zusätzlichem Einkommen angereizt, zusätzlich noch arbeiten zu gehen. Durch die Auszahlung von Steuern an die Menschen soll auch die Möglichkeit geschaffen werden, Arbeit anzunehmen, die möglicherweise nicht so gut bezahlt ist. Neben diesem Anreiz für Arbeitnehmer, sollen ebenfalls Anreize für Arbeitgeber geschaffen werden.

Brynjolfsson und McAfee sind sich bewusst, dass Arbeitgeber immer häufiger Arbeiter durch Maschinen ersetzen werden. Zum einen auf Grund ihrer Arbeitsweise und zum anderen wegen der wegfallenden laufenden Kosten wie Versicherungen und Steuern. Deshalb wird vorgeschlagen, Steuern und Abgaben der Arbeitgeber zu verringern, wenn sie Arbeiter anstellen.

Bleibt die Frage, wer die Beiträge an das Sozialsystem dann übernimmt. Als mögliche Antwort wird die Einführung von anderen Steuern vorgeschlagen, wie zum Beispiel eine Steuer für Umweltverschmutzung oder eine Mehrwertsteuer auf den Gewinn, den ein Hersteller eines Produktes erzielt. Diese Vorschläge sind vor allem auf den amerikanischen Markt bezogen (vgl. Brynjolfsson und McAfee, S. 280-289).

Orientierung an Bedüfnissen der Gesellschaft oder Möglichkeiten der Wissenschaft?

Sowohl Precht als auch Brynjolfsson und McAfee sind sich einig, dass sich Maschinen und Technologien in den kommenden Jahren immer weiter entwickeln und Innovationen auch für Privatpersonen zugänglich sein werden. Diese sollen häufig den Alltag vereinfachen oder den Menschen perfektionieren, zum Beispiel durch SmartWatches, die die Schritte zählen und vergleichen.

Doch fragt sich Precht, ob ein perfektioniertes Selbst am Ende wirklich das ist, was uns glücklich macht. Und was würde danach kommen, wenn wir uns alle genügend bewegen, ausgewogen essen und unseren Alltag effizient einteilen würden? Precht argumentiert ausdrücklich, dass das Leben nie effizient und smart war und es auch nie werden sollte. Das Leben sei erst lebenswert durch die Umwege, die wir im Leben gehen und das Unvorhersehbare, das uns hoffen lässt.

Bedeutet technischer Fortschritt den Wegfall oder die Eingrenzung dieser Eigenschaften, so ist er in Prechts Augen kein positiver Fortschritt, keiner, der den Menschen glücklich machen wird. Denn die Autonomie des einzelnen muss erhalten bleiben, und dies kann nur geschehen, wenn die Menschen selbst über Fähigkeiten und Fertigkeiten verfügen und nicht alles den Maschinen überlassen wird.

Deshalb muss der Blick geschärft werden dafür, ob ein technischer Fortschritt in bestimmten Bereichen wirklich erstrebenswert ist oder vielleicht auch nicht. Fortschritt in der Benutzung von Autos und der Medizin bewertet Precht selbst als positiv. In diesen beiden Bereichen sei auf der einen Seite der Reiz des Unvorhergesehenen gering, auf der anderen Seite würde ein Fortschritt gleichzeitig auch das Retten von Menschenleben bedeuten.

Die Nutzung der Autos soll in Zukunft kaum noch an den Besitz eines Autos gebunden sein. Privatpersonen besitzen eine App, mit der sie Zugriff auf ein selbstfahrendes Auto haben, das sie auf Abruf an ihr Ziel bringt. Als Folge würden keine Autos mehr ungebraucht am Seitenrand oder auf Parkplätzen stehen und Städte würden leiser, grüner und sicherer werden. Außerdem argumentiert Precht, dass Staus, Unfälle und Schadstoffemissionen durch diesen neu geregelten Verkehr abnehmen würden. Die selbstfahrenden Autos sollen keinerlei ethischen Fragen beantworten können, sondern sollen in der Hinsicht neutral programmiert sein. Im Gegenzug seien die Fußgänger und Fahrradfahrer dazu angehalten, vorhersehend zu handeln und sich an die Regeln des Straßenverkehrs zu halten.

Da nicht davon ausgegangen werden kann, dass sich alle Bürger die Benutzung dieses Systems leisten können, soll der ÖPNV steuerfinanziert werden. Dies hat zur Folge, dass Bahn und Bus für alle zugänglich ist und niemand abhängig von einem Modell ist. Im Bereich der Medizin ist nach Precht ebenfalls Fortschritt erwünscht. Hier können durch präzisere technische Hilfsmittel genauere Diagnosen und Behandlungen ermöglicht werden.

Dabei warnt Precht jedoch vor dem Umgang mit neuen Technologien. Es sei wenig wünschenswert, dass Patienten sich bei der Nutzung von Selftracking-Geräten so sehr auf die Technik verlassen, dass sie das Gefühl für ihren eigenen Körper verlieren. Des Weiteren darf der Einsatz von digitalen Hilfsmitteln nicht dazu führen, dass man kaum noch von Personen behandelt wird und Ärzte ersetzt werden. Deshalb ist es besonders in diesem Feld wichtig, die Grenze zwischen Unterstützung und Ersetzen zu ziehen.

Was bedeuten diese Punkte nun genau für die von Precht gestaltete Utopie? Wichtig ist die Erkenntnis, dass, obwohl Technologie verspricht, das Leben besser zu machen, erkannt werden muss, dass „besser“ nicht bequemer oder smarter bedeutet. Beides würde den Reiz des Lebens nehmen. Somit muss an dem Grundsatz festgehalten werden, dass Technologien sich an den Bedürfnissen der Menschen ausrichten müssen und nicht umgekehrt. Im Zentrum aller Entwicklungen muss die Autonomie des Einzelnen immer an erster Stelle stehen (vgl. Precht 2018, S. 180-198).

Auch Harald Welzer sieht in seinem Buch „Die smarte Diktatur“ (Welzer 2016) die Notwendigkeit, den Einsatz von Technologien genau zu überdenken und abzuwägen. Demnach soll der soziale Mehrwert, den eine digitale Technologie bringt, im Vordergrund stehen. Welzer verdeutlicht dies an Beispielen wie einer mithilfe digitaler Hilfsmittel durchgeführten Operation. Bevor diese durchgeführt werden kann, braucht es einen Konsens über den Zustand des Gesundseins und ob dieser mit der unterstützenden Technologie besser erreicht werden kann.

Es sollen demnach zunächst Ziele der Entwicklung diskutiert und festgelegt werden, bevor im zweiten Schritt überlegt wird, welche technischen Hilfsmittel für das Erreichen der Ziele hilfreich sein könnten. Außerdem muss in Welzers Augen Digitales von Konsum und Überwachung abgelöst werden und sich an sozialen Grundzügen orientieren. Dazu benötigt es ebenfalls einen Diskurs in der Gesellschaft, um dann die zuvor genannten Schritte zu gehen.

Dabei merkt Welzer jedoch an, dass ein Großteil der sozialen Fortschritte oftmals nicht durch neue Techniken erreicht werden kann, sondern durch eine andere Verteilung von Teilhabechancen, Mitteln und Gütern. In seinem Zukunftsbild steht somit immer der soziale Fortschritt im Mittelpunkt, nicht der technische (vgl. Welzer 2016, S. 251).

Jaeger erweitert in seinem Buch „Supermacht Wissenschaft“ (Jaeger 2017) die oben genannten Perspektiven. Hier wird deutlich, dass der Mensch und das Soziale bei allen Entwicklungen im Mittelpunkt stehen muss. Jaeger beschäftigt sich mit der Frage, wer in dem Fall grundsätzliche Entscheidungen darüber trifft, welches Produkt gut ist für den Menschen. Dabei geht er gegen die Annahme vor, dass auch in Zukunft der freie Markt selbstständig einschätzen könne, welche Gestaltung, Kontrolle und Risiken neue Technologien beinhalten.

Dem freien Markt in Zukunft die Verantwortung zu übergeben, was positive Auswirkungen auf Menschen hat, darf demzufolge nicht unbeobachtet hingenommen werden. Insbesondere da Wirtschaftsinteressen immer mehr an Macht gewinnen und neue Technologien in ihren Gestaltungsspielräumen nur noch an der „Ethik des Machbaren“ (Jaeger 2017, S. 342) gestaltet werden (vgl. Jaeger 2017, S. 336f.).

Doch wer würde in dem Gedankengang entscheiden, welche neuen Technologien den Menschen unterstützen und welche in diesem Sinne überflüssig sind? Eine Art Kommission oder Expertengruppe? Und würde dies geschehen, würde den Konsumenten nicht die Freiheit genommen werden? Die Freiheit, die besonders im digitalen Zeitalter so groß geschrieben werden soll? Precht hat auf diese Fragen keine Antwort.

Wie steht es um die Freiheit der Gesellschaft?

Precht bietet eine detaillierte Zukunftsvorstellung, ermöglicht durch den Fortschritt der Digitalisierung. In Prechts humaner Gesellschaft wird ein effektiverer Umgang mit Energie und Ressourcen durch digitale Technik erreicht. Außerdem erwartet er, dass sich Staat und Kommunen den Bedürfnissen der Bürger anpassen und smarter werden. Vor allem durch ständigen Austausch und Bürgerbeteiligung sollen Menschen Möglichkeiten bekommen, aktiv an ihrem Lebensumfeld mitzuarbeiten (vgl. Precht 2018, S. 218).

Welzer geht in seiner Vorstellung noch einen Schritt weiter. Er beschreibt die Entwicklung von einer „Möglichkeitsgesellschaft“ (Welzer, S. 256). Seiner Meinung nach verfehle der technologische Fortschritt nämlich nicht nur die propagierte Einsparung von Zeit und Aufwand, sondern auch die Vergrößerung der Handlungsmöglichkeiten. Eingeschränkt werden diese in allen Bereichen des alltäglichen Handelns, beispielsweise durch Normen, die durch Selftracking gesetzt werden, gegenseitiger Überwachung oder anwachsender Fremdsteuerung.

Nach Welzer können Menschen in dieser Konsumwelt nur aus vorher individuell fein ausgewählten Angeboten auswählen. Eine offene Möglichkeitsgesellschaft dagegen biete Handlungsspielräume, die selbstbestimmt und selbstständig ausgebaut werden können. In Zukunft sollen diese noch mehr genutzt werden, um die eigene Freiheit auszuleben und zu stärken. Außerdem kann so Demokratie wachsen und stabiler werden, anstatt sich aufzulösen (vgl. Welzer 2016, S. 255f.).

Jedoch ist der Ausgangspunkt dieser Idee nach Precht schon der verkehrte. Denn dieser würde argumentieren, dass es keinen technologischen Fortschritt geben darf, der die Freiheit des einzelnen Menschen eingrenzt. Wo dies geschieht, sollte die Sicherung der Freiheit immer über den Drang nach Fortschritt gestellt werden. Ausdrücklich warnt Precht vor einer Einführung von Massenüberwachung, die mit dem Argument eingeführt wird, nur so Sicherheit gewährleisten zu können. Transparenz sei kein wünschenswertes Ziel einer humanen Gesellschaft. Die Wahl zu haben, gegen Regeln und Normen verstoßen zu können, sei ein grundlegender Bestandteil der menschlichen Freiheit. Würde die Gesellschaft ununterbrochen beobachtet werden, sei diese Freiheit nicht mehr gegeben (vgl. Precht 2018, S. 217).

Die Freiheit der Menschen ist ein wichtiger Bestandteil des deutschen Grundgesetzes, das geschützt werden soll, gleichermaßen auch die informationelle Grundversorgung. In Prechts Utopie darf der Staat diese Aufgabe keinem Konzern überlassen, über den man wenig weiß. Dieses Handeln würde die Demokratie, die freie Meinungsäußerung und die Verbreitung dieser gefährden. Stellt sich die Frage, wie dieses Recht auf informationelle Selbstbestimmung sowie die Würde des Menschen und seine Persönlichkeitsrechte auch in Zukunft aufrecht erhalten bleiben kann.

Um dies zu erreichen, wird es nötig sein, neben der längst gegebenen Handlungsautonomie auch die Datenautonomie des Einzelnen zu sichern. So soll es mächtigen Digitalkonzernen nicht mehr ermöglicht werden, über informationelle Verfügbarkeiten zu bestimmen. Das Erreichen der Informationen, das Kommunizieren und Austauschen muss also vom Staat aus gesichert sein. Dieser stellt den Bürgern die digitale Infrastruktur kostenlos zur Verfügung. Das beinhaltet beispielsweise Suchmaschinen, E-Mail-Verkehr und soziale Netzwerke ohne kommerzielle Interessen.

Außerdem dürfen Menschen nicht in ihrer Privatsphäre verletzt werden, indem personenrelevante Daten gesammelt werden. Der Handel mit diesen personenbezogenen Daten soll verboten werden. Nur in Ausnahmefällen und mit klarer Zustimmung der betroffenen Person sollte diese Regelung umgangen werden dürfen.

Durch den Einsatz eines nudging-Systems ist es möglich, das Online-Verhalten von Menschen zu beeinflussen. Als Folge kann das Verhalten vorhergesehen und gesteuert werden. Dadurch wird den Menschen nicht nur ihre Freiheit genommen, sondern auch die Möglichkeit, eigene Urteile und Entscheidungen zu treffen.

Obwohl dies grundrechtswidrig ist, soll auch in Zukunft darauf geachtet werden, dass kein Rückschritt auf Kosten der Freiheit der Bürger in diesem Bereich eingegangen wird. Es soll gegen die Bespitzlung und Entmündigung der Bürger und gegen den drohenden Verlust der Urteilskraft vorgegangen werden, anstatt wirtschaftliche Interesse vorzuschieben (vgl. Precht 2018, S. 230-239).

Geht es um Freiheit und Autonomie, so bringt Welzer den darüber hinausgehenden Gedanken auf, dass diese auch von den Menschen selbst ein Stück weit aufrechterhalten werden können. So denkt er an eine Zukunft, in der die digitale Hyperkonsumgesellschaft von heute keinen Platz mehr hat. Diese reduktive Gesellschaft wäre nicht länger geprägt von effizientem Zeitmanagement oder Selbstperfektionismus durch Selftracking-Geräte, sondern vom tatsächlichen Mehr-Zeit-Haben.

Dies bezieht Welzer unter anderem auf den Konsum von Informationen. Durch den technologischen Fortschritt können uns Nachrichten aus der ganzen Welt zu jeder Zeit erreichen, egal ob wir sie als wichtig oder unwichtig wahrnehmen. So würde es seiner Vorstellung nach auch reichen, einmal am Tag sich altmodisch mit der Tageszeitung auseinanderzusetzen und sich den restlichen Tag mit anderen Dingen zu beschäftigen.

Ein autonomes Leben fordert also auch vom Konsumente,n Dinge wegzulassen, sich eben nicht von einer Push-Nachricht auf dem Bildschirm von seiner Tätigkeit ablenken zu lassen (vgl. Welzer, S. 253f.). Und an diesem Punkt kommt man wieder zurück zu der Utopie von Precht, in der Menschen auf der einen Seite lernen müssen, darüber zu urteilen, was sinnvoller Konsum ist, und auf der anderen Seite, sich nicht von einer reizüberfluteten Umgebung ablenken zu lassen.

Auswendiglernen als Vorbereitung auf das Leben?

Den Erwerb dieser Fähigkeiten spricht Precht im Zusammenhang mit dem Thema Bildung an. Hier hält er fest, Schüler müssten dahingehend gefördert werden, ihre Konzentration aufrecht erhalten zu können und ihr Gedächtnis zu trainieren. Dies soll ihnen helfen, sich auf die wichtigen Dinge in ihrem Umfeld zu konzentrieren, so wie zum Beispiel auf Beziehungen. Außerdem müsse die Bildung auf intrinsischer Lernmotivation basieren, damit sich Schüler in ihrem zukünftigen, möglicherweise erwerbslosen Alltag selbst beschäftigen können.

Die Entwicklung von Moral und Urteilsbildung soll sie darüber hinaus davor bewahren, zu unreflektierten Konsumenten der Werbewirtschaft zu werden. Auch dem Suchtpotenzial des Gebrauchs der Technologien soll entgegengearbeitet werden, indem der richtige Umgang mit den Geräten gelehrt wird (vgl. Precht 2018, S. 166-172).

Andere Autoren setzen sich darüber hinaus auch mit dem Gedanken auseinander, wie gelehrt werden soll. Jeremy Rifkin geht in seiner Zukunftsvorstellung von einer Null-Grenzkosten-Gesellschaft aus. Die Bildung soll dabei die Rolle übernehmen, die Gesellschaft auf diese neue Zeit vorzubereiten (vgl. Rifkin 2014, S. 164). Seinen Vorstellungen nach wird diese Zeit von Collaborative Commons geprägt sein und von kapitalistischen Märkten, die eine untergeordnete Rolle einnehmen.

Hier geht es vor allem um das gemeinsame Wirtschaften, um Zusammenschlüsse, die in Zukunft den Großteil der Produkte bereitstellen und nicht profitorientiert sind. Mit diesen Commons bilde sich ein beachtlicher Gegenstrom des Kapitalismus (Reuter 2014). Wie es diesem Gedankengang entspricht, suggeriert Rifkin eine kollaborative Pädagogik. Es soll kein autoritäres, hierarchisches Modell der Unterweisung verfolgt, sondern eine kollaborative Lernerfahrung geschaffen werden.

Lehrer sollen hierbei als Begleiter des Lernprozesses dienen und sollen zu einer latenten Führung einer Lerngemeinschaft werden. Im Vordergrund sollen die Schüler als Gruppe stehen, die lernen, ihr Wissen in der Gemeinschaft zu teilen. So soll die kollaborative Kreativität gestärkt und der Umgang und die Vertrautheit mit anderen Perspektiven gelernt werden.

Dabei stimmt Rifkin mit Precht überein, dass besonderer Wert auf kritisches Hinterfragen und Reflektion gelegt werden soll. Dies soll die Schüler auf eine Arbeit in der kollaborativen Wirtschaft und auf ihr Leben der freien Entfaltung vorbereiten (vgl. Rifkin 2014, S. 164ff.).

Zwar gehen Brynjolfsson und McAfee grundsätzlich von einer anderen Entwicklung der Wirtschaft aus, aber auch sie betonen die Wichtigkeit des selbstorganisierten Lernumfelds. Sie basieren diesen Gedanken auf Forschungen, die belegen, dass eine unverhältnismäßig große Anzahl an befragten Innovatoren Montessori-Schulen besuchte, wo diese Lernform als Basis aller Unterrichtsstunden gilt. In diesem Umfeld sollen dann vor allem die Fähigkeiten zur Ideenbildung gefördert und komplexe Kommunikation verbessert werden. Ausgestattet mit diesen Kompetenzen, sollen Schüler vorbereitet werden, in dem neuen Zeitalter der Maschinen unersetzliche Arbeiter zu sein (vgl. Brynjolfsson und McAfee 2014, S. 236f.).

Die oder wir? Wer bestimmt die Zukunft?

Der Auseinandersetzung mit den Vorstellungen und Ansprüchen an die Gestaltung der Zukunft folgt unausweichlich die Frage, wie die Gesellschaft zu diesem Wandel kommen kann. Precht, Welzer und auch Brynjolfsson und McAfee stimmen alle überein, dass zunächst die grundsätzliche Haltung gegenüber der Zukunftsgestaltung geändert werden muss. Dem Zukunftspessimismus, der in den ersten Zeilen beschrieben wurde, muss der Rücken zugewendet werden. Verstanden werden muss, dass die Digitalisierung und mit ihr der Wandel nicht von einer unsichtbaren Hand durchgeführt wird. In der Digitalisierung steckt die Welt schon mittendrin. Trotzdem wird immer noch nicht begriffen, dass es keine schwarze Wolke ist, die von übermenschlichen Kräften geformt wurde, jetzt über uns hängt und wir machtlos sind.

Die Maschinen und Programme sind von Menschen geschaffen, und wir können sie nach unseren Bedürfnissen weiterentwickeln. Dafür ist ein Diskurs in der Gesellschaft, in der Politik, unter Experten und zwischen diesen Gruppen notwendig. Dabei muss gemeinsam entschieden werden, was gewollt wird und wohin sich die Zukunft entwickeln soll. Zu diesem Zeitpunkt kann zum Beispiel niemand genau sagen, ob überhaupt ein gesellschaftliches Interesse an autonom fahrenden Autos besteht. Was wäre, wenn herauskäme, dass jeder lieber eigenständig Autofahren wollen würde, jetzt aber schon ethische Fragen über das Programmieren dieser Fahrzeuge diskutiert werden? Darüber hinaus sollte ebenfalls eine detaillierte Berichterstattung über wissenschaftliche und technologische Entwicklungen in der Tagespresse gewährleistet sein, um eine Transparenz zu schaffen und Menschen zu informieren (vgl. Jaeger 2017, S. 362-366).

Fazit

In Prechts Utopie wird durchgehend veranschaulicht, dass die Gestaltung der Zukunft nicht von technischem Fortschritt geleitet werden darf, sondern von den Bedürfnissen der Menschen. Dieser Anspruch zieht sich durch jede der einzelnen Vorstellungen. Die Einführung des bedingungslosen Grundeinkommens, die Privatsphäre über andere Interessen zu stellen oder die Vorstellung von einer digitalen Grundversorgung von Seiten des Staates sind alles eindrückliche Beispiele dafür.

In der Auseinandersetzung mit anderen Zukunftsvorstellungen wird deutlich, dass jede einzelne von ihnen einen anderen Ausgangspunkt hat und dementsprechend auch verschiedene Ansprüche stellt. Werden die Menschen in Zukunft ihr Leben durch Erwerbstätigkeit finanzieren oder wird es ihnen ermöglicht, am Morgen Jäger, mittags Hirte und abends Kritiker zu sein? Und welche von beiden Möglichkeiten würde den Menschen überhaupt glücklich machen?

Solche Fragen können möglicherweise durch Forschungen und Theorien untersucht werden, doch im Grunde muss sie jeder für sich selbst entscheiden. Was doch das wirklich Wichtige ist, dass auch in einer digitalisierten Welt jedem die Freiheit bleibt, sein eigenes Glück zu finden und zu leben. Damit diese Freiheit bewahrt bleibt, braucht es Aktivismus statt Stillstand. Denn in einem sind sich alle Autoren einig. Wenn nicht die Staaten und Gesellschaften einen Weg angeben, dann werden es andere stellvertretend machen. Und wahrscheinlich ist es, dass der Fortschritt dann ähnlich schleichend und ohne viel Widerstand geschehen wird wie in den letzten Jahren. Und möglicherweise sind Menschen in Zukunft dann Jäger von Daten, Hirten unserer Konsumgüter und Kritiker in unseren Erinnerungen. 

Literaturverzeichnis
  • Brynjolfsson, Erik, McAfee Andrew (2014): The Second Machine Age, Börsenmedien AG: Kulmbach
  • Jaeger, Lars (2017): Supermacht Wissenschaft. Unsere Zukunft zwischen Himmel und Hölle, Gütersloher Verlagshaus: Gütersloh
  • Precht, Richard David (2018): Jäger, Hirten, Kritiker. Eine Utopie für die digitale Gesellschaft, Goldmann: München 
  • Rifkin, Jeremy (2014): Die Null-Grenzkosten-Gesellschaft. Das Internet der Dinge, kollaboratives Gemeingut und Rückzug des Kapitalismus, campus: Frankfurt
  • Voltaire (1971): Candid oder die Besten der Welten, Reclam 
  • Welzer, Harald (2016): Die smarte Diktatur. Der Angriff auf die Freiheit, S. Fischer: Frankfurt a.M.
Internetpublikation:

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