Donnerstag, 14. Oktober 2021

Verschwörungstheorien in sozialen Medien am Beispiel der Corona-Krise

Das Corona-Virus – willentlich von Bill Gates produziert und in die Welt gesetzt? Ein bereits lange im voraus inszenierter Plan, um die Bevölkerung auszurotten und die Weltherrschaft an sich zu reißen? Oder gibt es das Virus doch überhaupt gar nicht?

Die Corona-Pandemie hat nicht nur zu massiven Einschränkungen des öffentlichen Lebens geführt, sondern auch zu einer Präsenz von Verschwörungstheorien. Insbesondere in den sozialen Medien bildete sich eine Corona-Gegenöffentlichkeit heraus, in der Verschwörungstheorien eine zentrale Rolle spielen (vgl. Anton; Schink 2021, S. 202).

Seit ihrem Beginn stehen die Corona-Krise und insbesondere das Vorgehen der Regierungen im Bezug auf die Pandemie im Fokus kontroverser Debatten. In den letzten eineinhalb Jahren tauchten vermehrt solche Verschwörungstheorien in den sozialen Medien auf, die grundsätzliches Misstrauen in den Staat, und die Regierung ausdrücken. Die Kritik an den Corona-Maßnahmen ist dabei oft durchdrungen von bestimmten politischen Weltanschauungen und Ideologien (vgl. Anton; Schink 2021, S. 202):

“Darum geht es bei Corona! Euer Ego soll in eine Cloud hochgeladen werden, die Leitung in euren Körper wird gelegt durch eine Impfung und die darin enthaltene Nanotechnologie stellt die Verbindung her zur Cloud! Ihr sollt ungefragt unsterblich werden, damit ihr in dieser materiellen Welt verfangen bleibt und niemals euren Seelenfrieden bekommen könnt, niemals zu Gott kommen könnt! Das ist Satans Plan!“ (Attila Hildmann auf Telegram 2020)

„Die Mehrheit lässt sich lieber vom Staat vorgeben wie viel Abstand sie zu halten hat, was sie in ihrer Fresse trägt, lässt sich wie Hamster einsperren, brüstet sich damit, wie sehr sie sich an Regeln hält (DDR & STASI) […] und vertraut dabei auf Impffirmen die Gates als Großinvestor haben! Sie verdrängen dabei aber gern, dass er in Afrika Sterilisationsformeln in Tetanus-Impfungen beimischte und tausende Frauen seitdem keine Kinder mehr bekommen können – oder dass er in Indien Mädchen impfen ließ, ohne ihre Eltern zu fragen. […] Gates finanziert die WHO, das RKI (verwickelt in Nazi-Verbrechen), den SPIEGEL, die ZEIT, Forscher aus WUHAN und Impfstoff-Firmen […] “. (Attila Hildmann auf Instagram 2020)

Diese und weitere Verschwörungsideologien werden als Posts auf den Social-Media-Plattformen Facebook, YouTube, Instagram, Twitter usw. hochgeladen, geteilt und weiterverbreitet.

Ein Forscherteam des Massachusetts Insitute of Technology fand in der bisher größten Langzeitstudie aus dem Jahr 2018 heraus, dass sich Falschnachrichten und Verschwörungsideologien in den sozialen Medien sechsmal schneller verbreiten als wahre Informationen und Tatsachen. Hierbei untersuchten sie 126.000 Erzählungen, welche zwischen den Jahren 2006 und 2017 auf der Internetplattform Twitter geteilt wurden (vgl. Schwarz 2020).

Im Hinblick auf Präsenz und Verbreitung von Verschwörungstheorien über die Corona-Pandemie in den sozialen Medien soll in einem ersten Teil der Rolle der sozialen Medien und ihrer Verbreitungslogik von Verschwörungstheorien mithilfe von Bezügen zur Corona-Krise nachgegangen werden, um in einem zweiten Teil danach zu fragen, inwieweit die Plattformen etwas dagegen machen (können).

Verschwörungstheorien und ihre Verbreitung in früheren Zeiten

Um die Rolle der Social-Media-Plattformen im Hinblick auf die Logik der Verbreitung von Verschwörungstheorien zu verdeutlichen, soll im Folgenden der Verbreitung von Verschwörungstheorien in früheren Zeiten nachgegangen werden.

Noch in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts stellten Verschwörungstheorien legitimes Wissen dar und fanden ihren Raum in namhaften publizistischen Organen. Lange Zeit wurden sie von den ‚Mächtigen‘ als normal angesehen und auch verbreitet. Sie richteten sich meistens gegen Außenseiter und Schwache (vgl. Schlagwein 2020).

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden sie in den westlichen Ländern jedoch zunehmend stigmatisiert, sodass sie über mehrere Jahrzehnte hinweg ein Nischendasein fristeten (vgl. Butter 2018, S. 78ff.). Durch den Stigmatisierungsprozess wanderten Verschwörungstheorien aus der Mitte der Gesellschaft zunehmend an den Rand der Gesellschaft (vgl. Schlagwein 2020).

Nun gab es in diesem Zeitraum weiterhin Menschen, die an Verschwörungstheorien geglaubt haben. Dies war zu dieser Zeit in der Öffentlichkeit jedoch kaum sichtbar, da u.a. journalistische Selektionsprozesse dafür sorgten, dass ihnen in Tageszeitungen, im Radio oder Fernsehen wenig Raum zugestanden wurde. Als primäres Verbreitungsmedium galten Bücher sowie Mund-zu-Mund-Propaganda (vgl. Klawier 2020).

Veränderungen durch das Internet

Mit dem Aufkommen des Internets wurde die Verbreitung von Verschwörungstheorien zunehmend einfacher und schneller. Der technologische Wandel fungierte dabei als Antriebsmotor. Durch die Etablierung und Popularität von sozialen Medien ist es Nutzer*innen möglich, verschwörungstheoretische Inhalte unkompliziert und jederzeit mit anderen Menschen zu teilen.

Im analogen Zeitalter konnten Privatpersonen mit Mund-zu-Mund-Propaganda lediglich ihre Familienmitglieder, Freunde und Bekannte erreichen. In den sozialen Netzwerken haben sie jedoch in der Regel eine größere Reichweite und ein zunehmend größeres ‚Publikum‘, mit dem sie Inhalte teilen können.

Über die Social-Media-Plattformen haben Anhänger*innen von Verschwörungstheorien zudem die Möglichkeit erhalten, sich miteinander zu vernetzen und auch gemeinsam verschwörungstheoretische Inhalte und Theorien zu entwickeln beziehungsweise entstehen zu lassen. Durch die Kommentarspalten und die Möglichkeit für jeden, einen Kommentar zu hinterlassen, werden Verschwörungstheorien weiter in die öffentliche Wahrnehmung gerückt (vgl. Klawier 2020).

Influencer*innen und Prominente bzw. reichweitenstarke Personen, die auf Social Media aktiv sind, kommt eine besondere Stellung zu. Diese können zu einer Art „Superspreader“ von Verschwörungstheorien werden, indem sie entsprechende Inhalte posten, teilen und damit weiterverbreiten.

Hinsichtlich der Corona-Pandemie sind dabei insbesondere der Kochbuchautor Attila Hildmann, der Sänger Xavier Naidoo sowie der Schlagersänger Michael Wendler durch die Verbreitung verschwörungsideologischer Postings aufgefallen. Diese Inhalte können durch Social Media viele Menschen schnell und ortsunabhängig erreichen, auch solche, die vorher noch nicht mit dieser Art von Inhalten in Kontakt gekommen sind. Diese können durch ihre Bewunderung für die prominente Person besonders empfänglich für deren Inhalte und Botschaften sein (vgl. Klawier 2020)

 

Um der Verbreitungslogik von Verschwörungsideologien in den sozialen Medien weiter auf den Grund zu gehen, soll im Folgenden näher auf die Präsenz von Verschwörungstheorien in den sozialen Medien eingegangen werden, um anschließend zu thematisieren, welche Rolle den Social-Media-Plattformen im Hinblick auf die Verbreitung von Verschwörungsideologien zukommt und inwiefern sie diese u.a. durch ihre eigene Infrastruktur begünstigen, um anschließend mögliche Gegenstrategien ableiten zu können.
 
Verschwörungstheorien in den sozialen Medien 
„Im leitmedialen Diskurs über die Kritik am offiziellen Corona-Narrativ findet eine Fokussierung auf extreme oder kuriose Haltungen und Personen statt, die skandalisierend in Szene gesetzt werden“ (Anton; Schink 2021, S. 202).
Hierbei generieren insbesondere Prominente, die in Sachen Corona ‚aus der Spur‘ geraten zu sein scheinen, ein besonders hohes Maß an Aufmerksamkeit. Hierzu gehört u.a. der zuvor erwähnte Schlagersänger Michael Wendler. Dieser bezeichnete die Corona-Krise u.a. öffentlich als Lüge und verglich die Corona-Maßnahmen auf seinem Instagram-Kanal mit den Zuständen in Konzentrationslagern zu Zeiten des Nationalsozialismus (vgl. Anton; Schink 2021, S. 202).

 

Corona-Verschwörungstheorien zeichnen sich nach Anton und Schink (2021, S. 202) dadurch aus, dass sie einen thematischen Bezug zum SARS-CoV-2-Virus haben, zugleich aber in der Regel an bereits bestehende Verschwörungstheorien anschlussfähig sind. Die Verschwörungstheorien über das Corona-Virus und 5G sind hierfür ein Beispiel: Zeitgleich mit der Verbreitung des Corona-Virus mehrten sich in ganz Europa die Angriffe gegen Mobilfunkantennen. In den sozialen Medien hatten sich zuvor entsprechende Verschwörungstheorien verbreitet, welche einen Zusammenhang zwischen Covid-19- Erkrankungen und der Einführung des neuen Mobilfunkstandards 5G postulierten (vgl. Anton; Schink 2021, S. 202). 
 
Inwiefern begünstigen die Plattformen die Verbreitung von Verschwörungstheorien?
 
Soziale Netzwerke weisen eine Reihe von Merkmalen auf, welche die Verbreitung von Verschwörungstheorien erleichtern und beschleunigen können (vgl. Kleinen-von Königslow; von Nordheim 2021). Zum einen stellen Social-Media-Plattformen hierzu die Infrastruktur zur Verbreitung bereit (vgl. Klawier 2020).
 
Ein Kernmerkmal der sozialen Netzwerkplattformen ist es, dass dort alle Nutzer*innen mit geringem Aufwand ihre eigenen Inhalte veröffentlichen können. Von wem genau die Inhalte stammen, ob von einzelnen Bürger*innen, Nachbarschaftsverbänden, politischen Akteuren o.Ä. lässt sich oft, wenn überhaupt, nur anhand der Absenderangabe nachvollziehen.
 
Hinzu kommt, dass eine Kontrolle oder Verifizierung der Inhalte auf den Plattformen größtenteils in sehr oberflächlicher Art und Weise erfolgen. Plattformen, die auch anonyme Beiträge akzeptieren und zulassen, stellen dementsprechend ideale Strukturen für Verschwörungstheorien dar (vgl. Kleinen-von Königslow; von Nordheim 2021).
 
Desweiteren ist es durch die sozialen Medien einfacher geworden, Verschwörungstheorien ansprechend aufzubereiten. Prinzipiell kann dort jeder teilen, was er möchte, unabhängig davon, wie fern oder wie nah sich die Inhalte an Fakten oder Tatsachen orientieren, und die Posts mit geringem Aufwand nach einer seriösen Quelle aussehen lassen. Hinzu kommt, dass die Inhalte durch die Social-Media-Plattformen deutlich leichter aufzufinden sind.
 
Verschwörungstheorien profitieren in den sozialen Medien deshalb, da sie sich dort viral verbreiten können. Mit wenigen Klicks können sie sich dort hundert-, tausend- oder sogar millionenfach vervielfältigen. Kleinen-von Königslow (vgl. Schreiber 2019) macht diese Art von Schneeballsystem dafür verantwortlich, dass sich Verschwörungstheorien stark verbreiten.
 
Desweiteren lässt sich anmerken, dass die sozialen Medien hauptsächlich dafür genutzt werden, um sich mit Freunden auszutauschen und mit anderen in Kontakt zu treten. Die Nutzer*innen haben nach Kleine-von Königslow (vgl. Schreiber 2019) deshalb grundsätzlich eine andere Motivation und eine andere Einstellung gegenüber den Inhalten, die ihnen dort begegnen. Sie würden nicht intensiv darüber nachdenken und Informationen demnach nicht systematisch, sondern oberflächlich verarbeiten. Hierzu würden u.a. die technische Gestaltung und das Design der Netzwerke beitragen, welche schnelle Reaktionen und schnelles Antwortverhalten mehr belohne als Reflektion.
 
Daran anknüpfend wirkt sich die Logik der sozialen Medien, nach welcher das, was provoziert, auffällt und starke Reaktionen und Emotionen auslöst, egal ob positive oder negative, sich auch stärker verbreitet, begünstigend auf die Verbreitung von Verschwörungstheorien aus. Hier kommt ebenfalls der Algorithmus ins Spiel: Je mehr Gefühle und Emotionen durch einen Post hervorgerufen werden und je mehr Reaktionen durch diesen erzeugt werden, desto mehr Menschen wird dieser durch den Algorithmus angezeigt werden (vgl. Kleinen-von Königslow 2019).
 
Verschärft wird diese Logik zudem durch den Umstand, dass die Social-Media-Plattformen selbst die Möglichkeit haben, die Reichweite entsprechender Posts mithilfe von Algorithmen zu erhöhen, indem sie den Nutzer*innen automatisch Inhalte mit verschwörungstheoretischen Tendenzen vorschlagen. Hier stellt sich die Frage nach der Motivation, die sich dahinter verbirgt. Zum einen haben die Plattformen ein ökonomisches Interesse daran, ihre Nutzer*innen möglichst lange auf ihrer Website zu behalten und empfehlen ihnen deshalb immer neue Inhalte, die in ihr Interessensspektrum passen könnten.
 
Indem sich Anhänger*innen von Verschwörungstheorien über Stunden auf den Plattformen aufhalten, um die ihren Tendenzen entsprechenden Inhalte zu konsumieren, sich mit anderen darüber auszutauschen und diese Inhalte weiterzuverbreiten, indem sie sie teilen, stellen sie durchaus attraktive Nutzer*innen für die verschiedenen Plattformen dar.
 
Zum anderen erhöht der stundenlange Konsum von Inhalten, den Anhänger*innen von Verschwörungstheorien häufig ausüben, wiederum die Wahrscheinlichkeit, dass die von ihnen konsumierten Inhalte und Posts ebenfalls anderen Nutzer*innen vorgeschlagen werden (vgl. Klawier 2020), was die Attraktivität und Popularität der Plattformen für weitere User*innen zunehmend steigert.
 
Dadurch, dass Algorithmen die Suchgewohnheiten von User*innen speichern und zusätzlich die gesendeten Informationen danach gefiltert werden, entsteht das, was man Filterblasen nennt. Filterblasen bedeuten, dass in den sozialen Medien Verschwörungstheoretiker*innen eher mit anderen Verschwörungstheoretiker*innen vernetzt werden.

 
 
Zusätzlich finden sie in den Suchmaschinen zuerst diejenigen Vorschläge, welche ihren Interessen (am ehesten) entsprechen. Dadurch entstehen sogenannte Echokammern, in denen nur mehr Gleichgesinnte und ähnlich orientierte User*innen miteinander kommunizieren und sich austauschen, aber andere Meinungen gar nicht mehr vermittelt werden.
 
Diese Entwicklung fördert die Entstehung sowie die Bestätigung von Verschwörungstheorien, da unter diesen Umständen andere Sichtweisen vernachlässigt, kaum noch in Betracht gezogen bzw. ignoriert werden (vgl. Özkececi 2020). Eine Konfrontation mit Fakten und Tatsachen, die der eigenen Weltanschauung nicht entsprechen, wird dadurch von vornherein ausgeschlossen (vgl. Wieselberg 2019).

 
 
Insbesondere die Plattform YouTube steht in der Kritik, zu einer diesbezüglichen Radikalisierung beizutragen. YouTube würde den Nutzer*innen Videos mit verschwörungstheoretischen Inhalten vorschlagen, ohne dass sie explizit danach gesucht hätten. Die Videoplattform würde durch ihre technologische Struktur und ihr Geschäftsmodell (un)beabsichtigt emotionale, sensationalistische sowie polarisierende Inhalte fördern.
 
Nutzer*innen könnten durch solche Inhalte länger an die Plattformen gebunden werden, was dazu führt, dass diese dadurch mehr Geld u.a. durch Werbeeinnahmen verdienen können (vgl. Guhl 2021, S. 26). Inzwischen hat das Unternehmen Nachbesserungen an seinen Empfehlungsalgorithmen vorgenommen, was nach Faddoul, Chaslot und Farid (2020) jedoch nichts daran ändere, noch immer ein Biotop für verschwörungstheoretische Inhalte zu sein.
 
Die begünstigenden Strukturen und die Logik der sozialen Medien bezüglich der Verbreitung von Verschwörungstheorien und die damit verbundenen Konsequenzen geben Anlass für eine Beleuchtung der Gegenstrategien. Welche Maßnahmen und Strategien können die Social-Media-Plattformen gegen die Verbreitung von Verschwörungstheorien auf ihren Websites anwenden? Inwieweit kamen diese im Hinblick auf die Corona-Krise bereits konkret zum Einsatz? Diesen Fragen soll im Folgenden nachgegangen werden.
 
Gegenstrategien 
 
Die Corona-Krise hat die gesellschaftliche Diskussion rund um das Thema Verschwörungstheorien noch einmal deutlich angeheizt. Nach Anton und Schink (vgl. 2020, S. 15) sehen viele Beobachter*innen darin einen weiteren Beleg dafür, dass Verschwörungstheorien die Gesellschaft spalten und zudem eine Gefahr für die Demokratie darstellen.
 
Auch Butter (vgl. Schlagwein 2020) sieht deutliche Gefahren im Kursieren und in der Verbreitung von Verschwörungstheorien. Diese könnten ein Motor für eine politische Radikalisierung sein und deshalb zu Gewaltbereitschaft, aber auch zu tatsächlicher Gewalt führen. Insbesondere in medizinischen Verschwörungstheorien, die im Hinblick auf die Corona-Krise u.a. bezüglich der Corona- Schutzimpfungen in den sozialen Medien verbreitet werden, sieht er ein deutliches Gefahrenpotential, da Menschen, die an die entsprechenden Theorien glauben, dazu neigen würden, sich und andere nicht ausreichend zu schützen bzw. schützen zu wollen (vgl. Schlagwein 2020).
 
Jäger (vgl. 2021, S. 4) sieht die Gefahr, dass demokratische Grundwerte wie Menschenwürde, Respekt und Toleranz beschädigt werden, die Eskalation von Konflikten zunehmen und das allgemeine Gefahrenpotential steigen könnte. Gerade in der Corona-Krise haben sich in Verbindung mit der Popularität der sozialen Medien die potentiellen Gefahren von Verschwörungstheorien verschärft.
 
Heutzutage ist es problemlos möglich, ins Internet zu gehen und auf eine Vielzahl von Menschen zu treffen, die Anhänger*innen einer bestimmten Theorie oder Weltanschauung sind. Nach Butter (vgl. 2020) führte die Corona-Pandemie dazu, dass die Menschen in ihrem Glauben an Verschwörungstheorien immer extremer werden.
 
Dies ist darauf zurückzuführen, dass ihnen die Korrektive zum Beispiel im Sportverein oder im Chor fehlen. Viele wurden aus ihren gewohnten sozialen Beziehungen herausgerissen und hatten oft mehr Zeit für sich allein zu Hause. Einige Menschen hätten womöglich Entwurzelungserfahrungen erlebt und Ängste, u.a. ihren Job betreffend. Oft werden diese Ängste begleitet durch Gedanken und Sorgen darüber, dass man ihnen persönlich etwas Schlechtes antäte.
 
Erhöht sich in diesem Kontext zusätzlich die Zeit und das Engagement bezüglich der Social-Media-Nutzung, so steigt die Gefahr, das System und die Corona-Maßnahmen sowie womöglich auch die gesamte Corona-Krise anzuzweifeln und sich tendenziell der Richtung der Verschwörungstheorien und dem Kreis der Verschwörungstheoretiker*innen anzunähern (vgl. Butter 2020).
 
Vor diesem Hintergrund drängt sich die Frage nach möglichen Gegenstrategien auf: Inwieweit können die Social-Media-Plattformen gegen die Verbreitung von Verschwörungstheorien auf ihren Websites vorgehen und welche Maßnahmen werden hinsichtlich der Verschwörungstheorien zur Corona-Krise tatsächlich angewendet? Daran anknüpfend soll thematisiert werden, ob sich gewisse Grenzen und Hindernisse im Bezug auf die Eindämmung der Verbreitung von Verschwörungstheorien für die sozialen Medien ergeben.
 
Inwieweit gehen die Plattformen gegen die Verbreitung von Verschwörungstheorien vor?
 
Grundsätzliche kann gesagt werden, dass manche Plattformen das Problem der Verbreitung von Verschwörungstheorien erkannt haben und sich zudem der gesellschaftliche Druck erhöht hat. Bei falschen Informationen in Verbindung mit Verschwörungstheorien zu den Corona-Schutzimpfungen gab es u.a. ein Gegensteuern von Anbietern in Form von Linksetzungen, die zu seriösen Quellen weiterleiten (vgl. Schreiber 2019).
 
Die großen Tech-Konzerne setzen gegen die Verbreitung von Verschwörungstheorien zu Covid-19 auf ihren Plattformen insbesondere auf zwei Strategien: Zum einen verbergen oder entfernen sie Falschmeldungen zur Corona-Pandemie. Zum anderen setzen sie auf die Zusammenarbeit mit amtlichen und seriösen Quellen und Medien, um seriöse Informationen hochzuranken und ihnen einen priorisierten Platz einzuräumen (vgl. Klaus 2020).
 
So sammelt beispielsweise Facebook auf einer Übersichtsseite verifizierte und offizielle Informationen zum Corona-Virus und entfernt laut dem Facebook-Gründer Mark Zuckerberg zudem Falschinformationen (vgl. Klaus 2020). Ähnlich verhält es sich bei Instagram: Sucht man auf dieser Plattform nach Covid-19, werden der Link zur Website des Bundesgesundheitsministeriums sowie der Instagram-Account der Weltgesundheitsorganisation (WHO) angezeigt.
 
Instagram löscht zudem Accounts von Nutzer*innen, die bewusst und in extremer Weise Verschwörungstheorien verbreiten. So hat Instagram beispielsweise den Account von Michael Wendler gelöscht, der durch seine radikalen verschwörungstheoretischen Beiträge und Äußerungen auf Instagram auffällig geworden ist.
 
Die Suchmaschinen Google und Bing setzen auf ein ähnliches Vorgehen: Wenn mit ihnen nach dem Corona-Virus bzw. nach der Corona-Pandemie im Internet gesucht wird, werden die Websites des Bundesgesundheitsministeriums und der WHO als priorisierte und demnach als erste Suchergebnisse angezeigt. Der CEO von Google, Sundar Pichai, schrieb hierzu in einem Beitrag:
„Zusätzlich spenden wir Anzeigenplätze an Regierungen und nichtstaatliche Einrichtungen in den betroffenen Regionen, die sie für Aufklärung und Informationen bezüglich Corona nutzen können“ (zit. nach Klaus 2020).
Um gegen Falschinformationen und Verschwörungsideologien bezüglich der Corona-Fallzahlen vorzugehen, bietet Microsoft über die Suchmaschine Bing eine Karte an, die einen Überblick über Corona-Falle geben soll. Diese Daten stammen aus offiziellen Quellen wie der WHO oder dem Europäischen Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten.
 
Die Video-Plattform YouTube, welche Teil des Google-Konzerns ist, verweist bei der Anzeige der Suchergebnisse zu Covid-19 ebenfalls auf die WHO und zusätzlich auf lokale Gesundheitsbehörden. Zudem priorisiert sie ebenfalls amtliche und demnach offizielle Informationen zum Corona-Virus. YouTube setzt desweiteren auf die Entfernung von Falschinformationen. Susan Wojcicki, Geschäftsführerin von YouTube merkt hierzu an, dass dies auch „Videos [betrifft], die Menschen davon abhalten, medizinische Behandlung in Anspruch zu nehmen oder die behaupten, dass schädliche Substanzen eine gesundheitsfördernde Wirkung haben“ (zit. nach Klaus 2020) und versucht dadurch gegen die Verbreitung von verschwörungstheoretischen Inhalten vorzugehen.
 
Die Plattform Twitter bedient sich ebenfalls der oben genannten Strategien. Der Kurznachrichtendienst sammelt beispielsweise in der angezeigten Registerkarte „Entdecken“ aktuelle Nachrichten und Neuigkeiten zum Corona-Virus, auf die alle Nutzer*innen Zugriff haben. Del Harvey, Leiterin Vertrauen und Sicherheit bei Twitter, merkte an, dass diese Suchabfrage Twitters zu Covid-19 in mehr als 50 Ländern live ist. Im Hinblick auf Deutschland sind auf Twitter die Tweets vom Bundesforschungsministerium und von weiteren seriösen und offiziellen Quellen gelistet. Hierfür verifiziere Twitter die Accounts (vgl. Klaus 2020).
 
Die Verlinkungen auf den Social-Media-Plattformen, durch die man mit einem Klick auf die offizielle Seite der WHO oder des Bundesgesundheitsministeriums gelangt, haben zudem einen zusätzlichen Button. Durch einen Klick auf „mit Freunden teilen“ kann man dadurch die offiziellen Informationen direkt an weitere Nutzer*innen weiterleiten, sodass eventuelle Orientierungen der User*innen in Richtung Verschwörungstheorien entschärft werden können.




Mit all diesen Strategien und Maßnahmen versuchen die verschiedenen Social-Media-Plattformen, öffentliche Posts und Einträge, die verschwörungstheoretische oder falsche Inhalte beinhalten, einzudämmen und damit gegen die Verbreitung von Verschwörungstheorien vorzugehen. Probleme ergeben sich hier jedoch in privaten Gruppen oder Chats, in denen sich verschwörungstheoretische Kettenbriefe rasant ausbreiten können.
 
Dies liegt u.a. an dem Umstand, dass die Nachrichten und Chats, wie beispielsweise bei Whatsapp, durch Ende-zu-Ende-Verschlüsselung gesichert sind und die Plattformen die Inhalte deshalb gar nicht mitlesen ‚können‘. Mit einem WhatsApp-Newsletter versucht die WHO zwar dieser Verbreitung entgegenzuwirken, jedoch deutet dieses Beispiel bereits auf bestimmte Grenzen der Plattformen hin, wenn es um das Eindämmen der Verbreitung von Verschwörungstheorien in den sozialen Medien geht. Diese Grenzen sollen im Folgenden näher ausgeführt werden.
 
Grenzen der Social-Media-Plattformen
 
Das Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) bezeichnete die sozialen Medien als „Nährboden für Verschwörung“ (RND 2020). Auch wenn die Social-Media-Plattformen kritische Inhalte verbannen, würden die Verschwörungstheorien weiter kursieren. Dies zeige u.a. das Beispiel eines von einer Impfgegnerin verbreiteten Videos. Die Rede ist von dem 26-minütigen Film „Plandemic“, in dem Judy Mikovits eine Reihe von extremen Theorien zum Corona-Virus verbreitet.
 
Mikovits behauptet u.a., dass das Virus in einem Labor erzeugt worden wäre und den Menschen mittels Grippeschutzimpfungen injiziert werden würde. Mikovits zufolge könne außerdem das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes eine Infektion mit dem Corona-Virus auslösen. „Plandemic“ wurde z.B. in Facebook-Gruppen von Impfgegnern massenhaft geteilt. Obwohl das Video innerhalb von wenigen Tagen von den Social-Media-Plattformen verbannt wurde, hatten Judy Mikovits Worte Millionen von Nutzer*innen bereits gehört.

Dieser Vorgang mache laut dem RND deutlich, wie leicht es heutzutage ist, die sozialen Medien als eine Art ‚Megafon‘ zu missbrauchen, um mit bestimmten verschwörungstheoretischen Inhalten ein großes Publikum zu erreichen (vgl. RND 2020). Dieses Beispiel mache aber noch etwas anders deutlich – und zwar, wie schwierig es für die Betreiber der großen Social-Media-Plattformen ist, genau so etwas zu verhindern (vgl. RND 2020).
 
Im Hinblick auf „Plandemic“ liegt dies zum einen daran, dass das Video zwar von den allermeisten etablierten Internet-Plattformen entfernt wurde, aber die Verbreitung schon längt ein Eigenleben entwickelt hatte (vgl. RND 2020). Zum anderen sehen sich Verschwörungstheoretiker*innen in ihren Vorstellungen durch die Entfernung ‚ihrer‘ Inhalte bestätigt, insbesondere in der Theorie, dass die mächtigen Unternehmen die Wahrheit über die Entstehung und die Ausbreitung des Virus unterdrücken würden (vgl. RND 2020).
 
Bei dem Versuch der Social-Media-Plattformen, Verschwörungstheorien widerlegen zu wollen, zeige die Forschung, dass genau dieses Vorgehen problematisch ist, weil dadurch die ursprünglichen verschwörungstheoretischen Inhalte und Posts noch weiter verbreitet werden würden. Den meisten Menschen bliebe nicht die sachliche Widerlegung, sondern tendenziell die zumeist emotionale und dramatische Verschwörungstheorie im Gedächtnis. Dagegen könne das Setzen von Gegennachrichten, die aber die ursprüngliche Falschinformation nicht aufgreifen, helfen, was der Großteil der Plattformen z.B. mit Verlinkungen zur Website der WHO oder des Bundesgesundheitsministeriums so auch ausführen (vgl. Landeszentrale für politische Bildung 2020).
 
Die Strategie mancher Social-Media-Plattformen, problematische Profile und Gruppen von Verschwörungstheoretiker*innen zu löschen, zeigt sich nur bedingt als erfolgreiche Strategie, um gegen die Verbreitung von Verschwörungstheorien vorzugehen. Die entsprechenden Nutzer*innen weichen als Alternative einfach auf andere Kanäle aus. Dabei ist aktuell insbesondere der Messenger-Dienst Telegram beliebt. Dessen Betreiber*innen haben besonders zu Beginn kaum Inhalte entfernen lassen und üben dies immer noch in geringem Ausmaß aus (vgl. Landeszentrale für politische Bildung 2020).
 
Auch Butter (2020) merkt an, dass die Nutzer*innen einfach auf neue Plattformen ausweichen würden und es zudem immer ein Netzwerk geben würde, welches sich einer Selbstregulation entzieht und ein Forum für Verschwörungstheorien bietet. In den zwei Monaten nach der Einführung der ersten Lockdown-Maßnahmen zeigte sich das Wachstum verschwörungstheoretischer Kanäle besonders stark (vgl. Guhl 2021, S. 27).
 
Butter zufolge verringert das Löschen zwar die Verbreitung von bestimmten Beiträgen, jedoch wird seiner Ansicht nach erst gelöscht, wenn es bereits zu spät ist und sich die entsprechenden Inhalte bereits vielfach verbreitet hätten. Das bestätigt u.a. das Beispiel des „Plandemic“-Videos.
 
Desweiteren stoßen die Social-Media-Plattformen in puncto Meinungsfreiheit an ihre Grenzen. Dies würde nach Butter ebenfalls für Verschwörungstheorien gelten. Die ‚Freedom of Speech‘ müsse unberührt gelassen werden. Anders sähe es bei der ‚Freedom of Spread‘, der Freiheit auf Verbreitung aus: Nach Butter würde niemand das Recht darauf haben, dass seine Meinung oder Ansicht zusätzlich noch durch Suchmaschinen und soziale Netzwerke verstärkt wird. An diesem Punkt müssten die Plattformen ansetzen (vgl. Butter 2020).
 
Zusätzlich muss die Frage gestellt werden, inwieweit die Social-Media-Plattformen überhaupt in umfassender Art und Weise gegen die Verbreitung von Verschwörungstheorien auf ihren Websites vorgehen ‚möchten‘, wenn diese ihnen auch ökonomische Vorteile und Popularität und damit Profit einbringen. 
 
Fazit 
 
Festzuhalten ist, dass Social-Media-Plattformen Verschwörungstheoretiker*innen eine nie dagewesene Plattform bieten, um ihre Ideen und Vorstellungen einem breiten und weltweiten Publikum direkt und unmittelbar öffentlich zugänglich zu machen und zu präsentieren. Dies hat die Darstellung der Verbreitung von Verschwörungstheorien in früheren Zeiten verdeutlicht und die Rolle der sozialen Medien und deren begünstigende Strukturen bezüglich der Verbreitung von Verschwörungstheorien gezeigt. Hierbei spielen u.a. Plattformdesign und Algorithmen sowie Filterblasen und Echokammern eine entscheidende Rolle.
 
Anschließend wurden mögliche Gegenstrategien der Plattformen aufgezeigt und ausgeführt, warum diese überhaupt notwendig sind. Genannt wurde hier u.a. dass die Verbreitung von Verschwörungstheorien ein Motor für eine politische Radikalisierung darstellen können und demnach zu Gewaltbereitschaft, aber auch zu tatsächlicher Gewalt führen könnte. Insbesondere in medizinischen Verschwörungstheorien werden Gefahren gesehen, da deren Verbreitung dazu führen könnte, dass sich Menschen, die an diese Vorstellungen glauben, sich und andere nicht ausreichend schützen.
 
Anzumerken ist, dass die Plattformen sich mitunter einigen Strategien bedienen, um gegen die Verbreitung von Verschwörungstheorien auf ihren Plattformen vorzugehen, indem sie z.B. die offiziellen Websites der Weltgesundheitsorganisation WHO und des Bundesgesundheitsministeriums verlinken, um zur Aufklärung beizutragen.
 
Desweiteren nehmen sie Löschungen von problematischen Posts mit verschwörungstheoretischen Inhalten, aber auch von Accounts vor, die Verschwörungstheorien formulieren und verbreiten. Hierbei stoßen die Plattformen jedoch teilweise an ihre Grenzen und begegnen strukturellen Schwierigkeiten, die sich u.a. aus ihrer eigenen Verbreitungslogik und Infrastruktur ergeben. Bezüglich der Wirksamkeit von Strategien gegen die Verbreitung von Verschwörungstheorien in den sozialen Medien müssten die Social-Media-Plattformen zunehmend über ihre eigenen ökonomischen Interessen hinwegsehen und zusätzlich stärker in die Pflicht genommen werden.
 
Literatur und Quellen
Videos

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