Mittwoch, 22. Februar 2012

Wikipedia Teil V: Motivation der AutorInnen

Im Rahmen eines Projekts beschäftigen wir uns seit einigen Wochen intensiver mit der Online-Enzyklopädie Wikipedia. Noch immer lehnen viele Lehrende an Schulen und Hochschulen Wikipedia ab - ein Umstand, der wohl nur mit mangelndem Verständnis hinsichtlich der Enzyklopädie (sowie des Web 2.0 im allgemeinen) erklärt werden kann. Wir haben uns deshalb entschlossen, in einer Reihe von Postings Wikipedia und dessen Nutzung zu erläutern. Alle Postings zusammen werden dann als neues Unterkapitel im Abschnitt Lernen 2.0 des Online-Lehrbuchs zum Web 2.0 veröffentlicht.

Bisher erschienen:
Wikipedia Teil I: Wie ist Wikipedia entstanden?
Wikipedia Teil II: Grundprinzipien der Wikipedia
Wikipedia Teil III: Weitere Regeln in der Welt der "freien Enzyklopädie"
Wikipedia Teil IV: Erfolgsfaktoren und Wikipedianer

Motivation der AutorInnen

(Autorin: Katharina Kuen)
“Wikipedia zeigt uns, warum es sich lohnt, in digitalen Netzwerken zusammenzuarbeiten, statt in intellektueller Isolationshaft auf geniale Einfälle zu warten. Wikipedia hat die Welt zu einem intelligenteren Ort gemacht. Wikipedia ist ein Werk der Vielen. Die erste Software der Dichter und Denker.”
[Ralf Müller-Schmid, Dradio, “Die Suche nach der Wahrheit”, 15.01.2011]
Meistens stößt man über eine Suchmaschine auf Wikipedia-Artikel. Beim Lesen bemerkt man, dass der Artikel nicht vollständig ist. Man besitzt Informationen, die dem Artikel fehlen. Erfahrungsberichten zufolge ist man gefangen, sobald einmal der Bearbeiten-Button gedrückt und Informationen ergänzt wurden. Verbesserungen und Ergänzungen folgen - man will mehr! Die Registrierung als Benutzer ist dann nur noch eine Frage der Zeit (vgl. Lüdeke/Cüppers, Wikimedia 2011, S. 65/130).

Die Wikipedianer arbeiten aus unterschiedlichen Gründen an dem Projekt mit. Laut einer Online-Befragung des Psychologischen Instituts der Universität Würzburg zum Thema “Motivation von TeilnehmerInnen an Wikipedia” sind die drei wichtigsten Motive für die Mitarbeit:
  • Das Interesse, die Qualität von Wikipedia insgesamt zu verbessern;
  • die Überzeugung, dass Informationen frei sein sollten;
  • das Verbessern eigener Artikel und die Freude am Schreiben.
Die Studie zeigt, dass die Motivation zur Mitarbeit durch die Wissenserweiterung und -verbreitung gestärkt wird und dass von zentraler Bedeutung ist, an einem langwierigen Projekt mitzuwirken (vgl. Schroer 2005, Online-Befragung). Die Motivation des Benutzers Gripweed spiegelt die oben genannten Punkte wieder:
“Freies Wissen für jeden! Die Möglichkeit, Teil von etwas Größerem zu sein. Mit meinem Wissen dafür sorgen, dass andere ihr Wissen vergrößern, aber auch von anderen lernen. Neues entdecken und altes hinterfragen.”
(Benutzer:GRIPWEED, Wikimedia 2011, S. 145)
Die Komponente der Teamarbeit, das “soziale Wissen”, führt bei den AutoreInnen zu Begeisterung und Motivation. Man lernt von den anderen, muss jedoch damit rechnen, dass der eigene Text überarbeitet wird. Jeder ist ein Spezialist für gewisse Arbeitsbereiche: Die einen schreiben Artikel, die anderen korrigieren Rechtschreibfehler und wieder andere fügen Kategorien oder Links hinzu. Alle arbeiten an einem Strang. Man muss kompromissfähig sein und die eigene Auffassungen zugunsten des “Neutralen Standpunkts” in den Hintergrund stellen (vgl. Benutzer:Gripweed, Wikimedia 2011, S. 146).

Eine geringe Anzahl an Usern schöpft Motivation aus persönlichen Treffen und nimmt an den monatlich stattfinden “Stammtischen” teil. Diese finden meist in größeren Städten statt. Hier besteht die Möglichkeit, anderen Autoren im realen Leben zu begegnen und sich außerhalb des Internets auszutauschen (vgl. Schuler 2007, S. 121).

Anerkennung für Autoren und Artikel kann für alle sichtbar durch Auszeichnungen zum Ausdruck kommen. Es gibt zum Beispiel “lesenswerte” und “exzellente Artikel”, die von der Community selbst vorgeschlagen werden können. Diese Beiträge müssen gewisse Kriterien erfüllen, wie beispielsweise die Einhaltung der Neutralität und ein ausführliches Quellenverzeichnis. Die ausgezeichneten Artikel werden mit einem kleinem Symbol versehen (vgl. Schuler 2007, S. 92). Es befindet sich rechts auf Höhe der Artikel-Überschrift.

Die Auszeichnungen dieser Artikel erfüllen mehrere Funktionen. Sie weisen den Leser auf einen Artikel mit hoher Qualität hin. Außerdem sollen diese Artikel als Vorzeigeobjekte und Vorbilder für neue Artikel dienen. Ein qualitativ hochwertiger Artikel ist auf der Hauptseite der Wikipedia unter “Artikel des Tages” zu finden (vgl. Raschka,Wikimedia 2011, S. 96). Nicht wenige AutorInnen arbeiten auf eine Auszeichnung ihres Artikels hin und schließen ihre Arbeit an dem Artikel erst ab, wenn dieser eine Auszeichnung erlangt. Dies motiviert AutorInnen. Die Auszeichnung wird auf der eigenen Benutzerseiten aufgelistet (vgl. ebd. S. 97).

Außerdem gibt es Schreibwettbewerbe, die die Motivation der AutorInnen steigern sollen. Seit August 2007 wird jährlich die Johann-Heinrich-Zedler-Medaille für den besten Wikipedia-Beitrag verliehen (vgl. Wilhelm, Wikimedia 2011, S. 268). Zudem gibt es einen Artikelmarathon, der erstmalig 2007 unter dem Namen “Stub-Wettbewerb” stattgefunden hat.

Fünf Autoren sollten innerhalb von sechs Stunden über einen vorgegebenen Inhalt die meisten, mit Literatur belegten Artikel schreiben. Entstanden sind 34 Artikel. Der bereits acht Mal veranstaltete Artikelmarathon erbrachte 7862 Artikel von insgesamt 133 Autoren (vgl. Kulac, Wikimedia 2011, S. 118ff). Im Zentrum steht hierbei die “spielerische Motivation zum Artikelschreiben [...]. Bereits jeder Beitrag bringt die Wikipedia einen Schritt weiter [...]: Dabei sein ist alles! Es lebe der Dienst an der Verbesserung unserer Enzyklopädie” (ebd. S. 120)!

Wie also ist es möglich, dass eine so große Wissenssammlung durch tausende freiwilliger AutorInnen geschaffen wird? Warum investieren sie (zum Teil tagtäglich) ihre Zeit, arbeiten mit Hingabe und Leidenschaft an dem Projekt Wikipedia mit, um ihr Wissen der ganzen Menschheit zur Verfügung zu stellen, und das alles ohne auch nur einen Cent dafür zu bekommen? Shirky schlägt eine simple, aber überzeugende Antwort vor: „When people care enough, they can come together and accomplish things of a scope and longevity that were previously impossible; they can do big things for love“ (Shirky 2008, S. 142).

Fortsetzung: Wikipedia Teil VI: Wie schreibe ich einen Artikel?

Literatur

Clay Shirky (2008), Here Comes Everybody. The Power of Organizing Without Organizations, Penguin, S. 109-142: “Personal Motivation Meets Collaborative Production”.

David Weinberger (2008), Das Ende der Schublade. Die Macht der neuen digitalen Unordnung, Hanser, S. 160-176: „Anonyme Verfasser“.

Stefan Münker (2009), Emergenz digitaler Öffentlichkeiten. Die Sozialen Medien im Web 2.0, Suhrkamp, S. 95-102: „Kollektives Wissen und der Erfolg von Wikipedia“.

Don Tapscott/Anthony D. Williams (2007), Wikinomics. Die Revolution im Netz, Hanser, S. 71-76: „Die Enzyklopädie, an der jeder mitschreiben kann“.

Will Richardson (2011), Wikis, Blogs und Podcasts. Neue und nützliche Werzeuge für den Unterricht, Tibia Press, S. 95-116: „Wikis. Gemeinschaftsarbeit leicht gemacht“.

Anja Ebersbach/Markus Glaser/Richard Heigl (20112), Social Web, UVK, S. 39-60: „Wikis“.

Daniela Pscheida (2010), Das Wikipedia-Universum. Wie das Internet unsere Wissenskultur verändert, Transcript Verlag.

Ziko Van Dijk (2010), Wikipedia. Wie Sie zur freien Enzyklopädie beitragen, Open Source Press.

Günter Schuler (2007), Wikipedia inside. Die Online-Enzyklopädie und ihre Community, UNRAST Verlag.

Nando Stöcklin (2010), Wikipedia clever nutzen - in Schule und Beruf, Orell Füssli Verlag AG.

Wikimedia Deutschland e.V. (2011), Alles über Wikipedia. Und die Menschen hinter der größten Enzyklopädie der Welt, Hoffmann und Campe Verlag.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen