Dienstag, 8. Juni 2021

Wikipedia in der universitären Lehre

In diesem Beitrag stellt Nils Krauter folgenden Aufsatz vor:

Bürgin, Martin; Eichenberger, Linda; Zumstein, Marius (2020): Alternative Leistungsnachweise im Digital Flipped Classroom: Wikipedia als Plattform und Werkzeug universitärer Lehre; in: Zeitschrift für Religionskunde / Revue de didactique des sciences des religions, 8/2020, S. 186-201, online unter: https://doi.org/10.5167/uzh-193075.

In diesem Artikel schildern die Autoren den Verlauf eines von ihnen veranstalteten Seminars zum Thema Mikrogeschichte. Interessant an diesem Seminar ist der Verzicht auf traditionelle Leistungsnachweise. Die Leistung wird über das Verfassen eines Wikipedia-Eintrags erbracht, mit anschließender Reflexion in Form eines Essays.

„Anstatt Vor- und Nachteile der Online-Enzyklopädie lediglich theoretisch zu reflektieren, sollte sie praktisch erfahrbar und didaktisch nutzbar gemacht werden […]“ (Vgl. Bürgin et al, S.185).

Zu Beginn gehen die Autoren auf ihre Intentionen und genutzten Lehrmethoden ein. Das Seminar und die Autoren beschäftigen sich also nicht mit einer Evaluierung von Wikipedia als Quelle oder einer Diskussion über die Vor- und Nachteile der Enzyklopädie. Im Fokus steht ein Erleben der Prozesse, die zur Entstehung eines Wikipedia-Artikels führen unter Anleitung kompetenten Personals.

Durch die Schließung der Hochschulen in Folge der Covid-19-Pandemie ist traditionelles Unterrichten nicht möglich, weshalb die Autoren den Ansatz des Blended Learning genutzt haben. Blended Learning ist ein integriertes Lehrkonzept, welches die Möglichkeiten des Inter- oder Intranets mit traditionellen Lehr- und Lernmethoden verbindet, um die Vorzüge beider Aspekte optimal zu nutzen. Hiermit wird elektronisch gestütztes Lernen losgelöst von Zeit und Ort ermöglicht.

In diesem Rahmen wird die Lehrmethode des Flipped Classrooms genutzt (auch „inverted classroom“ gennant), bei der die Studenten die inhaltliche Vorbereitung auf die Treffen im Vorlauf erledigen. In den Sitzungen leiten die Dozierenden, in der Rolle von Moderatoren, Diskussionen unter den Studierenden und konfrontieren sie mit Problemen, welche sie anhand des vorab angesammelten Wissens lösen sollen.

Ziel des Seminars ist, den Studierenden einen quellkritischen Umgang mit Wikipedia näherzubringen sowie den Reiz zu setzen, dass ihre Arbeit einer breiten Öffentlichkeit zugänglich sein wird. Anschließend folgt eine Darlegung ihrer Sicht auf Wikipedia und dessen Funktionsweise.

Die Idee entstand aus der Überlegung, dass an Hochschulen von Dozierenden wie Studierenden Wikipedia viel genutzt wird, doch im Großteil der Einführungsveranstaltungen tabuisiert wird. Ebenso scheint die quellkritische Auseinandersetzung im Hochschulcurriculum gering auszufallen.

Wikipedia als Website setzt auf eine breite Autorenschaft mit einer niedrigen Eintrittsschwelle, um selbst mitwirken zu können. Wikipedia wird in Hinsicht der inhärenten hierarchischen Struktur des Öfteren kritisiert. User, die im Sichtungssystem höher stehen als andere, haben eine größere Entscheidungsgewalt, was vor allem bei umstrittenen Themen wie Homöopathie auffällt.

Nun gehen die Autoren über zum tatsächlichen Seminaraufbau und Ablauf. Das Seminar wurde in vier Phasen gegliedert, angefangen mit einem Lektüreteil, damit die Studierenden sich in die Thematik der Mikrogeschichte einarbeiten können und einen Grundstock an Wissen aufbauen.

In der zweiten Phase wird den Studierenden ihre Aufgabe erklärt, nämlich einen Artikel zu einem klassischen Werk der Mikrogeschichtsschreibung wie zu dessen Autor auf Wikipedia zu schreiben. Da das Thema der Mikrogeschichtsschreibung auf Wikipedia eher gering vertreten war, gab es viel Spielraum.

Dazu wurde Ulrich Lantermann, der Community-Verantwortliche von Wikimedia CH hinzugezogen. In einer ganztägigen Blockveranstaltung wurden die Studierenden und Dozierenden in die Arbeit und Arbeitsweise von Wikipedia eingeführt. Währenddessen wurde ebenfalls thematisiert, wie Wikipedia als System arbeitet.

In der dritten Phase ging es um Überarbeitung und Interaktion. Dazu wurden die Artikel veröffentlicht und es gab Rückmeldung von Seiten der Dozierenden und von der Wikipedia-Community. In der letzten Phase sollten die Studierenden ihre Erfahrungen in Form eines Essays reflektieren. Als vorletzten Abschnitt führen die Autoren nun ihre Evaluation und Kritik am Seminar an.

„Die Einschätzungen derjenigen Wikipedianer_innen, die sich auf den unserem Projekt zugehörigen Diskussionsseiten äusserten, waren – abgesehen von einigen durchaus hilfreichen und wohlwollenden Reaktionen – deutlich kritischer und im Ton harscher formuliert. Diese Kommentare illustrieren gleichsam die Heterogenität der Wikipedia-Community und ihrer Erwartungen an Wikipedia.“ (Vgl. Bürgin et al, S.195)

Seitens der Wikipedia-Community gab es also eine Bandbreite der Reaktionen hinsichtlich der produzierten Artikel. Die Studenten schätzten die didaktische Form des Digital Flipped Classrooms und die Form des Leistungsnachweises.

„Äusserst positiv bewertet wurde die Möglichkeit, ortsunabhängig zu arbeiten und das erarbeitete Wissen einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen.“ (Vgl. Bürgin et al, S.196)

Abschließend geben die Autoren einen Ausblick auf potenzielle weitere Seminare und bewerten das Seminar selbst als Erfolg.

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