Samstag, 13. April 2013

Digitale Revolution der Hochschullehre: Massive Open Online Courses (MOOC) - Fragen, Herausforderungen, Chancen und Kritik

Vorlesungen und Seminare renommierter Universitäten und berühmter Professoren zu unzähligen Themen, kostenlos und weltweit für jedermann zugänglich? "Harvard für alle Welt" nennt die Zeit die Massive Open Online Courses (MOOC), die genau dies anstreben. Nicht nur in den USA, sondern weltweit breitet sich diese neue Form der Hochschullehre in rasantem Tempo aus, und immer mehr Universitäten und Professoren experimentieren sehr erfolgreich auf diesem Gebiet. Autoren der New York Times beschreiben das neue Phänomen wahlweise als "The Campus Tsunami" und "Revolution Hits the Universities" oder sie geben dem Jahr 2012 den Namen "The year of the MOOC". Die dynamische Entwicklung dieser Form von Hochschullehre bietet nicht nur reichlich Stoff für kontroverse Diskussionen in Internetforen, Zeitungsartikeln und Vorträgen, sie veranlasst sogar einige Professoren dazu, als Undercover Studenten MOOCs am eigenen Leib zu testen. Dieser Beitrag will zunächst die wichtigsten Gesichtspunkte zu Hintergründen, Entstehungsgeschichte und Erscheinungsformen der Massive Open Online Courses abhandeln, um dann einige Aspekte der derzeitigen Diskussionen zum Thema darzulegen und zu beleuchten.

Hintergründe

Die digitale Revolution gefährdet nicht nur das Bestehen von Zeitungsverlagen, Plattenfirmen und Enzyklopädien, sondern ist auch zu einer großen Herausforderung für Universitäten geworden (vgl. Tapscott und Williams, 2010), denn das Web 2.0 ist dabei, "die Art und Weise, wie wir lernen, grundlegend zu verändern. Wir lernen nicht mehr länger nur, indem wir Vorträge und Vorlesungen besuchen oder Bücher lesen, deren Inhalt oft schon beim Erscheinen veraltet ist. Lernen beschränkt sich nicht mehr darauf, Wissen aufzunehmen und Lernende sind nicht mehr nur Wissenskonsumenten" (Müller und Schumann).

Peter Drucker, ein einflussreicher US-amerikanischer Ökonom, hat bereits 1997 versichert, die Universitäten würden innerhalb der nächsten 30 Jahre zu Überresten einer anderen Zeit werden. Eingetroffen ist zwar bislang das Gegenteil, denn Universitäten erfreuen sich einer zunehmenden Zahl an Studenten. Dennoch übernimmt das Internet unaufhaltsam die zentrale Rolle als Wissensträger und als Austauschinstrument für Wissensinhalte, wodurch die Universitäten ihre Vormachtstellung zunehmend verlieren (vgl. Tapscott undWilliams, 2010).

Vor diesem Hintergrund erläutern Don Tapscott und Anthony D.Williams in dem interessanten Aufsatz "Innovating the 21st-Century University", welche Bereiche universitärer Bildung ihrer Meinung nach grundlegenden Änderungen bedürfen. Die alte Pädagogik müsse über Bord geworfen werden und durch eine neue gemeinschaftliche Art des Lernens ersetzt werden. Nur mit einer Öffnung für gemeinschaftliches Lernen und gemeinschaftliche Wissensproduktion könne das Überleben der Institution Universität in unserer vernetzten globalen Welt gelingen. Der Meinung der Autoren zufolge könne sie dabei gar eine neue Blütezeit erfahren (vgl. Tapscott und Williams2010).

MOOC als neue Bildungsform

Das derzeit entstehende Lehrformat der Massive Open Online Courses (MOOC) scheint dem Ziel von gemeinschaftlichem Lernen und gemeinschaftlicher Wissensproduktion ein Stück näher zu kommen. Einen ersten Anstoß bekam dieses Lehrformat durch die Erfahrungen von Siemens und Downes, die 2008 den Onlinekurs „Connectivism and Connective Knowledge“ zum Erwerb eines benoteten Scheins für eine kleine Gruppe von 25 registrierten, zahlenden Teilnehmern anboten. Gleichzeitig wurde dieser Onlinekurs kostenlos für Lernende geöffnet, die lediglich an der Teilnahme, nicht jedoch am Erwerb eines Scheins interessiert waren. Diese hatten ebenfalls Zugang zu den Online-Vorlesungen, den Diskussionsforen und den wöchentlichen Modulen. Der Erfolg war überwältigend, denn über 2300 Menschen nahmen an diesem offenen Online-Kurs teil (vgl. Cormier und Siemens 2010). Seither haben MOOCs einen Siegeszug angetreten.

Merkmale von MOOC

MOOC (Massive Open Online Course) ist ein Online-Kurs, der für die weltweite Teilnahme einer großen Menschenmenge konzipiert ist. Die Kriterien dabei sind, dass es keine Zugangsvorrausetzung für die Kurse gibt, dass sie kostenlos belegt werden können und komplett online abgehalten werden. Zudem gibt es einen wöchentlichen Kursplan und mindestens eine verantwortliche Lehrperson (vgl. Wikipedia). Die Konzepte und Ausrichtungen der MOOCs können sehr verschieden sein. Gewöhnlich schauen sich die Teilnehmer kurze Online-Vorlesungen an und haben in Online-Foren Kontakt zu den Dozenten und Mitlernenden (vgl. Financial TimesLexicon).

Gemeinschaftliches Lernen und gemeinschaftlicher Wissensaustausch findet durch den Kontakt der Teilnehmer und das Offenlegen all ihrer Materialien, Ideen und Arbeiten statt. Die dabei entstehende Fülle an zusammengetragenen Artikeln, Diskussionen, Videos, Blogs, Tweeds usw. ermöglichen einen individuellen Lernprozess, das Entstehen ganz neuer Ideen und verschiedener koexistierender Erkenntnisse (vgl. Cormier, 2010). Dabei können die Lernenden ihre Zeiteinteilung, Lerntempo und Lernintensität weitgehend selbst bestimmen und sich bei Bedarf mit für sie besonders anspruchsvollen Themen oder Vorlesungen wiederholt auseinandersetzen. Einige MOOCs sehen Online-Tests vor, in anderen bewerten die Lernenden ihre Aufgaben gegenseitig und wieder andere kombinieren beides (vgl. Financial Times Lexicon). Es lohnt sich, an dieser Stelle das folgende kurze Video anzusehen, das nochmals sehr anschaulich und prägnant erklärt, was unter einem MOOC zu verstehen ist:



Verbreitung von MOOC

Seit dem überragenden Erfolg von Siemens und Downes wurden insbesondere in den USA, aber auch in anderen Ländern unzählige MOOCs von verschiedenen Anbietern entwickelt. Verschiedene Internetplattformen sind entstanden, die unzählige MOOCs zu den verschiedensten Themen in unterschiedlicher Form und in mehreren Sprachen anbieten. Oft arbeiten diese mit renommierten Universitäten zusammen, die dadurch ihre Universitätsseminare einem breiteren Publikum gleichzeitig als MOOCs anbieten können (vgl. Financial Times Lexicon).

Coursera als Beispiel für eine amerikanische Kursplattform

Exemplarisch für viele andere bedeutende amerikanische Player soll hier die Kursplattform Coursera vorgestellt werden, die bereits im Winter 2012 zwei Millionen registrierte Teilnehmer hatte und Partnerschaften mit 62 Universitäten, darunter vielen Spitzenuniversitäten, meist aus den USA aber auch aus vielen anderen Ländern, pflegt. Diese Kursplattform bietet im Vergleich zu anderen ein besonders breites Spektrum an Themenfeldern an (vgl. Klöpper 2013 und Wikipedia). Es ist sehr empfehlenswert, unter folgendem Link kurz die enorme Auswahl an Kursen allein im Bereich der Sozialwissenschaften zur Kenntnis zu nehmen: https://www.coursera.org/courses?orderby=upcoming&cats=6,socsci

Eine Vorstellung über den Inhalt, den Aufbau und die Arbeitsweise eines Coursera MOOCs kann man sich beispielsweise anhand des Kurses „Immigration and U.S. Citizenship“ verschaffen, der unter diesem Link aufgerufen werden kann: https://www.coursera.org/course/immigration

Iversity als Beispiel für eine Kursplattform im deutschen und europäischen Raum

Als einer der europäischen Player ist derzeit die Kursplattform iversity im Entstehen, die deutschen und anderen europäischen Dozenten ermöglicht, ihre Kurse als MOOCs einer großen Teilnehmerschaft öffentlich zugängig zu machen (vgl. Klöpper, 2013). Im Vordergrund steht dabei nicht die Partnerschaft mit einzelnen Universitäten, sondern die Idee, mit der Plattform eine Infrastruktur bereitzustellen, die es jedem Dozenten, unabhängig von seiner Universität, ermöglicht, kostenlos Kurse anzubieten. Zudem bietet iversity als hochschulübergreifende Plattform sowohl Studierenden als auch Lehrenden die Voraussetzung für eine vereinfachte Kommunikation in Forschung und Lehre und fördert somit den gemeinschaftlichen Wissensaustausch (vgl. Liepmann und Köpper, 2011).

Einen Einblick in Inhalt, Aufbau und Arbeitsweise eines MOOCs bei iversity kann der Kurs "University in the 21th Century" geben, der unter folgendem Link zu finden ist: http://www.iversity.org/courses/2719/calendar

Herausforderungen, Fragen, Kritik und Lob bezüglich der MOOCs

Trotz der rasanten Entwicklung und Verbreitung, die die Bildungsform der MOOCs genommen hat, trotz der unterschiedlichen Konzepte und Erscheinungsformen, die dabei entstanden sind, und trotz des großen Interesses vieler Menschen an der Teilnahme an MOOCs gibt es weiterhin sowohl etliche Herausforderungen und offene Fragen als auch vielfältige Kritik an dieser neuen Form der Hochschullehre. Einige Kontroversen sollen nachfolgend aufgezeigt und diskutiert werden. Zusammengetragen wurden die Argumente dabei aus verschiedenen Blogbeiträgen, Zeitungsartikeln und Videovorträgen, die sich mit dem Thema beschäftigen.

MOOCs als Konkurrenz oder als Chance für Universitäten

Es besteht große Einigkeit in der Annahme, dass sich die Strukturen der Hochschulbildung durch die Bildungsform der MOOCs langfristig wandeln werden. Kontrovers diskutiert wird dagegen, ob MOOCs als Chance für traditionelle Universitäten oder aber als ernstzunehmende Konkurrenz einzustufen sind. Führen MOOCs dazu, dass den Universitäten die Studenten davonlaufen?

Tatsächlich glaubt Sebastian Thrun, der als ein Star der MOOC-Kurse bezeichnet werden kann, dass es in 50 Jahren nur noch 10 Universitäten geben wird, die für die Hochschulbildung zuständig sind (vgl. Higley, 2013). Auch Marcus Riecke, CEO von iversity, ist der Meinung, dass durchschnittliche Professoren und Universitäten durchaus in die Enge getrieben werden könnten, wohingegen besonders renommierte Professoren elitärer Universitäten einen großen Zulauf erwarten könnten. "MOOCs könnten das Ende der Einführungsvorlesungen bedeuten. Denn besonders gute Professoren ziehen Studenten aus der ganzen Welt an" (Riecke, 2013). Da über das Internet problemlos 100 000 Studenten eine Vorlesung mitverfolgen können, stuft Riecke das Bild überfüllter Hörsäle als bald der Vergangenheit angehörig ein. Allerdings sieht er darin keine Bedrohung für die Universitäten, sondern eine große Chance, denn nicht jede Universität müsse ihre eigenen Kurse kreieren. Hochschulen könnten einfach besonders gute Kurse übernehmen und diese ihren Studierenden als MOOC anbieten. Anstatt ständig die gleichen Einführungsveranstaltungen zu halten, was Riecke als Verschwendung intellektueller Ressourcen bezeichnet, hätten Professoren und Professorinnen dadurch mehr Zeit, sich der Forschung und der Fortgeschrittenenlehre zu widmen (vgl. Stüber, 2013).

Als weitere Chance wird dabei die Kostensenkung gesehen, denn die Kosten für die Entwicklung der Kurse, für die Lehrkräfte und für die benötigten Räumlichkeiten fielen dann weg (vgl. Schmidt, 2013). Prof. Wilhelm Scheer, der Gründer von OpenCourseWorld, einer anderen MOOC Plattform, sieht in den MOOCs keine Konkurrenz, sondern eine Möglichkeit für die Universitäten, sich zu öffnen und zusammenzuwachsen. An einigen Hochschulen haben sich bereits Konzepte entwickelt, die Online-Angebote mit Präsenzlehre kombinieren. Diese kombinierte Form nennt sich Blended MOOCs. Ausführlicher äußert sich dazu Prof Dr.Volkmar Langer in diesem Vortrag.

Kostenloser Zugang zu Hochschulbildung und Finanzierungsmodelle der MOOCs

„Amazing talent can be everywhere. Maybe the next Albert Einstein or Steve Jobs is living somewhere in a remote village in Africa“ (Koller im TED-Vortrag). Mit diesen Worten unterstreicht Coursera-Gründerin Daphne Koller die Idee der Demokratisierung von Hochschulbildung, zu der der kostenlose und globale Zugang zu MOOCs einen Beitrag leistet. Mit Blick auf die Geschäftsmodelle vieler MOOC Plattformen, drängt sich aber die brisante Frage auf, zu welchem Preis dies geschieht. Die oben vorgestellten Plattformen Coursera und iversity sehen unter anderem die Ermittlung der besten Studenten für die jeweiligen Fachgebiete gegen Bezahlung interessierter Firmen und Arbeitgeber vor (vgl. Schmidt, 2013 und vgl. Wikipedia). Dies ist durch Learning Analytics, dem Sammeln und Analysieren von studentenbezogenen Daten, möglich. Die digitalen Spuren der Studenten werden gesammelt und analysiert (z.B. wie oft sie sich einloggen, wo sie draufklicken, wie lange sie auf welcher Seite verweilen, ob und wie sie sich in Diskussionsforen einbringen, ob sie anderen helfen, was sie schreiben, was sie lesen, mit wem sie in Kontakt stehen, mit wem sie kommunizieren…) (vgl. Watters, 2012).

Derartige Informationen scheinen heiß begehrt zu sein, da sie nicht nur Testergebnisse offenlegen, sondern sehr ausführlich und detailliert über die einzelne Studenten Auskunft geben können. MOOC-Anbieter "kennen die weltweit besten Leute zum Beispiel in Altgriechisch. Das ist für Unternehmen, die Altgriechisch-Experten einstellen wollen, eine relevante Information", sagt Riecke (vgl. Stüber, 2013). Für Prof. Dr. Rolf Schulmeister, der als Undercover Student einige MOOCs getestet hat, ist der Ausverkauf persönlicher Daten aber unvertretbar. "Der gläserne Student" sagt er, "den darf es nicht geben" (Schulmeister, 2012).

Zu Recht wird von vielen Seiten aber auch argumentiert, dass Learning Analytics viel dazu beitragen kann, ein besseres Verständnis von Lernprozessen und Lernvoraussetzungen zu schaffen, und damit helfen kann, die Lehre und die Kurse besser zu gestalten. Der Podcast "MOOCsand Machines“ äußert sich detaillierter dazu. Selbstverständlich gibt es auch viele andere, deutlich weniger umstrittene Finanzierungskonzepte der MOOC-Plattformen. Diese werden hier erläutert.

Demokratisierung der Bildung oder Pädagogischer Darwinismus

"Das wirklich revolutionäre Potenzial von MOOCs liegt in der Demokratisierung von Wissen. Die Zeiten, in denen akademische Studien ein Privileg der Bessergestellten waren, neigen sich dem Ende zu," sagt MartinWeigert, der seit vielen Jahren die Tendenzen der globalen Vernetzung analysiert (Weigert, 2013). Trotz weltweit zunehmend besserem und auch günstigerem Zugang zu Computern und damit auch zu Bildungsmaterialien konnte sich bisher die Ideologie einer weltweiten Demokratisierung von Hochschulbildung und einer besser ausgebildeten Weltgesellschaft mithilfe kostenloser, offener Online-Kurse aber nicht erfüllen. Denn große Hürden bei der Teilnahme an einem MOOC stellen oft gerade die Fähigkeiten dar, die durch ein gutes Schulsystem oder ein gebildetes Elternhaus vermittelt werden: die wissenschaftlich geprägte Sprache der Kurse, die zudem verhältnismäßig oft Englisch ist, ein gutes Textverständnis, die Fähigkeit, angemessene eigene Texte schreiben zu können, Selbstmotivation sowie Erfahrung in der Online-Kommunikation. Insbesondere die Menschen, denen der Zugang zu guter Bildung weitgehend verwehrt blieb, haben deshalb eine sehr viel geringere Chance, von den angebotenen MOOCs zu profitieren (vgl. Schmidt, 2013).

Schulmeister kritisiert die Missachtung der Diversität der Studenten und die daraus resultierenden Bildungsenttäuschungen. In der Tat sind die Abbruchquoten sehr hoch, sie betragen bis zu 90%. Dies bezeichnet er als "pädagogischen Darwinismus“ (vgl. Schulmeister, 2012). Eine Umfrage am Ende eines Coursera-MOOC ergab ein sehr ernüchterndes Fazit: Fast 90% aller erfolgreichen Absolventen waren weiß oder asiatisch, 91% waren männlich und fast alle hatten bereits ein abgeschlossenes Universitätsstudium (40% ein Collageabschluss, über 40% einen Master und 10% einen Doktortitel).

Sorgen MOOCs also für einen noch größeren Vorsprung derjenigen, die ohnehin schon einen Vorsprung haben? Es scheint so. Vergessen werden darf allerdings dennoch nicht der kleine Teil von Lernenden, der auf anderem Weg unter Umständen keinen Zugang zu einer Hochschulbildung gehabt hätte. Dieser mag zwar nur 10-15% ausmachen, bedenkt man aber die riesige Teilnehmerzahl vieler MOOCs ist das eine nicht zu unterschätzende Zahl (vgl. Schmidt, 2013). Beispiele dafür gibt es viele z.B. dieser Erfahrungsbericht einer 15-jährigen indischen Schülerin, die aus Eigeninteresse einen Elektronikkurs bei Professor Agarwal, einem der weltweit besten Informatiker belegt und erfolgreich abgeschlossen hat.

Zertifikate und Scheine oder Prüfungsbetrug und Plagiate

Gewöhnlich führt die Teilnahme an MOOCs nicht zum Erwerb von Scheinen. Eine anerkannte Zertifizierung ist aber eine wichtige Voraussetzung, um durch Bildung auch verbesserte Arbeitschancen zu schaffen (vgl. Schmidt, 2013). Scheer ist davon überzeugt, dass in absehbarer Zeit Hochschulen viele MOOCs als vollwertige Kurse anerkennen und damit auf diesem Weg erworbene Scheine akzeptieren werden (vgl. Scheer, 2013). Bei Coursera und anderen Anbietern zeichnen sich dahingehend bereits erste Veränderungen ab. In Zusammenarbeit mit dem American Council on Education werden seit einiger Zeit Kriterien zu Ablegung einer mit Webcam onlineüberwachten Prüfung ausgearbeitet (vgl. Heussner, 2012). Andere MOOC-Anbieter bevorzugen die Möglichkeit, die Prüfung unter Aufsicht in einem regionalen Testcenter abzulegen (vgl. Lobenstein, 2013). Peter Lange, Leiter der Duke University zeigt sich über diesen Wandel erfreut. “We are excited by this opportunity to experiment with new ways of using our MOOC courses to extend our educational reach and provide credit for students who would not otherwise have access to our faculty. MOOCs, often in combination with the creativity of individual universities, have much potential to open and enrich the educational offerings available to students across the United States and the globe” (Lange, 2013).

Andere Stimmen sehen diese neue Entwicklung sehr kritisch, denn, so die Argumentation, wo keine physische Anwesenheitspflicht gegeben ist, könnten Prüfungsbetrug und Plagiate nicht verhindert werden. Besonders MOOC Studenten selbst vertreten diese Meinung (vgl. Schulmeister, 2012 und vgl. Lobenstein, 2013). In der Tat gibt es bereits Unternehmen, die davon profitieren, gegen Bezahlung die erforderlichen Leistungen in Online-Kursen zu erbringen. Garantiert wird dabei eine gute Note. Ein kurzer Blick unter folgendem Link auf eine derartige Website ist durch aus lohnenswert: http://www.wetakeyourclass.com/

Didaktische Aspekte

Bezüglich der didaktischen Konzeption von MOOCs differieren die Meinungen ganz besonders. Es gibt Stimmen, die behaupten, MOOCs benötigen keinerlei Didaktik, wohingegen andere wie etwas der iversity-Gründer Hannes Klöpper den Erfolg mancher MOOCs gerade an deren didaktischer Ausrichtung festmachen. Besonders vielversprechend findet er die neuartige Nutzung von Videos, bei denen der Vortrag des Dozenten oft durch anderweitige Erklärungsunterstützung - z.B. durch Zeichnen - veranschaulicht wird. Zudem sei das unmittelbare Feedback, das Lernende oft und schnell bekommen, eine wichtige Voraussetzung, um nicht die Motivation zu verlieren. Am Ende einer Videosequenz werden dazu z.B. Fragen zur Selbstprüfung gestellt oder der Lernerfolg mit multiple choice Aufgaben gemessen. Diese kleinen Tests verringern zudem die Notwendigkeit einer großen Prüfung am Ende des Kurses und geben auch dem Dozenten Rückmeldung zu Qualität und Verständlichkeit seiner Lehre (vgl. Klöpper, 2013).

Schulmeister dagegen bezeichnet diese Testmethoden als "grauenhaft". Ferner kritisiert er, dass kreative Aufgaben oder Tests wie z.B. Aufsätze gar nicht vom Lehrenden gelesen und beurteilt, sondern lediglich durch andere Teilnehmer bewertet werden. Positiven Einfluss habe die Beurteilung durch Mitstudenten allerdings auf die Motivation, denn es entstehe so durchaus ein Gefühl des Dabeiseins und des Fleißigseins (vgl. Schulmeister, 2012).

Für bedeutend hält Klöpper auch den starken Fokus, der in vielen MOOCs auf das peer-to-peer-Lernen gelegt wird. Je größer die Teilnehmerzahl, desto besser funktioniere die soziale Interaktion und die Diskussion der Teilnehmer. Durch die gleichzeitige Beschäftigung sehr vieler Menschen mit einem Thema finde sich immer jemand, der sehr schnell eine gestellte Frage beantworten oder schwächeren Teilnehmern helfen kann. Dies sei ein Service, den normalerweise kein Lehrender bieten kann (vgl. Klöpper, 2013). Auch in dieser Hinsicht weicht Schulmeisters Meinung deutlich ab. Da es keine Forenmoderation gibt, funktioniere das peer-to-peer-Lernen nur mangelhaft, insbesondere in derart großen Gruppen. Zudem kritisiert er, dass die Lehrenden sich so gut wie nie in die Foren einmischen, selbst bei dubiosen Diskussionen erfolge keine Stellungnahme. Auch Fragen können nicht an die Lehrperson gerichtet werden, da es gar nicht möglich sei, überhaupt zu ihnen Kontakt aufzunehmen (vgl. Schulmeister, 2012).

Ein guter didaktischer Schachzug ist laut Klöpper der starke Lenkcharakter, den die MOOCs haben. Denn trotz freier Zeiteinteilung haben sie einen konkreten Anfang, eine zeitliche Taktung und ein festes Ende. Dies sei für die Lernenden wichtig, um die nötige Motivation aufzubringen, sich regelmäßig die Zeit für die Beschäftigung mit den Kursinhalten zu nehmen (vgl. Klöpper, 2013). Genau diesen Zugzwang und die damit einhergehenden Fristen findet Schulmeister dagegen viel zu starr. Bei Coursera kann z.B. nach Ablauf der Frist der wöchentliche Test nicht mehr abgelegt und die Videos nicht mehr angeschaut werden. Schulmeister ist der Meinung, dass diese starren Fristen zu einem großen Teil mitverantwortlich für die hohen Abbruchquoten seien (vgl. Schulmeister, 2012).

Zusätzlich kritisiert Schulmeister, dass die MOOCs im Allgemeinen keinem lerntheoretischen Ansatz folgen und ihre Didaktik technikgetrieben sei. Er ist aber auch der Meinung, dass die vorhandenen technischen Möglichkeiten, die gutes e-learning ermöglichen könnten, gar nicht genutzt würden. MOOCs sind für ihn keine moderne Lehre, sondern gewöhnliche Hochschullehre in einem anderen Format (vgl. Schulmeister, 2012).

Fazit

Dieser Beitrag erhebt nicht den Anspruch auf Vollständigkeit und will nicht Position beziehen, sondern lediglich ein (unvollständiges) Bild der derzeitigen Diskussion skizzieren. Zusammengefasst kann nun festgehalten werden, dass das Web 2.0 und damit auch die neue Lehrform der MOOCs mit Sicherheit einen größer werdenden Einfluss auf die Hochschulbildung haben. Die Folgen bleiben abzuwarten, es scheint jedoch nicht ausgeschlossen, dass dabei brauchbare neue Konzepte entstehen werden. Die bisherigen vielseitigen Erscheinungsformen der MOOCs lassen darauf hoffen. Derzeit bieten sich MOOCs besonders für Weiterbildungszwecke an. Der kostenlose Zugang, die relativ freie Zeiteinteilung und die enorme Auswahl an Themen machen geradezu Lust auf Weiterbildung! Die durchaus ernstzunehmenden Kritikpunkte bezüglich Geschäftsmodellen, Anerkennung der Prüfungsleistung und der didaktischen Konzeption der MOOCs bedürfen sicherlich weiterer Diskussion und Optimierung. Aber auch hier erscheint die Entwicklung adäquater Konzeptionen durchaus denkbar. Fest steht, dass die in jeder Hinsicht vielseitige und hochinteressante Diskussion zum neuen Lehrformat der MOOCs wohl noch einige Zeit weitergehen wird.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen