Datenschutz und Privatsphäre zählen wie das (an dieser Stelle bereits häufig thematisierte)
Urheberrecht zu den Materien, für die sich durch die Digitalisierung im allgemeinen und das Web 2.0 im besonderen die Rahmenbedingungen in einem Maß geändert haben, dass es nicht mehr reicht, bestehende Regelungen zu modifizieren, gefragt sind vielmehr neue und neuartige Instrumente.
Dass die Diskussion hierzu begonnen hat, ist zu begrüßen, allerdings herrscht allerorten eine gewisse Hysterie vor, die das Neue einseitig als Bedrohung wahrnimmt und in der Regel etwas
alarmistisch daherkommt. Beispielhaft dafür seien folgende jüngere Publikationen zum Thema Privatsphäre aufgeführt:
Juli Zeh/Ilija Trojanow (2009), Angriff auf die Freiheit. Sicherheitswahn, Überwachungsstaat und der Abbau bürgerlicher Rechte (
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Anne-Cathrine Simon/Thomas Simon (2008), Ausgespäht und abgespeichert: Warum uns die totale Kontrolle droht und was wir dagegen tun können (
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Constanze Kurz/Frank Rieger (2011), Die Datenfresser: Wie Internetfirmen und Staat sich unsere persönlichen Daten einverleiben und wie wir die Kontrolle darüber zurückerlangen (
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Sascha Adamek (2011), Die facebook-Falle: Wie das soziale Netzwerk unser Leben verkauft (
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Eine
Zwischenposition (mit nur noch gelegentlich alarmistischem Unterton) nimmt das folgende Buch ein:
Peter Schaar (2007), Das Ende der Privatsphäre. Der Weg in die Überwachungsgesellschaft, Bertelsmann: München (
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Dem Datenschutzbeauftragten Schaar ist wichtig, die BürgerInnen selbst aufzuklären und zum sachgemäßeren Umgang mit ihren Daten im Alltag anzuregen. Nicht nur Staat und große Internetkonzerne sind anzuklagen, sondern: “Gefahren drohen der Privatsphäre gleich von mehreren Seiten: Technologische Entwicklungen, wirtschaftliche Interessen, staatliche Kontrollen und auch die zunehmende Bereitschaft vieler Menschen, ihre eigene Privatsphäre nicht mehr ernst zu nehmen, gehen Hand in Hand“ (S. 11).
Und nun kommen wir zum eigentlichen Anlass dieses Postings, dem neuen Buch zum Thema Privatsphäre, das sich durch
Sachlichkeit und "analytische Schärfe" (FAZ) wohltuend vom Mainstream abhebt:
Maximilian Hotter (2011), Privatsphäre. Der Wandel eines liberalen Rechts im Zeitalter des Internets, Campus: Frankfurt/Main (
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Hotter gibt uns einen prägnanten Überblick über die rund 200-jährige Geschichte des vom englischen
privacy abgeleiteten Konzepts der Privatsphäre. Laut Hotter wurde das
right to privacy 1890 von den amerikanischen Juristen Samuel Warren und Louis Brandeis erstmals definiert als
right to be let alone. Es finden sich aber schon deutliche Vorläufer bei den Klassikern der liberalen politischen Philosophie von Hobbes über Locke bis Montesquieu und vor allem John Stuart Mill. Den Beginn der modernen wissenschaftlichen Behandlung der Thematik sieht der Autor im Jahr 1967 mit Alan Westins Standardwerk „Privacy and Freedom“. In der Conclusio zu seiner lesenswerten Abhandlung führt Hotter aus:
“Seit vor 200 Jahren das Recht auf Privatsphäre ins Leben gerufen wurde, haben sich wesentliche gesellschaftliche und technische Veränderungen ergeben, die diesen ursprünglich liberalen Anspruch in einem neuen Licht erscheinen lassen. Während die Funktion der Privatsphäre als Garant für ein autonomes Leben unverändert bleibt, hat sich ihr Mechanismus gewandelt. In der Netzwerkgesellschaft, die alle Individuen über Telekommunikation miteinander in Verbindung bringt und in der Kommunikationsdaten auf unbestimmte Zeit gespeichert werden können, wird aus dem ‚Recht, in Ruhe gelassen zu werden’ das ‚Recht, den Zugriff auf eigene personenbezogene digitale Daten durch Dritte einzuschränken’“ (S. 206).
Das Dilemma für jeden Einzelnen wird im folgenden Zitat deutlich:
“Die Erosion der Privatsphäre basiert jedoch nicht ausschließlich auf ihrer freiwilligen Aufgabe durch die subjektiv legitimierten Rechtsträger. Zum einen hat der technologische Fortschritt eine Situation herbeigeführt, in der der Verzicht auf die Nutzung moderner Kommunikationstechnologie einem Ausstieg aus dem sozialen Leben gleichkommt, so dass in Wahrheit jedes Individuum zur (teilweisen) Aufgabe seiner Privatsphäre gezwungen ist“ (S. 207).