Samstag, 12. Juni 2021

Analyse der Machtstrukturen in Wikipedia

In diesem Beitrag stellt Luca Rodio folgenden Aufsatz vor:

Thiele, Franziska / Sichler, Almut (2018): Egalitär oder Elitär? – Diskursive und institutionelle Machtstrukturen in Wikipedia; in: Christiane Eilders / Olaf Jandura / Halina Bause / Dennis Frieß (Hrsg.): Vernetzung. Stabilität und Wandel gesellschaftlicher Kommunikation, Köln: Herbert von Halem Verlag, online bei ResearchGate.

Der Artikel wird durch eine prägnante Hinführung an die Untersuchung mit einigen relevanten Aspekten eingeleitet. So schreiben die Autorinnen beispielsweise, dass die Wikipedia-Community im Kern aus nur etwa 300-500 Wikipedianern bestehe und diese auch die verschworene Wikipedia-Gemeinschaft darstellen, die oligarchisch über die kollektiv erstellte Enzyklopädie wacht (vgl. Thiele/Sichler 2018, S. 2). Bereits hier kann der Leser erkennen, dass einige Wikipedianer eine enorme Macht besitzen.

Des Weiteren habe, so die Verfasserinnen, die Enzyklopädie in den letzten zehn Jahren als Forschungsgegenstand massiv an Bedeutung gewonnen, seit 2002 sei außerdem ein deutlicher Anstieg der Wikipedia-Zitationen in wissenschaftlichen Publikationen zu verzeichnen (vgl. ebd.). Zusätzlich führen die beiden Autorinnen in ihrer Einleitung an, dass Wikipedia eine enzyklopädische Monopolstellung zuzuschreiben sei, zudem besitze sie aufgrund stetig steigender Nutzungshäufigkeit eine große Reichweite und damit das Potenzial zu einer enormen Wissensmacht (vgl. ebd.).

Um dies zu erkennen, muss man nicht stark in das Geschehen involviert sein. Was aber vielfach eine Leerstelle bleibt, sind die Motivation, das Partizipationsverhalten und die Struktur der Autorenschaft, da in Wikipedia die Möglichkeit besteht, anonym am kompletten Konstrukt mitwirken zu können (vgl. ebd.). Was für die Forschung nicht unerheblich ist, ist die Tatsache, dass sich die Kontexte der Wissensproduktion sowohl auf institutioneller als auch auf diskursiver Ebene dadurch nachvollziehen lassen, da alle Einträge, Änderungen, Diskussionen und Versionsgeschichten zu jeder Seite gespeichert werden (vgl. ebd.).

Im weiteren Verlauf des Artikels skizzieren die Autorinnen einen theoretischen Rahmen, indem die Bedingungen für die Forschung angegeben werden. Hier werden außerdem zum Teil Begriffe näher definiert, wie beispielsweise der Diskurs, der nach Foucault „dasjenige [darstellt], worum und womit man kämpft; er ist die Macht, deren man sich zu bemächtigen sucht“ (Foucault, zit. nach Thiele/Sichler 2018, S. 3). Zudem werden externe Kontrollmechanismen (Verbote, Grenzziehungen, Wahrheitsprinzip) von den internen Kontrollmechanismen (Kommentar, Prinzip des Autors, Disziplin) klar abgegrenzt (vgl. Thiele/Sichler 2018, S. 3). Dies ist für die nachfolgende Untersuchung von großer Bedeutung.

Die eigentliche Analyse der Wikipedia-internen Machtstrukturen wurde auf den im Gemeinschafts-Wiki verankerten Seiten der deutschsprachigen Wikipedia sowie in drei Interviews mit Wiki-Autoren erhoben (vgl. Thiele/Sichler 2018, S. 4). Die Verfasserinnen kamen zu dem Schluss, dass sich „[i]nstitutionelle Machtstrukturen [...] vor allem in den Hierarchiestrukturen und Funktionen von Rollen [...] sowie den Wikipedia-internen Richtlinien und Regeln [zeigen]“ (ebd.).

Zusätzlich ist in dem Artikel davon die Rede, dass in den Anfangsjahren der deutschsprachigen Wikipedia lediglich drei Benutzergruppen (nicht angemeldete Benutzer, angemeldete Benutzer, Administratoren) vorhanden waren, jedoch ist im Laufe der Zeit eine Vielzahl an Benutzergruppen mit den unterschiedlichsten Befugnissen hinzugekommen (vgl. Thiele/Sichler 2018, S. 6f.).

Ebenso stellen die Autorinnen die (aktuellen) Hierarchiestrukturen der Wikipedia dar. Demzufolge gibt es im untersten Glied die nicht angemeldeten Benutzer, die auch lediglich über die Befugnis verfügen, Kommentare zu verfassen und Textänderungen vorzunehmen. Über ihnen stehen die angemeldeten Benutzer, diese sind darüber hinaus mit dem Privileg ausgestattet, Seiten zu verschieben, Dateien hochzuladen, Bücher zu speichern sowie halbgeschützte Seiten zu editieren.

An übergeordneter Stelle stehen die stimmberechtigten Nutzer und die Sichter, die Artikel als gesichtete Versionen markieren können und damit der Community angeben, dass derjenige Artikel frei von Vandalismus ist. An der obersten Stelle der Wikipedia-Hierarchie stehen unter anderem die Administratoren, die mit der Befugnis ausgestattet sind, Seiten zu schützen, geschützte Seiten zu bearbeiten, Seiten zu löschen, gelöschte Seiten wiederherzustellen, Nutzer zu sperren und Sperrungen wiederaufzuheben (vgl. Thiele/Sichler 2018, S. 7).

Die Untersuchung zeigt, dass es viele interne Regeln und Richtlinien, wie z.B. Relevanzkriterien, nach denen ein Artikel erstellt werden soll, gibt, die auf verschiedensten Seiten zusammengefasst sind und Wikipedia-Autoren zum Teil sogar überfordern (vgl. Thiele/Sichler 2018, S. 9). Ebenso erstaunlich ist die Tatsache, dass es keinen verbindlichen Verhaltenskodex für Administratoren gibt, vielmehr handeln diese nach eigenem Ermessen. Dies führt natürlich dazu, dass gegen Konflikte in der Community nichts unternommen wird und somit zur Verhärtung der Fronten beigetragen wird. Außerdem gibt es Administratoren, die selbst gegen Richtlinien verstoßen und hierfür wenig bis keine Konsequenzen zu befürchten haben (vgl. Thiele/Sichler 2018, S. 10).

Innerhalb der Wikipedia-Community ist man als aktiver Nutzer Autor und Redakteur zugleich, Administratoren und langfristige Mitglieder haben jedoch bei inhaltlichen Diskussionen oft das letzte Wort (vgl. Thiele/Sichler 2018, S. 11).

Die Verfasserinnen kamen zu dem Ergebnis, dass Personen unabhängig vom Status nur dann Autorität zugesprochen wurde, wenn sie sich auch im Metabereich und der Organisation von Wikipedia einbrachten. Es ist also förderlich, sich beim Verfassen von Artikeln für die Akkumulation diskursiver Macht einzubringen (vgl. Thiele/Sichler 2018, S. 12). Ein weiterer Aspekt, der zentral für die Anerkennung diskursiver Macht ist, war die Entwicklung eines Habitus, der demjenigen der Machteliten entspricht (Thiele/Sichler 2018, S. 13).

Die Untersuchung brachte die Erkenntnis, dass sich unter der gebildeten Autorengruppe eine Hierarchiestruktur zur Regulierung und Kontrolle des Wissens herausgebildet hat. die damit wesentlichen Einfluss auf den Diskurs nimmt (vgl. ebd.). Außerdem zeigt die Erhebung, „dass die institutionellen Machtstrukturen in der Wikipedia durch klare Hierarchiestrukturen, stabile Machteliten und unübersichtliche Richtlinien charakterisiert sind, die den Einstieg insbesondere für Neueinsteiger erschweren“ (ebd.).

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