Samstag, 16. Oktober 2021

Medienkunde als Schulfach?

„Manchmal hatten wir das Gefühl, wir waren die Ersten“ (Wagner 2015).

Mit dieser Aussage möchte Wagner verdeutlichen, dass die Medienbildung zwar in vielen Lehrplänen festgeschrieben, aber die Umsetzung an den Schulen noch sehr mangelhaft ist. Tatsache ist, dass das Thema „Medien“ sich immer stärker und schneller in der Gesellschaft verbreitet und mittlerweile ein zentraler Baustein in unserem Leben geworden ist.
 
Um sich dessen bewusst zu werden, muss man sich nur in einen Zug setzten. Die meisten Menschen vertreiben sich ihre Zeit am Smartphone. Mit dem Smartphone können sie Musik hören, Filme schauen, mit anderen telefonieren, Nachrichten lesen oder sich in sozialen Medien wie Facebook oder Twitter aufhalten.
 
Wie sieht es mit Medien an der Schule aus? Wer sich an seine Schulzeit zurückerinnert oder eigene Kinder hat, dem wird schnell klar, Medien waren kaum bis gar nicht Teil des Unterrichts. Die Forderung nach Medienbildung an Schulen hat seit der Jahrtausendwende aber deutlich zugenommen. Schließlich hat Schule die Aufgabe, Lernende zu selbstbestimmtem und verantwortlichem Handeln und gesellschaftlicher Teilhabe zu befähigen (vgl. Schaumburg/Prasse 2019, S. 12). Aufgrund dessen, dass Medien immer mehr Platz in unserem Alltag einnehmen, muss die Schule Medien in ihren Unterricht miteinbeziehen.
 
Im folgenden Beitrag wird zunächst aufgezeigt, warum Bildung ohne Medien heutzutage nicht mehr denkbar ist. Ausgehend davon wird dargestellt, wie Medienbildung aktuell an Schulen stattfindet. Abschließend wird die Frage gestellt, ob es den sinnvoll ist, für die Medienbildung ein eigenes Fach, Medienkunde, einzuführen.
 
Keine Bildung ohne Medien 

Was sind Medien? 

Fällt das Wort „Medien“ in einem Gespräch, wird der Begriff schnell mit Facebook, YouTube oder Instagram assoziiert. Erst im nächsten Schritt kommt der Gedanke auf, dass auch die Zeitung oder das Fernsehen unter den Medienbegriff fallen. Der Medienbegriff ist also breiter zu verstehen, wie zunächst angenommen wird.
 
Unter dem Begriff Medien verorten sich viele Gegenstände. Zum einen sind hier technische Geräte wie Computer oder Smartphone aufzuführen. Aber auch ein Verlag, ein Buch oder ein Sender wird als Medium betrachtet. Kurz gesagt, Medien werden als „Träger und Vermittler von Signalen in kommunikativen Zusammenhängen“ (Schaumburg/Prasse 2019, S. 17) verstanden.
 
Dadurch eröffnen sich verschiedene Perspektiven, unter denen Medien wahrgenommen werden können. Die technische Perspektive umfasst sowohl digitale wie auch analoge Medien. Kriterium ist lediglich, dass die Kommunikation über Raum und Zeit hinweg stattfinden kann, seien es nun Briefe, SMS oder ein Livestream.
 
Unter der wahrnehmungstheoretischen Perspektive folgt die Einteilung der Medien über die Sinneswahrnehmungen wie Sehen oder Hören. Darüber hinaus werden unter der systemischen und kulturtheoretischen Perspektive die sozialen Zusammenhänge betrachtet, sprich Medien werden hier als Form der Kommunikation veranschaulicht (vgl. ebd., S. 22).
 
Medien im Alltag

Die Medienlandschaft hat sich aus zwei Gründen stark verändert. Zum einen gab es eine dynamische technologische Entwicklung. Ab 1950 hat sich im Vergleich zu den Jahrzehnten davor sehr viel verändert. Angefangen mit dem Fernsehen hin zum Smartphone. Die rasante Entwicklung von Technologie bzw. neuen Medien, wie dem Smartphone, führen dann dazu, dass wir immer mehr Medien-Equipment besitzen, welches wir überall hin mitnehmen und auch nutzen können (vgl. Moser 2006, S. 48-49).
 
Bedingt durch den technologischen Fortschritt und die zunehmende ortsunabhängige Nutzung der Medien verändern sich die Zeitstrukturen, denen die Menschen unterliegen. Zum Beispiel kann durch Online-Shopping Anfahrtszeit gespart werden. Diese freie Zeit kann nun anders genutzt werden. Die Kommunikationsprozesse werden darüber hinaus immer schneller und einfacher. So können Firmen mit unterschiedlichen Standorten auf verschiedenen Kontinenten schnell und einfach miteinander kommunizieren.
 
Mittlerweile können sogar virtuelle Realitäten geschaffen werden, in denen ein Individuum seine Zeit verbringen kann. Wir schaffen somit eigene Raum-/Zeitstrukturen. Hier koppelt sich der Mensch von der realen Welt ab und taucht in eine andere Welt ein mit eigenen Regeln (vgl. ebd., S. 55).
 
Durch das Schaffen neuer Realitäten kann auch die Berichterstattung manipuliert werden. Tatsache ist nach Müller-Ullrich auch, dass die tägliche Quote von Fälschungen und Fehlleistungen alarmierend hoch ist (ebd., S. 68). Ein Musterbeispiel hierfür sind Bilder, welchen oftmals schnell und einfach getraut wird, da für den Menschen visuelle Eindrücke leichter überprüfbar sind (vgl. ebd., S. 69). Aber auch die Bilder können trügen.
 
Eines der bekanntesten Bilder ist das eines irakischen Soldaten. Hat man nur einen bestimmten Teil des Bildes, sieht es so aus, als ob der Soldat etwas zu trinken bekommt. Aber wird ein anderer Teil des Bildes herausgeschnitten, so macht es den Anschein, dass der Soldat hingerichtet wird (vgl. Spiegel Geschichte 2008). Der Artikel zeigt noch weitaus mehr solcher Bildmanipulationen auf:
https://www.spiegel.de/fotostrecke/manipulierte-bilder-fotostrecke-107186.html.
 
Zusätzlich findet eine immer stärkere Mediatisierung des Alltags statt (Schaumburg/Prasse 2019, S. 39). Der große Unterschied zu früheren Medien ist zum einen die Medienkonvergenz, also dass unterschiedliche Medientechnologien in einem Gerät integriert werden. Zum anderen löst sich die Grenze zwischen Sender und Empfänger von Nachrichten langsam auf.
 
Früher hat ein Verlag, ein Radiosender oder eine Zeitung noch als Gatekeeper fungiert. Sie konnten bestimmen, was wie an die Öffentlichkeit gelangt. Ein Beispiel für das Verschwimmen dieser Grenzen sind die sozialen Medien. Hier können präsentierte Inhalte von anderen Nutzern direkt kommentiert werden. Diese Plattformen haben das Potenzial zur Massenkommunikation, da viele Menschen über diese Plattform erreicht werden können (vgl. Schaumburg/Prasse 2019, S. 40). Im nächsten Abschnitt soll kurz aufgeführt werden, inwiefern Jugendliche Medien im Alltag nutzen.
 
JIM-Studie 2018

„Jugendlichen steht heute nahezu das gesamte Medienrepertoire zur Verfügung“ (JIM 2018, S. 6). 98 % der Jugendlichen haben Zugriff auf ein Smartphone, einen Laptop und das Internet. Bei den anderen Medienarten nimmt dieser Zugang prozentual dann immer stärker ab. Berücksichtigt werden hierbei muss aber, dass mit einem Smartphone oder einem Laptop und einer Internetverbindung alle anderen Mediengeräte ersetzen werden können, da diese eigentlich alle Medientechnologie integrieren.
 
Die Medienbeschäftigung in der Freizeit ist geprägt vom Internet, gefolgt von der Smartphone- und Musiknutzung. Ein deutlicher Unterschied ist zwischen der Nutzung von analogen und digitalen Medien zu sehen. Deutlich weniger Jugendliche lesen Zeitung oder Bücher. Eine weitere Kluft findet sich zwischen Videos schauen und Lesen, sei es nun ein Online-Magazin oder ein klassisches Buch. Der Fokus hat sich also deutlich hin zu den digitalen Medien und dem Internet verschoben (vgl. ebd., S. 13).
 
Hinsichtlich der Internetnutzung wird ein immer größerer Teil der Zeit für Kommunikation verwendet. Dies mag durchaus dem geschuldet sein, dass es immer mehr Möglichkeiten und Anbieter zum Austausch mit Freunden und Familie gibt. Von SMS, E-Mails bis hin zu Videoanrufen ist alles möglich. Durch Videoanrufe besteht außerdem die Möglichkeit, Konversationen von Angesicht zu Angesicht zu führen, was ziemlich realitätsnah ist. Gefolgt wird die Kommunikation von der Unterhaltung. Das Schlusslicht bildet die Informationsgewinnung (vgl. ebd., S. 33).
 
Im Hinblick auf Informationsgewinnung herrscht ein relativ hohes Vertrauen in Nachrichtenangebote der ARD und regionaler Print-Tageszeitungen (vgl. ebd., S. 16). Schade ist hier allerdings, dass vor allem die klassischen Medien wie öffentlich-rechtliches Fernsehen und Zeitungen berücksichtigt worden sind. Interessant wäre eine Vertrauensfrage gewesen, die Postings der sozialen Medien berücksichtigt.
 
Festzuhalten bleibt, dass Kinder und Jugendliche immer mehr Zugang zu den verschiedenen Medien haben. Dieser Zugang bringt neue Herausforderungen mit sich, welche in der Schule berücksichtigt werden müssen.
 
Warum Medienbildung nicht mehr wegzudenken ist

Die JIM-Studie zeigt auf, wie intensiv Jugendliche Medien nutzen. Die ersten Medienerfahrungen finden meistens außerschulisch statt. Dies gilt es in puncto Medienbildung in der Schule zu berücksichtigen (vgl. Kommer 2010, S. 13). Auch wenn die Jugendlichen zu großen Teilen das Internet für Kommunikation und Unterhaltung nutzen, darf nicht außer Acht gelassen werden, dass diese die Lebenswelt der Jugendlichen prägen. Durch die häufige Nutzung sind die Medien an der Welt- und Identitätskonstruktion der Jugendlichen beteiligt. Lerninhalte und Informationen werden immer häufiger medial vermittelt (vgl. Moser 2006, S. 288).
 
Wenn die Wirklichkeitsbildung immer stärker von den Medien abhängig ist, muss ein kritischer und reflexiver Umgang mit den Medien gefördert werden, damit die Medienwelt besser nachvollzogen werden kann (vgl. Moser 2006, S. 68). In Bezug auf die politische Bildung wird deshalb die Medienbildung als Voraussetzung bzw. wichtiger Bestandteil der politischen Urteilsbildung betrachtet (vgl. Aßmann 2010, S. 139).
 
Medien und Digitalisierung sind aber nicht nur im Rahmen von Identitäts- und Wirklichkeitsbildung zu finden. Vonseiten der Wirtschaft und der Arbeitswelt steigt das Interesse an medienbezogenen Inhalten in der Schule gleichermaßen. Im Sinne der Allokationsfunktion müssen in der Medienbildung auch solche Kompetenzen vermittelt werden, die in der Wirtschaft gesucht werden (Aßmann 2017, S. 140). Die Unternehmen suchen Arbeitskräfte, die qualifiziert dafür sind, mit Medien umzugehen und diese zu gestalten.
 
Im Bereich der Wirtschaft wird immer häufiger mit Medien gearbeitet. Viele Unternehmen gestalten Plattformen und sind wegweisend in der Kreation von neuen medialen Inhalten und für die Weiterentwicklung von medialen Geräten. Für die Wirtschaft ist insbesondere die informatorische Bildung wichtig. Ausgehend von den verschiedenen Forderungen und aufgrund des gesellschaftlichen Wandels wurde für die Medienbildung eine Strategie erarbeitet, die dem Wandel und den Forderungen gerecht werden soll: das Dagstuhl-Dreieck. Einsehbar als Grafik ist das Dagstuhl-Dreieck unter:
https://dagstuhl.gi.de/dagstuhl-erklaerung.

Die Forderung ist zum einen, dass die Medienbildung ein eigenes Fach in der Schule erhält, um Grundlagen zu vermitteln. Zum anderen sollte der fächerübergreifende Ansatz für die digitale Bildung weiterhin bestehen bleiben. Dementsprechend sollen auch in der Lehramtsausbildung informatorische und mediale Grundelemente vermittelt werden. Nur dadurch ist gewährleistet, dass die Lehrkräfte den Ansprüchen im Unterricht gerecht werden können.
 
Der Dagstuhl-Erklärung nach soll die Medienbildung drei Kernpunkte umfassen. Zum einen die technologische Perspektive, welche vor allem einen informatorischen Schwerpunkt besitzt. In diesem Bereich sollen die Lernenden dazu befähigt werden, bestehende Systeme zu verstehen, zu gestalten und zu erweitern. Aus der gesellschaftlich-kulturellen Perspektive sollen die Wechselwirkungen der digital vernetzten Welt zwischen Individuen und der Gesellschaft im Mittelpunkt stehen. Als dritter Gesichtspunkt wird die anwendungsbezogene Perspektive aufgeführt. Hier werden die Medien unter dem Aspekt der Nutzbarkeit zur Umsetzung individueller und kooperativer Vorhaben betrachtet. Ein großes Plus der Dagstuhl-Erklärung ist es, dass aus den verschiedenen Positionen und Forderungen von Medienbildung, Medienpädagogik, Informatik, Wirtschaft und Schulpraxis ein gemeinsames Verständnis erarbeitet wurde (vgl. Brinda 2017, S. 176).

Wie bis jetzt aufgezeigt, hat der Einfluss von Medien sich auf unseren Alltag stetig vergrößert. Vor allem in den letzten 20 Jahre gab es technologische Errungenschaften, welche die Medienlandschaft grundlegend verändert haben. Jetzt ist es uns möglich, nahezu überall und jederzeit alle Medien über eigentlich nur ein Gerät zu nutzen, das Smartphone. Durch diese Veränderung in unserer Lebenswelt muss sich auch in Bezug auf die Bildung etwas ändern, da die Jugendlichen von klein auf in dieser Welt leben und eigene Erfahrungen sammeln.
 
Das heißt, wir müssen die Kinder in der Schule auf das Leben mit den Medien vorbereiten. Das pädagogische Handeln im Sinne von Medienbildung ist wichtig, um das zufällig erworbene Wissen und Können aus dem Alltag zu systematisieren und an einigen Stellen zu ergänzen (vgl. Moser 2006, S. 226). Medienbildung hat also die Chance, die Orientierungs-/Kommunikations-/Teilhabefähigkeit der Individuen in der Gesellschaft zu erweitern (Niesyto 2011, S. 22). Ob der in der Dagstuhl-Erklärung erarbeitete Ansatz für die Medienbildung umgesetzt wird, zeigt sich im nächsten Abschnitt.
 
Medienbildung in der Schule

KMK-Modell

Unabhängig von der Dagstuhl-Erklärung hat die Kultusministerkonferenz (KMK) 2016 eine Stellungnahme hinsichtlich der „Bildung in der digitalen Welt“ verabschiedet. In dieser Stellungnahme wird ebenfalls ein Kompetenzrahmen für die allgemeinbildenden Schulen formuliert. In der allgemeinen Zielformulierung wird hervorgehoben, dass die digitale Bildung nicht durch ein eigenes Fach, sondern in allen Fächer vermittelt werden soll.
 
Die KMK verfolgt also einen integrativen Ansatz bei der Vermittlung der medialen Bildung. Das Verständnis der KMK von Bildung geht über Grundkenntnisse hinaus und kann nicht durch ein eigenes Curriculum abgedeckt werden. Die Kompetenzen aus dem Kompetenzrahmen sollen den Fächern entsprechend umgesetzt werden.
 
Darüber hinaus formuliert die KMK in ihrer Stellungnahme, dass Rahmenbedingungen im Hinblick auf Infrastruktur und Verwaltung formuliert und verabschiedet werden müssen, da es sonst für die Schulen nur geringe Umsetzungsmöglichkeiten gibt (vgl. GEW 2019, S. 3).
 
Eine weitere Forderung der KMK ist es, den Aspekt der Medienbildung bereits in der Lehramtsausbildung zu berücksichtigen. Die Hochschulen werden explizit dazu aufgefordert, auch Lernkonzepte/-modelle mit Fokus auf Medien zu entwickeln, damit die Lehrkräfte an den Schulen in Zukunft die Medienbildung besser umsetzen können (vgl. ebd., S. 4). Zudem gibt es die Forderung, dass digitale Bildung bereits an der Grundschule stattfinden soll (Schaumburg/Prasse 2019, S. 122).
Im Kompetenzrahmen werden sechs grundlegende Kompetenzen formuliert (KMK 2016, S-16-18).
  • Suchen, Verarbeiten und Aufbewahren
  • Kommunizieren und Kooperieren
  • Produzieren und Präsentieren
  • Schützen und sicher Agieren
  • Problemlösen und Handeln
  • Analysieren und Reflektieren
Eine grafische Darstellung des Kompetenzrahmens vom Klett-Verlag gibt es unter folgendem Link:
https://www.klett.de/inhalt/sixcms/media.php/145/KMK_Kompetenzrahmen.pdf.

Die Einbindung der digitalen Welt wird also in jedem Fach gefordert. Die Umsetzung ist von Fach zu Fach unterschiedlich. Nicht jedes Fach hat die Möglichkeit, alle sechs Kompetenzen mit ihrem Curriculum zu vereinbaren. Der Mathematikunterricht eignet sich eher weniger dazu, die Kompetenz „Kommunizieren und Kooperieren“ zu fördern. Hier würde es sich eher anbieten, die Kompetenz „Problemlösen und Handeln“ zu stärken.
 
Ein weiteres Ziel der KMK ist es, systematisch eine digitale Lernumgebung für die Lernenden zu schaffen (vgl. Kultusministerkonferenz 2016, S. 12). Künftig sollen im Unterricht also digitale Medien als Zugänge für die Lernenden verwendet werden. Es soll ein „virtueller Raum“ geschaffen werden, über welchen über den Lernort Schule hinaus Lernen und Kommunikation stattfinden kann (vgl. ebd., S. 14).

Kritik am KMK-Modell

Der fachintegrative Ansatz wird von nahezu allen Beteiligten unterstützt, auch wenn er schwer umzusetzen ist. Die Entwicklung der Medienlandschaft bleibt nicht einfach stehen und auch die fachspezifischen Curricula entwickeln sich weiter. Dementsprechend müssen die Fachcurricula immer wieder an die außerschulische Entwicklung der Medien angepasst werden. Positiv fällt insgesamt auf, dass die Ziele und Inhalte der Medienbildung konkretisiert worden sind (vgl. KBoM).
 
Ein großer Kritikpunkt seitens der Initiative „Keine Bildung ohne Medien“ (KBoM) ist das Nicht-Einbeziehen der kulturellen und politischen Medienbildung sowie die fehlende Berücksichtigung der Persönlichkeitsentwicklung (vgl. KMoB, Einführung). Hinzu kommt, dass eine Grundbildung im Hinblick auf Medien nicht nur auf die digitalen Medien beschränkt werden sollte. Auch analoge Medien wie Bild oder Text sollten in dem Kompetenzrahmen berücksichtigt werden.
 
Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) schließt sich der KMK an, dass die „Medienkompetenz als Schlüsselkompetenz bezeichnet werden kann“ (GEW 2019, S. 5). Die GEW ist wie die KMoB der Meinung, dass die gesellschaftlichen Dimensionen in der Ausarbeitung der KMK zu kurz kommen. Es wird in der Stellungnahme der KMK herausgearbeitet, dass in der Weiterbildung die Aufgaben für die Lehrkräfte angepasst werden müssen. Hier lautet die Forderung der GEW, konkrete Maßnahmen zur Anpassung zu nennen, damit die Lehrkräfte die Ziele leichter umsetzen können (vgl. GEW 2019, S. 5).

Zusammengefasst lässt sich sagen, dass die Entwicklung bzw. die Präzisierung der Ziele der Medienbildung positiv aufgenommen werden. Ein Defizit zeigt sich jedoch noch aus der gesellschaftlich-kulturellen Perspektive, welche im Dagstuhl-Dreieck auch als Kernpunkt bei der Betrachtung der Medienbildung genannt wird (s.o., S. 6). Es werden zwar teilweise Aspekte aus dieser Perspektive betrachtet, im Vergleich zur anwendungsorientierten und technologischen Perspektive kommt sie aber zu kurz.
 
Integrative Medienbildung an der Schule

Die KMK-Strategie besteht darin, die Medienbildung nur über den fächerintegrativen Ansatz zu verfolgen (s.o., S. 7). Inwiefern kann aber Medienbildung innerhalb der Fächer stattfinden? Hierzu werden nun einige Beispiele vorgestellt.
 
Der Kunstunterricht bietet gute Voraussetzungen für die Integration der Medienbildung, vor allem bei Betrachtung der kreativen Seite. Medien in Form von Bild und Film sind schon immer Teil des Unterrichts gewesen. Eine Option wäre es, etwas mithilfe von digitalen Medien zu gestalten. Zum Beispiel eignen sich Kurzfilmprojekte, einem Beitrag von Marschall nach (siehe hier), im Rahmen des Kunstunterrichts ideal, um Medien und Kunst miteinander zu verknüpfen.
 
Auch die Selbstdarstellung der Jugendlichen in den sozialen Medien kann im Kunstunterricht berücksichtigt werden. Im Schwerpunktmodul „Ästhetik und Emotion“ könnten durch verschiedene Apps und Tools Selbstporträts erstellt werden, welche die Person und ihre Eigenschaften widerspiegeln sollen (Weinert 2019, S. 134).
 
Im Deutschunterricht besteht die Möglichkeit, sich mit der digitalen Schriftsprache auseinanderzusetzen, da sie sich ja von der „normalen“ Schriftsprache unterscheidet. Hier werden Emojis und Kürzel verwendet (vgl. Weinert 2019, S. 120). Die digitale Schriftsprache bringt Vor- und Nachteile mit sich, mit welchen man sich im Unterricht auseinandersetzen könnte. Ein Aspekt aus dem Alltag der Jugendlichen wird hier also hinterfragt und auf mögliche Kommunikationsprobleme aufmerksam gemacht. Ist es ausreichend, nur diesen integrativen Ansatz zu verfolgen?
 
Warum reicht integrative Medienbildung allein nicht aus?

Ob Medienbildung im Unterricht stattfindet, ist stark davon abhängig, wie gut die Lehrperson die geforderten medienbezogenen Kompetenzen im Fachunterricht fördern kann (Schaumburg 2019, S. 123). Untersuchungen zeigen auf, dass in der Praxis der fachintegrative Ansatz alleine nicht ausreicht (vgl. Niesyto 2013, S. 4). Darüber hinaus müssen jene Bereiche der Medienbildung, welche nicht hinreichend im fachintegrativen Ansatz vermittelt werden können, durch ein eigenständiges Fach aufgefangen werden. Das Konzept der integrativen Medienbildung funktioniert in der Praxis nicht (Merz-Abt 2011, S. 272). Die Einführung verbindlicher Basiskurse in der Grundschule sowie in der 5./6. Klasse könnten hier Lücken schließen (Niesyto 2013, S. 4).
 
Ein wichtiger Punkt, der hier nicht unerwähnt bleiben soll, ist die Aus- und Weiterbildung der Lehrkräfte. Wenn die Medienintegration in den Schulen gelingen soll, müssen die Lehrkräfte, welche Mängel aufweisen, ausgebildet werden. Nur so kann flächendeckend eine schnelle Umsetzung an den Schulen stattfinden. Wie sonst sollen die Bildungsstandards in Bezug auf Medien umgesetzt werden (vgl. Niesyto 2013, S. 6). Der fächerintegrative Ansatz kann nur dann seine Wirkung entfalten, wenn insgesamt ein systematisches und strukturiertes Konzept für die Medienbildung deutlich wird (vgl. Niesyto 2013, S. 6).

Der integrative Ansatz der Medienbildung kann für sich alleine in der Praxis also nicht die gewünschte Wirkung erreichen. Deshalb braucht es nach Niesyto und Merz-Abt ein eigenständiges Fach für die „Medienkunde“. Nur so können die gesteckten Ziele in der Medienbildung auch systematisch verankert werden und somit jedem Lernenden zugänglich gemacht werden, unabhängig von den Lehrkräften.

Fach "Medienkunde"

Auf YouTube gibt es ein Video, welches sich für die Einführung eines zusätzlichen Fachs in der digitalen Bildung ausspricht. Das Video fasst gut zusammen, warum es notwendig ist, Medienbildung in der Schule zu verankern. In dem Video liegt der Schwerpunkt auf dem Fach „Informatik“, aber die Argumente sprechen genauso für ein Fach wie Medienkunde. Da es auch einige Schnittstellen zur Medienbildung gibt, ist es ein guter Impuls. Ausgehend vom Dagstuhl-Dreieck finden wir im Informatikunterricht ja vor allem die technologische Perspektive (s.o., S. 6).
 
Es wird gut begründet, warum in Bezug auf digitale Kompetenzen noch einiges in Deutschland getan werden muss. In dem Video wird aufgezeigt, warum digitale Bildung wichtig ist. Da Medien mittlerweile einen großen Einfluss auf unser alltägliches Handeln haben, ist es wichtig, die Lernenden im Umgang mit Medien zu selbstbestimmtem und verantwortlichem Handeln zu befähigen (vgl. Schaumburg/Prasse 2019, S. 12). 
 
„Warum wir ein Neues Schulfach brauchen“ von Simplicissimus, ein Angebot von funk (min. 0:00 – 4:40)

Informatikunterricht anstatt Medienkunde?

Informatik als Pflichtfach einzuführen, wird schon länger im Rahmen der Digitalisierung debattiert, da sich die Digitalisierung stark auf die Arbeitswelt auswirkt (vgl. Brinda 2017, S. 175). Programmiersprachkenntnisse sind mittlerweile von Vorteil nach der schulischen Laufbahn (Weinert 2019, S. 62). Es gibt auch Lernprogramme wie Scratch, wo Grundlagen der Informatik und des Programmierens vermittelt werden. Einsetzbar ist das Programm in der Theorie schon ab der dritten Klassenstufe. Siehe
https://web20ph.blogspot.com/2019/05/kreatives-programmieren-nach-dem_22.html

Das Fach Informatik hat grundlegend andere Ziele als das Fach Medienkunde, aber dennoch gibt es Schnittpunkte. Die Informatik betrachtet die mediale Bildung vorrangig aus der technologischen Perspektive (s.o. S. 6). Es trägt also einen Teil zur Medienbildung bei, muss aber noch durch das Fach Medienkunde ergänzt werden, da im Lehrplan sonst die gesellschaftlich-kulturelle Perspektive weiterhin zu kurz kommt (vgl. Niesyto 2011, S. 21).
 
Da aber nicht bestritten werden kann, dass informatorische Kompetenzen in der Arbeitswelt immer öfter benötigt werden, ist es durchaus sinnvoll, die Lernenden mit Informatik in Kontakt zu bringen. Die IT-Industrie befürchtet, dass durch den Fachkräftemangel die internationale Wettbewerbsfähigkeit verloren geht (vgl. Brinda 2017, S. 179). Es besteht also eine hohe Nachfrage an Menschen mit informatorischen Kenntnissen.
 
Kritiker sprechen sich vor allem deswegen gegen eine Einführung des Fachs Informatik aus, da aus ihrer Sicht das außerschulische Angebot ausreicht, um in die Informatik einzuführen. Generell geht es aber darum, dass alle Lernenden die Möglichkeit erhalten, sich im Informatikbereich zu erproben und bei Interesse entsprechende Fachfähigkeiten zu entwickeln (vgl. Brinda 2017, S. 180). Eine Möglichkeit, beide Seiten zu berücksichtigen, wäre, in Ergänzung zum Fach Medienkunde in den Klassenstufen 5 und 6 Informatik als verpflichtenden Grundlagenkurs einzuführen. Im weiteren Verlauf kann die Informatik für Interessierte als Wahlfach angeboten werden.

"Medienkunde" - ja oder nein?

Medienbildung muss auf jeden Fall in der Schule stärker berücksichtigt werden. Durch die Mediatisierung des Alltags wird es zunehmend wichtiger, Kinder und Jugendliche dahingehend zu unterstützen, sich zurechtzufinden und ein Leben nach ihren Vorstellungen zu gestalten. Hinzu kommt noch, dass in der Wirtschaft Fachkräfte gesucht werden, welche mit Medien arbeiten können. Allein deshalb ist es sinnvoll, in der Schule Bildung so zu gestalten, dass die Lernenden dazu befähigt werden, sich im Arbeits-/Alltagsleben zurechtzufinden.
 
Die Medien prägen die Identitäts- und Weltvorstellungen der Jugendlichen. Deshalb muss der reflexive Umgang mit Medieninhalten gefördert werden. Im KMK-Modell ist der reflexive Umgang festgeschrieben. Aber da der fachintegrative Ansatz des Modells in der Praxis stark von den Lehrpersonen in der Umsetzung abhängig ist, ist es besser, die reflexive Komponente in das Fach Medienkunde zu integrieren.
 
Ein weiterer Kritikpunkt, welcher von der KBoM geäußert wird, ist, dass die kulturelle und politische Medienbildung kaum einbezogen wird. Auch hier würde das Fach Medienkunde diese Lücke schließen können. Im Stundenplan kann durch ein Fach Zeit eingeplant werden, damit auch die gesellschaftlich-kulturelle Perspektive in der Schule einen größeren Stellenwert erhält.
 
Für das Fach Medienkunde spricht darüber hinaus, dass Untersuchungen aufzeigen, dass der fachintegrative Ansatz nicht in der Lage ist, die aktuellen Bildungsziele zu erreichen. Durch den integrativen Ansatz ist die Medienbildung von Unterschiedlichkeit und Zufälligkeit geprägt (vgl. Merz-Abt, S. 275). Durch das Fach Medienkunde würden die Lernenden systematisch und zuverlässig auf die Herausforderungen nach der Schule vorbereitet werden können (vgl. Merz-Abt 2011, S. 276).
 
Andererseits soll die Medienbildung auch zur sozialen Anschlussfähigkeit beitragen (vgl. Paus-Hasebrink 2011, S. 436). Medien sollten also in jedem Fach als Hilfe herangezogen und zum Gegenstand des Lehrens und Lernens werden (Paus-Hasebrink 2011, S. 439). Auch im Alltag finden sich Medien nicht nur in bestimmten Bereichen wieder. Durch die Mediatisierung des Alltags sind Medien überall zu finden. Dementsprechend sollen die Lernenden dazu befähigt werden, Medien in jeder Lage zu nutzen. Fakt ist, das Fach „Medienkunde“ würde in Bezug auf die Medienbildungsziele einige Lücken schließen können und hätte somit einen positiven Einfluss auf die Entwicklung der Kinder und Jugendlichen.

Fazit

Integrativer Ansatz oder Fachansatz, ein Schwarz-Weiß-Denken hilft in Bezug auf Medienbildung nicht weiter. Vielmehr sollte sich der Fokus in der Medienbildung dahingehend verschieben, wie die angestrebten Kompetenzen sinnvoll in die Schule integriert werden können. Das Ziel sollte es sein, Medienbildung systematisch und zuverlässig in die Schule zu bringen, damit alle Lernenden mitgenommen werden. Der Fokus sollte darauf liegen, wie ein systematischer Kompetenzaufbau in der Schule organisiert werden kann (vgl. Brinda 2017, S. 181).
 
Es spricht nichts dagegen, dass die Medienbildung an der Schule auch weiterhin integrative Aspekte besitzt. Schließlich wird in jedem Lebensbereich mit Medien gearbeitet. Medienkunde als Fach in Form von Grundlagenkursen erscheint aber genauso sinnvoll. Jene Inhalte, welche fächerübergreifend nicht vermittelt werden können, können dann im Fach „Medienkunde“ gesammelt werden.
 
Mit Blick auf die informatorische Bildung wäre es auch eine Option, das Fach Informatik in der 5. und 6. Klasse einzuführen, sodass jede/r Lernende einen Kontaktpunkt mit Informatik hat. Im Dagstuhl-Dreieck wird ja auch die technologische Seite von Medien beleuchtet.
 
Ziel der Medienbildung ist es, die Jugendlichen dazu zu befähigen, ihr Handeln zu analysieren und zu reflektieren und ausgehend davon die Medien für ihre Ziele zu nutzen. Die Medien sollen also nicht die Lernenden beherrschen, sondern die Lernenden sollen die Medien so nutzen, dass sie ihnen später Vorteile bringen. Zusätzlich sollen Grundkompetenzen erworben werden, welche ihnen helfen, die Medien für sich zu nutzen (vgl. JIM 2018, S. 76).
 
Ausgehend vom Dagstuhl-Dreieck und den drei Perspektiven wäre ein möglicher Ansatz, die Medienbildung aufzuteilen:
  • Medienkunde = Betrachtung der gesellschaftlich-kulturellen Perspektive
  • Informatik = Betrachtung der technologischen Perspektive
  • Fachintegrativer Ansatz = Betrachtung der anwendungsorientierten Perspektive
Welche Inhalte dann jeweils bearbeitet werden, müsste natürlich noch präzisiert und Umsetzungsmöglichkeiten an der Schule erprobt werden. Der Ausgangspunkt für medienpädagogische Maßnahmen sollte das mediale Alltagshandeln von Kindern und Jugendlichen bilden. Die Heranwachsende sollen dazu befähigt werden, die Rolle von Medien im Kontext individueller Lebensvollzüge zu durchdenken und zielgerichtet zur Kommunikation und zur Weltaneignung zu nutzen (Schaumburg/Prasse 2019, S. 144). 
 
Literatur
  • Aßmann, Sandra (2017): Medienbildungspolitische Positionen, Forderungen und Strategien. In: Gapski, Harald/Oberle, Monika/Staufer, Walter (Hrsg.): Medienkompetenz. Herausforderung für Politik, politische Bildung und Medienkompetenz, Verlag bpb, Bonn
  • Brinda, Torsten (2017): Medienbildung und/oder informatische Bildung? In: Die Deutsche Schule 109, Heft 2, S.175-186
  • JIM 2018: Medienpädagogischer Forschungsverband Südwest (2018): Jugend, Information, Medien: Basisuntersuchung zum Medienumgang 12- bis 19-jähriger
  • Kommer, Sven (2010): Kompetenter Medienumgang? Eine qualitative Untersuchung zum medialen Habitus und zur Medienkompetenz von SchülerInnen und Lehramtsstudierenden, Verlag: Budrich Unipress Ltd, Opladen und Farmington Hills
  • Kübler, Hans-Dieter (2011): Digital natives oder digital naives? Aufgaben und Herausforderungen für die Förderung von Medienkompetenz. Beispiel: der Internetratgeber netzdurchblick. In: Kammerl, Rudolf/Luca, Renate/Hein, Sandra (Hrsg.): Keine Bildung ohne Medien! Neue Medien als pädagogische Herausforderung, Verlag: Vistas, S.109-132
  • Merz-Abt, Thomas (2011): Medienbildung braucht eigene Unterrichtsgefässe – Ein Plädoyer für einen neuen Weg. In: Beiträge zur Lehrerbildung 29 (2011) 2, S.272-278
  • Moser, Heinz (2006): Einführung in die Medienpädagogik: Aufwachsen im Medienzeitalter, Auflage 4, Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden
  • Niesyto, Horst (2011): Keine Bildung ohne Medien! Breites Bündnis zur Medienkompetenzförderung in Deutschland. In: Kammerl, Rudolf/Luca, Renate/Hein, Sandra (Hrsg.): Keine Bildung ohne Medien! Neue Medien als pädagogische Herausforderung, Verlag: Vistas, S.15-30
  • Niesyto, Horst (2013) Medienbildung in der aktuellen Bildungsplanreform 2015 in Baden-Württemberg – eine kritische Zwischenbilanz. In: Ludwigsburger Beiträge zur Medienpädagogik, Ausgabe 16, S.1-7
  • Paus-Hasebrink, Ingrid (2011): Medienkompetenz nicht in ein eigenes Schulfach abschieben. Anmerkung aus medienpädagogischer Sicht. In: Communicatio Socialis 44, Nr.4, S.434-440
  • Schaumburg, Heike/Prasse, Doreen (2019): Medien und Schule, Verlag: utb.
  • Weinert, Frederik (2019): Digitalkunde als Schulfach, Verlag: utb.
Internet

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