Montag, 27. Februar 2012

Wikipedia Teil VII: Wie finanziert sich Wikipedia?

Im Rahmen eines Projekts beschäftigen wir uns seit einigen Wochen intensiver mit der Online-Enzyklopädie Wikipedia. Noch immer lehnen viele Lehrende an Schulen und Hochschulen Wikipedia ab - ein Umstand, der wohl nur mit mangelndem Verständnis hinsichtlich der Enzyklopädie (sowie des Web 2.0 im allgemeinen) erklärt werden kann. Wir haben uns deshalb entschlossen, in einer Reihe von Postings Wikipedia und dessen Nutzung zu erläutern. Alle Postings zusammen werden dann als neues Unterkapitel im Abschnitt Lernen 2.0 des Online-Lehrbuchs zum Web 2.0 veröffentlicht.

Bisher erschienen:
Wikipedia Teil I: Wie ist Wikipedia entstanden?
Wikipedia Teil II: Grundprinzipien der Wikipedia
Wikipedia Teil III: Weitere Regeln in der Welt der "freien Enzyklopädie"
Wikipedia Teil IV: Erfolgsfaktoren und Wikipedianer
Wikipedia Teil V: Motivation der AutorInnen 
Wikipedia Teil VI: Wie schreibe ich einen Artikel?

Wie finanziert sich Wikipedia?

(Autorin: Katharina Kuen) 

Die Finanzierung des Projekts erfolgt durch Spenden. Wikipedia-Gründer Jimmy Wales ist sich selbst nicht sicher, ob “es entweder meine klügste oder dümmste Idee war”, sich gegen ein kommerzielles Interesse entschieden zu haben (Wales, Wikimedia 2011, S. 9).

Wikipedia basiert auf der Grundidee von Open Source, d.h. für jedermann frei und kostenlos zugänglich zu sein sowie keinen Profit aus dem Projekt zu erzielen. Um diese Idee zu verwirklichen, errichtete Wales 2003 die Wikimedia Foundation und übertrug ihr die Rechte an der Online-Enzyklopädie (vgl. Stöcklin 2010, S. 28). Die Wikimedia Foundation benötigt (relativ) geringe finanzielle Mittel, die (bislang) durch Spenden abgedeckt werden können.

Seit 2003 werden die Nutzer von Wikipedia jährlich zum Spenden aufgerufen. Das non-profit Projekt soll weiterhin kostenlos, werbefrei und (dadurch) unabhängig bleiben. Zahlreiche Autoren und Spender der Wikipedia werben jedes Jahr für den Spendenaufruf auf den Wikipedia-Seiten mit eigenem Porträtfoto.

Beim jüngsten Spendenaufruf (Ende 2011) konnte eine Rekordsumme von 20 Millionen Dollar von mehr als einer Million Spendern eingeworben werden. Eine Großspende von 500.000 Dollar erhielt Wikipedia vom Google-Gründer Sergey Brin und dessen Frau Anna Wojcicki (FAZ, 03.01.2012). Google spendete der Wikimedia Foundation schon im Jahr 2010 zwei Millionen Dollar (heise online, 17.02.2010). Die größte Spende kam jedoch im Jahr 2008 von der Alfred P. Sloan Foundation. Sie spendete drei Millionen Dollar (cnet news, 25.03.2008).

Die Spendenkampagne von Wikimedia Deutschland e.V. verläuft getrennt von der Spendenaktion der amerikanischen Wikimedia Foundation. Diese Jahr spendeten über 160.000 Menschen mehr als 3,8 Millionen Euro an den deutschen Förderverein. Die Spenden werden für verschiedene Aufgaben eingesetzt. Das meiste Geld wird für die Softwareentwicklung benötigt. Zudem sollen internationale Projekt der Wikipedia unterstützt werden, um die Online-Enzyklopädie in weiteren Sprachen zu fördern. Außerdem müssen die Löhne der rund zwanzig Festangestellten bezahlt werden (vgl. Wikimedia,Ihre Spende wirkt).

Motive der SpenderInnen

Die folgenden Zitate spiegeln eine Auswahl an Gründen wider, die einzelne Personen zum Spenden motivieren:
Dr. Georgios Papagiannopoulos, Münchberg (24. Dezember 2011): “Freies Wissen ist einer der Grundsteine der Demokratie und der Freiheit. Alles kann beraubt werden, das Wissen aber nicht!”

Udo Domröse, Mömbris (24. Dezember 2011): “Eine freie Enzyklopädie ist einfach eines der wichtigsten Kinder der globalen Vernetzung. Aus meiner eigenen beruflichen Praxis weiß ich, dass Darstellungen aus Wikipedia auch Menschen in solchen Ländern erreichen, in denen Meinungsfreiheit noch nicht so groß geschrieben wird. So trägt Wikipedia zur Globalisierung der Freiheit bei.”

Anonym (1. Januar 2012): “Wikipedia sehe ich als unabhängige Organisation, die mir unentgeltlich Informationen zur Verfügung stellt. Auch wenn ich es nicht immer überprüfen kann, ob alles zu 100 % stimmt (gibt es das überhaupt?), ist es für mich genial, mit einem Mausklick Informationen zu bekommen. Ich habe nach der Scheibenwelt als Begriff gesucht. Ein kurzer Klick und ich wusste sofort mehr. Die unabhängige Arbeit unterstüze ich gern.”

Ruben Küker (1. Januar 2012): “Die Wikipedia setzt sich das Ziel, Wissen kostenfrei für alle Menschen bereitzustellen. Wissen und Aufklärung sind nach meiner Auffassung Grundrechte, die niemandem verwehrt werden dürfen. Der technische Aufwand jedoch fordert auch seine Kosten. Dass die Wikipedia weiterhin werbefrei und unabhängig bleibt, spielt eine große Rolle. Darum habe auch ich gespendet.”

Werner Krauskopf, Kronberg (1. Januar 2012): “Das Wissen der Welt muss allen Menschen zur Verfügung stehen, ohne dass sie dafür bezahlen müssen. Wikipedia hilft (auch mir) dabei - jeden Tag!”

Nahne Ingwersen, Berlin (3. Februar 2012): “Warum ich für Wikipedia gespendet habe? Ich kenne niemanden, der es nicht benutzt.”

Dr. Gunther Michel, Essen (4. Februar 2012): “Die Idee des freien Wissens ist die Idee des selbstbestimmten Menschen und der Motor der Menschheitsentwicklung! Wenn schon spenden, dann hier!”
Diese und weitere Spendenkommentare können unter Wikimedia Spendenkommentare nachgelesen werden.

Fortsetzung: Wikipedia Teil VIII: Weitere Projekte der Wikimedia Foundation

Literatur

Clay Shirky (2008), Here Comes Everybody. The Power of Organizing Without Organizations, Penguin, S. 109-142: “Personal Motivation Meets Collaborative Production”.

David Weinberger (2008), Das Ende der Schublade. Die Macht der neuen digitalen Unordnung, Hanser, S. 160-176: „Anonyme Verfasser“.

Stefan Münker (2009), Emergenz digitaler Öffentlichkeiten. Die Sozialen Medien im Web 2.0, Suhrkamp, S. 95-102: „Kollektives Wissen und der Erfolg von Wikipedia“.

Don Tapscott/Anthony D. Williams (2007), Wikinomics. Die Revolution im Netz, Hanser, S. 71-76: „Die Enzyklopädie, an der jeder mitschreiben kann“.

Will Richardson (2011), Wikis, Blogs und Podcasts. Neue und nützliche Werzeuge für den Unterricht, Tibia Press, S. 95-116: „Wikis. Gemeinschaftsarbeit leicht gemacht“.

Anja Ebersbach/Markus Glaser/Richard Heigl (20112), Social Web, UVK, S. 39-60: „Wikis“.

Daniela Pscheida (2010), Das Wikipedia-Universum. Wie das Internet unsere Wissenskultur verändert, Transcript Verlag.

Ziko Van Dijk (2010), Wikipedia. Wie Sie zur freien Enzyklopädie beitragen, Open Source Press.

Günter Schuler (2007), Wikipedia inside. Die Online-Enzyklopädie und ihre Community, UNRAST Verlag.

Nando Stöcklin (2010), Wikipedia clever nutzen - in Schule und Beruf, Orell Füssli Verlag AG.

Wikimedia Deutschland e.V. (2011), Alles über Wikipedia. Und die Menschen hinter der größten Enzyklopädie der Welt, Hoffmann und Campe Verlag.

Sonntag, 26. Februar 2012

Wikipedia Teil VI: Wie schreibe ich einen Artikel?

Im Rahmen eines Projekts beschäftigen wir uns seit einigen Wochen intensiver mit der Online-Enzyklopädie Wikipedia. Noch immer lehnen viele Lehrende an Schulen und Hochschulen Wikipedia ab - ein Umstand, der wohl nur mit mangelndem Verständnis hinsichtlich der Enzyklopädie (sowie des Web 2.0 im allgemeinen) erklärt werden kann. Wir haben uns deshalb entschlossen, in einer Reihe von Postings Wikipedia und dessen Nutzung zu erläutern. Alle Postings zusammen werden dann als neues Unterkapitel im Abschnitt Lernen 2.0 des Online-Lehrbuchs zum Web 2.0 veröffentlicht.

Bisher erschienen:
Wikipedia Teil I: Wie ist Wikipedia entstanden?
Wikipedia Teil II: Grundprinzipien der Wikipedia
Wikipedia Teil III: Weitere Regeln in der Welt der "freien Enzyklopädie"
Wikipedia Teil IV: Erfolgsfaktoren und Wikipedianer
Wikipedia Teil V: Motivation der AutorInnen

Wie schreibe ich einen Artikel?

(Autorin: Katharina Kuen)

Erste Schritte zum Autor - Abläufe in der Wikipedia

Der folgende Abschnitt bietet Interessierten, die aktiv in der Wikipedia mitarbeiten wollen, eine erste Orientierung hinsichtlich der wichtigsten Abläufe in dem Projekt. Zu Beginn stellt sich die Frage, inwieweit man Teil der Community sein möchte. Will man anonym als IP-ler aktiv sein oder ein Benutzerkonto anlegen? Die meisten AutorInnen agieren zunächst anonym und machen ihre ersten Erfahrungen mit kleinen Bearbeitungschritten. Hierzu zählen die Korrektur von Rechtschreib- und Kommafehlern sowie das Hinzufügen von Textabschnitten (vgl. Schuler 2007, S. 241). Innerhalb der Wikipedia bezeichnet man alle Arten von Bearbeitungen als Edits. Edits von IP-lern werden kritisch und misstrauisch betrachtet. Hintergrund ist, dass bei IP-lern die Gefahr von Vandalismus größer ist (vgl. van Dijk 2010, S. 30).

Entscheidet man sich für das Anlegen eines Benutzerkontos, kann man unter seinem richtigen Namen oder unter einem Pseudonym aktiv sein. Entscheidet man sich für ein Pseudonym, dann sollte man, um von anderen AutorInnen ernst genommen zu werden, auf die Auswahl des Nickname achten. Entscheidet man sich dafür, kein Pseudonym zu verwenden, muss man sich im klaren darüber sein, dass alle Vorgänge, die in der Wikipedia ablaufen, dokumentiert und gespeichert werden. Und diese Informationen sind nicht nur in der Wikipedia, sondern für das ganze Internet transparent.

Für das Anlegen eines Accounts spricht, dass damit wichtige Vorteile verbunden sind: Man hat weitergehende Benutzerrechte, kann beispielsweise seine eigene Benutzerseite gestalten oder Bilder hochladen (vgl. Schuler 2007, S. 141/241f). Ferner wird man von anderen Wikipedianern ernst genommen, und diese können durch das Aufrufen einer Spezialseite die bisher vorgenommenen Edits verfolgen. Zudem erhält man oftmals einen Willkommensgruß und Ratschläge (vgl. van Dijk 2010, S. 30f).

Wikipedia bietet die Möglichkeit, mehrere Benutzerkonten zu unterhalten. Wird das ausgenutzt (etwa bei Diskussionen), gilt es als Missbrauch bzw. Vandalismus - Wikipedianer verwenden hier den Begriff “Sockenpuppe”. Administratoren können diese Benutzerkonten sperren (vgl. van Dijk 2010, S. 31f).

Das Anlegen des eigenen Benutzerkontos erfolgt mit wenigen Klicks, zunächst auf den Link “Anmelden/Benutzerkonto erstellen” auf der Hauptseite. Den nächsten Schritt der Registrierung bildet ein Klick auf den Link “Hier legst du ein Konto an”. Der weitere Ablauf ist verständlich dargestellt. Die Angabe der E-Mail-Adresse ist wichtig, da bei Passwortverlust ein neues zugesendet werden kann. Darüber hinaus wird die E-Mail-Adresse nicht öffentlich sichtbar. Ferner kann man über die Benutzerseite mit anderen Benutzern in E-Mail-Kontakt treten. Bei der Auswahl des Benutzernamens sollte auf Sonderzeichen verzichtet und auf die Namenswahl geachtet werden.

Das neue Benutzerkonto erhält automatisch nach vier Tagen den Status “bestätigt”. Dann ist man befugt, Seiten zu verschieben oder Edits bei halbgeschützten Seiten vorzunehmen. Weiterhin kann man nach zweimonatiger Registrierung mit mindestens 200 Bearbeitungen eine “Stimmberechtigung” für Meinungsbilder und die Administratorenwahl erhalten. Den Status als Sichter kann man bereits nach 60 Tagen mit mindestens 300 Bearbeitungen erreichen (vgl. van Dijk 2010, S. 34).

Eine aktive Teilnahme an Wikipedia setzt voraus, dass man den Ansprüchen gerecht wird und nicht gegen die Grundprinzipien verstößt. Heutzutage besteht man nicht nur auf grammatikalisch richtige Sätze, sondern auf ein ausführliches Quellenverzeichnis mit entsprechenden Fußnoten sowie internen und externen Links (vgl. Benutzer:Singsangsung/van Dijk, Wikimedi 2011, S. 48). Kommt es zu einer Häufung von Regelverstößen, besteht die Gefahr, gesperrt zu werden. Dann kann man keine Edits mehr ausführen (vgl. van Dijk 2010, S. 28). Um zu verhindern, dass ein noch unerfahrener Nutzer gesperrt wird, und um die Einarbeitung zu erleichtern, stellt Wikipedia seit mehreren Jahren Mentoren für neu angemeldete Benutzer bereit.

Mentorenprogramm

Das am 29. April 2007 entstandene Mentorenprogramm der deutschsprachigen Wikipedia bietet unerfahrenen Nutzern die Chance, mit einem erfahrenen Autor in persönlichen Kontakt zu treten. Die Neulinge werden bei ihren ersten Schritte in der Wikipedia von ihrem Mentor begleitet und können sich mit allen aufkommenden Fragen und Probleme an ihn wenden. Um das Mentorenprogramm nutzen zu können, muss man ein Benutzerkonto besitzen. Überdies kann man seinen Mentor selbst auswählen. Ferner kann der Betreute, Mentee genannt, oftmals die Art der Kommunikation bestimmen. Der Kontakt kann über Wikipedia, E-Mail, Instant-Messenger oder per Telefon erfolgen. Auch nach Beendigung der Betreuung kann weiterhin ein enger Kontakt zwischen Mentor und Mentee bestehen (vgl. Hector, Wikimedia 2011, S. 71f). Aktuell befinden sich 288 Mentee bei 107 Mentoren in Betreuung (Wikipedia:Mentorenprogram Stand: 03.02.2012).

Nutzt man das Angebot des Mentorenprogramms nicht bzw. will man nur als IP-ler in der Wikipedia aktiv sein, stellen die folgenden Informationen einen ersten Überblick über die Abläufe in der Wikipedia dar.

Versionsgeschichte

Bevor man sich den ersten Bearbeitungen zuwendet, sollte man sich mit der Versionsgeschichte einer Seite beschäftigen: Jede Seite in Wikipedia besitzt eine Versionsgeschichte, auch Artikelhistory genannt. Diese zeigt alle vorherigen Versionen der Seite an. So kann die Entwicklung der Seite nachverfolgt werden. Die momentane Version der Seite kann über den Botton “Bearbeiten” beliebig editiert werden. Der Artikel muss anschließend mit dem Botton “Seite speichern” gesichert werden. Automatisch erscheint bei der Versionsgeschichte die aktuellste Version (vgl. van Dijk 2010, S. 63f).

Die Versionsgeschichte des Artikels “Neckar” zum Beispiel beinhaltet sowohl Beiträge von angemeldeten AutorInnen mit Benutzernamen als auch von IP-lern mit entsprechender IP-Adresse. Bearbeitungen von Benutzern mit Sichterstatus sind mit [automatisch gesichtet] gekenzeichnet. Die Beiträge von IP-lern und neu angemeldeten Benutzern müssen jedoch gesichtet werden, siehe [gesichtet von...]. Die in Klammern kursiv geschriebenen Hinweise und Kommentare deuten auf die Veränderungen hin.

 
Screenshot der Versionsgeschichte “Neckar” vom 30.01.2012

Die Versiongeschichte ist ein wichtiger Bestandteil zur Sicherung jeglicher Bearbeitungen. Im Einzelfall kann es bei schwerwiegenden Regelverstößen zur Löschung von Versionen kommen, die durch Administratoren ausgeführt werden. Folglich können ausschließlich Administratoren die entfernten Versionen sehen. Überdies können Wikipedianer mit Oversight-Status in Ausnahmefällen Versionen löschen, die sogar für Administratoren unsichtbar sind (vgl. van Dijk 2010, S. 65f).

Seite bearbeiten

Mit dem Vorwissen über den Sinn der Versionsgeschichte einer Seite kann man sich nun dem Prozess zuwenden, wie man eine Seite bearbeiten kann. Hinsichtlich der Grundprinzipien und der vielen Regeln sollten die Edits zu Beginn Schreibfehler und Umformulierungen umfassen, damit man die vielen Abläufe in der Wikipedia verstehen und sich zurechtfinden kann.

Ein “Bearbeiten”-Button ist auf jeder Seite der Wikipedia vorzufinden, außer bei geschützten Artikel, die von unangemeldeten und neu angemeldeten Benutzern nicht bearbeitet werden dürfen. Hier findet sich anstelle des “Bearbeiten”-Buttons ein “Quelltext anzeigen”-Button. Auf solchen geschützten Seiten können Änderungswünsche nur auf der dazugehörigen Diskussionsseite eingegeben werden. Zu den geschützten Seiten gehören beispielsweise fast alle verlinkten Artikel am linken Seitenrand der Wikipedia-Hauptseite. Ausschließlich Administratoren sind befugt, Seiten zu schützen oder den Schutz aufzuheben (vgl. Hilfe:Geschützte Seiten, 03.02.2012).




Beim Öffnen einer Bearbeitungsseite erscheint der Quelltext des aktuellen Artikels. Der Quelltext beinhaltet zum normalen Text zusätzliche Zeichen. Diese Schreibweise wird auch als Wikisyntax bezeichnet. Bei Bezeichnungen, die kursiv hervorgehoben werden sollen, müssen vor und nach dem Wort jeweils zwei Apostrophe gesetzt werden. Bei fett gedruckten Wörter müssen jeweils drei Apostrophe gesetzt werden. Eine ausführliche Anleitung zur Wikisyntax ist auf der Seite Hilfe:Textgestaltung zu finden.

Übungen zur Schreibweise der Wikisyntax können auf der Seite Wikipedia:Spielwiese vorgenommen werden. Allerdings sollte man bedenken, dass diese Seite auch eine Versionsgeschichte besitzt und man keinen Unsinn reinschreiben sollte. Die Bearbeitungsseiten selbst enthalten Bearbeitungshilfen, so dass die jeweiligen Wörter nur noch markiert werden müssen und auf die entsprechenden Buchstaben, beispielsweise K(kursiv) oder F(fett), geklickt werden muss. Die Benutzeroberfläche ähnelt gängigen Textverarbeitungsprogrammen.

Alle Bearbeitungen können direkt im Quelltext vorgenommen werden. Man kann jedoch keine Zwischenspeicherung vornehmen. Es kann aber eine Vorschau angezeigt werden, die anschließend wieder bearbeitet werden kann. Die neu erstellte Version erscheint erst, nachdem die Seite gespeichert wurde (vgl. van Dijk 2010, S. 66f). Jede Bearbeitung eines Anfängers, angemeldet oder nicht, muss durch einen Sichter geprüft werden und wird erst nach dessen Freigabe für die Öffentlichkeit sichtbar. Diese Sichtungen enden mit dem Erhalt des Sichterstatus (vgl. ebd. S. 34).

Bei der gemeinsamen Arbeit an einem Artikel kann es immer wieder zu Auseinandersetzungen zwischen mehreren Wikipedianern kommen. Hierbei unterscheidet man zwischen zwei Formen, dem Bearbeitungskonflikt und dem Edit-War. Bearbeitungskonflikte können bei zeitgleicher Bearbeitung eines Artikels durch zwei Wikipedianer entstehen. Hierbei handelt es sich um das Problem, dass beide die gleiche Version aktualisieren wollen und ggf. an den gleichen Textstellen Veränderungen vornehmen. Sobald einer der beiden eine neuere Version speichert, können die Veränderungen des anderen nicht mehr gespeichert werden. Grund hierfür ist, dass immer nur an der neuesten Version Bearbeitungen erfolgen können. Um dieser Art von Konflikten vorzubeugen, kann die “Vorlage:In Bearbeitung” oben in den Quelltext eingefügt und gespeichert werden. Dadurch sind die anderen Benutzer darüber informiert, dass der Artikel derzeit bearbeitet wird (vgl. ebd. S. 68f).

Eine unangenehmere Auseinandersetzung mit anderen Wikipedianer stellt der Bearbeitungskrieg, Edit War, dar. Darunter wird die Uneinigkeit zweier oder mehrerer Benutzer über den Inhalt eines Artikels verstanden. Teilweise handelt es sich hierbei um kleinere Veränderungen, die von einem Benutzer durchgeführt und von einem anderen rückgängig gemacht werden. Wiederholt sich dieser Vorgang, kann sich ein Administrator einschalten und den Artikel zeitweise sperren. Währenddessen sind lediglich Administratoren befugt, den Artikel zu editieren. Sobald das Problem behoben wurde, kann der Artikel wieder entsperrt werden. Diese Edit Wars lassen sich in der Regel mit verlässlichen Literaturangaben verhindern bzw. beheben (vgl. ebd S. 40).

Ungeachtet dieser gelegentlich auftretender Schwierigkeiten hat die Zusammenarbeit mit anderen Wikipedianer einen hohen Stellenwert beim Verfassen von Inhalten. Man muss mit all jenen kooperieren, die einen Artikel oder Ergänzungen lesen und diese kritisieren bzw. verändern. Dabei sollte der eigene Standpunkt sachlich vertreten, jedoch genauso andere Meinungen toleriert werden. Der Leitgedanke - die Weisheit der Vielen - sollte immer Priorität haben, um u.a. die Neutralität zu gewährleisten (vgl. Weinberger 2007, S. 163f).

Schreiben eines Artikels

Nachdem man ausreichend Erfahrungen mit kleineren Edits gesammelt hat, kann man sich an das Schreiben eines eigenen Artikels wagen. Für das Anlegen eines neuen Artikels müssen verschiedene Punkte beachtet werden, nämlich die Relevanz des Themas und die Literaturrecherche. Außerdem muss natürlich geprüft werden, ob zu dem Thema bereits ein Artikel existiert oder ob sich der geplante Beitrag besser als neuer Abschnitt in einem vorhandenen Artikel eignet. Darüber hinaus spielt das Lemma (der Titel) des Artikels eine zentrale Rolle. Hierfür gibt es die eigens angelegte Seite Wikipedia:Namenskonvention, um einen geeigneten Titel zu finden.

Ein Artikel kann auf verschiedenen Wegen angelegt werden: Entweder durch den Link “Neuen Artikel anlegen” direkt auf der Hauptseite der Wikipedia, oder man gibt den Titel in das Suchfenster ein. Falls die Suche keine Ergebnisse ergibt, erscheint der Hinweis, dass der Artikel noch nicht existiert und mit dem roten Link erstellt werden kann. Wird der Link geöffnet, erscheint eine Bearbeitungsseite, woraufhin man den eigenen Text in das Bearbeitungsfenster einfügen kann (van Dijk 2010, S. 70f). Um sicher zu gehen, dass der Artikel die eigenen Erwartungen erfüllt, kann eine Vorschau angezeigt werden. Ein kurzer Überblick über den Inhalt des Artikels kann unter “Zusammenfassung und Quellen” eingegeben werden, damit weitere Benutzer und Leser eine Vorstellung haben, wovon der Artikel handelt. Überdies sollten Hauptliteraturquellen eingefügt werden.

Weitere Aspekte, wie Kategorisierung und Verlinkung des Artikels, können anschließend hinzugefügt werden, um erfahrene Autoren auf den Artikel aufmerksam zu machen. Diese können sich mit dem Artikel auseinandersetzen und ihn gegebenfalls bearbeiten.
Abschließend wird der Text gespeichert. Dadurch wird automatisch eine neue Seite mit dem eigenem Artikel angelegt. Zu beachten ist, dass Artikel von Anfängern, angemeldet oder nicht, erst einer Sichtung unterzogen werden. In den folgenden Tagen - bis die Sichtung vorbei ist - sollte der eigene Artikel beobachtet werden, um herauszufinden, ob es zu Regelverstößen kam und ein Löschantrag gestellt wird (vgl. Wikipedia:Neuen Artikel anlegen, 30.01.12).

Generell sollte beim Verfassen von Artikeln berücksichtigt werden, dass der Text für jeden verständlich ist. Hierbei orientiert sich die Wikipedia im Hinblick auf “verständliches Schreiben” an mehreren Merkmalen des Hamburger Verständlichkeitskonzepts, das von den drei Psychologen Langer, von Thun und Tausch konzipiert wurde. Fremdwörter und Fachbegriffe sollten vermieden oder beschrieben bzw. verlinkt werden. Zudem sollte der Satzbau nicht zu einfach oder zu kompliziert gestaltet werden. Weiterhin sollten nur die wesentlichen Aspekte einer Thematik aufgegriffen werden (vgl. van Dijk 2010, S. 86ff). Weitere Informationen erhält man unter folgenden Links:
http://de.wikipedia.org/wiki/Wikipedia:WikiProjekt_Benutzerfreundlichkeit/Tipps und http://de.wikipedia.org/wiki/Wikipedia:Laientest.

Die verständliche Formulierung eines Artikels bildet aber lediglich den ersten Schritt auf dem Weg zu einem gelungen Artikel. Eine weitere zentrale Aufgabe stellt das Wikifizieren des eigenen Artikels dar. Der Begriff Wikifizieren steht für die Anpassung von Layout und Gliederung an die Anforderungen der Wikipedia. Hier geht es um die Einteilung des Artikels in Abschnitte, die interne und externe Verlinkung, die Einbindung von Bildern sowie die Auflistung von Belegen und zusätzlicher Literatur. Das Wikifizieren eines Artikels ist sehr zeitaufwändig und kann bei unerfahrenen Autoren überfordernd sein. Die Überarbeitung eines Artikels hinsichtlich der Wikifizierung wird anfangs von erfahrenen Autoren übernommen. Will man aber zu einem aktiven Autor avancieren, muss man sich das Wikifizieren aneignen (vgl. van Dijk 2010, S. 97f).

Die Artikel in der Wikipedia weisen einen einheitlichen Aufbau auf. Die Einleitung eines Artikels liefert in wenigen Sätzen eine kurze Begriffserklärung. Unabhängig vom restlichen Artikel sollte die Einleitung die zentralen Inhalte des Themas umfassen, so dass der Leser einen kleinen Überblick über das Thema erhält (vgl. ebd. S. 98). Unter der Einleitung befindet sich das Inhaltsverzeichnis, das automatisch von der Software erstellt wird, sobald ein Artikel mindestens drei Abschnitte enthält. Im unteren Drittel des Artikels befinden sich die Abschnitte “Belege” mit Fußnoten, weiterführende “Literatur” sowie “Weblinks” und “Siehe auch”. Letzteres verweist auf andere Wikipedia-Artikel mit verwandten Themen. Der Abschnitt “Weblinks” zeigt eine Auswahl an externen, themenbezogenen Links (vgl. ebd. S. 98-101). Links im Artikel verweisen dagegen ausschließlich auf weitere Artikel innerhalb der jeweiligen Wikipedia-Sprachversion. Besteht der verlinkte Artikel, so ist der Link blau, bei (noch) nicht existierenden Artikeln ist der Link rot. Links sollten nach Möglichkeit nur im Fließtext, nicht in Überschriften oder in Lemma-Nennungen gesetzt werden (vgl. ebd. S. 103).

Um zu vermeiden, dass ein anderer Benutzer einen Löschantrag für den eigenen Artikel beantragt, sollte die ausführliche Beschreibung auf der Seite Wikipedia:Wie schreibe ich gute Artikel? berücksichtigt werden. Löschanträge können von jedem Wikipedianer gestellt werden. Liest man persönliche Erfahrungsberichte früherer Neulinge wird geschildert, dass “eine Löschdiskussion [...] demotivierend und kontraproduktiv [ist]” (Nebelsiek, Wikimedia 2011, S. 64) oder dass man “partout nicht einsehen [will], warum nun dieser - für mich sehr informative und hilfreiche - Artikel gelöscht werden sollte” (Lüdeke, Wikimedia 2011, S. 66). Gelegentlich wird die Löschdiskussion deshalb intern auch als ”Löschhölle” bezeichnet (vgl. ebd. S. 65).

Es gibt mehrere Gründe, die zu einer Löschung führen können. Möglicherweise entspricht der Artikel nicht den Relevanzkriterien oder es wurde gegen weitere Anforderungen verstoßen. Besteht jedoch der Verdacht auf einen Verstoß gegen das Urheberrecht oder beinhaltet der Artikel fehlerhafte Inhalte, kann ein Schnelllöschantrag (SLA) beantragt werden. Teilweise kommt es zur sofortigen Löschung des Artikels. Andernfalls besteht eine Zeitspanne von sieben Tagen, währenddessen jeder Benutzer in der Löschdiskussion über den Erhalt oder die Löschung des Artikels diskutieren kann.

Ein Administrator entscheidet nach dieser Frist nach den Wikipedia-Regeln, ob der Löschantrag entfernt oder umgesetzt wird. Es ist von zentraler Bedeutung, dass sich der Autor des Artikels an der Löschdiskussion beteiligt. Bei der Diskussion sollte sachlich korrekt und vernünftig argumentiert werden. Größtenteils werden die Artikel während der Frist überarbeitet, so dass der Löschantrag zurückgezogen wird. Hierbei können zusätzliche Belege von Vorteil sein. Löschanträge sind demnach sinnvolle Arbeitsmittel, um die Autoren auf unzureichende Artikel aufmerksam zu machen (vgl. van Dijk 2010, S. 58f).

Die beiden aufgeführten Formen der Bearbeitung, das Editieren eines bereits existierenden und das Hinzufügen eines neuen Artikels, durchlaufen immer eine Eingangskontrolle. Darunter versteht man, dass jede Bearbeitung für alle Benutzer sowohl bei den “letzten Änderungen” als auch bei den benutzereigenen “Beobachtungslisten” aufgeführt wird. Ausgewählte Wikipedianer verfügen zusätzlich über weitere Softwarefunktionen, um Änderungen zeitnah kontrollieren und Vandalismus verhindern zu können (vgl. Raschka, Wikimedia 2011, S. 86f).

Bei den Beobachtungslisten handelt es sich um ein weiteres besonderes Feature, das nur angemeldeten Benutzern zur Verfügung steht. Artikel, die selbst hinzugefügt oder bearbeitet wurden, können zu der eigenen Beobachtungsliste hinzugefügt werden. Damit erhält man einen Überblick über alle weiteren Editierungen, die an dem Artikel vorgenommen werden. Damit eine Seite in der Beobachtungsliste erscheint, muss der weiße kleine Stern in der Mitte des oberen Seitenrands angeklickt werden. Anschließend leuchtet der Stern blau auf. Dieser Vorgang kann jederzeit rückgängig gemacht werden. Alle Veränderungen können über den Link “Beobachtungsliste” eingesehen und chronologisch angezeigt werden. Zusätzlich besteht die Möglichkeit, den Unterschied der neuesten zur vorherigen Version einzusehen (vgl. van Dijk 2010, S. 73f).

Die Wikipedia bietet facettenreiche Möglichkeiten, um mit anderen Benutzer in Kontakt zu treten oder einen Kommentar abzugeben. Dazu zählen u.a.:

Diskussionsseiten: Jeder Artikel und viele andere Seiten in der Wikipedia besitzen eine Diskussionsseite. Diese dient u.a. für Fragen, Bemerkungen oder Änderungsvorschläge hinsichtlich der Artikel. Hier geht es also um ein Instrument zur Verbesserung der Artikel. Die Diskussionsseiten sind aber auch für reine LeserInnen von großem Interesse und bieten hilfreiche Zusatzinformationen über den bloßen Text des Artikels hinaus.

Diskussionen: In der Wikipedia befinden sich spezielle Seiten, die für Diskussionen angelegt sind. Ein Beispiel für eine Diskussion befindet sich auf der Hauptseite, die unter dem gleichnamigen Link erreichbar ist. Hier können Fragen gestellt und diskutiert werden. Diese Seiten werden sowohl von Neulingen als auch von erfahrenen Wikipedianern genutzt.

Benutzerdiskussionsseite: Diese Seite ermöglicht den direkten Kontakt mit anderen Wikipedianern. Wird eine Nachricht hinterlassen, erhält der Benutzer eine Benachrichtigung.

E-Mail: Eine nicht-öffentliche Kontaktaufnahme mit einem anderen Benutzer kann über E-Mail stattfinden. Bei der Angabe einer E-Mail-Adresse in den Einstellungen verfügt jeder Benutzer auf der Benutzerseite über die Funktion “E-Mail an diesen Benutzer”.

Support-Team: In Beschwerdefällen kann eine E-Mail an das Support-Team gesendet werden. Das Team besteht aus Freiwilligen und sollte nur benachrichtigt werden, wenn alle anderen Verfahrenswege kein Ergebnis erzielten. Das Support-Team hat viele Aufgabenbereiche, die auf der Seite Wikipedia:Support-Team nachgelesen werden können.

Fortsetzung: Wikipedia Teil VII: Wie finanziert sich Wikipedia?

Literatur

Clay Shirky (2008), Here Comes Everybody. The Power of Organizing Without Organizations, Penguin, S. 109-142: “Personal Motivation Meets Collaborative Production”.

David Weinberger (2008), Das Ende der Schublade. Die Macht der neuen digitalen Unordnung, Hanser, S. 160-176: „Anonyme Verfasser“.

Stefan Münker (2009), Emergenz digitaler Öffentlichkeiten. Die Sozialen Medien im Web 2.0, Suhrkamp, S. 95-102: „Kollektives Wissen und der Erfolg von Wikipedia“.

Don Tapscott/Anthony D. Williams (2007), Wikinomics. Die Revolution im Netz, Hanser, S. 71-76: „Die Enzyklopädie, an der jeder mitschreiben kann“.

Will Richardson (2011), Wikis, Blogs und Podcasts. Neue und nützliche Werzeuge für den Unterricht, Tibia Press, S. 95-116: „Wikis. Gemeinschaftsarbeit leicht gemacht“.

Anja Ebersbach/Markus Glaser/Richard Heigl (20112), Social Web, UVK, S. 39-60: „Wikis“.

Daniela Pscheida (2010), Das Wikipedia-Universum. Wie das Internet unsere Wissenskultur verändert, Transcript Verlag.

Ziko Van Dijk (2010), Wikipedia. Wie Sie zur freien Enzyklopädie beitragen, Open Source Press.

Günter Schuler (2007), Wikipedia inside. Die Online-Enzyklopädie und ihre Community, UNRAST Verlag.

Nando Stöcklin (2010), Wikipedia clever nutzen - in Schule und Beruf, Orell Füssli Verlag AG.

Wikimedia Deutschland e.V. (2011), Alles über Wikipedia. Und die Menschen hinter der größten Enzyklopädie der Welt, Hoffmann und Campe Verlag.

Mittwoch, 22. Februar 2012

Wikipedia Teil V: Motivation der AutorInnen

Im Rahmen eines Projekts beschäftigen wir uns seit einigen Wochen intensiver mit der Online-Enzyklopädie Wikipedia. Noch immer lehnen viele Lehrende an Schulen und Hochschulen Wikipedia ab - ein Umstand, der wohl nur mit mangelndem Verständnis hinsichtlich der Enzyklopädie (sowie des Web 2.0 im allgemeinen) erklärt werden kann. Wir haben uns deshalb entschlossen, in einer Reihe von Postings Wikipedia und dessen Nutzung zu erläutern. Alle Postings zusammen werden dann als neues Unterkapitel im Abschnitt Lernen 2.0 des Online-Lehrbuchs zum Web 2.0 veröffentlicht.

Bisher erschienen:
Wikipedia Teil I: Wie ist Wikipedia entstanden?
Wikipedia Teil II: Grundprinzipien der Wikipedia
Wikipedia Teil III: Weitere Regeln in der Welt der "freien Enzyklopädie"
Wikipedia Teil IV: Erfolgsfaktoren und Wikipedianer

Motivation der AutorInnen

(Autorin: Katharina Kuen)
“Wikipedia zeigt uns, warum es sich lohnt, in digitalen Netzwerken zusammenzuarbeiten, statt in intellektueller Isolationshaft auf geniale Einfälle zu warten. Wikipedia hat die Welt zu einem intelligenteren Ort gemacht. Wikipedia ist ein Werk der Vielen. Die erste Software der Dichter und Denker.”
[Ralf Müller-Schmid, Dradio, “Die Suche nach der Wahrheit”, 15.01.2011]
Meistens stößt man über eine Suchmaschine auf Wikipedia-Artikel. Beim Lesen bemerkt man, dass der Artikel nicht vollständig ist. Man besitzt Informationen, die dem Artikel fehlen. Erfahrungsberichten zufolge ist man gefangen, sobald einmal der Bearbeiten-Button gedrückt und Informationen ergänzt wurden. Verbesserungen und Ergänzungen folgen - man will mehr! Die Registrierung als Benutzer ist dann nur noch eine Frage der Zeit (vgl. Lüdeke/Cüppers, Wikimedia 2011, S. 65/130).

Die Wikipedianer arbeiten aus unterschiedlichen Gründen an dem Projekt mit. Laut einer Online-Befragung des Psychologischen Instituts der Universität Würzburg zum Thema “Motivation von TeilnehmerInnen an Wikipedia” sind die drei wichtigsten Motive für die Mitarbeit:
  • Das Interesse, die Qualität von Wikipedia insgesamt zu verbessern;
  • die Überzeugung, dass Informationen frei sein sollten;
  • das Verbessern eigener Artikel und die Freude am Schreiben.
Die Studie zeigt, dass die Motivation zur Mitarbeit durch die Wissenserweiterung und -verbreitung gestärkt wird und dass von zentraler Bedeutung ist, an einem langwierigen Projekt mitzuwirken (vgl. Schroer 2005, Online-Befragung). Die Motivation des Benutzers Gripweed spiegelt die oben genannten Punkte wieder:
“Freies Wissen für jeden! Die Möglichkeit, Teil von etwas Größerem zu sein. Mit meinem Wissen dafür sorgen, dass andere ihr Wissen vergrößern, aber auch von anderen lernen. Neues entdecken und altes hinterfragen.”
(Benutzer:GRIPWEED, Wikimedia 2011, S. 145)
Die Komponente der Teamarbeit, das “soziale Wissen”, führt bei den AutoreInnen zu Begeisterung und Motivation. Man lernt von den anderen, muss jedoch damit rechnen, dass der eigene Text überarbeitet wird. Jeder ist ein Spezialist für gewisse Arbeitsbereiche: Die einen schreiben Artikel, die anderen korrigieren Rechtschreibfehler und wieder andere fügen Kategorien oder Links hinzu. Alle arbeiten an einem Strang. Man muss kompromissfähig sein und die eigene Auffassungen zugunsten des “Neutralen Standpunkts” in den Hintergrund stellen (vgl. Benutzer:Gripweed, Wikimedia 2011, S. 146).

Eine geringe Anzahl an Usern schöpft Motivation aus persönlichen Treffen und nimmt an den monatlich stattfinden “Stammtischen” teil. Diese finden meist in größeren Städten statt. Hier besteht die Möglichkeit, anderen Autoren im realen Leben zu begegnen und sich außerhalb des Internets auszutauschen (vgl. Schuler 2007, S. 121).

Anerkennung für Autoren und Artikel kann für alle sichtbar durch Auszeichnungen zum Ausdruck kommen. Es gibt zum Beispiel “lesenswerte” und “exzellente Artikel”, die von der Community selbst vorgeschlagen werden können. Diese Beiträge müssen gewisse Kriterien erfüllen, wie beispielsweise die Einhaltung der Neutralität und ein ausführliches Quellenverzeichnis. Die ausgezeichneten Artikel werden mit einem kleinem Symbol versehen (vgl. Schuler 2007, S. 92). Es befindet sich rechts auf Höhe der Artikel-Überschrift.

Die Auszeichnungen dieser Artikel erfüllen mehrere Funktionen. Sie weisen den Leser auf einen Artikel mit hoher Qualität hin. Außerdem sollen diese Artikel als Vorzeigeobjekte und Vorbilder für neue Artikel dienen. Ein qualitativ hochwertiger Artikel ist auf der Hauptseite der Wikipedia unter “Artikel des Tages” zu finden (vgl. Raschka,Wikimedia 2011, S. 96). Nicht wenige AutorInnen arbeiten auf eine Auszeichnung ihres Artikels hin und schließen ihre Arbeit an dem Artikel erst ab, wenn dieser eine Auszeichnung erlangt. Dies motiviert AutorInnen. Die Auszeichnung wird auf der eigenen Benutzerseiten aufgelistet (vgl. ebd. S. 97).

Außerdem gibt es Schreibwettbewerbe, die die Motivation der AutorInnen steigern sollen. Seit August 2007 wird jährlich die Johann-Heinrich-Zedler-Medaille für den besten Wikipedia-Beitrag verliehen (vgl. Wilhelm, Wikimedia 2011, S. 268). Zudem gibt es einen Artikelmarathon, der erstmalig 2007 unter dem Namen “Stub-Wettbewerb” stattgefunden hat.

Fünf Autoren sollten innerhalb von sechs Stunden über einen vorgegebenen Inhalt die meisten, mit Literatur belegten Artikel schreiben. Entstanden sind 34 Artikel. Der bereits acht Mal veranstaltete Artikelmarathon erbrachte 7862 Artikel von insgesamt 133 Autoren (vgl. Kulac, Wikimedia 2011, S. 118ff). Im Zentrum steht hierbei die “spielerische Motivation zum Artikelschreiben [...]. Bereits jeder Beitrag bringt die Wikipedia einen Schritt weiter [...]: Dabei sein ist alles! Es lebe der Dienst an der Verbesserung unserer Enzyklopädie” (ebd. S. 120)!

Wie also ist es möglich, dass eine so große Wissenssammlung durch tausende freiwilliger AutorInnen geschaffen wird? Warum investieren sie (zum Teil tagtäglich) ihre Zeit, arbeiten mit Hingabe und Leidenschaft an dem Projekt Wikipedia mit, um ihr Wissen der ganzen Menschheit zur Verfügung zu stellen, und das alles ohne auch nur einen Cent dafür zu bekommen? Shirky schlägt eine simple, aber überzeugende Antwort vor: „When people care enough, they can come together and accomplish things of a scope and longevity that were previously impossible; they can do big things for love“ (Shirky 2008, S. 142).

Fortsetzung: Wikipedia Teil VI: Wie schreibe ich einen Artikel?

Literatur

Clay Shirky (2008), Here Comes Everybody. The Power of Organizing Without Organizations, Penguin, S. 109-142: “Personal Motivation Meets Collaborative Production”.

David Weinberger (2008), Das Ende der Schublade. Die Macht der neuen digitalen Unordnung, Hanser, S. 160-176: „Anonyme Verfasser“.

Stefan Münker (2009), Emergenz digitaler Öffentlichkeiten. Die Sozialen Medien im Web 2.0, Suhrkamp, S. 95-102: „Kollektives Wissen und der Erfolg von Wikipedia“.

Don Tapscott/Anthony D. Williams (2007), Wikinomics. Die Revolution im Netz, Hanser, S. 71-76: „Die Enzyklopädie, an der jeder mitschreiben kann“.

Will Richardson (2011), Wikis, Blogs und Podcasts. Neue und nützliche Werzeuge für den Unterricht, Tibia Press, S. 95-116: „Wikis. Gemeinschaftsarbeit leicht gemacht“.

Anja Ebersbach/Markus Glaser/Richard Heigl (20112), Social Web, UVK, S. 39-60: „Wikis“.

Daniela Pscheida (2010), Das Wikipedia-Universum. Wie das Internet unsere Wissenskultur verändert, Transcript Verlag.

Ziko Van Dijk (2010), Wikipedia. Wie Sie zur freien Enzyklopädie beitragen, Open Source Press.

Günter Schuler (2007), Wikipedia inside. Die Online-Enzyklopädie und ihre Community, UNRAST Verlag.

Nando Stöcklin (2010), Wikipedia clever nutzen - in Schule und Beruf, Orell Füssli Verlag AG.

Wikimedia Deutschland e.V. (2011), Alles über Wikipedia. Und die Menschen hinter der größten Enzyklopädie der Welt, Hoffmann und Campe Verlag.

Dienstag, 21. Februar 2012

Aufsätze zum Thema Politik 2.0 (bzw. Digitale Demokratie)

Literatur zum Thema Politik 2.0 ist rar. Umso schöner, dass sich die aktuelle Ausgabe der Wochenzeitschrift "Aus Politik und Zeitgeschichte" (APuZ 7/2012) der Thematik annimmt. Unter dem Titel "Digitale Demokratie" sind folgende Aufsätze zu finden:

Jan-Hinrik Schmidt: Das demokratische Netz?

Christian Stöcker: Governance des digitalen Raumes

Daniel Roleff: Digitale Politik und Partizipation: Möglichkeiten und Grenzen

Karl-Rudolf Korte: Beschleunigte Demokratie: Entscheidungsstress als Regelfall

Christoph Bieber: Die Piratenpartei als neue Akteurin im Parteiensystem

Miriam Meckel: Menschen und Maschinen

Die gesamte Ausgabe als pdf-Datei gibt es hier...

Montag, 20. Februar 2012

Wikipedia Teil IV: Erfolgsfaktoren und Wikipedianer

Im Rahmen eines Projekts beschäftigen wir uns seit einigen Wochen intensiver mit der Online-Enzyklopädie Wikipedia. Noch immer lehnen viele Lehrende an Schulen und Hochschulen Wikipedia ab - ein Umstand, der wohl nur mit mangelndem Verständnis hinsichtlich der Enzyklopädie (sowie des Web 2.0 im allgemeinen) erklärt werden kann. Wir haben uns deshalb entschlossen, in einer Reihe von Postings Wikipedia und dessen Nutzung zu erläutern. Alle Postings zusammen werden dann als neues Unterkapitel im Abschnitt Lernen 2.0 des Online-Lehrbuchs zum Web 2.0 veröffentlicht.

Bisher erschienen:
Wikipedia Teil I: Wie ist Wikipedia entstanden?
Wikipedia Teil II: Grundprinzipien der Wikipedia
Wikipedia Teil III: Weitere Regeln in der Welt der "freien Enzyklopädie"

Erfolgsfaktoren und Wikipedianer

(Autorin: Katharina Kuen)

Wikipedia ist nach wie vor umstritten. Die Befürworter sind begeistert ob des einfachen und schnellen Zugangs zu Informationen, die darüber hinaus auch noch kostenlos sind. Dagegen kritisieren Gegner den zweifelhaften Wahrheitsgehalt der Inhalte. Seit ihrem Bestehen hat sich die Wikipedia kontinuierlich weiterentwickelt. So ist beispielsweise der Anspruch an die Qualität der Artikel gewachsen, entsprechend wurde das Regelwerk etwa durch das Instrument der Sichtung erweitert, um u.a. Vandalismus zu verhindern (vgl. Benutzer:Singsangsung / van Dijk, Wikimedia 2011, S.48).

Die Wikipedia hat in den letzten Jahren einen hohen Stellenwert erreicht, ist bekannt und den meisten Internetnutzern vertraut (vgl. Schuler 2007, S.23). Die Zahlen sind unglaublich: Die Online-Enzyklopädie beinhaltet derzeit (Stand 18.12.2011) insgesamt 20.619.827 Artikel in rund 270 unterschiedlichen Sprachversionen. Die deutschsprachige Wikipedia allein umfasst über 1,3 Millionen Artikel und liegt somit auf Platz zwei, hinter der englischen Version (vgl. Wikipedia: Sprachenliste). Täglich wird die Wikipedia weltweit um etwa 8000 Artikel ergänzt und erreicht 5000 Klicks pro Sekunde (vgl. Moleski/Richter, Wikimedia 2011, S.11). Als non-profit Website hat sie es auf Platz 6 der weltweit und deutschlandweit meistbesuchten Seiten geschafft.

Gründe für den Erfolg

Die Wikipedia ist durch die freiwillige Zusammenarbeit von tausenden beteiligten Autoren entstanden: “Sie machten aus Wikipedia das, was sie heute [...] ist: die größte Wissenssammlung der Menschheit. Wikipedia hat die uralte Tradition des Austausches von Wissen und damit die Basis für die Entwicklung der Menschheit in das neue, digitale Zeitalter überführt” (Wales, Wikimedia 2011, S.9). Dieser Aspekt ist ausschlaggebend dafür, dass die Wikipedia so erfolgreich ist. Die Autoren stellen ihr Wissen und ihre Zeit frei zur Verfügung. Ihr ehrenamtliches Engagement ist ein Präsent an die gesamte Menschheit (vgl. Moleski/ Richter, Wikimedia 2011, S.11).

Die Artikel der Wikipedia werden kollaborativ von mehreren Autoren zusammen geschrieben. Jede/r kann mitschreiben und seinen eigenen - großen oder kleinen - Beitrag leisten. Alle Beteiligten zusammen bilden die Autorenschaft. Das ist ein fortlaufender und offener Prozess, der durch alle Autoren gestaltet wird: Inhalte werden hinzugefügt, Layout, Gliederung oder Rechtschreibung verbessert sowie die Fakten überprüft (vgl. Stöcklin 2010, S.47f).

Zusätzlich ermöglicht es Wikipedia, andere Autoren zu kontaktieren, sich auszutauschen, zu diskutieren und Fragen zu klären. Vor diesem Hintergrund können konstruktive Beiträge entstehen (vgl. Cüppers, Wikimedia 2011, S.131). Die “Weisheit der Vielen”, das “soziale Wissen” spielt eine zentrale Rolle für den Erfolg der Online-Enzyklopädie.

Es gibt noch weitere Gründe für den Erfolg von Wikipedia. Neben Zahl und Umfang der Artikel unterscheidet sich Wikipedia von anderen Enzyklopädien im Hinblick auf die Aktualität (vgl. Stöcklin 2010, S.44). Neuere Entwicklungen können rasch eingearbeitet werden. Zu bedeutsamen Ereignissen werden meist tagesaktuell neue Artkiel hinzugefügt oder alte verbessert (vgl. Stöcklin 2010, S.44f/47).

Die einfache Veränderbarkeit ist auch bedeutsam hinsichtlich von Fehlern. Auch sie lassen sich einfach und rasch korrigieren. Diesbezüglich können Print-Enzyklopädien nicht mithalten (vgl. Weinberger 2007, S.170).

Einen weiteren Erfolgsfaktor bilden die zahlreichen Hyperlinks, die jede/r hinzufügen kann (vgl. Weinberger 2007, S.119). Die Links verweisen auf andere Artikel innerhalb der Wikipedia oder auf externe Webseiten. Dementsprechend bildet sich ein Wissensnetz, das sich immer mehr ausweiten kann (vgl. Schuler 2007, S.80).

Als zentralen Erfolgsfaktor stellt Shirky die Rolle der Community - der Wikipedianer - heraus: “Wikipedia, and all wikis, grow if enough people care about them, and they die if they don’t” (Shirky 2008, S.136). Der Erfolg ist demnach immer prekär. Wikipedia hat, so Shirky, nur solange Bestand (und Erfolg), wie die Wikipedianer “ihr” Projekt verteidigen können. Dass dies bislang gelungen ist, heißt nicht, dass es auch in Zukunft gelingen wird, ist aber (schon jetzt) eine beeindruckende Erfolgsgeschichte.

Wer sind die Wikipedianer?

Als Wikipedianer bezeichnet man freiwillige, aktive Mitarbeiter, die sich häufig mit einem Nickname registrieren oder unangemeldet als “IP-ler” mitarbeiten und mindestens zehn Bearbeitungen ausgeführt haben.

[Hintergrund: IP ist die Abkürzung für Internet Protocol. IP-ler agieren anonym in der Wikipedia und besitzen keinen Account. Die IP-Adresse ist eine Ziffernfolge, die bei allen Bearbeitungen anstatt eines Benutzernamens in der Artikelhistory automatisch hinterlegt wird. Mittels der IP-Adresse können Benutzer - zum Beispiel bei Vandalismus - ermittelt werden (vgl. Schuler 2007, S.241/248)]

Wikipedianer schreiben Beiträge, korrigieren Rechtschreibfehler, überprüfen andere Artikel und beobachten, ob ihre eigenen Beiträge bearbeitet wurden. Sie zählen zu der Autorenschaft und sind Teil der Wikipedia-Community. Hierbei ist die Freiwilligkeit von zentraler Bedeutung. Jeder Autor entscheidet selbst, ob, wann und auf welche Weise ein Beitrag geleistet werden soll (vgl. Stöcklin 2010, S.49).

Die Wikipedianer können je nach Aktivität und Bereitschaft neue Aufgabenbereiche erhalten und einen höheren Status erlangen. Neben den IP-lern und den angemeldeten Benutzern existieren noch weitere Autoren, denen zentrale Aufgaben in der Community zugewiesen sind. Darunter befinden sich Administratoren, Bürokraten, Stewards, Bots, CheckUser, Benutzer mit Oversight-Status und Entwickler sowie Sichter und Prüfer (bei Wikipedia:Statistik können die einzelnen Aufgabenbereiche dieser Benutzer nachgelesen werden).

Die Administratoren bilden die wichtigste Gruppe, wenn es um die Organisation der Online-Enzyklopädie geht. Sie sind u.a. befugt, Seiten zu löschen oder Benutzer zu sperren (vgl. Wikipedia:Administratoren). Angemeldete Wikipedianer können von der Community als Administrator vorgeschlagen und gewählt werden. Ihre Rolle ist an Bedingungen geknüpft und sie können bei Machtmissbrauch oder Fehlverhalten wieder abgewählt werden (vgl. Schuler 2007, S.141).

Es gibt verschiedene Studien über die Wikipedianer. Die Ergebnisse einer Umfrage über “Wikipedianer nach Wissensgebiet” zeigt die Themen- und Spezialgebiete einiger aktiven Nutzer auf. Eine Online-Befragung des Psychologischen Institut der Universität Würzburg zum Thema “Motivation von TeilnehmerInnen an Wikipedia” liefert interessante Ergebnisse über die freiwilligen Mitarbeiter der deutschsprachigen Wikipedia.

Laut der Umfrage sind 88% der Wikipedianer männlich und 10% weiblich. Das Durchschnittsalter beträgt 33 Jahre. Die Mehrheit der Befragten arbeitet Vollzeit (42,5%), gefolgt von Studenten (25,5%) und Teilzeitarbeitenden (10,4%). Auffällig ist, dass über 50% der Wikipedianer Single sind und dass die durchschnittliche Beschäftigung für Wikipedia während der Freizeit zwei Stunden pro Tag beträgt. Hierbei sind u.a. Offline-Recherchen inbegriffen (vgl. Schroer 2005, Online-Befragung). Weitere Ergebnisse und zusätzliche Informationen können hier eingesehen werden.

Jimmy Wales hat eine Studie durchgeführt, um zu untersuchen, wer die meisten Bearbeitungen für die Wikipedia ausführt. Er hatte mit dem Ergebnis gerechnet, dass 20% der Autoren etwa 80% der Beiträge leisten. Jedoch zeigen die Ergebnisse, dass 0.7% der Freiwilligen etwa 50% der Arbeit übernehmen. Folglich sind die aktivsten 2% an 73,4% der Bearbeitungen beteiligt. Im Hinblick auf diese Ergebnisse führte Aaron Swartz eigene Untersuchungen durch. Er wollte herausfinden, wer die substanziellen Beiträge leistet. Er zählte die Anzahl der Buchstaben, die verschiedene Autoren hinzufügten.

Das Ergebnis zeigt auf, dass die meisten Bearbeitungen von aktiven, angemeldeten Benutzer kommen, diese aber meist nur Formatierungs- oder Formulierungsänderungen durchführen. Die eigentlichen Inhalte werden fast ausschließlich von nicht aktiven IP-lern hinzugefügt (vgl. Aaron Swartz 2006). Demzufolge korrigieren die angemeldeten Benutzer Schönheitsfehler und passen die Artikel dem Wikipedia-Stil an, die substantiellen Beiträge - wie das Hinzufügen eines Artikels oder Textabschnitts - werden von IP-lern durchgeführt.

Fortsetzung: Wikipedia Teil V: Motivation der AutorInnen

Literatur

Clay Shirky (2008), Here Comes Everybody. The Power of Organizing Without Organizations, Penguin, S. 109-142: “Personal Motivation Meets Collaborative Production”.

David Weinberger (2008), Das Ende der Schublade. Die Macht der neuen digitalen Unordnung, Hanser, S. 160-176: „Anonyme Verfasser“.

Stefan Münker (2009), Emergenz digitaler Öffentlichkeiten. Die Sozialen Medien im Web 2.0, Suhrkamp, S. 95-102: „Kollektives Wissen und der Erfolg von Wikipedia“.

Don Tapscott/Anthony D. Williams (2007), Wikinomics. Die Revolution im Netz, Hanser, S. 71-76: „Die Enzyklopädie, an der jeder mitschreiben kann“.

Will Richardson (2011), Wikis, Blogs und Podcasts. Neue und nützliche Werzeuge für den Unterricht, Tibia Press, S. 95-116: „Wikis. Gemeinschaftsarbeit leicht gemacht“.

Anja Ebersbach/Markus Glaser/Richard Heigl (20112), Social Web, UVK, S. 39-60: „Wikis“.

Daniela Pscheida (2010), Das Wikipedia-Universum. Wie das Internet unsere Wissenskultur verändert, Transcript Verlag.

Ziko Van Dijk (2010), Wikipedia. Wie Sie zur freien Enzyklopädie beitragen, Open Source Press.

Günter Schuler (2007), Wikipedia inside. Die Online-Enzyklopädie und ihre Community, UNRAST Verlag.

Nando Stöcklin (2010), Wikipedia clever nutzen - in Schule und Beruf, Orell Füssli Verlag AG.

Wikimedia Deutschland e.V. (2011), Alles über Wikipedia. Und die Menschen hinter der größten Enzyklopädie der Welt, Hoffmann und Campe Verlag.

Donnerstag, 9. Februar 2012

Wikipedia Teil III: Weitere Regeln in der Welt der “freien Enzyklopädie”

Im Rahmen eines Projekts beschäftigen wir uns seit einigen Wochen intensiver mit der Online-Enzyklopädie Wikipedia. Noch immer lehnen viele Lehrende an Schulen und Hochschulen Wikipedia ab - ein Umstand, der wohl nur mit mangelndem Verständnis hinsichtlich der Enzyklopädie (sowie des Web 2.0 im allgemeinen) erklärt werden kann. Wir haben uns deshalb entschlossen, in einer Reihe von Postings Wikipedia und dessen Nutzung zu erläutern. Alle Postings zusammen werden dann als neues Unterkapitel im Abschnitt Lernen 2.0 des Online-Lehrbuchs zum Web 2.0 veröffentlicht.

Bisher erschienen:
Wikipedia Teil I: Wie ist Wikipedia entstanden?
Wikipedia Teil II: Grundprinzipien der Wikipedia

Weitere Regeln in der Welt der "freien Enzyklopädie"

(Autorin: Sarah Brenner)


Relevanz

Das erste und wichtigste Grundprinzip, dass die Wikipedia eine Enzyklopädie ist, inkludiert bestimmte Eigenschaften, exkludiert aber gleichzeitig auch Erwartungen; es lässt sich daraus aber noch mehr über das Wesen der Wikipedia ableiten. Ein bedeutender Qualitätsaspekt steckt nämlich hinter der Frage, ob ein Artikel relevant ist. Ist ein Thema bedeutsam genug, um einen Artikel in einer Enzyklopädie zu bekommen (vgl. Van Dijk 2010, 51f.)? Und wer entscheidet darüber, ob ein Thema relevant ist?

Zur Klärung dieser Frage hat die Wikipedia “Relevanzkriterien” aufgestellt, die als Ergänzung zu den bereits angeführten Ausführungen zum Thema “Was Wikipedia nicht ist” zu verstehen sind. Auch dieser Katalog ist das Ergebnis eines mehrjährigen Diskussionsprozesses und dient der Orientierung in diesem schwierigen und umstrittenen Terrain (vgl. Wikipedia: Relevanzkriterien 2012). Als allgemeine “Formel” gibt die Wikipedia vor: “Die Entscheidung für oder gegen die Aufnahme in eine Enzyklopädie richtet sich auch nach der Frage, ob Personen, Ereignisse oder Themen mit aktuell breiter Öffentlichkeitswirkung nach sinnvollem Ermessen auch Zeit überdauernd von Bedeutung sein werden” (ebd.).

Die Ursache für die Entstehung des Katalogs an Relevanzkriterien liegt zum einen in dem Qualitätsanspruch der enzyklopädischen Artikel begründet, aber auch in der Tatsache, dass die Relevanzfrage “erhebliches Konfliktpotential” mit sich bringt (Van Dijk 2010, 52). So kommt es immer wieder zu Diskussionen, wann und ob beispielsweise eine “Hinterhofband”, sogenannte “Stars” oder eine Bibliothek tatsächlich mit einem eigenen Artikel vertreten sein sollen.

An dieser Stelle sei nochmals auf Jimmy Wales Ziel hingewiesen, eine “Enzyklopädie von Weltklasse” (Weinberger 2008, 166) zu erbauen, nicht aber eine “Info-Müllhalde” oder eine mit “Bandspam” besetzte Website. Genausowenig soll sie als “billige Werbeplattform missbraucht” werden (Van Dijk 2010, 52). Wird keine Relevanz ausgemacht, kommt es zum Löschantrag (vgl. ebd.). Die Relevanzkriterien sind mittlerweile auf eine immense Größe angewachsen. Zur Vertiefung können sie hier nachgelesen werden: http://de.wikipedia.org/wiki/Wikipedia:Relevanzkriterien.

Anonymität

Während sich die Encyclopedia Britannica damit profiliert, Nobelpreisträger und anerkannte Wissenschaftler als Autoren zu beschäftigen, bleiben die AutorInnen der Wikipedia in der Regel anonym. Zwar besitzt die Mehrzahl der Autoren ein Benutzerkonto, dieses sagt aber nichts über die wahre Identität eines Wikipedianers aus, da die meisten Autoren unter der Verwendung von Pseudonymen aktiv sind (vgl. Weinberger 2008, 163).
“Uns geht es um eine Pseudoidentität, nicht um wahre Identität. Dass ein bestimmter Benutzer eine unveränderliche Pseudoidentität hat, erlaubt es uns, seine Qualität zu beurteilen, ohne eine Vorstellung davon zu haben, wer er wirklich ist.”
(Jimmy Wales, zitiert nach Weinberger 2008, 163)
Der Wunsch von Autoren, Pseudonyme zu verwenden, muss unbedingt respektiert werden (vgl. Van Dijk 2010, 31) und ist besonders bedeutsam, wenn es um die Mitwirkung bei “heiklen” Themen geht, die bei Offenlegung der Person der Autorin vermutlich erst gar nicht entstehen würden. Ausgesetzt wird dieser Grundsatz nur in Ausnahmen, z.B. bei Straftaten (u.a. Volksverhetzung, Urheberrechtsverletzungen, Verrat von Betriebsgeheimnissen). In einem solchen Fall arbeitet die Wikipedia mit der Polizei zusammen. Grundlage ist das Rechtssystem der USA und das Recht des jeweiligen Herkunftslands (vgl. ebd., 23).

Freiwilligkeit

Ein wichtiger Aspekt der Philosophie von Wikipedia ist das Prinzip der Freiwilligkeit. Tausende AutorInnen, LektorInnen und KorrekturleserInnen stellen ihre Zeit, das Produkt ihrer Arbeit und vor allem ihren Fleiß zur Verfügung, um das Ziel der Community in die Wirklichkeit umzusetzen: die Erstellung einer qualitativ hochwertigen Enzyklopädie in der jeweiligen Muttersprache über alle Kulturen und Nationen verteilt (vgl. Tapscott; Williams 2009, 71). Die Beweggründe für die immense Unterstützung, die das Projekt erfährt, werden später thematisiert.

Administratoren

Obwohl die Wikipedia auf das klassische Wissenskonzept des “Expertentums” verzichtet und das Kollektiv die Inhalte der Enzyklopädie generiert, gibt es ein Minimum an Hierarchie in der scheinbar hierarchielosen Wikipedia: Nicht alle Wikipedianer haben diesselben Rechte. So gibt es gewählte Administratoren, die bei “Edit-Wars” Artikel vorübergehend einfrieren können, bei Regelverstößen Artikel löschen oder AutorInnen gegebenenfalls sogar sperren (vgl. Van Dijk 2010, 28). Teilweise sind diese zusätzlichen Rechte und Funktionen, aber auch Pflichten, mit Wahlämtern verbunden, sie können aber auch durch persönliche Leistung (Reputation) erworben werden und sich so im Laufe der Zeit aufbauen (vgl. ebd., 31f.).

Neben Regelsetzungen ist es folglich auch zu einer Hierarchisierung gekommen (vgl. ebd., 28). Doch ohne diese Hierarchisierung hätte sich Wikipedia nicht in diesem Maße entwickeln können, letztlich würde sie nicht funktionieren: ”[Wikipedia] ist eine pragmatische utopische Gemeinschaft, die mit einem Minimum an Struktur beginnt, aus dem sich dann nach Bedarf soziale Strukturen entwickeln” (Weinberger 2008, 167). Inmitten des scheinbaren Chaos gibt es einen kleinen Kern, eine überschaubare Anzahl regelmäßiger User, die sich engagiert dem Projekt widmen (vgl. Tapscott; Williams 2009, 73). Letztendlich bewahrt diese Gruppe das Produkt der Gemeinschaft, was auch bedeutet, dass man am Kern der Sache vorbeigeht, wenn man die Online-Enzyklopädie als die kumulierte Arbeit von Einzelpersonen betrachtet (vgl. Weinberger 2008, 166). Genau diese Verkennung der entscheidenden Variable - der Community - trifft man aber häufig an (“Wie soll das gehen: ein Lexikon, wo jeder reinschreiben kann, was er will!”...).

Aktives Lesen

Fast eine Revolution geht mit dem “Lesen” eines Artikels der Wikipedia einher. Denn woher bezieht Wikipedia Autorität, durch was gewinnt sie das Vertrauen der LeserInnen? Der Enzyclopedia Britannica bringen die LeserInnen (zu Recht) Vertrauen entgegen, was es ermöglicht, den Artikeln ohne weitere Prüfung zu vertrauen und das Wissen passiv aufzunehmen (vgl. ebd., 171). Das stellt sich im Fall von Wikipedia grundlegend anders dar.

Jeder Artikel in der Wikipedia stellt kein fertiges Produkt dar, das von Experten gefiltert und gefertigt wurde, sondern der Entstehungsprozess ist klar ersichtlich: “Metadaten” wie Bearbeitungen, Diskussionen oder Hinweise werden zusätzlich geliefert (ebd.). Und gerade das erfordert auf Seiten des Lesers eben keine Passivität, sondern eine aktive Auseinandersetzung mit dem Gegenstand “Wissen”. Die Wikipedia leitet also ihre Glaubwürdigkeit “daraus her, dass man uns unfehlbare Wesen in die Lage versetzt, die Unterschiede zu erforschen - und zwar gemeinsam” (ebd., 172).

Festgehalten werden kann, dass die Inhalte durch ständigen Austausch und stetige qualitative Verbesserung zu keinem Zeitpunkt als “fertig” bezeichnet werden können, sondern sich prozessartig weiterentwickeln. In öffentlicher Diskussion werden Artikel verändert und ergänzt, ganz dem Prinzip der Agora folgend (vgl. Münker 2010, 101f.). Auch das Regelwerk der Wikipedia entwickelt sich weiter und passt sich den Gegebenheiten und Notwendigkeiten der Arbeit an.

Regeländerungen

Ursprünglich war die Intention der Wikipedia, dass tatsächlich jede und jeder Artikel einstellen, editieren, verbessern und erweitern kann - ohne Einschränkungen oder Hürden. Doch schnell wurde deutlich, dass diese Idee nicht umgesetzt werden kann, vor allem unter dem Aspekt des Qualitätsanspruchs an die Artikel (vgl. Wikipedia: Gesichtete Versionen 2012).

Der häufig als Vorwurf formulierten Feststellung, dass bei der Online-Enzyklopädie jeder (sprich: jeder Idiot) einen Artikel einstellen, verändern und ergänzen könne, kann also entgegnet werden: Mittlerweile gibt es sehr wohl einige Richtlinien und Regeländerungen für AutorInnen. Im obigen Kapitel wurden diese bereits aufgeführt. Doch sind sie eher als Ergänzungen der Grundprinzipien zu verstehen, die sich aus der täglichen Nutzung ergeben haben.

Um “schädliches Verhalten” und “das absichtliche Verschlechtern” von Artikeln (Vandalismus) zu verhindern, hat die deutschsprachige Wikipedia ein neues Instrument zur Reglementierung eingeführt: die Sichtung (Van Dijk 2010, 74). So erhalten Neuerungen und Veränderungen durch Neulinge zunächst den Status “ungesichtet”. Dabei spielt es keine Rolle, ob der User ein Benutzerkonto hat oder als anonymer User (die man im Wikipedia-Jargon “IP-ler” nennt) Bearbeitungen vornimmt. Erst wenn ein registrierter, regelmäßiger Autor (ein “Sichter”) diese Änderungen für regelkonform befindet, erlangen sie den Status “gesichtet” und werden schließlich für den Leser des Artikels sichtbar (vgl. ebd.).

Die Intention dieses Systems ist es, dem Leser eine “gewisse Grundqualität” zu garantieren. Dieser Review-Prozess sagt jedoch nichts über die fachliche Kompetenz des Inhaltes aus. Der Status gibt lediglich eine Art Zertifikat, dass die erneuerte Version eines Artikels frei von “offensichtlichem Vandalismus” ist (Wikipedia: Gesichtete Versionen 2012).

Neben dieser Einschränkung für “Neu-Autoren” gelten selbstverständlich für Autorinnen und Autoren - ob erfahren oder unerfahren - die oben aufgeführten Grundprinzipien und Regeln des “Miteinanders”, die keineswegs als abgeschlossen verstanden werden können.

Wikifizieren

Im Lauf der Zeit hat sich eine typische Art und Weise entwickelt, wie ein Artikel strukturiert und aufgebaut ist. Dieser Prozess des “Wikifizierens” gehört mittlerweile zu den ungeschriebenen Gesetzen und Richtlinien für das Schreiben eines Artikels. Das Wikifizieren passt sowohl das äußere Erscheinungsbild (u.a. Layout, Aufbau des Artikels) als auch die inhaltlichen Ansprüche (u.a. “NPOV”, Literaturrecherche) den Anforderungen der Enzyklopädie an (vgl. Van Dijk 2010, 97).

Belege

Eine Änderung hat sich auch bezüglich der Belege vollzogen. War es zu Beginn des Projekts nicht zwingend notwendig, neben Verweisen zu anderen Wikipedia-Artikeln Belege aus der wissenschaftlichen Literatur zu suchen, ist diese “unwissenschaftliche” Vorgehensweise heute undenkbar. Basiert ein Artikel nicht auf einem Mindestmaß an Hintergrundrecherche - und dies bedeutet, dass Literatur oder Onlinequellen angegeben werden - kann der Artikel gelöscht werden (vgl. ebd., 121).

Erst seit 2006/2007 gehört die Notwendigkeit von Belegen als Selbstverständlichkeit dazu. Für eine Auszeichnung als “lesenswerter” oder “exzellenter” Artikel reicht ein Minimum an ein bis zwei Belegen nicht aus; hierfür wird eine umfassende Recherche und Verweise auf Literatur vorausgesetzt (ebd.).

Wie sich an diesen Ausführungen zeigt, ist die “Wikipedia - die freie Enzyklopädie” keinesfalls mehr so frei, wie es der Name suggeriert. Die Arbeit mit und in ihr ist reglementiert, um die Qualität der Artikel sicherzustellen und damit das Ziel der Community zu verwirklichen: Eine “Enzyklopädie von Weltklasse” zu erschaffen, deren Inhalte frei zugänglich sind (Weinberger 2008, 166).

Fortsetzung: Wikipedia Teil IV: Erfolgsfaktoren und Wikipedianer

Literatur

Clay Shirky (2008), Here Comes Everybody. The Power of Organizing Without Organizations, Penguin, S. 109-142: “Personal Motivation Meets Collaborative Production”.

David Weinberger (2008), Das Ende der Schublade. Die Macht der neuen digitalen Unordnung, Hanser, S. 160-176: „Anonyme Verfasser“.

Stefan Münker (2009), Emergenz digitaler Öffentlichkeiten. Die Sozialen Medien im Web 2.0, Suhrkamp, S. 95-102: „Kollektives Wissen und der Erfolg von Wikipedia“.

Don Tapscott/Anthony D. Williams (2007), Wikinomics. Die Revolution im Netz, Hanser, S. 71-76: „Die Enzyklopädie, an der jeder mitschreiben kann“.

Will Richardson (2011), Wikis, Blogs und Podcasts. Neue und nützliche Werzeuge für den Unterricht, Tibia Press, S. 95-116: „Wikis. Gemeinschaftsarbeit leicht gemacht“.

Anja Ebersbach/Markus Glaser/Richard Heigl (20112), Social Web, UVK, S. 39-60: „Wikis“.

Daniela Pscheida (2010), Das Wikipedia-Universum. Wie das Internet unsere Wissenskultur verändert, Transcript Verlag.

Ziko Van Dijk (2010), Wikipedia. Wie Sie zur freien Enzyklopädie beitragen, Open Source Press.

Dienstag, 7. Februar 2012

Heute ist Safer Internet Day 2012


Der 7. Februar ist der Safer Internet Day. Ein Blick auf die europaweite Website des SID lohnt ebenso wie ein Besuch des deutschen Ablegers klicksafe.de. Dort gibt es zwischenzeitlich jede Menge Materialien, um die Gefahren des Web (2.0) im Unterricht oder in Seminaren thematisieren zu können.

Montag, 6. Februar 2012

Wikipedia Teil II: Grundprinzipien von Wikipedia

Im Rahmen eines Projekts beschäftigen wir uns seit einigen Wochen intensiver mit der Online-Enzyklopädie Wikipedia. Noch immer lehnen viele Lehrende an Schulen und Hochschulen Wikipedia ab - ein Umstand, der wohl nur mit mangelndem Verständnis hinsichtlich der Enzyklopädie (sowie des Web 2.0 im allgemeinen) erklärt werden kann. Wir haben uns deshalb entschlossen, in einer Reihe von Postings Wikipedia und dessen Nutzung zu erläutern. Alle Postings zusammen werden dann als neues Unterkapitel im Abschnitt Lernen 2.0 des Online-Lehrbuchs zum Web 2.0 veröffentlicht.

Bisher erschienen: Wikipedia Teil I: Wie ist Wikipedia entstanden?

Grundprinzipien von Wikipedia

(Autorin: Sarah Brenner)

Die Philosophie der Enzyklopädie, das Grundgerüst von Wikipedia ist kurz erklärt: “Jeder Nutzer kann ihre Artikel lesen; und jeder Nutzer kann die Artikel, die er liest, zugleich bearbeiten oder auch neue Artikel anlegen” (Münker 2009, 95). So soll in einem offenen Prozess kollaboratives Wissen entstehen, ohne traditionell-hierarchische Strukturelemente. Dieses Grundgerüst steht aber durchaus auf einem strukturierten Fundament.

Es zeigt sich, dass gerade die Offenheit eine komplexe Organisation benötigt - Regeln und Konventionen eingeschlossen. Um größtmögliche Qualität der Inhalte zu liefern, hat Wikipedia-Gründer Jimmy Wales zu Beginn des Projekts vier Grundprinzipien für offiziell erklärt - als ein Minimum an Reglementierung und Strukturierung (vgl. Wikipedia: Grundprinzipien 2012).

1. Wikipedia ist eine Enzyklopädie
2. Neutral Point of View
3. Freie Inhalte
4. Wikiquette

“Wikipedia ist ein Projekt zum Aufbau einer Enzyklopädie und kann deshalb bestimmte andere Dinge nicht sein.” Dieses Statement bildet das wichtigste Grundprinzip von Jimmy Wales. Dabei definiert sich Wikipedia selbst als Enzyklopädie. Medienhistorisch ist die Enzyklopädie als Gattung festgelegt und deren Grundsätze sind allgemein bekannt (vgl. Pscheida 2010, 368). Mit dieser Charakteristik gehen bestimmte Merkmale einher, gleichzeitig werden Erwartungen ausgeschlossen, die sich nicht mit dem Konzept einer Enzyklopädie vereinbaren lassen. Wikipedia selbst führt hierzu aus:

Was Wikipedia nicht ist
1. “Wikipedia ist kein Wörterbuch (im Sinne von Sprachwörterbuch). In Artikeln sollen in erster Linie Begriffe erläutert und keine gängigen deutschen Wörter erklärt werden, wie dies ein Wörterbuch macht. Fremdwörter, Redensarten und besondere deutsche Wörter können allerdings behandelt werden, wie auch in gedruckten Enzyklopädien üblich. Ein reines Wörterbuchprojekt ist das Schwesterprojekt Wiktionary.

2. Wikipedia dient nicht der Theoriefindung, sondern der Theoriedarstellung. In Artikeln sollen weder neue Theorien, Modelle, Konzepte oder Methoden aufgestellt, noch neue Begriffe etabliert werden. Ebenso unerwünscht sind nicht nachprüfbare Aussagen. [...]

3. Wikipedia ist keine Werbe- oder Propagandaplattform und keine Gerüchteküche. [...]

4. Wikipedia ist kein Ort für Essays und kein Ort für Fan-Seiten. Artikel sollen sachlich, objektiv und in enzyklopädischem Stil geschrieben sein. [...]

5. Wikipedia ist kein allgemeines Diskussionsforum und kein Chat-Raum. Artikeldiskussionsseiten dienen der Verbesserung von Artikeln, nicht dem Austausch persönlicher Betrachtungen zum Artikelthema.

6. Wikipedia ist kein Webspace-Provider und kein Ersatz für die eigene Website. [...]

7. Wikipedia ist keine Rohdatensammlung großer Mengen strukturierter Daten wie Telefonbücher, Bibliografien, Linkverzeichnisse, Adressverzeichnisse und so weiter. [...]

8. Wikipedia ist kein Nachrichtenportal oder Veranstaltungskalender und dient nicht der aktuellen Berichterstattung. Einen Rahmen für Nachrichten und aktuelle Berichterstattung bietet das Schwesterprojekt Wikinews. [...]

9. Wikipedia ist keine Sammlung von Anleitungen und Ratgebern. [...]”

[aus: http://de.wikipedia.org/wiki/Wikipedia:Was_Wikipedia_nicht_ist, letzter Zugriff: 07.01.2012]

Aus dem ersten Grundprinzip direkt abgeleitet ist das zweite Grundprinzip der Wikipedia: die Neutralität der Artikel bzw. die Forderung nach einem neutralen Standpunkt (“neutral point of view”, oder kurz “NPOV”). Dieses Grundprinzip steht für einen Inhalt, der nicht von politischen, religiösen oder anderweitigen Interessen geprägt ist. Möglichst wertneutral und frei von persönlichen Meinungen oder Präferenzen sollen Sachverhalte objektiv dargestellt werden (vgl. Van Dijk 2010, 53).

Für Jimmy Wales ist ein Artikel dann neutral, wenn die Community ihn als neutral anerkennt. Dies sei der Fall, wenn keine Veränderungen mehr an Inhalten vorgenommen werden und mögliche Diskussionsaspekte bezüglich der Verletzung dieses Grundprinzips aus dem Weg geschafft wurden. Damit folgt Wikipedia einer funktionellen Definition von Neutralität: Nicht die Expertise entscheidet darüber, ob der “NPOV” eingehalten wurde, sondern die soziale Interaktion zwischen den Wikipedianern.

Die bisherige Erfahrung zeigt, dass diese Vorgehensweise ordentlich funktioniert (vgl. Weinberger 2007, 164). Ist der Diskussionsprozess noch nicht abgeschlossen, weist Wikipedia mit Hinweisen auf die (möglicherweise) fehlende Objektivität hin: “Die Neutralität dieses Artikels ist umstritten. Die Gründe stehen auf der Diskussionsseite” (ebd., 168).

Das dritte Grundprinzip bezieht sich auf die freien Inhalte der Wikipedia. “Freie Inhalte” bedeutet, dass Artikel der Wikipedia uneingeschränkt, vor allem kostenlos genutzt und weiterverbreitet werden dürfen (Open-Source-Prinzip) (vgl. Pscheida 2010, 368). Ausführlich wird dieser Aspekt bei Van Dijk (2010, 20ff.) aufgegriffen. Aus diesem Grund ist es auch zwingend erforderlich, dass Plagiate unverzüglich gelöscht werden, da Urheberrechtsverletzungen die “rechtliche und moralische Integrität des Artikels” verletzen und dem Prinzip der freien Inhalte schaden (vgl. ebd., 55).

Des Weiteren gibt es eine Interaktionskultur innerhalb der Wikipedia, die “Wikiquette” genannt wird und das vierte Grundprinzip darstellt. Dabei handelt es sich um grundlegende Konventionen und Regeln, die einen vernünftigen und konstruktiven Umgang miteinander bei der gemeinsamen Arbeit an Artikeln ermöglichen sollen. Angestrebt wird, dass auch im Fall von Uneinigkeit oder Streit während des Entstehungsprozesses eines Artikels die Grundlagen des höflichen Umgangs nicht verletzt werden (vgl. Pscheida 2010, 368).

Die Wikiquette umfasst zehn zentrale Grundsätze des Umgangs miteinander. Für einige haben sich Akronyme herausgebildet, die von den Wikipedianern benutzt, aber auch kreiert wurden. Darunter fällt “KPA” (“Keine persönlichen Angriffe”), oder “AGF” (“Assume Good Faith” → “Geh von guten Absichten aus”) (vgl. Van Dijk 2010, 37).

Die Wichtigkeit der Einhaltung dieser Grundsätze spiegelt die Tatsache wider, dass User bei Verletzungen gesperrt werden können, denn man sollte nie vergessen, “dass auf der anderen Seite des Bildschirms auch nur ein Mensch sitzt” (ebd.).

Zentrale Grundsätze des Umgangs miteinander in der Wikipedia: die Wikiquette
Keine persönlichen Angriffe.
Geh von guten Absichten aus.
Sei freundlich.
Hilf anderen.
Bleibe ruhig!
Die Mitarbeit in der Wikipedia beruht auf dem Prinzip der Freiwilligkeit.
Besser spricht es sich von Angesicht zu Angesicht.
Lass anderen Benutzern ihre Anonymität.
Trage Konflikte nicht öffentlich aus.
Sei nicht nachtragend.

Mehr dazu hier: http://de.wikipedia.org/wiki/Wikipedia:Wikiquette

Die Besonderheit liegt in der Unveränderlichkeit der vier Grundprinzipien. Demgegenüber haben sich im Lauf der Zeit durch das alltägliche Handeln miteinander noch zahlreiche andere Regeln entwickelt. Dabei handelt es sich um Konventionen, die für den Moment gelten, aber nicht endgültig festgelegt sind. Sie entwickeln sich stetig weiter (vgl. Pscheida 2010, 367f.). Diese weiteren Regeln stellen aber im Gegensatz zu den unumstößlichen vier Grundprinzipien keine einheitliche oder festgesetzte “Satzung” dar. Damit sind auch die Konventionen von Offenheit und Transparenz geprägt. Sie entstehen aus kollaborativen Prozessen (vgl. Van Dijk 2010, 28).

Doch gerade diese Offenheit dient oft als Ansatzpunkt für Kritik, da sie die Qualität der Wikipedia gefährden kann (z.B. Vandalismus). Doch Tapscott und Williams betonen, dass das Prinzip der Offenheit und der Transparenz Wikipedia letztendlich zum Erfolg verholfen habe und die Ursache dafür sei, dass das Projekt weiter wächst, eben auch qualitativ. Neben neuen Einträgen werden bestehende Artikel aktualisiert und auf Richtigkeit hin überprüft (vgl. Tapscott/Williams 2009, 75). Wales selbst nennt diesen Prozess der wiederholten Veränderung und Korrektur eine “darwinistische Evolution”, welche die Qualität eines Artikels stetig verbessert. Diesem “dynamischen, sich entwickelnden Bestand an Wissen” wird immer mehr Anerkennung entgegengebracht - auch in der akademischen Welt (ebd., 73f.).

Wikipedia steht wie kein anderes Projekt für die faszinierenden Möglichkeiten des Web 2.0. Im Sinne von express - connect - share ist Wikipedia ein beispielloses Konzept zur Verwirklichung eines Gemeinschaftsprojekts über nationale Grenzen hinweg - peer production in Reinkultur. Richardson bezeichnet die Online-Enzyklopädie als das “Ziehkind einer kollektiven Konstruktion von Wissen und Wahrheit” (Richardson 2011, 97), die durch die Transformation vom Read-Web zum Read-/Write-Web ermöglicht wurde. Auch Münker stützt diese These: “Wikipedia symbolisiert das Web 2.0 und die anziehende Qualität seines partizipatorische Prinzips wie kaum ein anderes Projekt” (Münker 2009, 97). “Der amerikanische Soziologe und Journalist James Surowiecki hat das Prinzip der kollektiven Intelligenz auf die Formel ‘Weisheit der vielen`gebracht. [...] Wobei die Weisheit der vielen im Web 2.0 über das Wissen der Eliten triumphiert” (ebd., 99f.).

Fortsetzung: Wikipedia Teil III: Weitere Regeln in der Welt der "freien Enzyklopädie"

Literatur:

Clay Shirky (2008), Here Comes Everybody. The Power of Organizing Without Organizations, Penguin, S. 109-142: “Personal Motivation Meets Collaborative Production”.

David Weinberger (2008), Das Ende der Schublade. Die Macht der neuen digitalen Unordnung, Hanser, S. 160-176: „Anonyme Verfasser“.

Stefan Münker (2009), Emergenz digitaler Öffentlichkeiten. Die Sozialen Medien im Web 2.0, Suhrkamp, S. 95-102: „Kollektives Wissen und der Erfolg von Wikipedia“.

Don Tapscott/Anthony D. Williams (2007), Wikinomics. Die Revolution im Netz, Hanser, S. 71-76: „Die Enzyklopädie, an der jeder mitschreiben kann“.

Will Richardson (2011), Wikis, Blogs und Podcasts. Neue und nützliche Werzeuge für den Unterricht, Tibia Press, S. 95-116: „Wikis. Gemeinschaftsarbeit leicht gemacht“.

Anja Ebersbach/Markus Glaser/Richard Heigl (20112), Social Web, UVK, S. 39-60: „Wikis“.

Daniela Pscheida (2010), Das Wikipedia-Universum. Wie das Internet unsere Wissenskultur verändert, Transcript Verlag.

Ziko Van Dijk (2010), Wikipedia. Wie Sie zur freien Enzyklopädie beitragen, Open Source Press.

Mittwoch, 1. Februar 2012

Wikipedia Teil I: Wie ist Wikipedia entstanden?

Im Rahmen eines Projekts beschäftigen wir uns seit einigen Wochen intensiver mit der Online-Enzyklopädie Wikipedia. Noch immer lehnen viele Lehrende an Schulen und Hochschulen Wikipedia ab - ein Umstand, der wohl nur mit mangelndem Verständnis hinsichtlich der Enzyklopädie (sowie des Web 2.0 im allgemeinen) erklärt werden kann. Wir haben uns deshalb entschlossen, in einer Reihe von Postings Wikipedia und dessen Nutzung zu erläutern. Alle Postings zusammen werden dann als neues Unterkapitel im Abschnitt Lernen 2.0 des Online-Lehrbuchs zum Web 2.0 veröffentlicht.

Wie ist Wikipedia entstanden?

(Autorin: Sarah Brenner)

“Ein Urtraum der Aufklärung scheint wahr zu werden. Dass ein Publikum sich selbst aufkläre, schrieb einst Immanuel Kant, sei unausbleiblich, wenn man ihm nur die Freiheit ließe, von seiner Vernunft öffentlich Gebrauch zu machen. Die neue bunte Bildungsbürgerbewegung, die mit Bühnen wie Wikipedia entstanden ist, fühlt sich dieser Tradition durchaus verpflichtet. Freiheit, Nützlichkeit, Vereinsarbeit: E-mancipation als Aufklärung Version 2.0. Ein Massenphänomen ist so entstanden, dessen Auswirkungen bislang nur zu erahnen sind.”
[Frank Hornig: “Du bist das Netz!; in: Spiegel 29/2006, S. 62f.]

Was ist ein Wiki?

Um Wikipedia zu verstehen, muss man zunächst wissen, was ein Wiki ist, denn dabei handelt es sich um die Software, die dem Projekt Wikipedia zugrundeliegt. Der Softwareingenieur Ward Cunningham entwickelte bereits 1995 das erste Wiki. Er suchte nach einer Websoftware, die eine Plattform für “shared design wisdom” bietet - ein Autorenwerkzeug, das Publizieren ohne technische Sonderrechte oder besondere Kenntnisse erlaubt und möglichst einfach zu bedienen ist, so dass jede/r - und nicht nur Webmaster mit Programmierkenntnissen - im Web veröffentlichen kann (vgl. Richardson 2011, 95).

Bereits die Namensgebung spiegelt die Charakteristik der Websoftware wider; “wiki” leitet sich aus dem hawaiianischen Wort “wiki wiki” ab und bedeutet “schnell”. Schnell und unkompliziert sollte auch die Arbeit mit einem Wiki sein. Die bestehenden Instrumente waren verbunden mit komplexen Anforderungen und klaren Rollenverständnissen: “Writer” und “Editors” arbeiteten strikt voneinander getrennt (vgl. Shirky 2008, 111f.).

Die Wiki-Software Cunnighams löst diese Rollentrennung auf, da sie es Nutzern ermöglicht, Webseiten zu verändern und diese Änderungen zu speichern: “Every wiki page is thus the sum total of accumulated changes” (ebd., 112). Dabei protokolliert die Software nicht nur die Neuerungen, sondern auch vorherige Versionen der Seite. Revolutionär ist bei diesem Konzept der Verzicht auf Kontrolle und formale Ordnung, und das war zweifellos ein Wagnis. Doch Cunningham setzte bei seinem Konzept auf die Zusammenarbeit der Nutzer: “People who want to collaborate also tend to trust one another [...] without formal management or process” (ebd., 111).

Zum berühmtesten Beispiel eines Wikis wurde die Online-Enzyklopädie Wikipedia. Richardson (2011, 97) bezeichnet sie als das “Ziehkind einer kollektiven Konstruktion von Wissen und Wahrheit”. Aber die Wiki-Software bietet noch viele weitere Nutzungsmöglichkeiten. Ein Wiki kann beispielsweise auf den halb-öffentlichen Raum eines Unternehmens beschränkt (interne Kommunikation der Mitarbeiter) oder für die private Organisation der Dateien des eigenen Computers verwendet werden (vgl. Van Dijk 2010, 16).

Heute gibt es unzählige Wiki-Anwendungen, und man kann Cunninghams Erfindung ohne Zweifel als Erfolgsgeschichte bezeichnen, denn “Wikis haben ein enormes Potenzial freigesetzt: einen sich selbst erfüllenden positiven Kreislauf der kooperativen Schöpfung, den hierarchische Modelle weder nachahmen noch unterbrechen können” (Tapscott; Williams 2009, 76). Damit haben wir den ersten Teil des Namens “Wikipedia” geklärt und kommen im nächsten Abschnitt zur zweiten Namenshälfte, die sich aus dem englischen Begriff “encyclopedia” ableitet.

Was ist eine Enzyklopädie und welche Funktionen erfüllt sie?

Geht man dieser Frage nach, wird die Aufmerksamkeit auf einen Sachverhalt gelenkt, der nachvollziehbar macht, warum die Online-Enzyklopädie so erfolgreich ist: Weil sie auf einem uns allen bekannten, klar definierten Konzept beruht, dem Konzept der Enzyklopädie.

Der Begriff “Enzyklopädie” stammt aus dem Griechischen und bedeutet “umfassende” oder “allgemeine Bildung” (Enzyklopädie 2011). Die Enzyklopädie ist als ein “geschlossenes, schriftbasiertes Werk zu verstehen, welches uns das gegenwärtig relevante Weltwissen entlang Stichworten erschließt” und dies klassischerweise in Buchform (Pscheida 2010, 100). Jedoch umfasst sie nicht das gesamte Wissen, sondern einen Kurzüberblick, eine kategorisierte, systematisierte Zusammenfassung. Bekannte Vertreter sind u.a. Meyers Lexikon, der Brockhaus und vor allem die Encyclopedia Britannica (Münker 2009, 98).

Ziel der Intellektuellen war es Ende des 18. Jahrhunderts, “das Wissen der Menschheit [...] zu sammeln, zu organisieren, mit Querverweisen zu versehen und vor allem: [dieses] der Welt der Leser zur Verfügung zu stellen. Das Projekt ist so erfolgreich, dass es über Jahrhunderte maßgeblich unser Verständnis des Begriffs `Wissen`prägt” (ebd.). Es gelang, sich von der bloßen Meinung (doxa) abzugrenzen und “wahres Wissen” (episteme) zu repräsentieren (vgl. ebd.).

Der Erfolg lässt sich an der Tatsache messen, dass es zur Selbstverständlichkeit wurde, wenn Informationen über ein Thema, Wort oder Ereignis eingeholt werden müssen, ein solches Nachschlagewerk zu Rate gezogen wird. Diese Auskünfte gelten als Fakten, als Wissen, weil “der dahinterliegende Prozess der Absicherung durch eine eher kleine Gruppe von Experten für alle verbindlich die Demarkationslinie zwischen objektiv begründetem Wissen und bloß subjektiver Meinung definiert hat” (ebd., 98f.). Doch gerade dieses Expertentum, das bisher unweigerlich mit dem Konzept der Enzyklopädie verbunden war, stellt Wikipedia auf den Kopf - erfolgreich.

Eine ausführliche Auseinandersetzung mit dem Begriff, der Geschichte und mit inhaltlichen Aspekten bietet Wikipedia selbst: http://de.wikipedia.org/wiki/Enzyklop%C3%A4die.

Der Traum, eine Online-Enzyklopädie zu erstellen: Nupedia wird ins Leben gerufen

“Stellen Sie sich eine Welt vor, in der das gesamte Wissen der Menschheit jedem frei zugänglich ist. Das ist unser Ziel!”
[Jimmy Wales]
1998 versuchten Jimmy Wales und Larry Sanger diesen Wunschtraum, den bereits die Intellektuellen des 18. Jahrhundert vor Augen hatten, in einem neuen Konzept in die Wirklichkeit umzusetzen. Dazu riefen sie “Nupedia - the free encyclopedia” ins Leben. Ihr Ziel war dasselbe wie später bei Wikipedia: kostenlose Inhalte, die jedem uneingeschränkt zur Verfügung stehen sollen und die sich schließlich zur “Summe allen menschlichen Wissens” zusammenfügen.

Das Projekt Nupedia sollte nach dem “Peer-Review-Verfahren” funktionieren, bei dem sich ein Autor zunächst mit entsprechenden Qualifikationen (Universitätszeugnissen) bewerben musste. Gleichzeitig empfahl sich der Experte für einen bestimmten Artikel. Bevor ein geschriebener Artikel tatsächlich publiziert wurde, musste er einige Kontrollinstanzen durchlaufen (vgl. Van Dijk 2010, 17).

Dieses siebenstufige Kontrollsystem durch bezahlte Experten garantierte zwar ein hohes Maß an Qualität, bedeutete aber gleichzeitig auch langatmige Hürden für die Artikel und damit ein enorm langsames Wachstum für die Enzyklopädie (vgl. Tapscott 2009, 71). Gleichzeitig überstiegen die Kosten schnell die Effizienz des Projektes: bis zur Einstellung des Projekts wurden gerade einmal 24 Artikel veröffentlicht, 74 befanden sich in Bearbeitung (vgl. Nupedia 2011).

Clay Shirky kommentiert: “[...] to set a minimum standard of quality, had also set a maximum rate of process: slow” (Shirky 2008, 110). David Weinberger (2007, 166) hält fest, dass “das Fachwissen das Projekt [letztendlich] aufhielt”, anstatt auf Basis von Expertentum Zuspruch zu finden und zu wachsen.

Nupedia folgte mit diesem Vorgehen einer zentralistischen und hierarchischen Struktur einer Homepage, deren Inhalte dem Nutzer zwar frei zugänglich sind, aber nicht von ihm oder ihr mitgestaltet werden konnten (vgl. Tapscott 2009, 71). Gleichzeitig wurde das altbewährte Konzept der Enzyklopädie in die Onlinesphäre transferiert - doch wie sich zeigte, zunächst ohne großen Erfolg.

Die Software “Wiki” sollte diesem Stillstand entgegenwirken. Die Idee von Jimmy Wales war hierbei 2001, dass jedem Nutzer die Möglichkeit eingeräumt wird, einen groben Entwurf eines Artikels zu verfassen. Was zunächst nur als Vorstufe zu Nupedia gedacht war, entwickelte schnell eine immense Eigendynamik. Zum einen war es nun jedem Interessierten möglich, Artikel zu erstellen; zum anderen wuchs das Projekt Wikipedia so rasant, dass das Wiki eine eigene URL benötigte - Wikipedia wurde geboren (vgl. Shirky 2008, 111f.).

Nupedia geht offline - Wikipedia wird geborenWas ist das Neue an Wikipedia? Das bekannte Konzept der Enzyklopädie wurde mit neuen Idealen angereichert und auf den Kopf gestellt. Nicht mehr die Expertise bestimmt über die Inhalte, sondern von nun an sollte das Kollektiv teilen, schreiben, publizieren und editieren. Doch diese offene Struktur, die das Projekt ins Rollen brachte, widersprach Larry Sangers Vorstellungen einer Enzyklopädie, so dass er Wikipedia verließ, während sich Jimmy Wales dem Wiki immer begeisterter widmete (vgl. Pscheida 2010, 348).

Wiki-Software und Open-Source-Idee verliehen der Bezeichnung “freie Enzyklopädie” eine neue Bedeutung und beschleunigten den Wachstumsprozess in einem ungeahnten Maß: Bereits im ersten Monat gingen 200 Artikel online, im ersten Jahr waren es 18.000 Artikel (vgl. Tapscott 2009, 71). Doch bedeutet Quantität auch Qualität? Zu betonen ist, dass Wikipedia keine reine “Bottom-up-Enzyklopädie” sein will. Ziel ist nicht, wie Jimmy Wales betont, “ein Experiment in sozialer Gleichberechtigung”, sondern eine “Enzyklopädie von Weltklasse” (Weinberger 2007, 166).

Beide Projekte koexistierten noch eine gewisse Zeit, obwohl Wikpedia die Nupedia längst übertroffen hatte. Die Erfolgsgeschichte der Wikipedia setzte sich fort, während die Mutter der Wikipedia letztendlich scheiterte und im September 2003 offline ging (vgl. Pscheida 2010, 348).

Fortsetzung: Wikipedia Teil II: Grundsätze von Wikipedia

Literatur:

Clay Shirky (2008), Here Comes Everybody. The Power of Organizing Without Organizations, Penguin, S. 109-142: “Personal Motivation Meets Collaborative Production”.

David Weinberger (2008), Das Ende der Schublade. Die Macht der neuen digitalen Unordnung, Hanser, S. 160-176: „Anonyme Verfasser“.

Stefan Münker (2009), Emergenz digitaler Öffentlichkeiten. Die Sozialen Medien im Web 2.0, Suhrkamp, S. 95-102: „Kollektives Wissen und der Erfolg von Wikipedia“.

Don Tapscott/Anthony D. Williams (2007), Wikinomics. Die Revolution im Netz, Hanser, S. 71-76: „Die Enzyklopädie, an der jeder mitschreiben kann“.

Will Richardson (2011), Wikis, Blogs und Podcasts. Neue und nützliche Werzeuge für den Unterricht, Tibia Press, S. 95-116: „Wikis. Gemeinschaftsarbeit leicht gemacht“.

Anja Ebersbach/Markus Glaser/Richard Heigl (20112), Social Web, UVK, S. 39-60: „Wikis“.

Daniela Pscheida (2010), Das Wikipedia-Universum. Wie das Internet unsere Wissenskultur verändert, Transcript Verlag.

Ziko Van Dijk (2010), Wikipedia. Wie Sie zur freien Enzyklopädie beitragen, Open Source Press.