Montag, 6. Januar 2020

„Predictive Policing“ – Verbrechen vorhersagen, geht das?

Wenn man den Begriff „Predictive Policing“, oder übersetzt „Vorhersagende Polizeiarbeit“ hört, denkt man vermutlich erstmal an die Kurzgeschichte „The Minority Report“ von Philip K. Dick aus dem Jahr 1956 oder eben an den darauf basierenden Blockbuster „Minority Report“ von Steven Spielberg aus dem Jahr 2002. Und so ganz falsch liegt man damit auch nicht, so findet man doch einige Parallelen. Doch die Panik und Kritik, die „Minority Report“ übt, wäre bei „Predictive Policing“ fehl am Platz.

Was genau ist also „Predictive Policing”? Einfach gesagt geht es darum, durch Analyse von Falldaten die Wahrscheinlichkeit für zukünftige Straftaten zu errechnen. Ein Arbeitsaufwand, den man aufgrund der Datenmenge bzw. der „Big Data“ manuell mit menschlichem Personal nicht bewältigen könnte. Deshalb wird diese Aufgabe von Computern und entsprechender Software übernommen. Zwar gibt es einige Programme dafür, die man erwerben kann (in Kostenhöhe von ca. 1 Millionen € für die derzeit „beste“ Software), doch gerade aufgrund des Preises ziehen es viele Landeskriminalämter (LKA) vor, eigene Software dafür zu entwickeln. Dies hat auch den Vorteil, dass man sie nach eigenen Wünschen und Präferenzen gestalten kann, anstatt auf vorgegebene Funktionen angewiesen zu sein.

In Deutschland wurde die „vorhersagende Polizeiarbeit“ im Zeitraum 2016/2017 in diversen Städten wie Stuttgart, Hamburg, München, Berlin aber auch ganzen Bundesländern wie Hessen und Niedersachsen in verschiedenen Projekten mit verschiedener Software getestet und ist heute schon in einigen Orten im Polizeialltag integriert. Den Vorreiter spielt hierbei Bayern: die Methode wurde hier schon 2014/2015 getestet und wird seit 2016 vollwertig genutzt.

Die „vorhersagende Polizeiarbeit“ ist allerdings noch recht neu und wird bisher auch nur für eine Art der Straftat genutzt, für die sie sich hervorragend eignet: Wohnungseinbruchdiebstähle. Der Polizei ist schon seit langem bekannt, dass Wohnungseinbruchdiebstähle oft von Serientätern begangen werden. Aufgrund der Tatmuster, die auch wissenschaftlich belegt sind, begehen diese oft innerhalb eines kurzen Zeitraums nach einem Einbruch wieder einen Einbruch in der Nähe des ersten.

Bisher fehlte aber die Möglichkeit sowie die Mittel und das Personal, diese Daten so auszuwerten, dass man tatsächlich präventiv vorgehen kann. Dank Computer und Software ist dies aber nun möglich, und hierbei kann man auch gleich mit „Schreckensszenarien“ à la „Minority Report“ aufräumen: die Software kann keine Straftaten vorhersagen. Einzeltäter können mit dieser Software nicht erfasst werden, hier muss die Polizei weiterhin aktiv werden, nachdem der Einbruch begangen wurde, denn alles, was die Software macht, ist die Wahrscheinlichkeit zu errechnen, in welchem Zeitraum und in welcher Region ein Serientäter wohl erneut zuschlagen wird.

Leider (zumindest für uns) werden von den Tests und von der Anwendung keine Berichte und Bewertungen oder Zahlen veröffentlicht, die die Effektivität der Software zeigen können, dafür gibt es aber natürlich gute Gründe, schließlich will man dem Einbrecher nicht die Einsicht in die „Bekämpfungssoftware“ geben. Dass aber diverse Städte und Bundesländer diese Methode nutzen, spricht wohl auch für sich.

Weitere Gründe dafür, dass die Methode für Einbruchsdiebstähle verwendet wird, ist die „Wichtigkeit“ bzw. die politische Tragweite. Einbruchsdiebstähle gibt es laut Polizei sehr häufig und die Zahl steigt stetig an. Außerdem werden mit etwa 85% ein hoher Anteil der Wohnungseinbrüche zur Anzeige gebracht (zum Vergleich: bei Raubüberfällen seien es nur etwa 25-35%). Gleichzeitig bleiben Einbruchsdiebstähle aber auch in den meisten Fällen ungeklärt und es kann kein Täter ermittelt werden.

Gerade für die „Opfer“ hängen Einbrüche oft auch mit enormem psychischem Stress zusammen, so wollen wohl etwa 30% der betroffenen nach einem Einbruch umziehen, weil sie sich nicht mehr wohl und sicher fühlen können, laut Alexander Gluba vom Landeskriminalamt Niedersachsen. Die Aufklärungsquote der Wohnungseinbrüche liegt bei etwas mehr als 15%, ein weiterer Faktor, weshalb man neue wirkungsvolle Methoden hier sehr begrüßt.

Zu den größten Kritikpunkten zählt die sehr schwierige Nachweisbarkeit der Wirksamkeit. Es sammeln sich einige mögliche Zufälle, die man nicht als eindeutige Belege für die Wirksamkeit nutzen kann. Schickt beispielsweise die Polizei aufgrund der Berechnungen einen Wagen an den Ort, an dem wahrscheinlich ein Einbruch stattfindet, so kann man schwer deuten, was eben kein Einbruch hier bedeutet. War die Prognose falsch? Hat die Polizei den Einbrecher abgeschreckt?

Außerdem spielt hierbei natürlich trotzdem noch der Mensch eine große Rolle. Mit welchen Daten wird die Software „gefüttert“? Es bleibt weiterhin Aufgabe der Menschen bei der Polizei, zu bewerten, ob ein Serientäter am Werk war oder nicht. Wird der Einbruch richtig eingeschätzt? Die Maschine bzw. der Computer kann natürlich nur mit dem arbeiten, was die Polizeibeamten ihm geben.

Hat man beispielsweise zufällig zwei Einbrüche in einer Woche in einer Straße, in der sonst kaum Einbrüche stattfinden, wird die Software wohl auch zukünftig Einbrüche berechnen, falls die Beamten diese Daten unreflektiert in die Software eingeben. Auch hier kann also „menschliches Versagen“ bzw. von Menschen begangene Fehler die Wirksamkeit der Software beeinflussen.

Präventiv wirkende Systeme auf ihre Wirksamkeit zu überprüfen ist also kaum eindeutig möglich. Auch die wissenschaftlichen Untersuchungen dazu sind aufgrund der geringen Zahl wenig aufschlussreich. Bisher gibt es nur zwei wissenschaftliche Untersuchungen, und diese wurden in den USA und in Großbritannien durchgeführt, lassen sich also auch nicht einfach auf Deutschland übertragen.

Trotzdem haben beide Untersuchungen ein recht positives Ergebnis für die „vorhersagende Polizeiarbeit“ ergeben. Verglichen wurden hierbei die Prognosen der Software mit konventionellen Methoden. Dabei hat die Software wohl in den betreffenden Gebieten bei beiden Untersuchungen einen Kriminalitätsrückgang erwirkt. Aktuell forschen aber auch Sozialwissenschaftler aus verschiedenen EU-Mitgliedsländern an der Methode.

Wichtig zu erwähnen ist allerdings auch, dass die Anwendung dieser Methode eigentlich keine Nachteile mit sich bringt. Die Zahlen sprechen für sich: bei Wohnungseinbruch haben wir derzeit keine effektiven Methoden, um diese aufzuklären oder zu verhindern, wieso also nicht Neues wagen? In den Polizeipräsidien, die diese Möglichkeit nutzen, wird sie stets positiv aufgefasst, immerhin nimmt es den Beamten vor Ort, deren Kapazitäten oft aufgrund von Personalmangel oder Kürzungen voll ausgeschöpft sind, viel Arbeit ab und unterstützt sie in ihrer Arbeit.

Wie sich die „vorhersagende Polizeiarbeit“ noch entwickeln wird, für welche Felder sie sich noch eignet und wie effektiv sie in verschiedenen Delikten arbeiten kann, wird sich in der Zukunft zeigen, aktuell, denke ich, können wir diese Möglichkeit der Verarbeitung dieser Datenmassen aber durchaus begrüßen, immerhin ist es doch im Interesse aller, die Zahl der Einbrüche zu verringern.

Mit stärkerem Einsatz der Software werden vermutlich auch viele neue moralische und rechtliche Fragen aufkommen, eine Herausforderung, der wir Menschen uns dann stellen müssen, aber das ist der Lauf der Dinge, der schon immer so war und wohl auch immer so sein wird. Mich persönlich hat das Konzept aber voll überzeugt und ich freue mich auf weitere Fortschritte in diesem Bereich!

In folgendem Video wird auf Englisch noch einmal innerhalb von 2 Minuten mit zusätzlicher visueller Ebene erklärt, wie „predictive policing“ funktioniert:

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